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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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54. Auszug aus dem Urteil |
vom 24. September 1991 |
i.S. G. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 105 Abs. 1 UVG, Art. 130 Abs. 2 UVV. Die Bestimmung von Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV, mit welcher ein Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG ausgeschlossen wird, verstösst weder gegen das Gesetz noch gegen die Verfassung (Erw. 1). |
Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG. Wird ein ziffernmässig bestimmtes Rechtsbegehren im kantonalen Beschwerdeverfahren der Unfallversicherung nur teilweise gutgeheissen, so verstösst die Reduktion der Parteientschädigung wegen bloss teilweisen Obsiegens gegen die bundesrechtliche Bemessungsvorschrift von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG, falls das Rechtsbegehren den Prozessaufwand nicht beeinflusst hat (Erw. 2). | |
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Aus den Erwägungen:
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In formellrechtlicher Hinsicht beantragt der Beschwerdeführer, der vorinstanzliche Entscheid sei dahingehend abzuändern, dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihm die vollen Parteikosten, einschliesslich derjenigen für das Einspracheverfahren, zu vergüten habe.
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Erwägung 1 | |
II.1.- Zu prüfen ist zunächst, wie es sich hinsichtlich des Anspruchs auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren verhält. Dabei ist davon auszugehen, dass Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV einen solchen Anspruch ausdrücklich ausschliesst. Es kann sich daher lediglich die Frage stellen, ob diese Bestimmung gegen das Gesetz oder die Verfassung verstösst.
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a) Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV ist nicht gesetzwidrig, indem weder die Verfahrensbestimmungen des UVG (Art. 105 Abs. 1 UVG) noch die gemäss Art. 96 UVG für die SUVA geltenden Bestimmungen des VwVG (vgl. BGE 115 V 299 Erw. 2b) einen Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren einräumen. Art. 64 VwVG sieht einen Anspruch auf Parteientschädigung nur für das Beschwerdeverfahren vor. Die positivrechtliche ![]() ![]() | 4 |
b) Vorinstanz und SUVA ist darin beizupflichten, dass Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV auch nicht als verfassungswidrig qualifiziert werden kann.
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Nach Lehre und Rechtsprechung lässt sich ein Anspruch auf Parteientschädigung unmittelbar aus Art. 4 BV nicht ableiten (GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, S. 847; BERNET, Die Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Diss. iur. Zürich 1986, S. 59 ff.; BGE 104 Ia 9; ZBl 86 [1985] S. 508, 85 [1984] S. 141). In BGE 104 Ia 11 hat das Bundesgericht einen Vorbehalt lediglich in dem Sinne angebracht, dass im Einzelfall der eine Parteientschädigung ablehnende Entscheid dann wegen Verletzung von Art. 4 BV aufgehoben werden könnte, wenn die Ablehnung des Entschädigungsbegehrens in stossender Weise dem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderliefe. Gleichzeitig stellte es jedoch fest, es habe nie aus Art. 4 BV den allgemeinen Satz abgeleitet, im Rechtsmittelverfahren vor der Verwaltungsbehörde müsse der obsiegenden Partei, wenn sie durch einen Anwalt vertreten gewesen sei, eine Parteientschädigung zugesprochen werden. Dementsprechend hat es auch das Eidg. Versicherungsgericht stets ![]() ![]() | 6 |
Dem steht nicht entgegen, dass das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 114 V 228 gestützt auf Art. 4 BV unter engen sachlichen und zeitlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren der Invalidenversicherung (Anhörungsverfahren gemäss Art. 73bis IVV) anerkannt und mit Urteil vom heutigen Tag in Sachen B. (BGE 117 V 408) einen entsprechenden Anspruch auch für das Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG bejaht hat. Beim Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung und demjenigen auf Parteientschädigung handelt es sich um zwei verschiedene Rechtsinstitute, deren unterschiedliche Behandlung verfassungsrechtlich vertretbar ist. Die Rechtsgleichheit gebietet, dass auch der bedürftige Rechtsuchende seine Interessen wahrnehmen kann, weshalb ihm ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung einzuräumen ist, falls er auf eine Vertretung angewiesen ist. Demgegenüber wird der bemittelte Rechtsuchende durch den fehlenden Anspruch auf Parteientschädigung an der Durchsetzung seiner Rechte nicht gehindert. Die Nichtgewährung einer Parteientschädigung führt allenfalls zu einer gewissen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, nicht aber zu einer eigentlichen Rechtsverweigerung (vgl. BERNET, a.a.O., S. 62). Das Verfassungsrecht gewährleistet daher nur, dass nötigenfalls auch der Unbemittelte zur Wahrnehmung seiner Interessen die Dienste eines Rechtsverständigen in Anspruch nehmen kann. Eine im Lichte von Art. 4 BV zu beanstandende Ungleichbehandlung entsteht dagegen nicht, wenn dem im Prozess Obsiegenden, der die Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung nicht erfüllt, ein Anspruch auf Ersatz der Parteikosten verweigert wird. Fraglich kann lediglich sein, wie es sich hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs desjenigen Rechtsuchenden verhält, welcher die Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung erfüllt, im Prozess jedoch ![]() ![]() | 7 |
Erwägung 2 | |
II.2.- Streitig ist des weitern die Höhe der Parteientschädigung im kantonalen Beschwerdeverfahren.
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a) Nach Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf den vom Gericht festgesetzten Ersatz der Parteikosten. Diese werden ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden Sachverhalt und der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.
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Im Unterschied zu andern Sozialversicherungszweigen mit bundesrechtlich garantiertem Anspruch auf Parteientschädigung (vgl. Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, Art. 69 IVG, Art. 7 Abs. 2 ELG, Art. 24 Satz 2 EOG, Art. 22 Abs. 3 FLG und Art. 56 Abs. 1 lit. e MVG) enthält das UVG weitergehende bundesrechtliche Vorschriften betreffend die Bemessung der Parteientschädigung (vgl. BGE 114 V 88 Erw. 4c in fine, 111 V 49 Erw. 4a). Daraus folgt, dass das Eidg. Versicherungsgericht im Bereich der Unfallversicherung als Frage des Bundesrechts frei prüft, ob der vorinstanzliche Entscheid den durch Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG eingeräumten grundsätzlichen Anspruch auf Parteientschädigung verletzt und ob der Entscheid hinsichtlich der Bemessung der Parteientschädigung den bundesrechtlichen Anforderungen gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG genügt. Darüber hinaus hat das Eidg. Versicherungsgericht praktisch lediglich zu prüfen, ob die Höhe der Parteientschädigung vor dem Willkürverbot standhält (vgl. BGE 114 V 86 Erw. 4a).
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b) Die Vorinstanz hat die Parteientschädigung aufgrund des vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geltend gemachten zeitlichen Aufwandes von 13 Stunden in sinngemässer Anwendung ![]() ![]() | 11 |
Der Beschwerdeführer ficht die Kürzung der Parteientschädigung als sachlich nicht gerechtfertigt an. In BGE 114 V 87 Erw. 4b habe das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass im Sozialversicherungsprozess grundsätzlich nicht auf den Streitwert abzustellen sei, sondern die Parteientschädigung nach dem gebotenen Zeitaufwand festzusetzen sei, wobei der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache und dem Umfang der gebotenen Arbeitsleistung Rechnung zu tragen sei. Damit sei zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht die im Zivilprozess entwickelten Kriterien massgebend seien. Diesen Grundsätzen widerspreche der vorinstanzliche Entscheid. Zunächst sei der Beschwerdeführer gar nicht verpflichtet gewesen, sein Rechtsbegehren zu quantifizieren. Sodann sei das kantonale Gericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und der Offizialmaxime gehalten gewesen, die Richtigkeit der Verfügung zu prüfen; auch sei es an die Parteianträge nicht gebunden. Das Ausmass des Obsiegens könne daher für die Bemessung der Parteientschädigung nicht massgebend sein, wenn sich erweise, dass die Beschwerde dem Grundsatze nach gerechtfertigt sei. Andernfalls würden doch zivilprozessuale Gesichtspunkte wegleitend sein.
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Dem Beschwerdeführer ist insoweit beizupflichten, als er nicht verpflichtet gewesen wäre, den für die beantragte Rente massgebenden Invaliditätsgrad zahlenmässig zu spezifizieren, sondern sich damit hätte begnügen können, eine höhere Rente zu verlangen (BGE 101 V 223 Erw. 4). Diesfalls wäre der Prozesserfolg nicht anteilsmässig quantifizierbar gewesen und der Beschwerdeführer hätte wegen Obsiegens eine volle Parteientschädigung erhalten. Zum gleichen Ergebnis hätte geführt, wenn die Vorinstanz die für den Entscheid über den Rentenanspruch erforderlichen zusätzlichen Erhebungen nicht selber vorgenommen, sondern die Sache zu ergänzender Abklärung an die SUVA ![]() ![]() | 13 |
c) Die streitige Festsetzung der Parteientschädigung widerspricht der bundesrechtlichen Bemessungsvorschrift von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG aber insofern, als mit dem Abstellen auf das bloss teilweise Obsiegen im konkreten Fall von den Kriterien des "zu beurteilenden Sachverhalts und der Schwierigkeit des Prozesses" abgewichen wird. Der Sachverhalt und die Schwierigkeit des Prozesses sind nicht davon abhängig, ob der Beschwerdeführer sein Rechtsbegehren konkret oder allgemein gefasst hat. Wird die Entschädigung im Sinne des vorinstanzlichen Entscheids nach dem anteilsmässigen Prozesserfolg bemessen, so hält sich dies nicht im Rahmen der nach Gesetz und Rechtsprechung massgebenden bundesrechtlichen Anforderungen an die Festsetzung der Parteientschädigung. Nach der Rechtsprechung hat der Beschwerdeführer bei teilweisem Obsiegen Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (BGE 110 V 57 Erw. 3a, ZAK 1980 S. 124 Erw. 5). Eine "Überklagung" rechtfertigt aber auch dort, wo das Quantitativ einer Leistung streitig ist, eine Reduktion der Parteientschädigung nur, wenn das ziffernmässig bestimmte Rechtsbegehren den Prozessaufwand beeinflusst hat (EVGE 1967 S. 215 Erw. 3a). Hiefür fehlen im vorliegenden Fall aber jegliche Anhaltspunkte.
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Nach dem Gesagten kann der vorinstanzliche Entscheid, soweit damit eine Kürzung der Parteientschädigung wegen bloss teilweisen Obsiegens vorgenommen wurde, nicht bestätigt werden. Da die übrigen Bemessungselemente von keiner Seite bestritten werden und einer Willkürprüfung standhalten, steht dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'407.20 (Fr. 2'210.-- + Auslagenersatz von Fr. 197.20) zu. ![]() | 15 |
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