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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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57. Urteil |
vom 23. November 1994 |
i.S. N. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zug und Verwaltungsgericht des Kantons Zug | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG: Überspitzter Formalismus. Es bedeutet keinen Verstoss gegen Art. 4 BV, wenn der kantonale Richter bei Einlegung eines Rechtsmittels auf der Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters besteht. Hingegen hat er bei fehlender gültiger Unterschrift eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen. Die Nachfristansetzung ist Ausdruck eines aus dem Verbot des überspitzten Formalismus fliessenden allgemeinen prozessualen Rechtsgrundsatzes, der auch im kantonalen Verfahren Geltung hat. Sodann ergibt sie sich aus der in Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG verankerten Minimalanforderung eines einfachen Verfahrens. | |
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A.- N. bezog von der Ausgleichskasse des Kantons Zürich eine Mutterwaisenrente. Ab April 1991 wurde ihm gleichzeitig von der Ausgleichskasse des Kantons Zug eine Kinderrente als Zusatz zur Altersrente seines Vaters ausgerichtet. Am 14. April 1992 erliess die Ausgleichskasse des Kantons Zug eine Rückerstattungsverfügung. Ein von N. eingereichtes Erlassgesuch wies die Kasse mit Verfügung vom 19. Mai 1992 ab.
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B.- Hiegegen liess N. am 17. Juni 1992 bei der Ausgleichskasse des Kantons Zug Beschwerde erheben. Die Ausgleichskasse überwies die Eingabe, welche am 18. Juni 1992 bei ihr eingegangen war, an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, wo sie am 22. Juni 1992 eintraf. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass sich weder auf der Beschwerde oder auf dem Doppel noch auf dem Couvert eine Unterschrift des Versicherten oder seines Vertreters finde. Demzufolge trat es mit Entscheid vom 13. August 1992 auf die Beschwerde nicht ein.
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C.- N. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell sei die Rückerstattungsforderung zu erlassen.
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Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
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In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird demgegenüber vorgebracht, das kantonale Gericht wäre verpflichtet gewesen, eine kurze Nachfrist zur Behebung des Mangels der fehlenden Unterschrift anzusetzen. Dies gelte umso mehr, als es sich dabei um ein Versehen gehandelt habe und die Ausgleichskasse im Besitz einer Vollmacht des Beschwerdeführers gewesen sei.
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Erwägung 3 | |
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b) Vorliegend hat die Ausgleichskasse des Kantons Zug die Verfügung vom 19. Mai 1992 offenbar mit uneingeschriebener Post versandt. Wann sie in den Gewahrsam des Beschwerdeführers gelangt ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Jedoch steht fest, dass die zu beurteilende Eingabe am 17. Juni ![]() ![]() | 12 |
Erwägung 4 | |
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§ 65 Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen des Kantons Zug vom 1. April 1976 (VRG) sieht vor, dass die Beschwerdeschrift einen Antrag und eine Begründung enthalten muss. Der angefochtene Entscheid ist beizulegen oder genau zu bezeichnen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung sind die Beweismittel, auf die sich der Beschwerdeführer beruft, zu bezeichnen und soweit möglich beizufügen. Genügt die Beschwerdeschrift diesen Erfordernissen nicht, so wird dem Beschwerdeführer eine kurze Frist zur Behebung des Mangels angesetzt unter der Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten werde (Abs. 3).
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Mit dem entsprechenden kantonalen Recht hat sich das Eidg. Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen (Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG). Es hat nur zu prüfen, ob die Anwendung der einschlägigen kantonalen Bestimmungen oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG), insbesondere des Willkürverbots gemäss Art. 4 BV oder des Verbots des überspitzten Formalismus geführt hat. ![]() | 16 |
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Erwägung 5 | |
5.- a) Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedeutet es keinen überspitzten Formalismus, vom Bürger zu verlangen, dass er seine Rechtsschriften eigenhändig unterzeichnet oder von einem bevollmächtigten und nach kantonalem Verfahrensrecht zugelassenen Vertreter unterzeichnen lässt (BGE 114 Ia 22 Erw. 2a, 111 Ia 171 Erw. 3 und 4b mit Hinweisen). Jedoch ist zu beachten, dass die Verfahrensvorschriften des Zivilprozess-, Strafprozess- und Verwaltungsrechts der Verwirklichung des materiellen Rechts zu dienen haben, weshalb die zur Rechtspflege berufenen Behörden verpflichtet sind, sich innerhalb des ihnen vom Gesetz gezogenen Rahmens gegenüber dem Rechtsuchenden so zu verhalten, dass sein Rechtsschutzinteresse materiell gewahrt werden kann. Behördliches Verhalten, das einer Partei den Rechtsweg verunmöglicht oder verkürzt, obschon auch eine andere gesetzeskonforme Möglichkeit bestanden hätte, ist mit Art. 4 BV nicht vereinbar. Dementsprechend entschied das Bundesgericht, dass ein Richter oder Kanzleibeamter eines Gerichts verpflichtet ist, die betreffende Partei auf den Mangel aufmerksam zu machen und dessen Verbesserung zu verlangen, wenn er bei einer Rechtsmittelerklärung einen sofort erkennbaren Formfehler wie das Fehlen einer gültigen Unterschrift feststellt und die Rechtsmittelfrist noch nicht verstrichen ist. Wenn der Mangel der Unterschrift so früh erkannt worden ist, dass die betreffende Partei den Fehler bei entsprechendem Hinweis innert Frist hätte verbessern können, verletzt das Stillschweigen der Behörden Art. 4 BV (BGE 111 Ia 174 Erw. 4c mit Hinweisen). In BGE 114 Ia 24 Erw. 2b präzisierte das Bundesgericht diese Praxis und hielt fest, es sei unerheblich, ob die Behörde den Mangel tatsächlich feststelle. Vielmehr sei sie grundsätzlich ![]() ![]() | 18 |
Das Eidg. Versicherungsgericht vertrat seinerseits die Auffassung, es sei nicht willkürlich, wenn der vorinstanzliche Richter davon ausgehe, die nach der kantonalen Verfahrensordnung verlangte Schriftlichkeit der Beschwerde setze die eigenhändige Unterschrift voraus. In bezug auf kantonale Verfahrensvorschriften, welche der Bestimmung von Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG entsprechen, hielt das Gericht fest, dass bei Fehlen der Unterschrift keine Pflicht zur Nachfristansetzung bestehe. Der kantonale Richter handle daher nicht bundesrechtswidrig, wenn er von einer derartigen Vorkehr absehe (unveröffentlichte Urteile H. und G. vom 24. Februar 1975).
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c) Mit der auf den 15. Februar 1992 in Kraft gesetzten revidierten Bestimmung von Art. 30 Abs. 2 OG wurde die bisherige prozessuale Formstrenge für das Verfahren vor Bundesgericht gelockert (vgl. Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 18. März 1991, BBl 1991 II 514). Fehlt auf einer Rechtsschrift die Unterschrift einer Partei oder eines zugelassenen Vertreters, fehlen dessen Vollmacht oder die vorgeschriebenen Beilagen, oder ist der Unterzeichner als Vertreter nicht zugelassen, so ist nach dieser revidierten Bestimmung eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen mit der Androhung, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibe. Demnach hat das Bundesgericht den Verfasser einer nicht ![]() ![]() | 21 |
Die neue Bestimmung von Art. 30 Abs. 2 OG steht in Einklang mit Art. 52 VwVG, der dem Beschwerdeführer ebenfalls eine kurze Nachfrist zur Verbesserung der Mängel einräumt (POUDRET, Les règles générales révisées ou nouvelles de l'OJ, in: L'organisation judiciaire et les procédures fédérales, Le point sur les révisions récentes, documentation du CEDIDAC, Lausanne 1992, S. 35; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire (COJ), Bern 1990, N. 2 zu Art. 30 OG). Sie gründet auf dem Gedanken, dass jeder rigorose Formalismus zu vermeiden ist, die erwähnten Mängel folglich nicht direkt zu einem Nichteintreten führen, sondern innert einer Nachfrist beseitigt werden können (Bericht der Expertenkommission vom Januar 1982 S. 38; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, S. 28 Fn. 3). Prozessuale Formstrenge soll dort gemildert werden, wo sie sich nicht durch schutzwürdige Interessen rechtfertigt (BBl 1991 II 514).
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Erwägung 6 | |
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Dieser Auffassung schliesst sich das Eidg. Versicherungsgericht im Grundsatz an. Nach dem Gesagten bedeutet es keinen Verstoss gegen Art. 4 BV, wenn der kantonale Richter bei Einlegung eines Rechtsmittels auf der Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters besteht. Hingegen hat er bei fehlender gültiger Unterschrift eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels anzusetzen. Denn die Möglichkeit der Nachfristansetzung, wie sie in Art. 30 Abs. 2 OG für das Verfahren vor Bundesgericht enthalten ist, ist Ausdruck eines aus dem Verbot des überspitzten Formalismus fliessenden allgemeinen prozessualen Rechtsgrundsatzes, der auch im kantonalen Verfahren Geltung hat (vgl. ![]() ![]() | 24 |
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Erwägung 7 | |
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