BGE 122 III 225 | |||
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40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. April 1996 i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) gegen X. AG (Berufung) | |
Regeste |
Strafrechtliche Verjährungsfrist bei der Hilfspersonenhaftung (Art. 55 und 60 Abs. 2 OR). |
Keine Anwendung der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist bei der Haftung des Geschäftsherrn für Hilfspersonen (E. 5). | |
Sachverhalt | |
Am 5. Juli 1988 verursachte ein Brand in der Telefonzentrale Weissenburg einen grossen Sachschaden. Eigentümerin der Zentrale ist die Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe). Nach deren Auffassung war der Brand auf Arbeiten zurückzuführen, die von Angestellten der X. AG in der Umgebung der Zentrale unternommen worden waren. Für die Arbeiten verantwortlich waren Mario C. und sein direkter Vorgesetzter Martin B., gegen die ein Strafverfahren eröffnet wurde. Das Verfahren wurde nach dem Tod von Mario C. diesem gegenüber am 17. Oktober 1991 eingestellt. Martin B. wurde mit Urteil vom 19. Oktober 1992 freigesprochen.
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In der Folge erhob die Schweizerische Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) Schadenersatzklage wegen unerlaubter Handlung gegen die X. AG. Das Verfahren wurde auf die Beurteilung der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede beschränkt. Mit Entscheid vom 15. September 1994 hiess das Amtsgericht Solothurn-Lebern die Einrede gut und wies die Klage ab.
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Das Obergericht des Kantons Solothurn, an das die Klägerin appelliert hatte, bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 18. Juli 1995.
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Die Klägerin hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Das Bundesgericht ging bis zum Jahre 1986 davon aus, dass Art. 60 Abs. 2 OR grundsätzlich nur auf die Forderung gegen den Täter selbst, nicht aber auf den Ersatzanspruch gegen Dritte, die zivilrechtlich für den Schaden einzustehen haben, anwendbar sei. Die längere Verjährungsfrist galt daher insbesondere nicht für den Anspruch gegen die juristische Person, selbst wenn die Klage gegen das fehlbare Organ der längeren Frist unterstand. Mit BGE 112 II 172 (E. II/2c S. 189 f.) hat es seine Praxis geändert. In diesem Entscheid wird zunächst auf kritische Stellungnahmen in der Lehre hingewiesen (SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, S. 209; BÄR, Gedanken zur praktischen Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsfrist im Zivilprozess (Art. 60 Abs. 2 OR), in: SJZ 61/1965 S. 74 ff., 75 f.). Sodann wird ausgeführt, die Ausdehnung der längeren Frist auf juristische Personen leuchte schon deshalb ein, weil sie dem Organbegriff des schweizerischen Rechts entspreche, nach dem die Organe Teil der juristischen Person selbst seien und ihr Handeln nicht als Handeln für eine andere Person aufzufassen sei (Art. 45 und 55 ZGB); sie verpflichteten die juristische Person auch durch ihr sonstiges Verhalten, insbesondere durch unerlaubte Handlungen (Art. 55 Abs. 2 ZGB). Die Ausdehnung vertrage sich zudem mit dem Wortlaut des Art. 60 Abs. 2 OR, da dort von einer Klage die Rede sei, die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werde. Abschliessend wird darauf hingewiesen, das Bundesgericht habe auch Art. 83 Abs. 1 Satz 2 SVG (SR 741.01) in diesem Sinne ausgelegt, der mit Art. 60 Abs. 2 OR übereinstimme (BGE 112 II 81 E. 3).
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b) Das Obergericht hat die Organeigenschaft von Mario C. aufgrund seines Aufgabenkreises und des Organisationsschemas der Beklagten verneint; sowohl bei ihm wie auch bei Martin B. habe es sich um blosse Hilfspersonen im Sinne von Art. 55 Abs. 1 OR gehandelt.
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Als Organe einer juristischen Person sind jene Personen zu betrachten, welche durch Gesetz, Statuten oder aufgrund der faktischen Organisation an der Willensbildung der Gesellschaft teilhaben und auch mit entsprechender rechtlicher oder tatsächlicher Entscheidkompetenz ausgestattet sind (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/1, 4. Auflage, S. 274 f.; RIEMER, Berner Kommentar, N. 16 ff. zu Art. 54/55 ZGB; BREHM, Berner Kommentar, N. 11 zu Art. 41 OR; BGE 117 II 570 E. 3 S. 571 f.). Es genügt nicht, wenn ein Mitarbeiter in einem stark eingeschränkten Geschäftsbereich die ihm übertragene Tätigkeit selbständig ausführt (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 275). Erforderlich ist vielmehr, dass er die Willensbildung des Unternehmens zu beeinflussen vermag (vgl. BGE 61 II 339 E. 2 S. 342: "...personnes qui tiennent les leviers de commande de l'entreprise."). Diese Voraussetzung war hinsichtlich Mario C. offensichtlich nicht gegeben. Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) kam C. keinerlei Entscheidbefugnis im Sinne einer Geschäftsleitung zu. Dass er im technischen Bereich die ihm übertragenen Arbeiten selbständig ausgeführt hat, wie die Klägerin behauptet, kann an der Qualifizierung als blosse Hilfsperson nichts ändern. Insoweit erweist sich die Berufung als unbegründet.
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Die Unterscheidung entspricht dem Sinn und Zweck von Art. 60 Abs. 2 OR. Gemäss Rechtsprechung und Lehre hat diese Regel den Sinn, die zivilrechtliche Verjährung mit der strafrechtlichen zu harmonisieren, weil es stossend wäre, wenn der Täter zwar noch bestraft werden könnte, die Wiedergutmachung des zugefügten Schadens aber nicht mehr verlangt werden dürfte (BGE 122 III 5 E. 2b S. 7; BREHM, Berner Kommentar, N. 67 zu Art. 60 OR; ausführlich: SPIRO, a.a.O., § 91, S. 200 ff.). Nach diesem Grundgedanken rechtfertigt sich die Anwendung der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist nur dort, wo der Dritte zivilrechtlich in gleicher Weise haftet wie der Täter. Gründet demgegenüber die Haftung des Dritten auf eigenem Fehlverhalten, auch wenn dieses kein Verschulden darstellt, drängt es sich nicht auf, die Strafbarkeit des Täters verjährungsrechtlich dem Dritten anzurechnen.
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