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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
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18. Urteil vom 8. Februar 1978 i.S. S. gegen Kirchgemeinde Johannes Bern und Regierungsrat des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 49 BV; Austritt aus der Landeskirche. |
2. Formelle Erfordernisse, die an die Erklärung des Kirchenaustrittes gestellt werden dürfen: Eine kantonale Regelung, wonach der Austrittswille nach Ablauf einer gewissen Zeit (mindestens 30 Tage) seit Abgabe der ersten Erklärung durch eine zweite, beglaubigte Erklärung bestätigt werden muss, verstösst nicht gegen Art. 49 BV. Doch muss der Austritt rückwirkend auf den Zeitpunkt der ersten Erklärung wirksam werden (E. 3). |
3. Eine kantonale Regelung, wonach der Austretende die Kirchensteuer noch für das ganze laufende Jahr zu bezahlen hat, verstösst gegen Art. 49 Abs. 6 BV. Die Kirchensteuer darf nur noch pro rata temporis bis zum Kirchenaustritt erhoben werden (E. 4). |
4. Ausnahme vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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"Der Austritt aus der Landeskirche ist durch schriftliche, vom Austretenden persönlich unterzeichnete Eingabe beim Kirchgemeinderat der Wohnsitzgemeinde anzukündigen.
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Die gemeinsame Austrittserklärung mehrerer Personen (Kollektivaustritt) ist unwirksam.
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Der Kirchgemeinderat prüft seine Zuständigkeit zur Entgegennahme der Austrittserklärung sowie das Vorhandensein der notwendigen Voraussetzungen.
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Sind die Voraussetzungen für den Austritt erfüllt, so lädt er den Austretenden nach Ablauf einer Frist von mindestens dreissig Tagen, aber spätestens innerhalb sechs Wochen, ein, seinen Austrittswillen durch persönliche Unterzeichnung eines entsprechenden, gleichzeitig zuzustellenden amtlichen Formulars vor dem Kirchgemeinderatsschreiber zu bestätigen.
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Die persönliche Unterzeichnung des Formulars vor dem Kirchgemeinderatsschreiber kann durch notarielle Beglaubigung ersetzt werden.
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Der Kirchgemeinderat hat innert dreissig Tagen nach erfolgtem Austritt sowohl dem Austretenden wie auch der Einwohnerkontrolle der Wohnsitzgemeinde eine Austrittsbescheinigung zuzustellen.
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... (Hinweis auf Beschwerdemöglichkeit nach Gemeindegesetz)."
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Gemäss Art. 32 Abs. 1 gilt der Austritt aus der Landeskirche vom Tage der Unterzeichnung der endgültigen Austrittserklärung an. Die Kirchensteuer wird jedoch noch für das volle Austrittsjahr geschuldet (Art. 32 Abs. 2).
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Fräulein S. erklärte mit Schreiben vom 28. Dezember 1974 gegenüber dem Kirchgemeinderat Johannes den Austritt aus der evangelisch-reformierten Landeskirche auf den 31. Dezember 1974. Der Kirchgemeinderat nahm in seiner Sitzung vom 13. Januar 1975 von dieser Austrittserklärung Kenntnis. Eine Aussprache zwischen dem zuständigen Pfarrer und Fräulein S. verlief erfolglos. Am 12. April 1975 schickte der Sekretär des Kirchgemeinderates an Fräulein S. das amtliche Austrittsformular mit dem Hinweis, dass dieses nach den geltenden Vorschriften vor dem Sekretär des Kirchgemeinderates oder vor einem Notar zu unterzeichnen sei. Mit Schreiben vom 18. April 1975 stellte Fräulein S. fest, sie habe ihren Austritt aus der Landeskirche schriftlich erklärt und gegenüber dem Pfarrer bestätigt; sie halte die weiteren Formalitäten, insbesondere die Beglaubigung der Unterschrift, für unzulässig und verfassungswidrig; falls der Austritt nicht in der erfolgten Form auf den 31. Dezember 1974 akzeptiert werde, ersuche sie um eine entsprechende Feststellungsverfügung. Es folgten weitere Briefwechsel zwischen S. und den kirchlichen Behörden. Schliesslich teilte der Kirchgemeinderat der Johannesgemeinde Fräulein S. am 5. September 1975 mit, dass ihr Austrittsbegehren am 10. März 1975 vom Rate genehmigt worden sei, dass aber der Kirchenaustritt nicht in der im Kirchensteuerdekret vorgeschriebenen Weise habe vollzogen werden können, da sie sich weigere, die erforderlichen Formalitäten zu erfüllen. Fräulein S. führte gegen die Nichtanerkennung ihres Austritts beim Regierungsstatthalter und hernach beim Regierungsrat des Kantons Bern erfolglos Beschwerde. Beide kantonalen Instanzen traten auf die Rüge, die streitigen Vorschriften des Kirchensteuerdekretes seien bundesverfassungswidrig, nicht ein. Während der Hängigkeit des kantonalen Verfahrens unterzeichnete Fräulein S. am 8. Dezember 1975 "ohne Anerkennung des Rechtsstandpunktes der Kirchgemeinde" das ![]() | 11 |
Fräulein S. erhebt im Anschluss an den Entscheid des Regierungsrates vom 17. Mai 1977 wegen Verletzung von Art. 4 und 49 BV sowie Art. 2 ÜbBest. BV staatsrechtliche Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Das Bundesgericht vertrat in BGE 91 I 314 die Auffassung, es seien nicht nur die kantonalen Gerichte, sondern auch die kantonalen Verwaltungsbehörden auf entsprechende Rüge hin befugt und verpflichtet, das von ihnen anzuwendende kantonale Recht akzessorisch auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung zu prüfen. Es stellte anderseits in BGE 92 I 481 f. fest, dass eine Kantonsregierung ohne eine dahingehende kantonale Vorschrift nicht gehalten sei, kantonale Gesetze und Dekrete des Grossen Rates auf ihre Übereinstimmung mit der Kantonsverfassung zu prüfen.
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Dass die kantonalen Gerichte das kantonale Recht akzessorisch auf seine Bundesrechtmässigkeit zu prüfen haben, entspricht der herrschenden Auffassung in Doktrin und Rechtsprechung (BGE 82 I 219 mit Hinweisen auf Literatur und frühere Bundesgerichtsurteile; IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, Bd. II, Nr. 143, B I S. 1059 mit Hinweisen auf kantonale Entscheide). Hingegen hat sich darüber, wieweit auch die kantonalen Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, das von ihnen zu vollziehende kantonale Recht auf seine Übereinstimmung mit der Bundesverfassung und der Bundesgesetzgebung zu prüfen, noch keine einheitliche Auffassung gebildet. Das Bundesgericht hat sich, von BGE 91 I 314 abgesehen, mit der Frage nie näher befasst (vgl. auch BGE 68 I 29). W. BURCKHARDT und MAX IMBODEN ![]() | 15 |
b) Die aufgeworfene Frage ist jedoch für die Beurteilung der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde nicht entscheidend und braucht daher an dieser Stelle nicht weiter verfolgt zu werden. Wohl hätte die Beschwerdeführerin bei Zugrundelegung der prozessrechtlichen Situation, wie sie im Entscheid des Regierungsrates dargestellt wird, die Rüge der Verfassungswidrigkeit des Kirchensteuerdekretes mangels eines geeigneten kantonalen Rechtsmittels schon unmittelbar im Anschluss an den erstinstanzlichen Entscheid des Kirchgemeinderates mit staatsrechtlicher Beschwerde dem Bundesgericht unterbreiten können. Doch durfte sie ohne Gefahr eines prozessualen Nachteils mit der Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde auch zuwarten und zuerst von den zur Verfügung stehenden kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch machen. Nach der neuern Rechtsprechung können mit einer im Anschluss an einen letztinstanzlichen kantonalen Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch Rügen erhoben werden, die der Kognition der kantonalen Rechtsmittelinstanz entzogen waren (BGE 94 I 462 f.; vgl. auch BGE 102 Ia 267, 100 Ia 123, BGE 97 I 226). Der Umstand, dass die kantonalen Rechtsmittelinstanzen auf die Frage, ob das Kirchensteuerdekret vor Art. 49 BV standhalte, nicht eingetreten sind, hindert die Beschwerdeführerin daher nicht daran, diese Verfassungsrüge zum Gegenstand der vorliegenden, im Anschluss an den Regierungsratsentscheid ![]() | 16 |
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a) Nach Art. 31 des Kirchensteuerdekretes ist ein Austritt aus einer bernischen Landeskirche möglich, doch genügt eine schriftliche Austrittserklärung nicht, sondern es bedarf der Unterzeichnung eines amtlichen Formulars. Die Erfüllung dieser Bedingung ist frühestens nach dreissig Tagen möglich. Durch das Dekret wird also dem Austrittswilligen eine Bedenkzeit auferlegt. Schliesslich wird durch das formelle Erfordernis der Unterzeichnung vor dem Gemeinderatsschreiber oder einem Notar die einwandfreie Willensäusserung gewährleistet und die Bedeutung des Schrittes hervorgehoben.
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Art. 49 BV verbietet den Landeskirchen nicht, den Kirchenaustritt zu regeln und durch formelle Erfordernisse einen überstürzten Austritt unter dem momentanen Einfluss von Drittpersonen nach Möglichkeit zu verhindern. Aus der Verfassungsbestimmung ist nicht abzuleiten, eine schriftliche Austrittserklärung müsse ohne weitere Formalitäten akzeptiert werden. Soweit ein kantonales Austrittsverfahren nur der Gewährleistung einer überlegten, klaren Willensäusserung dient, hält es vor Art. 49 BV stand.
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b) Verlangt das einschlägige Recht, dass der mitgeteilte Entschluss zum Kirchenaustritt in einem damit eingeleiteten förmlichen Austrittsverfahren bestätigt werde, so stellt sich die Frage, auf welchen Zeitpunkt der Austritt wirksam werden soll: Gilt der definitiv bestätigte Austritt rückwirkend von der ersten Austrittserklärung an oder tritt die Wirkung des Austrittes erst mit dem Abschluss des Austrittsverfahrens ein?
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Gemäss Art. 32 Abs. 1 des bernischen Dekretes gilt der Austritt vom Tage der Unterzeichnung der endgültigen Austrittserklärung an, d.h. also erst die Unterzeichnung des amtlichen Formulars lässt die Austrittserklärung wirksam werden. Durch das Austrittsverfahren, dessen Dauer von verschiedenen Umständen abhängt, soll die Kirchenzugehörigkeit des Austretenden also verlängert werden, auch wenn der geäusserte Entschluss zum Austritt sich schliesslich als unumstösslich erweist. Der Ausgetretene wird somit für einen Zeitraum noch als Kirchenangehöriger behandelt, in dem er bereits zum Ausdruck gebracht und in der Folge auch nach Ablauf der Bedenkzeit auf amtlichem Formular bestätigt hat, dass er dieser Kirche nicht mehr angehören wolle.
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Diese Verlängerung der Kirchenzugehörigkeit um die Zeit des formellen Austrittsverfahrens steht im Widerspruch zu Sinn und Zweck von Art. 49 BV. Eine Landeskirche darf wohl in einem formellen Verfahren den Austrittswillen verifizieren.
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Im vorliegenden Fall ist daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin durch die im Dezember 1975 auf amtlichem Formular bestätigte Austrittserklärung rückwirkend auf den 31. Dezember 1974 aus der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern ausgetreten ist.
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Die Beschwerdeführerin hält diese Vorschrift ebenfalls für verfassungswidrig. Da im vorliegenden Fall der Austritt aus der Landeskirche ohnehin erst am Ende des laufenden Jahres erklärt und rechtswirksam geworden ist, hört mit dem Kirchenaustritt (d.h. ab 31. Dezember 1974) auch die Kirchensteuerpflicht auf. Die Beschwerdeführerin wird daher durch die Anwendung der Vorschrift, wonach die Kirchensteuer noch für das ganze laufende Jahr zu entrichten sei, insofern nicht weiter belastet. Die gegen Art. 32 Abs. 2 des Kirchensteuerdekretes erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände sind jedoch begründet:
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Für die dort statuierte Regel, die Kirchensteuer sei stets für das ganze Austrittsjahr geschuldet, lassen sich wohl administrative Gründe anführen. Die Erhebung der Kirchensteuer für einen Zeitraum, in welchem ein Ausgetretener bereits nicht mehr der Kirche angehörte, steht aber im Widerspruch zu Art. 49 Abs. 6 BV. Wie beim Aufhören jeder Steuerpflicht (durch Wegzug, Tod usw.), so ist auch bei der Beendigung der Kirchensteuerpflicht durch Austritt die letzte Steuer pro rata temporis zu erheben (vgl. RUDOLF EGGER, Das Subjekt der ![]() | 29 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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