BVerwGE 19, 243 - Dienstunfall | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Marcel Schröer, Fabian Beer, A. Tschentscher | |||
Bundesbeamtengesetz i.d.F. vom 18. September 1957 (BGBl. I S. 1338) § 78 Abs. 1 und 2; Beamtenrechtsrahmengesetz vom 1. Juli 1957 (BGBl. I S. 667) § 46 Abs. 1 und 2; Beamtengesetz Nordrhein-Westfalen i.d.F. vom 1. Juni 1962 (GV NW S. 272) § 84 Abs. 1 und 2 |
Urteil |
des II. Senats vom 17. September 1964 |
-- BVerwG II C 147.61 -- |
I. Verwaltungsgericht Arnsberg |
II. Oberverwaltungsgericht Münster | |
Der im Jahre 1905 geborene Kläger ist Beamter im Kriminalpolizeidienst des beklagten Landes. Im Februar 1959 verursachte er auf einer Dienstfahrt am Steuer eines landeseigenen Personenkraftwagens (Volkswagen) einen Unfall. Bei seiner Fahrt durch die Stadt H. hatte der Kläger den Eindruck, daß die rechte Wagentür nicht mehr fest geschlossen sei. Er blickte deshalb nach rechts und griff mit der rechten Hand zur Tür. Hierdurch geriet der Wagen von der rechten Straßenseite ab zur Fabrbahn-mitte und mit seiner linken Seite über diese hinaus. In diesem Augenblick näherte sich aus der entgegengesetzten Richtung ein in privater Hand befindlicher Personenkraftwagen (Mercedes 180 D). Unmittelbar darauf stießen die beiden Wagen zusammen. Der Kläger wurde verletzt; beide Wagen wurden beschädigt.
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Das beklagte Land ersetzte den an dem Mercedes-Wagen entstandenen Schaden, ohne gegen den Kläger Rückgriff zu nehmen. Es nimmt aber den Kläger wegen des an dem landeseigenen Volkswagen entstandenen Schadens (672,92 DM Reparaturkosten) mit der Begründung in Anspruch, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Gegen den über die Inanspruchnahme ergangenen Bescheid des Polizeidirektors in H. und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, er habe den Unfall in der Tat grob fahrlässig verursacht; die zur "gefahrgeneigten Arbeit" entwickelten Rechtsgrundsätze rechtfertigten in seinem Fall grober Fahrlässigkeit keine Minderung der Haftung. Die Revision des Klägers blieb erfolglos.
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Aus den Gründen: | |
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte den Kläger durch Verwaltungsakt zur Leistung von Schadensersatz wegen Verletzung einer beamtenrechtlichen Dienstpflicht heranziehen durfte. Die mit Streitigkeiten aus dem Gebiet des Beamtenrechts befaßten Senate des Bundesverwaltungsgerichts haben schon wiederholt die Auffassung vertreten, daß der Dienstherr seine Beamten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Beamtenverhältnisses durch Verwaltungsakt zum Schadensersatz heranziehen könne, was allerdings nicht ausschließe, daß er sie bei entsprechendem Rechtsschutzinteresse auch unmittelbar auf Schadensersatz verklagen könne (vgl. Urteile vom 30. März 1960 -- BVerwG II C 193.57 -- [Buchholz BVerwG 232, § 172 BBG Nr. 3], vom 20. September 1962 -- BVerwG II C 152.59 -- [Buchholz BVerwG 232, § 78 BBG Nr. 2], vom 17. Juli 1963 -- BVerwG VI C 173.61 -- [Buchholz BVerwG 237.7, § 84 LBG NW Nr. 1] und vom 17. Dezember 1963 [BVerwGE 17, 286]). Der VIII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinem Urteil vom 6. Mai 1964 (BVerwGE 18, 283) die gleiche Auffassung zu der Haftungsvorschrift des § 24 Abs. 1 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 114) ausgesprochen und näher begründet. Diese Auffassung und im wesentlichen die in dem Urteil vom 6. Mai 1964 gegebene Begründung treffen auch für das Beamtenrecht zu. Der in der Rechtsprechung anderer Gerichte und im Schrifttum verschiedentlich vertretenen abweichenden Auffassung, der Dienstherr könne gegen den Beamten einen Schadensersatzanspruch wegen Dienstpflichtverletzung -- ebenso wie nach früherem Recht -- nur entweder nach den Vorschriften des Erstattungsgesetzes vom 18. April 1937 (RGBl. I S. 461) oder durch Aufrechnung oder durch unmittelbare Klage geltend machen, kann aus den folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden.
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Nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des deutschen Verwaltungsrechts sind die Organe der vollziehenden Gewalt befugt, zur hoheitlichen Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben Verwaltungsakte zu erlassen. Dies gilt grundsätzlich auch für die hoheitliche Heranziehung des einzelnen zu Leistungen. Soweit sich diese Befugnis nicht aus gesetzlichen Einzelvorschriften ergibt, beruht sie auf Gewohnheitsrecht. Der "Verwaltungsakt" als Begriffsbestimmung für eine bestimmte Form hoheitlichen Handelns hat zwar seinen rechtsgeschichtlichen Ursprung in der konstitutionellen Monarchie des vorigen Jahrhunderts. Er ist aber seitdem unabhängig von den staatsrechtlichen Veränderungen und dem Wandel der Staatsverfassung erhalten geblieben und hat seinen anerkannten Platz auch in der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten Rechtsordnung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats. Denn er dient der demokratischen Verwaltung zur wirksamen Erfüllung ihrer wachsenden hoheitlichen Aufgaben ebenso wie dem Bedürfnis des betroffenen Bürgers nach Rechtssicherheit und Rechtsschutz. Die Befugnis der Behörden zum Handeln durch Verwaltungsakte entfällt nur dort, wo Gesetz oder besonderes Gewohnheitsrecht sie ausschließen. Das gilt auch für das Beamtenrecht.
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Das Beamtenverhältnis ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, in dem der Dienstherr dem Beamten hoheitlich übergeordnet ist und deshalb seine Rechtsbeziehungen zu dem Beamten grundsätzlich durch Verwaltungsakte regeln kann. So sind z.B. die Ernennung, die Beförderung, die Versetzung, die Entlassung des Beamten, die Versetzung in den Ruhestand, die Festsetzung der Dienst- und der Versorgungsbezüge, die Bewilligung von Beihilfen, auch die Rückforderung überzahlter Bezüge zulässige Verwaltungsakte. Für die Heranziehung des Beamten zum Ersatz des Schadens, den er durch Verletzung seiner Dienstpflicht dem Dienstherrn unmittelbar zugefügt hat, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Gewohnheitsrecht etwas Abweichendes.
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Im Rahmen des bis zum Jahre 1945 geltenden Beamtenrechts konnte zwar der Dienstherr einen Schadensersatzanspruch gegen den Beamten wegen Dienstpflichtverletzung -- soweit es sich nicht um einen im Erstattungsgesetz vom 18. April 1937 aufgeführten Anspruch handelte -- nur durch unmittelbare Klage vor dem Zivilgericht oder durch Aufrechnung geltend machen. Das beruhte aber auf Vorschriften, die heute nicht mehr gelten (§ 142 Abs. 2 Satz 1 und § 182 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 [RGBl. I S. 39] in Verbindung mit § 154 des Reichsbeamtengesetzes in der Fassung vom 18. Mai 1907 [RGBl. S. 245] und mit den entsprechenden Vorschriften des Landesbeamtenrechts). Es beruhte ferner darauf, daß die damalige Rechtsordnung dem Beamten gegen einen Verwaltungsakt, mit dem ihn der Dienstherr zum Schadensersatz wegen einer nicht im Erstattungsgesetz aufgeführten Dienstpflichtverletzung herangezogen hätte, keinen gerichtlichen Rechtsschutz bot, sowie auf der -- inzwischen überholten -- Rechtsauffassung, daß dieser Schadensersatzanspruch bürgerlich-rechtlicher Natur sei. Diese Voraussetzungen der damaligen Durchbrechung des Grundsatzes, daß der Dienstherr seine Rechtsbeziehungen zum Beamten durch Verwaltungsakte regelt, sind in der heutigen Rechtsordnung entfallen.
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Auch aus der Fortgeltung des Erstattungsgesetzes vom 18. April 1937 läßt sich nicht, wie verschiedentlich angenommen wird, der Umkehrschluß ziehen, der Dienstherr dürfe Schadensersatzansprüche wegen Dienstpflichtverletzung, die nicht im Erstattungsgesetz aufgeführt sind, nicht durch Verwaltungsakt geltend machen. Etwas derartiges ist weder unmittelbar noch mittelbar im Erstattungsgesetz bestimmt; es ergab sich vielmehr aus den obenerwähnten überholten Vorschriften des früheren Rechts. Das Erstattungsgesetz stellte im Gegenteil einen systemgerechten Schritt in Richtung auf die heutige Rechtsordnung dar. Denn abweichend von der dargestellten Rechtslage, die den Dienstherrn zur unmittelbaren Klageerhebung zwang, ermächtigte es den Dienstherrn, einen wichtigen Teilbereich der durch Dienstpflichtverletzung verursachten Schäden durch Verwaltungsakt zu regeln und so auf einfachere und schnellere Weise einen Vollstreckungstitel zu erlangen; gleichzeitig gewährte es dem Beamten hiergegen gerichtlichen Rechtsschutz. Die Aufrechterhaltung dieses Gesetzes kann daher nicht als Entscheidung des Gesetzgebers für die Aufrechterhaltung einer hiervon gerade abweichenden, systemwidrigen und in der heutigen Rechtsordnung überholten Regelung gewertet werden, ganz abgesehen davon, daß das Erstattungsgesetz nicht nur für Beamte, sondern auch für Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gilt und daß es noch andere Regelungen als nur die Ermächtigung zum Erlaß eines Erstattungsbeschlusses enthält.
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Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, wären die angefochtenen Bescheide aufzuheben, wenn der Kläger seine Pflicht, den Dienstwagen schadenfrei zu führen, nicht grob fahrlässig, sondern nur (leicht) fahrlässig verletzt hätte. Nach § 89 Abs. 1 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1954 (GV NW S. 237) -- LBG -- hatte zwar der Beamte dem Dienstherrn den Eigenschaden zu ersetzen, den er ihm durch "schuldhafte", also auch durch leicht fahrlässige Verletzung der Amtspflicht verursachte. § 84 Abs. 1 Satz 2 LBG in der Fassung vom 1. Juni 1962 (GV NW S. 272) beschränkt aber -- in Anpassung an § 46 Abs. 1 Satz 2 BRRG -- die Schadensersatzpflicht des Beamten, der seine Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes verletzt hat, auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Durch diese Vorschrift ist dem Beamten wegen des Schadens, den er in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit unmittelbar dem Dienstherrn zufügt, nunmehr die gleiche Haftungserleichterung zuerkannt worden, wie sie ihm bei hoheitlicher Tätigkeit schon vorher gegenüber dem Rückgriff des Dienstherrn wegen Ersatzes des Drittschadens zukam (§ 89 Abs. 2 LBG Fassung 1954). Diese Neuregelung ist zwar erst mit Wirkung vom 1. Juni 1962 in Kraft getreten; sie ist aber auf die vorher eingetretenen, am 1. Juni 1962 noch nicht abgewickelten Schadensfälle anzuwenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. September 1962 -- BVerwG II C 152.59 -- [Buchholz BVerwG 232, § 78 BBG Nr. 2; ZBR 1963 S. 216]; Henschel in ZBR 1962 S. 210 ff.). Sie kommt dem Kläger zugute, weil er sich während des Unfalles auf einer polizeilichen Dienstfahrt, also in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes, befand und weil der gegen ihn gerichtete Schadensersatzanspruch am 1. Juni 1962 nicht abgewickelt war.
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Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff "grobe Fahrlässigkeit" nicht verkannt. Wie die Revision zutreffend vorträgt, handelt grob fahrlässig, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß oder wer die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt" (vgl. Plog-Wiedow, Bundesbeamtengesetz, RandNr. 10 zu § 78; Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl., Anm. 1 zu § 277). Das Berufungsgericht ist, wie seine Darlegungen zeigen, hiervon ausgegangen. Nach seinen Feststellungen verstieß der Kläger gegen die "einfachste, jedermann bekannte und ohne weiteres einleuchtende Regel" des Straßenverkehrs, daß jeder Kraftfahrer einem ihm entgegenkommenden anderen Kraftwagen eine genügend breite Fahrbahn lassen und deswegen die Fahrbahn während der Fahrt hinreichend im Auge behalten muß. Das Berufungsgericht hat weiter geprüft, ob gleichwohl keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, weil der Kläger -- in der konkreten Verkehrssituation -- zu seiner verkehrswidrigen Fahrweise einen beachtenswerten Anlaß gehabt habe. Es hat also in einer dem Begriff "grobe Fahrlässigkeit" Rechnung tragenden Weise auch die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles berücksichtigt. Es hat hierzu aber festgestellt, der Kläger habe keinen beachtenswerten Anlaß für sein verkehrswidriges Verhalten gehabt, weil er, selbst wenn sich die rechte Tür des Wagens gelockert haben sollte, den Wagen hätte anhalten und jedenfalls so hätte steuern müssen, daß er auf der äußersten rechten Seite der Fahrbahn blieb; es gebe keine Entschuldigung dafür, daß er den Wagen auf die linke Fahrbahn abweichen ließ; entgegen seiner Einlassung habe er auf dieser Straße auch jederzeit mit einem entgegenkommenden Fahrzeug rechnen müssen. Es ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht hierbei Besonderheiten in der Individualität des Klägers unberücksichtigt gelassen hat, die der Annahme grober Fahrlässigkeit entgegenständen. Die Revision hat nicht dargetan und wohl auch nicht dartun können, welche individuellen Umstände die Tatsache in milderem Lichte erscheinen lassen könnten, daß der Kläger unangemessen lange Zeit von der Fahrbahn fortsah, dabei aber gleichwohl mit dem Wagen in einer Weise weiterfuhr, daß es zu dem Zusammenstoß mit dem ihm begegnenden, bereits stehenden Mercedes-Wagen kam. Subsumtionsfehler etwa in der Richtung, daß die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten überspannt wären, sind dem Berufungsgericht nicht vorzuwerfen. Die im tatsächlichen Bereiche von ihm gezogenen Schlüsse lassen keinen rechtlichen Mangel erkennen; sie sind denkgesetzlich möglich und verstoßen nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze. Sie tragen daher ohne Rechtsfehler die rechtliche Folgerung, daß der Kläger den Schaden "grob fahrlässig" verursacht hat. Das Revisionsvorbringen zur "groben Fahrlässigkeit" erweist sich nach allem als ein Angriff gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung; solche Angriffe sind aber im Revisionsverfahren unzulässig (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
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Zutreffend ist im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Haftung des Klägers sich nicht nach den zur "gefahren-" oder "schadengeneigten Arbeit" entwickelten Rechtsgrundsätzen mindere.
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Diese Grundsätze sind durch die Rechtsprechung der Zivil- und der Arbeitsgerichte für das bürgerliche Recht, besonders für das Arbeitsrecht, entwickelt worden (vgl. BGHZ 16, 111 ff.; BAGE 5, 1 ff.; BAG, Urteil vom 19. März 1959 -- 2 AZR 402.55 -- [NJW 1959 S. 1796]). Sie beruhen in tatsächlicher Hinsicht zunächst auf der Beobachtung, daß Arbeitnehmer infolge der ständig zunehmenden Technisierung der Arbeit und des Verkehrs immer häufiger bei nur geringer Fahrlässigkeit -- etwa durch eine geringfügige, nur einen Augenblick dauernde Unachtsamkeit bei der Bedienung wertvoller Maschinen oder Fahrzeuge -- dem Arbeitnehmer außerordentlich große Schäden zufügen. Außerdem beruhen sie auf der tatsächlichen Erwägung, daß sich infolge menschlicher Unzulänglichkeit bei Arbeitnehmern, die ständig mit der Bedienung solcher Maschinen, Fahrzeuge oder dergleichen, also mit "schadengeneigter Arbeit", befaßt sind, ein solches gelegentliches schuldhaftes Fehlverhalten nicht auf die Dauer ausschließen läßt. Hiervon ausgehend hält die eingangs angeführte Rechtsprechung es für unbillig und für den Arbeitnehmer unzumutbar, daß er -- in Anwendung der gesetzlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts (vgl. §§ 249, 276, 611 ff. BGB) -- stets zum Ersatz des vollen Schadens verpflichtet sein soll, sofern nicht dem Arbeitgeber mitwirkendes Verschulden zur Last fällt (§ 254 BGB). Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen zur "schadengeneigten Arbeit" richtet sich deshalb hier der Umfang der Schadensersatzpflicht unter Berücksichtigung zahlreicher individueller Umstände im wesentlichen nach dem Grade des Verschuldens. Bei Vorsatz und regelmäßig bei grober Fahrlässigkeit soll es bei der vollen Haftung bleiben; in seltenen, besonders gelagerten Fällen grober Fahrlässigkeit und bei einfacher (leichter) Fahrlässigkeit soll sich die Haftung auf einen Bruchteil des Schadens beschränken; bei "leichtester" Fahrlässigkeit soll sie völlig entfallen können. Dem Arbeitnehmer wird insoweit ein Rechtsanspruch auf völlige oder teilweise Freistellung von der Schadensersatzpflicht eingeräumt. Diese Rechtsgrundsätze werden aus der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer, aus dem Gedanken des vom Arbeitgeber zu tragenden "Betriebsrisikos" und zuweilen aus dem der "Betriebsgemeinschaft" hergeleitet. Sie finden aber bei kritischer Betrachtung (vgl. Isele in NJW 1964 S. 1441 ff.) keine Rechtsgrundlage im geltenden Gesetzesrecht, sondern ergänzen die nach herrschender Meinung insoweit unzulänglich gewordene gesetzliche Regelung.
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Es besteht kein Bedürfnis, die beamtenrechtlichen Haftungsvor-schriften durch die dargelegten Rechtsgrundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" zu ergänzen. Die beamtenrechtliche Schadensersatzregelung weicht, soweit der Beamte "in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes", also in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit, seinem Dienstherrn einen Schaden verursacht, von der bürgerlich-rechtlichen Gesetzesregelung ab. Fügt der Beamte in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit einem Dritten einen Schaden zu, so hat der Dienstherr dem Dritten den Schaden zu ersetzen und kann gegen den Beamten Rückgriff nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nehmen (vgl. § 23 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 [RGBl. I S. 39]; Art. 34 Satz 2 des Grundgesetzes; § 78 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes vom 14. Juli 1953 [BGBl. I S. 551]; § 46 Abs. 2 BRRG; § 89 Abs. 2 LBG Fassung 1954 und § 84 Abs. 2 LBG Fassung 1962). Schädigt der Beamte in hoheitlicher Tätigkeit den Dienstherrn unmittelbar, so hat er nach der jetzt gültigen beamtenrechtlichen Regelung dem Dienstherrn diesen Eigenschaden ebenfalls nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zu ersetzen (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbeamtengesetzes in der Fassung vom 18. September 1957 [BGBl. I S. 1338]; § 46 Abs. 1 Satz 2 BRRG; § 84 Abs. 1 Satz 2 LBG Fassung 1962). Die Regelung ist also im Bereiche hoheitlicher Tätigkeit für den Beamten günstiger als die des bürgerlichen Rechts einschließlich der Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit"; denn in den die große Mehrzahl bildenden Fällen einfacher Fahrlässigkeit ist der Beamte hier nicht nur teilweise, sondern völlig von der Schadensersatzpflicht befreit. Dieser beamtenrechtlichen Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit liegen zwar nicht die gleichen durch die Mechanisierung der Arbeit und des Verkehrs veranlaßten Beweggründe wie der Rechtsprechung zur "schadengeneigten Arbeit" zugrunde, aber doch ähnliche Beweggründe, die auf die Fehlermöglichkeiten abstellen, welche typisch für die schnell zugreifende hoheitliche Beamtentätigkeit sind.
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Ob im Bereich der schlichten Verwaltung und der fiskalischen Tätigkeit, in dem der Beamte dem Dienstherrn bei jedem Verschuldensgrad zum Schadensersatz verpflichtet ist, die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" sinngemäß heranzuziehen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat den Unfall vom 13. Februar 1959 auf einer polizeilichen Dienstfahrt, also "in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes", verursacht.
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Es mögen allerdings Fälle denkbar sein, in denen ein Beamter in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit grob fahrlässig einen so hohen Schaden verursacht, daß es selbst bei Berücksichtigung seines verhältnismäßig schweren Verschuldens unbillig oder sogar unzumutbar erscheint, den vollen Ersatz des Schadens von ihm zu verlangen. Solche Fälle, in denen sich nach den Grundsätzen zur "schadengeneigten Arbeit" seine Schadensersatzpflicht vielleicht mindern würde, sind aber Ausnahmefälle und nicht typisch für die hoheitliche Beamtentätigkeit. Ihre Möglichkeit rechtfertigt es nicht, von der abschließenden beamtengesetzlichen Haftungsregelung abzuweichen. In solchen Fällen kann sich allenfalls für den Dienstherrn die Frage stellen, ob nicht das beiderseitige Treueverhältnis und die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht es angemessen erscheinen lassen, den Schadensersatzanspruch nach Maßgabe des Haushaltsrechts (vgl. § 54 der Reichshaushaltsordnung) nur soweit durchzusetzen, daß die Lebenshaltung und die Dienstfreude des Beamten nicht in unerträglicher Weise beeinträchtigt werden. Dabei würde es sich aber um eine vom Ermessen des Dienstherrn bestimmte Hilfeleistung handeln, die nicht den rechtlichen Bestand des Schadensersatzanspruchs berührt, sondern daran anknüpft, daß gegen den Beamten ein nach Grund und Höhe bestimmter voller Schadensersatzanspruch besteht (vgl. Fischer in ZBR 1960 S. 148). -- Auf diese Frage ist hier nicht näher einzugehen; denn hier ist der Schadensbetrag von 672,92 DM nicht so hoch, daß seine Zahlung den Kläger unzumutbar hart treffen würde. Deshalb würde hier übrigens auch die Anwendung der Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" die durch grobe Fahrlässigkeit begründete Schadensersatzpflicht des Klägers nicht mindern, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.
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