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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Fabian Beer, A. Tschentscher | |||
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2. Durch schlichte Amtshandlung kann eine öffentlich-rechtliche Beziehung hergestellt und hieraus die Leistungs-(Unterlassungs-)Klage oder die Feststellungsklage zulässig sein. |
MRVO Nr. 165 § 22 Abs. 1; VwGO §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 1 |
Urteil |
des VII. Senats vom 20. Juli 1962 |
-- BVerwG VII C 57/61 -- | |
Der Kläger war als Luftreeder Halter eines viermotorigen Flugzeugs, das am 3. November 1957 kurz nach dem Start abstürzte. Dabei kamen mehrere Personen ums Lebens. Für die Regelung der Ansprüche aus dem Unfall ist wesentlich, wer den Unfall verschuldet hat. Eine Kommission des Luftfahrt-Bundesamtes untersuchte den Unfall und kam mit einem Bericht vom 12. April 1958 zu dem Ergebnis, daß der Unfall durch einen Fehler der Flugzeugführung verursacht worden sei. Auf Veranlassung des Klägers nahm eine neue Untersuchungskommission des Luftfahrt-Bundesamtes die Untersuchung nochmals auf und faßte mit einem Ergänzungsbericht vom 5. Juni 1959 ihr Untersuchungsergebnis dahin zusammen, daß für alle Vorgänge und Maßnahmen bei dem Unglücksstart der Flugzeugführer verantwortlich sei. Den Untersuchungs- und den Ergänzungsbericht übermittelte das Luftfahrt-Bundesamt außer dem Kläger einigen Behörden, Versicherungsunternehmen und der Presse. Wegen des Inhalts der Untersuchungsberichte erhob der Kläger Klage gegen die Bundesrepublik. Er beantragte, die Untersuchungsberichte aufzuheben, hilfsweise: der Beklagten zu untersagen, die Untersuchungsberichte an andere Stellen als die mit dem Luftunfall dienstlich befaßten Behörden und Gerichte herauszugeben, sowie die Beklagte zu verpflichten, allen Stellen, denen die Berichte zugänglich gemacht worden sind oder werden, die Erklärung abzugeben, daß die getroffenen Feststellungen nicht rechtsverbindlich seien, insbesondere soweit sie sich auf die Verantwortlichkeit der an dem Luftunfall beteiligten Personen beziehen.
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Aus den Gründen: | |
1. Mit dem Hauptantrag, die Untersuchungsberichte aufzuheben, hat der Kläger eine Anfechtungsklage erhoben. Sie ist nur dann zulässig, wenn die Untersuchungsberichte Verwaltungsakte sind (§ 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165, jetzt § 42 Abs. 1 VwGO). Übereinstimmend mit dem in der Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelten Begriff "Verwaltungsakt" bestimmt § 25 Abs. 1 MRVO Nr. 165 diesen Begriff als Verfügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme, die von einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen wird. Der Untersuchungsbericht über einen Luftunfall wird von einer Kommission des Luftfahrt-Bundesamts nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die fachliche Untersuchung von Unfällen bei dem Betrieb von Luftfahrzeugen vom 4. März 1958 (BAnz. Nr. 48 vom 11. März 1958, Neufassung im BAnz. Nr. 163 vom 25. August 1960) -- LUV -- erstattet. Sie sind durch den Bundesminister für Verkehr auf Grund der §§ 5 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes über das Luftfahrt- Bundesamt vom 30. November 1954 (BGBl. I S. 354) erlassen worden. Daß die Verwaltungsvorschriften keine Rechtssätze sind, hindert das Luftfahrt- Bundesamt nicht, danach zu verfahren. Auch die später in das Luftverkehrsgesetz in der Fassung vom 10. Januar 1959 (BGBl. I S. 9) -- LuftVG -- durch § 17 a des Änderungsgesetzes vom 5. Dezember 1958 (BGBl. I S. 899) aufgenommene Vorschrift des § 32 Abs. 1 Nr. 6, wonach der Bundesminister für Verkehr die fachliche Untersuchung von Luftunfällen durch eine Rechtsverordnung regeln kann, schließt nicht aus, daß das Luftfahrt-Bundesamt die ihm durch das Gesetz über das Luftfahrt-Bundesamt zugewiesene Aufgabe bis zum Erlaß einer Rechtsverordnung nach Maßgabe von Verwaltungsvorschriften erfüllt. Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom 4. März 1958 sollen dem Luftfahrt- Bundesamt die Erfüllung seiner Aufgabe ermöglichen, Störungen beim Betrieb von Luftfahrzeugen fachlich zu untersuchen. Die Unfalluntersuchung und der Bericht hierüber sollen also die Unfallursachen im öffentlichen Interesse am Fortschritt der Luftfahrttechnik und an der ![]() ![]() ![]() ![]() | 3 |
Darüber, daß dem Untersuchungsbericht dieser die Möglichkeit der Beseitigung eines staatlichen Aktes durch Anfechtung erst rechtfertigende rechtsverbindliche Charakter fehlt, hat das Berufungsgericht durch die Berücksichtigung einer "Monopolstellung" des Luftfahrt-Bundesamtes, der Ausgestaltung des Untersuchungsverfahrens und der "Außenwirkung" des Untersuchungsberichtes hinweghelfen wollen. Derartigen Umständen mißt das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang aber zu Unrecht eine wesentliche Bedeutung bei. Das Luftfahrt-Bundesamt ist nicht die einzige Stelle, die amtlich über Luftfahrtunfälle ermittelt; so hat im vorliegenden Falle zunächst der Oberstaatsanwalt kriminalpolizeiliche Ermittlungen veranlaßt. Das Verfahren der Untersuchungskommission ist durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zwar förmlich und in Anlehnung an den Strafprozeß und das Verfahren vor den Seeämtern (Gesetz vom 28. September 1935 [RGBl. I S. 1183]) gestaltet; diese Förmlichkeit zielt aber nach innen, weil sie nur die Gründlichkeit und Objektivität der Untersuchung fördern will, und nicht nach außen, weil das Verfahren keine rechtsverbindliche Entscheidung bezweckt und niemand der Untersuchungskommission sich stellen oder vor ihr unter Eideszwang aussagen muß (§ 6 Abs. 6 LUV; anders im Verfahren vor den Seeämtern, § 22 Abs. 2 a.a.O.); die Vorschriften der Strafprozeßordnung über Zeugen, Sachverständige und Augenschein sind, wie es in einem lediglich durch Verwaltungsvorschriften geregelten Verfahren rechtlich nicht anders angängig ist, eben nur "soweit wie möglich sinngemäß anzuwenden" (§ 6 Abs. 6 Satz 2 LUV). Auch die Mitglieder der Untersuchungskommission werden nicht vereidigt (§ 4 Abs. 8 und 9 LUV; anders bei den Seeämtern, § 8 Abs. 6 a.a.O. in Verbindung mit § 51 GVG), und die Gewähr ihrer freien Überzeugung durch Verwaltungsvorschriften (§ 8 Abs. 2 LUV) ist keine Garantie richterlicher Unabhängigkeit. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften somit als ein Verfahrensbehelf, um die technischen Fehlerquellen bei Luftfahrt ![]() ![]() | 4 |
Um dem Kläger einen angemessenen Rechtsschutz gegen eine Amtshandlung der sogenannten schlichten Hoheitsverwaltung zu sichern, hält das Berufungsgericht nun letzten Endes eine "Quasianfechtungsklage" für zulässig. Auch diese Auffassung ist rechtlich nicht zu billigen. Eine Amtshandlung, die keine rechtlich verbindliche Wirkung hat, kann im System der verwaltungsrechtlichen Klagen nicht im Wege der Anfechtung beseitigt werden, die Anfechtungsklage ist daran geknüpft, daß die behördliche Maßnahme in einer durch die übergeordnete Position der Behörde gekennzeichneten Rechtsbeziehung zu einer für den Kläger rechtsverbindlichen Regelung seiner Sache ergangen ist; das Ziel der Anfechtungsklage ist, diese Regelung in ihrem sachlichen Inhalt durch die Entscheidung des Gerichts unmittelbar umzugestalten, bevor die behördliche Maßnahme eine Rechtskraftwirkung entfaltet. Im vorliegenden Fall ist dem Kläger dieses Ziel verschlossen, weil niemand an die angefochtenen Untersuchungsberichte gebunden ist und deshalb ein so tiefer Eingriff in die Verwaltung zum Schutz des Klägers nicht gerechtfertigt ist. Für öffentlich-rechtliche Streitfragen außerhalb der Anfechtung von Verwaltungsakten bestand nach der Militärregierungsverordnung Nr. 165 -- und besteht nach der Verwaltungsgerichtsordnung -- durch die Leistungs-(Unterlassungs-)Klage und die Feststellungsklage voller Rechtsschutz.
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2. Einen derartigen Streit hat der Kläger mit seinem zweiten Hilfsantrag erhoben, mit dem er die Herausgabe der Untersuchungsberichte an Außenstehende verhindern und eine Erklärung des Luftfahrt-Bundesamtes gegenüber Dritten über die Unverbindlichkeit der Berichte herbei ![]() ![]() | 6 |
3. Dennoch ist der zweite Hilfsantrag unzulässig, weil dem Kläger nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ein schutzwürdiges Interesse an einer richterlichen Entscheidung über die damit erhobenen Ansprüche fehlt. Auch diese im angefochtenen Urteil nicht erörterte Frage hätte das Berufungsgericht prüfen müssen. Nach seiner tatsächlichen Feststellung hat das Luftfahrt-Bundesamt von den Untersuchungsberichten gemäß § 8 Abs. 4 LUV Gebrauch gemacht, indem es diese an Behör ![]() ![]() | 7 |
Auch für den Klagantrag, die Beklagte zu einer Erklärung über die Unverbindlichkeit der Untersuchungsberichte zu verurteilen, fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Beklagte hat die Richtigkeit der Auffassung, daß die Berichte nur unverbindliche Gutachten der Untersuchungskommission enthalten, zu keiner Zeit bestritten, sondern jederzeit ausdrücklich anerkannt. Unter diesen Umständen könnte der Kläger an einer richterlichen Entscheidung allenfalls dann ein schutzwürdiges Interesse haben, wenn die Untersuchungsberichte äußerlich als hoheitliche Akte gestaltet wären und deshalb von dritter Seite als rechtsverbindlich aufgefaßt werden müßten. Daß die Untersuchungsberichte aber auch äußerlich nicht diese Wirkung haben, ist bereits dargelegt; der Kläger hat auch nicht dargetan, daß ihre rechtliche Bedeutung mißverstanden worden sei. Ein schutzwürdiges Interesse daran, daß die Beklagte durch eine richterliche Entscheidung verpflichtet wird, gegenüber den mit den Untersuchungsberichten versehenen Stellen die Unverbindlichkeit der Berichte ausdrücklich zu erklären, besitzt der Kläger deshalb ebenfalls nicht. ![]() | 8 |
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