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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Marcel Schröer, Fabian Beer, A. Tschentscher | |||
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Bundesbeamtengesetz i.d.F. vom 18. September 1957 (BGBl. I S. 1338) § 78 Abs. 1 und 2; Beamtenrechtsrahmengesetz vom 1. Juli 1957 (BGBl. I S. 667) § 46 Abs. 1 und 2; Beamtengesetz Nordrhein-Westfalen i.d.F. vom 1. Juni 1962 (GV NW S. 272) § 84 Abs. 1 und 2 |
Urteil |
des II. Senats vom 17. September 1964 |
-- BVerwG II C 147.61 -- |
I. Verwaltungsgericht Arnsberg |
II. Oberverwaltungsgericht Münster | |
Der im Jahre 1905 geborene Kläger ist Beamter im Kriminalpolizeidienst des beklagten Landes. Im Februar 1959 verursachte er auf einer Dienstfahrt am Steuer eines landeseigenen Personenkraftwagens (Volkswagen) einen Unfall. Bei seiner Fahrt durch die Stadt H. hatte der Kläger den Eindruck, daß die rechte Wagentür nicht mehr fest geschlossen sei. Er blickte deshalb nach rechts und griff mit der rechten Hand zur Tür. Hierdurch geriet der Wagen von der rechten Straßenseite ab zur Fabrbahn-mitte und mit seiner linken Seite über diese hinaus. In diesem Augenblick näherte sich aus der entgegengesetzten Richtung ein in privater Hand befindlicher Personenkraftwagen (Mercedes 180 D). Unmittelbar darauf stießen die beiden Wagen zusammen. Der Kläger wurde verletzt; beide Wagen wurden beschädigt.
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Das beklagte Land ersetzte den an dem Mercedes-Wagen entstandenen Schaden, ohne gegen den Kläger Rückgriff zu nehmen. Es nimmt aber den Kläger wegen des an dem landeseigenen Volkswagen entstandenen Schadens (672,92 DM Reparaturkosten) mit der Begründung in Anspruch, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Gegen den über die Inanspruchnahme ergangenen Bescheid des Polizeidirektors in H. und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, er habe den Unfall in der Tat grob fahrlässig verursacht; die zur "gefahrgeneigten Arbeit" entwickelten Rechtsgrundsätze rechtfertigten in seinem Fall grober Fahrlässigkeit keine Minderung der Haftung. Die Revision des Klägers blieb erfolglos. ![]() | 2 |
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Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte den Kläger durch Verwaltungsakt zur Leistung von Schadensersatz wegen Verletzung einer beamtenrechtlichen Dienstpflicht heranziehen durfte. Die mit Streitigkeiten aus dem Gebiet des Beamtenrechts befaßten Senate des Bundesverwaltungsgerichts haben schon wiederholt die Auffassung vertreten, daß der Dienstherr seine Beamten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Beamtenverhältnisses durch Verwaltungsakt zum Schadensersatz heranziehen könne, was allerdings nicht ausschließe, daß er sie bei entsprechendem Rechtsschutzinteresse auch unmittelbar auf Schadensersatz verklagen könne (vgl. Urteile vom 30. März 1960 -- BVerwG II C 193.57 -- [Buchholz BVerwG 232, § 172 BBG Nr. 3], vom 20. September 1962 -- BVerwG II C 152.59 -- [Buchholz BVerwG 232, § 78 BBG Nr. 2], vom 17. Juli 1963 -- BVerwG VI C 173.61 -- [Buchholz BVerwG 237.7, § 84 LBG NW Nr. 1] und vom 17. Dezember 1963 [BVerwGE 17, 286]). Der VIII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinem Urteil vom 6. Mai 1964 (BVerwGE 18, 283) die gleiche Auffassung zu der Haftungsvorschrift des § 24 Abs. 1 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 114) ausgesprochen und näher begründet. Diese Auffassung und im wesentlichen die in dem Urteil vom 6. Mai 1964 gegebene Begründung treffen auch für das Beamtenrecht zu. Der in der Rechtsprechung anderer Gerichte und im Schrifttum verschiedentlich vertretenen abweichenden Auffassung, der Dienstherr könne gegen den Beamten einen Schadensersatzanspruch wegen Dienstpflichtverletzung -- ebenso wie nach früherem Recht -- nur entweder nach den Vorschriften des Erstattungsgesetzes vom 18. April 1937 (RGBl. I S. 461) oder durch Aufrechnung oder durch unmittelbare Klage geltend machen, kann aus den folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden.
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Nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des deutschen Verwaltungsrechts sind die Organe der vollziehenden Gewalt befugt, zur hoheitlichen Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben Verwaltungsakte zu erlassen. Dies gilt grundsätzlich auch für die hoheitliche Heranziehung des einzelnen zu Leistungen. Soweit sich diese Befugnis nicht aus gesetzlichen Einzelvorschriften ergibt, beruht sie auf Gewohnheitsrecht. Der "Verwaltungsakt" als Begriffsbestimmung für eine bestimmte Form hoheitlichen Handelns ![]() ![]() | 4 |
Das Beamtenverhältnis ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, in dem der Dienstherr dem Beamten hoheitlich übergeordnet ist und deshalb seine Rechtsbeziehungen zu dem Beamten grundsätzlich durch Verwaltungsakte regeln kann. So sind z.B. die Ernennung, die Beförderung, die Versetzung, die Entlassung des Beamten, die Versetzung in den Ruhestand, die Festsetzung der Dienst- und der Versorgungsbezüge, die Bewilligung von Beihilfen, auch die Rückforderung überzahlter Bezüge zulässige Verwaltungsakte. Für die Heranziehung des Beamten zum Ersatz des Schadens, den er durch Verletzung seiner Dienstpflicht dem Dienstherrn unmittelbar zugefügt hat, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Gewohnheitsrecht etwas Abweichendes.
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Im Rahmen des bis zum Jahre 1945 geltenden Beamtenrechts konnte zwar der Dienstherr einen Schadensersatzanspruch gegen den Beamten wegen Dienstpflichtverletzung -- soweit es sich nicht um einen im Erstattungsgesetz vom 18. April 1937 aufgeführten Anspruch handelte -- nur durch unmittelbare Klage vor dem Zivilgericht oder durch Aufrechnung geltend machen. Das beruhte aber auf Vorschriften, die heute nicht mehr gelten (§ 142 Abs. 2 Satz 1 und § 182 des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 [RGBl. I S. 39] in Verbindung mit § 154 des Reichsbeamtengesetzes in der Fassung vom 18. Mai 1907 [RGBl. S. 245] und mit den entsprechenden Vorschriften des Landesbeamtenrechts). Es beruhte ferner darauf, daß die damalige Rechtsordnung dem Beamten gegen einen Verwaltungsakt, mit dem ihn der Dienstherr zum Schadensersatz wegen einer nicht im Erstattungsgesetz aufgeführten Dienstpflichtverletzung heran ![]() ![]() | 6 |
Auch aus der Fortgeltung des Erstattungsgesetzes vom 18. April 1937 läßt sich nicht, wie verschiedentlich angenommen wird, der Umkehrschluß ziehen, der Dienstherr dürfe Schadensersatzansprüche wegen Dienstpflichtverletzung, die nicht im Erstattungsgesetz aufgeführt sind, nicht durch Verwaltungsakt geltend machen. Etwas derartiges ist weder unmittelbar noch mittelbar im Erstattungsgesetz bestimmt; es ergab sich vielmehr aus den obenerwähnten überholten Vorschriften des früheren Rechts. Das Erstattungsgesetz stellte im Gegenteil einen systemgerechten Schritt in Richtung auf die heutige Rechtsordnung dar. Denn abweichend von der dargestellten Rechtslage, die den Dienstherrn zur unmittelbaren Klageerhebung zwang, ermächtigte es den Dienstherrn, einen wichtigen Teilbereich der durch Dienstpflichtverletzung verursachten Schäden durch Verwaltungsakt zu regeln und so auf einfachere und schnellere Weise einen Vollstreckungstitel zu erlangen; gleichzeitig gewährte es dem Beamten hiergegen gerichtlichen Rechtsschutz. Die Aufrechterhaltung dieses Gesetzes kann daher nicht als Entscheidung des Gesetzgebers für die Aufrechterhaltung einer hiervon gerade abweichenden, systemwidrigen und in der heutigen Rechtsordnung überholten Regelung gewertet werden, ganz abgesehen davon, daß das Erstattungsgesetz nicht nur für Beamte, sondern auch für Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gilt und daß es noch andere Regelungen als nur die Ermächtigung zum Erlaß eines Erstattungsbeschlusses enthält.
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Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, wären die angefochtenen Bescheide aufzuheben, wenn der Kläger seine Pflicht, den Dienstwagen schadenfrei zu führen, nicht grob fahrlässig, sondern nur (leicht) fahrlässig verletzt hätte. Nach § 89 Abs. 1 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1954 (GV NW S. 237) -- LBG -- hatte zwar der Beamte dem Dienstherrn den Eigenschaden zu ersetzen, den er ihm durch "schuldhafte", also auch durch leicht fahrlässige ![]() ![]() | 8 |
Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff "grobe Fahrlässigkeit" nicht verkannt. Wie die Revision zutreffend vorträgt, handelt grob fahrlässig, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß oder wer die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt" (vgl. Plog-Wiedow, Bundesbeamtengesetz, RandNr. 10 zu § 78; Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10. Aufl., Anm. 1 zu § 277). Das Berufungsgericht ist, wie seine Darlegungen zeigen, hiervon ausgegangen. Nach seinen Feststellungen verstieß der Kläger gegen die "einfachste, jedermann bekannte und ohne weiteres einleuchtende Regel" des Straßenverkehrs, daß jeder Kraftfahrer einem ihm entgegenkommenden anderen Kraftwagen eine genügend breite Fahrbahn lassen und deswegen die Fahrbahn während der Fahrt hinreichend im Auge behalten muß. Das Berufungsgericht hat weiter geprüft, ob gleichwohl keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt, weil der Kläger -- in der konkreten Verkehrssituation -- zu seiner verkehrswidrigen Fahrweise einen beachtens ![]() ![]() | 9 |
Zutreffend ist im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Haftung des Klägers sich nicht nach den zur "gefahren-" oder "schadengeneigten Arbeit" entwickelten Rechtsgrundsätzen mindere.
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Diese Grundsätze sind durch die Rechtsprechung der Zivil- und der Arbeitsgerichte für das bürgerliche Recht, besonders für das Arbeitsrecht, ![]() ![]() ![]() | 11 |
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Ob im Bereich der schlichten Verwaltung und der fiskalischen Tätigkeit, in dem der Beamte dem Dienstherrn bei jedem Verschuldensgrad zum Schadensersatz verpflichtet ist, die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" sinngemäß heranzuziehen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat den Unfall vom 13. Februar ![]() ![]() | 13 |
Es mögen allerdings Fälle denkbar sein, in denen ein Beamter in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit grob fahrlässig einen so hohen Schaden verursacht, daß es selbst bei Berücksichtigung seines verhältnismäßig schweren Verschuldens unbillig oder sogar unzumutbar erscheint, den vollen Ersatz des Schadens von ihm zu verlangen. Solche Fälle, in denen sich nach den Grundsätzen zur "schadengeneigten Arbeit" seine Schadensersatzpflicht vielleicht mindern würde, sind aber Ausnahmefälle und nicht typisch für die hoheitliche Beamtentätigkeit. Ihre Möglichkeit rechtfertigt es nicht, von der abschließenden beamtengesetzlichen Haftungsregelung abzuweichen. In solchen Fällen kann sich allenfalls für den Dienstherrn die Frage stellen, ob nicht das beiderseitige Treueverhältnis und die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht es angemessen erscheinen lassen, den Schadensersatzanspruch nach Maßgabe des Haushaltsrechts (vgl. § 54 der Reichshaushaltsordnung) nur soweit durchzusetzen, daß die Lebenshaltung und die Dienstfreude des Beamten nicht in unerträglicher Weise beeinträchtigt werden. Dabei würde es sich aber um eine vom Ermessen des Dienstherrn bestimmte Hilfeleistung handeln, die nicht den rechtlichen Bestand des Schadensersatzanspruchs berührt, sondern daran anknüpft, daß gegen den Beamten ein nach Grund und Höhe bestimmter voller Schadensersatzanspruch besteht (vgl. Fischer in ZBR 1960 S. 148). -- Auf diese Frage ist hier nicht näher einzugehen; denn hier ist der Schadensbetrag von 672,92 DM nicht so hoch, daß seine Zahlung den Kläger unzumutbar hart treffen würde. Deshalb würde hier übrigens auch die Anwendung der Grundsätze zur "schadengeneigten Arbeit" die durch grobe Fahrlässigkeit begründete Schadensersatzpflicht des Klägers nicht mindern, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat. ![]() | 14 |
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