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52. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen gegen H. (Be- schwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
8C_729/2011 vom 15. November 2012 | |
Regeste |
Art. 14 Abs. 2 AVIG; Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit, ähnliche Gründe. |
Hingegen kann - je nach den konkreten Umständen im Einzelfall - das unerwartete und plötzliche Dahinfallen von Leistungen der Haftpflichtversicherung an den Ehepartner einen Befreiungsgrund gemäss Art. 14 Abs. 2 AVIG darstellen (E. 9 und 10). | |
Sachverhalt | |
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B. In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Prüfung der wirtschaftlichen ![]() | 2 |
C. Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass H. nicht von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sei.
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H. stellt das Rechtsbegehren, es seien ihr ab 22. April 2010 Arbeitslosentaggelder auszurichten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 5 | |
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5.3 Gemäss Rechtsprechung ist eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit nach Art. 14 Abs. 2 AVIG nur möglich, wenn zwischen dem geltend gemachten Grund und der Notwendigkeit der Aufnahme oder Erweiterung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ein Kausalzusammenhang gegeben ist. Dabei ist kein strikter Kausalitätsnachweis im naturwissenschaftlichen Sinne zu verlangen (BGE 125 V 123 E. 2a S. 125; BGE 121 V 336 E. 5c/bb S. 344; BGE 119 V 51 E. 3b S. 55). Der erforderliche Kausalzusammenhang ist (unter Vorbehalt der zeitlichen Schranke gemäss Satz 2 dieser Bestimmung) vernünftigerweise bereits zu bejahen, wenn es glaubwürdig und nachvollziehbar erscheint, dass der Entschluss der versicherten Person, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern, in ![]() | 7 |
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7.2 In BGE 119 V 51 erkannte das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts), dass der Konkurs eines Ehepartners durchaus vergleichbar mit den Befreiungsgründen Trennung oder Scheidung der Ehe sowie Invalidität oder Tod des Ehegatten sei. Aufgrund der weitgehenden Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz sei ein Konkursit nur noch in beschränktem Umfang in der Lage, für sich und seine Angehörigen zu sorgen, weshalb sich der Ehepartner - ebenso wie bei den im Gesetz ausdrücklich erwähnten Befreiungstatbeständen - häufig veranlasst sehe, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um die finanzielle Bedrängnis zu überwinden oder wenigstens zu mildern. Der Konkurs des Ehepartners sei demgemäss als "ähnlicher Grund" im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG anzuerkennen (BGE 119 V 51 E. 3a S. 54). Im Gegensatz dazu wurden in BGE 120 V 145 weder die Arbeitslosigkeit noch im Zusammenhang ![]() | 14 |
8. Die Vorinstanz ist der Ansicht, die Aussteuerung des Ehegatten aus der Arbeitslosenversicherung sei mit dem Konkurs des selbstständigerwerbenden Ehepartners vergleichbar. Da letztgenanntes Ereignis als "ähnlicher Grund" anerkannt sei (BGE 119 V 51), könne für die Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung nichts anderes gelten. Es lässt sich tatsächlich nicht von der Hand weisen, dass die Wirkungen bei der Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung und beim Konkurs eines Selbstständigerwerbenden gleich oder ähnlich sein können. In beiden Fällen ist nicht mehr gewährleistet, dass der Ehepartner in finanzieller Hinsicht für sich und seine Angehörigen zu sorgen in der Lage ist. Allerdings muss beachtet werden, dass der Konkurs eines Selbstständigerwerbenden in der Regel ![]() | 15 |
Erwägung 9 | |
9.1 Die Beschwerdegegnerin, welche ihre ausserhäusliche Beschäftigung im Zusammenhang mit der Geburt der Kinder aufgegeben hatte, stellte unter Hinweis auf die Aussteuerung ihres Ehepartners aus der Arbeitslosenversicherung und das Wegfallen der Unterstützung durch die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. Da das kantonale Gericht schon in der Aussteuerung einen "ähnlichen Grund" im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG sah, hatte es in diesem Rahmen keinen Anlass, das Wegfallen der Leistungen der Haftpflichtversicherung rechtlich zu qualifizieren. Bereits in ihrer Einsprache gegen die ablehnende Verfügung vom 17. Mai 2010 legte die Versicherte dar, die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers habe ab April 2009 - nach Wegfall der Arbeitslosentaggelder des Ehemannes - monatliche Leistungen in der Höhe der bisherigen Arbeitslosenentschädigung übernommen. Die inzwischen abgeschlossene Umschulung zum Elektrotechniker erfülle die Vorgaben der behandelnden Ärzte nicht, obwohl die Invalidenversicherung von einer rentenausschliessenden Eingliederung ausgehe. Der Ehepartner der Versicherten habe im Januar 2010 eine dreijährige Vollzeit-Ausbildung zum Naturheilpraktiker angefangen. Nach den Angaben der Beschwerdegegnerin wurden die monatlichen ![]() | 16 |
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9.3 Die Einstellung der Arbeitslosenentschädigung im April 2009 war für die Versicherte vorhersehbar. Im Zeitpunkt der Aussteuerung wusste sie zudem bereits, dass die Haftpflichtversicherung eine finanzielle Überbrückungshilfe während der beruflichen Eingliederung ihres Ehemannes leisten würde. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass ausgerechnet in dem Moment, in welchem sich ihr Ehemann für eine dreijährige, vollzeitliche Ausbildung entschieden hatte, die Haftpflichtversicherung - abgesehen von einer substanziellen Abschlusszahlung für den Start der Ausbildung in einem anderen Berufszweig - jegliche weitere Unterstützung verweigert habe. Traf sie die Einstellung dieser Leistungen im Dezember 2009 tatsächlich völlig unerwartet, so lässt sie sich in ihrer Auswirkung und Tragweite mit den in Art. 14 Abs. 2 AVIG ausdrücklich erwähnten Ereignissen (E. 5.1 hiervor) vergleichen (E. 7.1 hiervor). Es kann sich dabei durchaus um einen Lebenssachverhalt handeln, welcher programmwidrig und unvorbereitet eintrat (SVR 1997 ALV Nr. 100 ![]() | 18 |
9.4 Beschwerdeführerin und SECO gehen davon aus, es fehle am Kausalzusammenhang zwischen dem Versuch der Beschwerdegegnerin, eine Anstellung zu finden, und den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen, da diese schon vom 17. August bis 11. September 2009, somit vor (allfälligem) Eintritt der finanziellen Notlage, erwerbstätig gewesen sei. Wie es sich damit verhält, kann erst nach - ebenfalls vom kantonalen Gericht zu veranlassenden - zusätzlichen Sachverhaltsabklärungen gesagt werden. Immerhin ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass rechtsprechungsgemäss kein strikter Kausalitätsnachweis im naturwissenschaftlichen Sinne verlangt werden kann; vielmehr ist der erforderliche Kausalzusammenhang bereits zu bejahen, wenn es glaubwürdig und nachvollziehbar erscheint, dass der Entschluss zur Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in dem als Befreiungsgrund in Frage kommenden Ereignis mitbegründet liegt (E. 5.3 hiervor). Stellt sich heraus, dass die kurzzeitige Tätigkeit der Beschwerdegegnerin für die E. AG zeitlich vor dem Bekanntwerden des Versiegens der Haftpflichtversicherungsleistungen liegt, und sollte sich deren Behauptung bestätigen, wonach sie diese Stelle nur angetreten habe, weil sich ihr die Gelegenheit geboten habe, nach längerer Pause in ihrem erlernten Beruf ![]() | 19 |
Sollte die Versicherte erst nach der - angeblich unerwarteten - Einstellung der dem Ehemann durch die Haftpflichtversicherung gebotenen Überbrückungshilfe im Dezember 2009 aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen sein, in möglichst kurzer Zeit eine Anstellung zu finden, so kann ihr der Umstand, dass sie mit der Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung seit Wegfall der Versicherungsleistungen Ende Dezember 2009 bis April 2010 wartete, nicht zum Nachteil gereichen. Die zeitlichen Erfordernisse wären erfüllt, da sie sich innert der von Art. 14 Abs. 2 Satz 2 AVIG vorgegebenen Jahresfrist seit Wegfall der Leistungen der Haftpflichtversicherung um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht und Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt hat. Ob ihr Zuwarten mit der Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung von Januar bis April 2010 tatsächlich auf eine entsprechende Auskunft des Arbeitsvermittlungszentrums zurückzuführen war, wie sie letztinstanzlich vorbringt, bedarf deshalb so oder anders keiner Klärung.
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9.5 Ergeben die notwendigen Abklärungen, dass ein Befreiungsgrund gegeben ist, so kann das kantonale Gericht die weitere Anspruchsvoraussetzung der finanziellen Zwangslage selber prüfen oder die Angelegenheit diesbezüglich - wie im vorliegend angefochtenen Entscheid vorgesehen - an die Verwaltung zurückweisen.
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