EuGH C-191/95, Slg. 1998, S. I-5449 - Kommission ./. Deutschland | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher | |||
Urteil |
des Gerichtshofes |
vom 29. September 1998 |
In der Rechtssache |
-- C-191/95 -- |
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Jürgen Grunwald als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gomez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg, Klägerin |
gegen |
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ernst Röder, Ministerialrat im Bundesministerium für Wirtschaft, D-53107 Bonn, und Alfred Dittrich, |
Regierungsdirektor im Bundesministerium der Justiz, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Hans-Jürgen Rabe, Hamburg und Brüssel, Beklagte |
wegen Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag sowie aus der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8), und der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11) verstoßen hat, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, |
erläßt |
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann, H. Ragnemalm (Berichterstatter), M. Wathelet und R. Schintgen sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, L. Sevon und K. M. Ioannou, Generalanwalt: G. Cosmas Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat, sodann D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Parteien durch die Sechste Kammer in der Sitzung vom 12. Dezember 1996, nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts durch die Sechste Kammer in der Sitzung vom 5. Juni 1997, aufgrund der Entscheidung der Sechsten Kammer vom 18. September 1997 über die Vorlage der Rechtssache an den Gerichtshof, aufgrund des Beschlusses vom 14. Oktober 1997 über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 9. Dezember 1997, in der die Kommission, vertreten durch Christiaan Timmermans, stellvertretender Generaldirektor des Juristischen Dienstes, und Jürgen Grunwald, sowie die deutsche Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Jürgen Rabe, mündliche Ausführungen gemacht haben, |
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 1998 folgendes |
Urteil | |
1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 16. Juni 1995 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag sowie aus der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8; im folgenden: Erste Richtlinie), und der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11; im folgenden: Vierte Richtlinie) verstoßen hat, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen.
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Die streitige Regelung | |
Die Erste Richtlinie | |
2. Gemäß ihrem Artikel 1 gilt die Erste Richtlinie in Deutschland für die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
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3. Nach Artikel 2 der Ersten Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich dieser Gesellschaften mindestens auf die in dieser Vorschrift aufgeführten Urkunden und Angaben erstreckt. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f gilt die Pflicht zur Offenlegung insbesondere für "die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr".
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4. Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f Satz 3 wird jedoch u.a. für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung des deutschen Rechts die genannte Pflicht zur Offenlegung "bis zum Zeitpunkt der Anwendung einer Richtlinie aufgeschoben, die sowohl Vorschriften über die Koordinierung des Inhalts der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen enthält, als auch diejenigen dieser Gesellschaften, deren Bilanzsumme einen in der Richtlinie festzusetzenden Betrag nicht erreicht, von der Pflicht zur Offenlegung aller oder eines Teils dieser Schriftstücke befreit". Nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f letzter Satz erläßt der Rat die genannte Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach der Annahme der Ersten Richtlinie.
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5. In Artikel 3 Absätze 2 und 4 der Ersten Richtlinie werden die Eintragung aller Urkunden und Angaben, die der Offenlegung unterliegen, in das in dem Mitgliedstaat eingerichtete Register und ihre Bekanntmachung in geeigneter Form in einem von diesem Staat zu bestimmenden Amtsblatt vorgeschrieben.
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6. In Artikel 6 der Ersten Richtlinie heißt es:
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7. Gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Ersten Richtlinie mußten die Mitgliedstaaten diese innerhalb einer Frist von achtzehn Monaten nach deren Bekanntgabe umsetzen; die Bekanntgabe erfolgte am 11. März 1968.
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Die Vierte Richtlinie | |
8. Die Vierte Richtlinie legt für die in ihr genannten Gesellschaften die Vorschriften über den Jahresabschluß fest. Artikel 2 der Richtlinie bestimmt: "Der Jahresabschluß besteht aus der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang zum Jahresabschluß. Diese Unterlagen bilden eine Einheit."
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9. Zur Offenlegung des Jahresabschlusses bestimmt Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Richtlinie:
| 9 |
"(1) Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluß und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen. Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten. Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muß auf bloßen Antrag kostenfrei erhältlich sein." | 10 |
10. Gemäß Artikel 55 Absatz 1 der Vierten Richtlinie mußte diese innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe, die am 31. Juli 1978 erfolgte, in das nationale Recht umgesetzt werden.
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Die nationalen Vorschriften | |
11. Das Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen vom 15. August 1969 (BGBl. I S. 1189; im folgenden: Publizitätsgesetz) trat in der Bundesrepublik Deutschland am 21. August 1969 in Kraft.
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12. Die § § 9 und 10 des Publizitätsgesetzes enthielten detaillierte Vorschriften über die Verpflichtung zur Einreichung von Jahresabschluß und Geschäftsbericht zum Handelsregister sowie zur Bekanntmachung des Jahresabschlusses im Bundesanzeiger.
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13. Das Publizitätsgesetz wurde insbesondere durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz vom 19. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2355) geändert, das die Vierte Richtlinie sowie die Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß (ABl. L 193, S. 1) und die Achte Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen (ABl. L 126, S. 20) durchgeführt hat. Nach der zur Zeit geltenden Fassung sind die von dem Gesetz betroffenen Unternehmen zur Offenlegung des Jahresabschlusses und des Jahresberichts, insbesondere durch Einreichung zum Handelsregister, verpflichtet (§ 9). Die Einhaltung dieser Verpflichtung kann nach § 21 Satz 1 Nummer 8 des Bilanzrichtlinien-Gesetzes mit Zwangsgeld durchgesetzt werden.
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14. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz hat außerdem in das Handelsgesetzbuch (im folgenden: HGB) ein Drittes Buch Handelsbücher (§ § 238 bis 339) eingeführt.
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15. § 325 HGB enthält die Vorschriften über die Offenlegung, insbesondere über die Verpflichtungen der gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften, den Jahresabschluß beim Handelsregister einzureichen und die Tatsache dieser Einreichung im Bundesanzeiger bekanntzugeben.
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16. § 335 HGB sieht die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall vor, daß Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft der in § 325 HGB vorgesehenen Pflicht zur Offenlegung ihrer Bilanzen nicht nachkommen. Nach § 335 Satz 1 Nummer 6 in Verbindung mit § 335 Satz 2 HGB schreitet das Registergericht jedoch nur ein, wenn ein Gesellschafter, ein Gläubiger, der Gesamtbetriebsrat oder der Betriebsrat der Gesellschaft dies beantragt.
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17. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz wurde der Kommission Anfang Januar 1986 notifiziert. Diese Notifizierung erfolgte auf die Vertragsverletzungsklage in der Rechtssache 18/85 hin, mit der die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vorwarf, die Vierte Richtlinie verspätet umgesetzt zu haben. Aufgrund ihrer Klagerücknahme wurde das Verfahren durch Streichungsbeschluß vom 11. Februar 1987 (ABl. C 80, S. 6) beendet.
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Vorverfahren und Anträge der Parteien | |
18. Mit Schreiben vom 26. Juni 1990 teilte die Kommission der deutschen Regierung mit, daß nach ihr vorliegenden Veröffentlichungen 93% der deutschen Kapitalgesellschaften der Verpflichtung zur Offenlegung ihres Jahresabschlusses nicht nachgekommen seien, was einen Verstoß gegen Artikel 3 der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 47 der Vierten Richtlinie darstelle. Sie wies darauf hin, daß die Mitgliedstaaten nach Artikel 6 der Ersten Richtlinie verpflichtet seien, geeignete Sanktionen für den Verstoß gegen die in der Richtlinie normierte Publizitätspflicht vorzusehen, und forderte die Bundesregierung gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.
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19. Mit Mitteilung vom 30. Juli 1990 bestritt die deutsche Regierung einen Verstoß gegen Artikel 3 der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 47 der Vierten Richtlinie. Unter Berufung auf eigene Statistiken und unter Hinweis auf die geltenden deutschen Vorschriften bestritt die Bundesregierung die von der Kommission vorgelegten Zahlen und gelangte zu dem Schluß, daß es keinen Grund gebe, weitere Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung der Offenlegungspflichten der Kapitalgesellschaften einzuführen.
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20. Am 2. Juni 1992 richtete die Kommission daher eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland. Sie hielt ihr vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Ersten und der Vierten Richtlinie verstoßen zu haben, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen habe, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterließen. Die Kommission forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nachzukommen. Auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Frist bis zum 30. September 1992 verlängert.
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21. Am 25. August 1993 erklärte sich die deutsche Regierung bereit, die Sanktionen für den Fall der Nichtoffenlegung von Jahresabschlußunterlagen zu verschärfen, sofern sich die Kommission mit den vorgesehenen Gesetzesänderungeneinverstanden erkläre und auf die Erhebung einer Klage beim Gerichtshof verzichte. Sie unterbreitete der Kommission dementsprechend einen Vorschlag für eine Einführung verschärfter Sanktionen, die stufenweise für alle Kapitalgesellschaften zwischen dem 1. Januar 1995 und dem 1. Januar 1999 in Kraft treten sollten. Hierzu wies sie darauf hin, daß im Fall des sofortigen Inkrafttretens dieser Vorschriften die insoweit zuständigen Bundesländer in Anbetracht der Vielzahl der einzuleitenden Verfahren und der großen Zahl von Beamten der alten Länder, die im Anschluß an die deutsche Wiedervereinigung für den Aufbau der neuen Länder zur Verfügung gestellt worden seien, nicht in der Lage wären, ihre sofortige Anwendung zu gewährleisten.
| 22 |
22. Am 3. März 1994 antwortete das zuständige Kommissionsmitglied, daß die in Aussicht gestellten Sanktionen unterschiedslos von Anfang an für alle betroffenen Gesellschaften gelten müßten, die ihrer Offenlegungspflicht nicht nachkämen. Er sei jedoch bereit, der Kommission eine Aussetzung des Verfahrens vorzuschlagen, wenn die Bundesregierung noch während der laufenden Legislaturperiode einen entsprechend geänderten Gesetzesentwurf vorlege.
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23. Mit Schreiben vom 19. Mai 1994 teilte die Bundesregierung der Kommission mit, daß sie unter diesen Voraussetzungen nicht von ihrer Rechtsauffassung abgehen könne, daß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag eine Verschärfung der im deutschen Recht vorhandenen Sanktionen nicht erfordere.
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24. Da auch weitere Besprechungen nicht zu einer Lösung führten, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben, mit der sie beantragt, die Vertragsverletzung durch die Bundesrepublik Deutschland festzustellen und dieser die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
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25. Die deutsche Regierung beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Zur Zulässigkeit | |
26. Die deutsche Regierung hat drei Einreden der Unzulässigkeit erhoben, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen das Kollegialprinzip bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und bei der Klageerhebung, zweitens eine Änderung des Streitgegenstands und drittens eine fehlerhafte Begründung im Zusammenhang mit der angeblichen Vertragsverletzung rügt.
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Verstoß gegen das Kollegialprinzip bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und bei der Klageerhebung | |
27. Die deutsche Regierung macht geltend, die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Erhebung der Klage beim Gerichtshof seien im Rahmen des Ermächtigungsverfahrens beschlossen worden. Zwar sei es mit dem Kollegialprinzip vereinbar, wenn für den Erlaß von Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung auf das Ermächtigungsverfahren zurückgegriffen werde; dieses Verfahren sei jedoch bei Grundsatzentscheidungen wie denjenigen über die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Erhebung einer Klage beim Gerichtshof ausgeschlossen. Nach Artikel 169 des Vertrages erforderten die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Anrufung des Gerichtshofes nämlich einen Beschluß der Kommission als Kollegialorgan.
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28. Die Kommission hält dem entgegen, die Beschlüsse zur Versendung des Mahnschreibens, zur Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme und zur Klageerhebung seien von der Kommission als Kollegialorgan in gemeinschaftlicher Sitzung gefaßt worden.
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29. Durch Beschluß vom 23. Oktober 1996 hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) der Kommission aufgegeben, die von ihr als Kollegialorgan gefaßten Beschlüsse, die am 2. Juni 1992 an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die vorliegende Vertragsverletzungsklage zu erheben, vorzulegen.
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30. Dementsprechend hat die Kommission dem Gerichtshof Protokolle bestimmter Sitzungen sowie Dokumente vorgelegt, die in diesen Protokollen erwähnt werden.
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31. In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 1997 hat die deutsche Regierung vorgetragen, die Kommission habe, wenn man die von ihr vorgelegten Unterlagen betrachte, nicht den Nachweis erbracht, daß die Mitglieder des Kollegiums bei ihrer Entscheidung, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, tatsächlich hinreichend über den Inhalt dieser Akte informiert gewesen seien. Das Kollegium müsse jedoch über alle einschlägigen rechtlichen und tatsächlichen Angaben verfügen, um sicherstellen zu können, daß seine Beschlüsse keine Zweifel offenließen, und um zu gewährleisten, daß die zugestellten Akte tatsächlich vom Kollegium erlassen worden seien und dem Willen des Kollegiums, das hierfür die politische Verantwortung übernehme, entsprochen hätten.
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32. Die Kommission hat vorgetragen, angesichts der Zahl der Vertragsverletzungsverfahren stünden den Kommissionsmitgliedern aus Gründen der Effizienz nicht die Entwürfe der mit Gründen versehenen Stellungnahmen zur Verfügung, wenn sie den Beschluß faßten, solche Akte zu erlassen; da diesen Akten keine unmittelbaren verbindlichen rechtlichen Wirkungen zukämen, sei dies auch nicht erforderlich. Dagegen lägen den Mitgliedern des Kollegiums wichtige Informationen vor, insbesondere darüber, welche Sachverhalte beanstandet würden und welche gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nach Auffassung der Dienststellen der Kommission verletzt seien. Das Kollegium habe somit in voller Kenntnis der Umstände zu den Vorschlägen ihrer Dienststellen, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, Stellung genommen. Die Ausarbeitung der mit Gründen versehenen Stellungnahmen erfolge auf Verwaltungsebene unter der Verantwortung des sachlich zuständigen Kommissionsmitglieds, nachdem das Kollegium den Beschluß gefaßt habe, diesen Akt zu erlassen.
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34 | |
34. Es steht außer Streit, daß die Beschlüsse, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, diesem Kollegialprinzip unterliegen.
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35. Die Anwendung von Artikel 169 ist nämlich eines der Mittel der Kommission, um dafür zu sorgen, daß die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Vertrages und die auf seiner Grundlage von den Organen erlassenen Bestimmungen anwenden (Urteil vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-422/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Randnr. 16). Die Beschlüsse, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und Klage zu erheben, fügen sich somit in den allgemeinen Rahmen der Überwachungsfunktion ein, mit der die Kommission aufgrund von Artikel 155 erster Gedankenstrich EG-Vertrag betraut ist.
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36. Durch die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme bringt die Kommission ihre förmliche Auffassung zur rechtlichen Situation des betroffenen Mitgliedstaats zum Ausdruck. Durch die förmliche Feststellung der vorgeworfenen Vertragsverletzung schließt die mit Gründen versehene Stellungnahme im übrigen das Vorverfahren nach Artikel 169 ab (Urteil vom 31. Januar 1984 in der Rechtssache 74/82, Kommission/Irland, Slg. 1984, 317, Randnr. 13). Der Beschluß, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, kann daher nicht als Maßnahme der Verwaltung oder Geschäftsführung angesehen werden und Gegenstand einer Ermächtigung sein.
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37. Dasselbe gilt für den Beschluß, beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage zu erheben. Im Rahmen ihrer Rolle als Hüterin des Vertrages ist die Kommission für die Entscheidung zuständig, ob es angebracht ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten (in diesem Sinne Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnr. 22). Eine solche Entscheidung steht im Ermessen dieses Organs (siehe u.a. Urteil vom 27. November 1990 in der Rechtssache C-200/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4299, Randnr. 9) und kann nicht als Maßnahme der Verwaltung oder Geschäftsführung eingestuft werden.
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38. Somit wird mit der ersten Unzulässigkeitsrüge, wie sie im Laufe des vorliegenden Verfahrens erläutert worden ist, die Frage aufgeworfen, ob das Kollegium dem Kollegialprinzip gerecht wurde, als es einerseits in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme zu der Auffassung gelangte, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen eine ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen habe, und andererseits, nachdem die Bundesrepublik dieser Stellungnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen war, beschloß, die vorliegende Klage zu erheben.
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39. Nach ständiger Rechtsprechung beruht das Kollegialprinzip auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und besagt namentlich, daß die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und daß alle Mitglieder des Kollegiums für sämtliche erlassenen Entscheidungen politisch gemeinsam verantwortlich sind (Urteile vom 23. September 1986 in der Rechtssache 5/85, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585, Randnr. 30, und vom 21. Dezember 1989 in den verbundenen Rechtssachen 46/87 und 227/88, Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, sowie das Urteil Kommission/BASF u.a., Randnr. 63).
| 40 |
40. Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, daß die Beachtung dieses Prinzips für die von den Rechtswirkungen einer Entscheidung der Kommission betroffenen Rechtssubjekte von Interesse ist (vgl. in diesem Sinne das Urteil Kommission/BASF u.a., Randnr. 64).
| 41 |
41. Allerdings sind die Förmlichkeiten, die zu beachten sind, damit das Kollegialprinzip tatsächlich eingehalten wird, je nach Art und Rechtswirkungen der von diesem Organ erlassenen Akte verschieden.
| 42 |
42. So hat der Gerichtshof zu Entscheidungen, die zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln erlassen werden und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können, festgestellt, daß die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, an die diese Entscheidungen gerichtet sind, die Gewähr dafür haben müssen, daß der verfügende Teil und die Begründung dieser Entscheidungen vom Kollegium erlassen worden sind (vgl. in diesem Sinne das Urteil Kommission/BASF u.a., Randnrn. 65 bis 67).
| 43 |
43. Die Bedingungen, unter denen über die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Erhebung der Vertragsverletzungsklage im Kollegium gemeinschaftlich zu beraten war, sind im vorliegenden Fall also unter Berücksichtigung der Rechtswirkungen dieser Entscheidungen gegenüber dem betroffenen Staat festzulegen.
| 44 |
44. Die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme ist Teil eines Vorverfahrens (Urteil vom 27. Mai 1981 in den verbundenen Rechtssachen 142/80 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, 1413, Randnr. 15), das keine bindenden rechtlichen Wirkungen für den Adressaten der mit Gründen versehenen Stellungnahme entfaltet. Letztere ist nur ein Abschnitt eines vorprozessualen Verfahrens, das gegebenenfalls zur Anrufung des Gerichtshofes führt (Urteil vom 10. Dezember 1969 in den verbundenen Rechtssachen 6/69 und 11/69, Kommission/Frankreich, Slg. 1969, 523, Randnr. 36). Dieses vorprozessuale Verfahren soll es dem Mitgliedstaat erlauben, freiwillig seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nachzukommen oder gegebenenfalls seine Auffassung zu rechtfertigen (Urteile vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg. 1997, I-5699, Randnr. 60, in der Rechtssache C-158/94, Kommission/Italien, Slg. 1997, I-5789, Randnr. 56, und in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 103).
| 45 |
45. Für den Fall, daß dieses Bemühen um eine Regelung erfolglos bleibt, soll die mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand festlegen. Dagegen kann die Kommission mit den nach Artikel 169 abgegebenen Stellungnahmen oder mit anderen Äußerungen im Rahmen dieses Verfahrens nicht die Rechte und Verpflichtungen eines Mitgliedstaats abschließend festlegen oder ihm Zusicherungen hinsichtlich der Vereinbarkeit eines bestimmten Verhaltens mit dem Vertrag geben. Nach dem System der Artikel 169 bis 171 des Vertrages kann sich nur aus einem Urteil des Gerichtshofes ergeben, welche Rechte und Pflichten die Mitgliedstaaten haben und wie ihr Verhalten zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne das Urteil Essevi und Salengo, Randnrn. 15 f.).
| 46 |
46. Der mit Gründen versehenen Stellungnahme kommt eine rechtliche Wirkung somit nur im Hinblick auf die Anrufung des Gerichtshofes zu (Urteil Essevi und Salengo, Randnr. 18); kommt der Staat dieser Stellungnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist nach, so ist die Kommission darüber hinaus berechtigt, aber nicht verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, Starfruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnr. 12).
| 47 |
47. Die Entscheidung, den Gerichtshof anzurufen, stellt zwar eine unerläßliche Maßnahme dar, um diesem eine verbindliche Entscheidung über die angebliche Vertragsverletzung zu ermöglichen, doch ändert sie gleichwohl nicht aus sich heraus die streitige Rechtslage.
| 48 |
48. Aus alledem ergibt sich, daß das Kollegium sowohl über den Beschluß der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, als auch über den Beschluß, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, gemeinschaftlich beraten muß. Die Elemente, auf die diese Beschlüsse gestützt sind, müssen den Mitgliedern des Kollegiums daher zur Verfügung stehen. Dagegen braucht das Kollegium nicht selbst den Wortlaut der Rechtsakte, durch die diese Beschlüsse umgesetzt werden, und ihre endgültige Ausgestaltung zu beschließen.
| 49 |
49. Im vorliegenden Fall steht fest, daß den Mitgliedern des Kollegiums alle Elemente, die ihnen für ihre Beschlußfassung dienlich erschienen, zur Verfügung standen, als das Kollegium am 31. Juli 1991 beschloß, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, und am 13. Dezember 1994 den Vorschlag billigte, die vorliegende Klage zu erheben.
| 50 |
50. Aufgrund dessen ist festzustellen, daß die Kommission die sich aus dem Kollegialprinzip ergebenden Regeln eingehalten hat, als sie die mit Gründen versehene Stellungnahme gegenüber der Bundesrepublik Deutschland abgab und die vorliegende Klage erhob.
| 51 |
51. Folglich ist die auf einen Verstoß gegen das Kollegialprinzip gestützte Einrede der Unzulässigkeit als unbegründet zurückzuweisen.
| 52 |
Änderung des Streitgegenstands | |
52. Die deutsche Regierung macht geltend, die Klage sei unzulässig, da die Klageschrift inhaltlich vom Mahnschreiben abweiche. In ihrem Mahnschreiben habe die Kommission nämlich erklärt, die Bundesrepublik Deutschland habe gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 47 der Vierten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 3 der Ersten Richtlinie verstoßen, während sie in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift einen Verstoß gegen die Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie angenommen habe. Der Streitgegenstand sei somit während des Vorverfahrens geändert worden.
| 53 |
53. Die Kommission hält dem entgegen, der Wortlaut sowohl des Mahnschreibens als auch der Mitteilung der deutschen Regierung vom 30. Juli 1990 zeige, daß ihr Anliegen klar ausgedrückt gewesen und richtig verstanden worden sei.
| 54 |
54. Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die in Artikel 169 des Vertrages genannte mit Gründen versehene Stellungnahme zwar eine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe enthalten muß, aus denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt ist, daß der betreffende Staat gegen eine seiner Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen hat; doch können an die Genauigkeit des Mahnschreibens, das zwangsläufig nur in einer ersten knappen Zusammenfassung der Vorwürfe bestehen kann, keine so strengen Anforderungen gestellt werden. Nichts hindert daher die Kommission daran, in der mit Gründen versehenen Stellungnahme die Vorwürfe näher darzulegen, die sie im Mahnschreiben bereits in allgemeiner Form erhoben hat (vgl. Urteil vom 16. September 1997 in der Rechtssache C-279/94, Kommission/Italien, Slg. 1997, I-4743, Randnr. 15).
| 55 |
55. Es trifft zu, daß das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie die von ihr abgegebene mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand abgrenzen, so daß dieser nicht mehr erweitert werden kann. Denn die Möglichkeit zur Äußerung stellt für den betreffenden Staat auch dann, wenn er meint, davon nicht Gebrauch machen zu müssen, eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substantielles Formerfordernis des Verfahrens auf Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ist (Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1983, 203, Randnr. 6). Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird.
| 56 |
56. Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, daß in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den im Mahnschreiben erhobenen Rügen, dem Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muß, sofern der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern nur beschränkt worden ist (vgl. in diesem Sinn das zitierte Urteil vom 16. September 1997, Kommission/Italien, Randnr. 25).
| 57 |
57. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, daß die Kommission in ihrem Mahnschreiben die der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfene Vertragsverletzung hinreichend genau bezeichnet hat, indem sie ausgeführt hat, Artikel 3 der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 47 der Vierten Richtlinie sei dadurch verletzt, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften der Offenlegungspflicht nicht nachkomme, und indem sie auf die den Mitgliedstaaten nach Artikel 6 der Ersten Richtlinie obliegende Pflicht hingewiesen hat, geeignete Sanktionen für den Verstoß gegen die Offenlegungspflicht vorzusehen. Diesem Schreiben konnte die deutsche Regierung also entnehmen, welche Art von Rügen ihr gegenüber erhoben wurden; damit war es ihr möglich, sich dagegen zu verteidigen.
| 58 |
58. Somit hat der Umstand, daß die Kommission die Rügen, die darauf gestützt waren, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften der Offenlegungspflicht nicht nachkomme, nicht aufrechterhalten hat, während sie die bereits im Mahnschreiben in allgemeinerer Form erhobenen Rügen hinsichtlich der Notwendigkeit, geeignete Sanktionen vorzusehen, näher ausgeführt hat, lediglich eine Beschränkung des Gegenstands der Klage zur Folge gehabt.
| 59 |
59. Der zweite Unzulässigkeitsgrund ist daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
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Fehlerhafte Begründung des Verstoßvorwurfs | |
60. Nach Ansicht der deutschen Regierung konnte die Kommission die Übereinstimmung der deutschen Vorschriften über die Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses mit dem Gemeinschaftsrecht nicht auf der Grundlage von nicht verifizierten Zahlen über die Befolgung dieser Verpflichtung durch die Unternehmen in Frage stellen. Zur Begründung eines solchen Verstoßes hätte die Kommission sich durch eigene Ermittlungen Gewißheit über die von ihr zugrundegelegten Zahlen verschaffen müssen. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Kommission eine detaillierte und zusammenhängende Darstellung der Gründe für ihre Überzeugung gegeben habe, der Bundesrepublik Deutschland müßten die behaupteten Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden.
| 61 |
61. Die Kommission erwidert, daß sie weiterhin vom Vertragsverstoß überzeugt sei, und weist darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland den Vertragsverstoß in ihrem Schreiben vom 25. August 1993 selbst eingeräumt habe.
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62. Hierzu genügt der Hinweis, daß die Kommission im Stadium der Klage die Rügen, die darauf gestützt waren, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften den Offenlegungspflichten nicht nachkomme, nicht aufrechterhalten hat. Die dritte Unzulässigkeitseinrede bezieht sich somit auf einen im Stadium des Vorverfahrens behaupteten Verstoß, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Daher ist diese Einrede zurückzuweisen.
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63. Folglich ist die Klage insgesamt für zulässig zu erklären.
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Zur Begründetheit | |
64. Die Kommission trägt vor, die Prüfung der geltenden deutschen Rechtsvorschriften ergebe klar, daß die Offenlegung des Jahresabschlusses der Kapitalgesellschaften zwar in den § § 325 ff. HGB geregelt sei, der deutsche Gesetzgeber jedoch kein wirksames rechtliches Instrument geschaffen habe, um die Offenlegungspflicht durchzusetzen. Zwar sehe § 335 Satz 1 Nummer 6 HGB die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall vor, daß Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft der Offenlegungspflicht nicht nachkämen, doch könne das Registergericht solche Zwangsgelder nicht von Amts wegen verhängen.
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65. Die deutsche Regierung macht geltend, die durch Artikel 6 der Ersten Richtlinie aufgestellte Pflicht zur Einführung geeigneter Sanktionen wegen unterlassener Offenlegung der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung gelte noch nicht in bezug auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung des deutschen Rechts. Hilfsweise trägt sie vor, Artikel 6 der Ersten Richtlinie sei richtig umgesetzt worden. Nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages solle die Koordinierung des nationalen Gesellschaftsrechts nämlich die Interessen der Gesellschafter sowie Dritter schützen. Letztere seien nicht alle natürlichen oder juristischen Personen, sondern nur diejenigen, die in einer rechtlichen Beziehung zu der Gesellschaft stünden. Angesichts der äußerst großen Zahl von kleinen und mittleren Gesellschaften mit beschränkter Haftung stünde schließlich die Einleitung von Verfahren gegen diese Gesellschaften außer Verhältnis zu dem in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages aufgestellten Ziel der Regelung.
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66. Hierzu genügt der Hinweis, daß der Gerichtshof im Urteil vom 4. Dezember 1997 in der Rechtssache C-97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I-6843, Randnrn. 14 f.) festgestellt hat, daß die durch die Erste Richtlinie gelassene Regelungslücke durch die Vierte Richtlinie geschlossen wurde. Diese Richtlinie hat die einzelstaatlichen Vorschriften über die Gliederung und den Inhalt des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie über die Bewertungsmethoden und die Offenlegung dieser Unterlagen bei den Kapitalgesellschaften, darunter den Gesellschaften mit beschränkter Haftung deutschen Rechts, koordiniert.
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67. In dem Urteil Daihatsu Deutschland hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß Artikel 6 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die nur den Gesellschaftern, den Gläubigern und dem Gesamtbetriebsrat bzw. dem Betriebsrat der Gesellschaft das Recht einräumen, die Verhängung der Maßregel zu beantragen, die das nationale Recht für den Fall vorsieht, daß eine Gesellschaft den durch die Erste Richtlinie aufgestellten Pflichten auf dem Gebiet der Offenlegung des Jahresabschlusses nicht nachkommt.
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68. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß das Fehlen geeigneter Sanktionen nicht damit gerechtfertigt werden kann, daß die Anwendung solcher Sanktionen auf sämtliche Gesellschaften, die ihren Abschluß nicht offenlegen, wegen ihrer großen Zahl für die deutsche Verwaltung erhebliche Schwierigkeiten schaffen würde, die außer Verhältnis zu dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgten Ziel stünden. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf interne Umstände berufen, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben (vgl. u.a. Urteile vom 19. Februar 1991 in der Rechtssache C-374/89, Kommission/Belgien, Slg. 1991, I-367, Randnr. 10, vom 7. April 1992 in der Rechtssache C-45/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1992, I-2509, Randnr. 21, und vom 29. Juni 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-109/94, C-207/94 und C-225/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-1791, Randnr. 11).
| 69 |
69. Folglich ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere aufgrund der Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Richtlinie obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
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Kosten | |
70. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, die Bundesrepublik Deutschland zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt und entschieden:
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1. Die Einreden der Unzulässigkeit werden zurückgewiesen. |
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere aufgrund der Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, in Verbindung mit Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen. |
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens. | |
Rodriguez Iglesias, Gulmann, Ragnemalm, Wathelet, Schintgen, Moitinho de Almeida, Kapteyn, Murray, Edward, Puissochet, Hirsch, Jann, Sevon, Ioannou | |
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. September 1998.
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R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident) | |
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