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Informationen zum Dokument  BGer 4C.400/2001  Materielle Begründung
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BGer 4C.400/2001 vom 04.03.2002
 
[AZA 0/2]
 
4C.400/2001/rnd
 
I. ZIVILABTEILUNG
 
*******************************
 
4. März 2002
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter,
 
Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichtsschreiber
 
Huguenin.
 
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In Sachen
 
A.________, Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Christof Wyss, Kronenstrasse 9, 8712 Stäfa,
 
gegen
 
B.________, Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Raymond Bisang, Pestalozzistrasse 24, Postfach 234, 8028 Zürich,
 
betreffend
 
Mietvertrag, hat sich ergeben:
 
A.- A.________ mietete von B.________ mit Verträgen vom 8. April 1998 eine 3 1/2-Zimmer-Wohnung und einen Garagenplatz in der Liegenschaft X.________. Mietbeginn war der 1. August 1998. Mit Formularen vom 9. Februar 1999 kündigte der Vermieter die beiden Mietverträge auf den 30. September 1999 mit der Begründung eines Eigenbedarfs des Hauseigentümers.
 
Die Mieterin gelangte an die Schlichtungsstelle, vor welcher der Vermieter ihr Begehren anerkannte, worauf die beiden Kündigungen für ungültig erklärt wurden.
 
Am 20. September 1999 kündigte der Vermieter die Mietverträge auf den 31. März 2000. Als Kündigungsgrund gab er im Formular "Eigenbedarf des Hauseigentümers für seine Tochter" an. Die Mieterin gelangte an die Schlichtungsbehörde mit dem Begehren, die Kündigungen vom 20. September 1999 ungültig zu erklären, eventuell die Mietverhältnisse angemessen zu erstrecken. Die Schlichtungsbehörde wies die Klage mit Beschluss vom 11. Februar 2001 ab. Darauf reichte die Mieterin beim Mietgericht des Bezirkes Meilen Klage gegen den Vermieter ein mit dem Begehren, die Kündigungen vom 20. September 1999 ungültig zu erklären, eventuell die Mietverhältnisse angemessen zu erstrecken. Das Mietgericht wies mit Urteil vom 18. Juli 2001 das Begehren der Klägerin um Ungültigerklärung der Kündigungen ab, erstreckte indessen die Mietverhältnisse endgültig bis zum 31. März 2002.
 
Die Klägerin gelangte mit Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich, welches ihr Rechtsmittel mit Beschluss vom 6. November 2001 abwies und das Urteil des Mietgerichts bestätigte.
 
B.- Mit Berufung beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Kündigungen vom 20. September 1999 ungültig zu erklären, eventualiter die Mietverhältnisse erstmals bis 31. März 2002 zu erstrecken.
 
Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden. Ausnahmen von dieser Bindung bestehen insoweit, als das kantonale Sachgericht bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt hat oder ihm offensichtliche Versehen unterlaufen sind (Art. 63 Abs. 2 OG). Vorbehalten bleibt ferner die Vervollständigung eines Sachverhalts, der lückenhaft ist, weil Feststellungen über - im kantonalen Verfahren rechtzeitig und in zulässiger Form vorgebrachte - Tatsachenbehauptungen fehlen, deren Abklärung im Hinblick auf die Anwendung des Bundesrechts unerlässlich ist (Art. 64 OG). Dass die Voraussetzungen solcher Ausnahmen gegeben sind, hat die Partei, die den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, im Einzelnen darzutun und mit Aktenhinweisen zu belegen (BGE 127 III 248 E. 2c mit Hinweis; 115 II 484 E. 2a). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung ist unzulässig (BGE 126 III 189 E. 2a mit Hinweisen).
 
Die Klägerin beanstandet unter Berufung auf Art. 274d Abs. 3 OR die vorinstanzliche Würdigung der Zeugenaussage der Tochter des Beklagten. Sie verkennt damit die Tragweite des Untersuchungsgrundsatzes; dieser erlaubt den Parteien nicht, im Berufungsverfahren vor dem Bundesgericht in Abweichung von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG die Beweiswürdigung der Vorinstanz zu kritisieren. Das Bundesgericht hat im vorliegenden Verfahren vielmehr von der tatsächlichen Feststellung der Vorinstanz auszugehen, dass die Tochter des Beklagten Angst hat, in einer ebenerdigen Wohnung bzw. in Parterreräumen zu wohnen.
 
2.- Die Klägerin bringt vor, der Beklagte habe die Kündigungen vom 20. September 1999 nicht hinreichend begründet, weil er zwar den Eigenbedarf für seine Tochter, nicht aber die Dringlichkeit dieses Eigenbedarfs erwähnt habe. Die Rüge ist unbegründet. Die Kündigung des Mietvertrags ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch gültig, wenn sie nicht begründet wird (Urteil 4C.271/1991 vom 18. März 1992 E. 3a, abgedruckt in mp 1993 S. 28 ff.). Das gilt auch für die Kündigung der Wohnungsmiete durch den Vermieter, welche gemäss Art. 266l Abs. 2 OR formularpflichtig ist. Das Formular hat nur den Hinweis zu enthalten, dass der Vermieter die Kündigung auf Verlangen des Mieters begründen muss (Art. 9 Abs. 1 lit. c VMWG). Da die Begründung an keine Form gebunden ist, kann sie auch erst vor der Schlichtungsbehörde mündlich vorgetragen werden. Immerhin muss, wer eine Begründung gibt, im Bestreitungsfall deren Richtigkeit dartun (zit. Urteil vom 18. März 1992 E. 3b). Dass insofern die Begründung des Beklagten wegen der nicht ausdrücklich erwähnten Dringlichkeit des Eigenbedarfs nicht folgerichtig oder widersprüchlich sei, macht die Klägerin zu Recht nicht geltend.
 
3.- Die Vorinstanz hält unter Verweis auf das erstinstanzliche Urteil fest, dass die Kündigung der Mietverträge während der Sperrfrist von Art. 271a Abs. 1 lit. e OR erfolgt ist. Diese Sperrfrist findet keine Anwendung bei Kündigungen wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte (Art. 271a Abs. 3 lit. a OR).
 
a) Der dringende Eigenbedarf im Sinne von Art. 271a Abs. 3 lit. a OR setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Zwangs- oder gar Notlage des Vermieters voraus, sondern ist immer dann gegeben, wenn es ihm aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen nicht zumutbar ist, auf die Benutzung der vermieteten Wohnung oder des Hauses zu verzichten.
 
Beim Entscheid über diese Frage sind alle erheblichen Umstände des Falles zu würdigen. Das Erfordernis der Dringlichkeit ist dabei nicht allein zeitlich, sondern auch sachlich zu verstehen. Es müssen Gründe vorliegen, denen auch nach objektiver Beurteilung eine gewisse Bedeutung zukommt.
 
Das trifft zum Beispiel nicht zu, wenn ein naher Verwandter des Eigentümers nur darum in die Wohnung einziehen will, weil sie im Vergleich zu seiner bisherigen Wohnung etwas mehr Sonne oder Aussicht bietet (BGE 118 II 50 E. 3d).
 
b) Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die ihrerseits jene des Mietgerichts übernommen hat, beabsichtigt die Tochter des Beklagten ernsthaft und konkret, mit ihrem Lebenspartner so bald als möglich gemeinsam in die jetzt der Klägerin vermietete Wohnung einzuziehen. Die Tochter des Beklagten wohnt zur Zeit noch getrennt von ihrem Partner in einer Einliegerwohnung des Beklagten, wobei die Vorinstanz sowohl diese Wohnsituation der Tochter des Beklagten wie diejenige ihres Lebenspartners als provisorische Übergangslösung bezeichnet. Es kann grundsätzlich nicht bestritten werden, dass dem Beklagten unter diesen Umständen nicht zuzumuten ist, auf die Nutzung der Wohnung für seine Tochter zu verzichten. Die Vorinstanz hat demnach den dringlichen Eigenbedarf zu Recht bejaht.
 
c) Was mit der Berufung dagegen vorgebracht wird, vermag nicht zu überzeugen. Der Beklagte bzw. seine Tochter ist bei ausgewiesenem Eigenbedarf nicht verpflichtet, Suchbemühungen nach einer Wohnung nachzuweisen, die mit der an die Klägerin vermieteten Wohnung vergleichbar ist. Die Vorinstanz hat zudem für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass sich die Tochter des Beklagten in einer Parterre-Wohnung nicht wohl fühlt, weil sie Angst hat, weshalb die direkt unterhalb der Wohnung der Klägerin gelegene 3 1/2-Zimmerwohnung als Alternative für die Eigennutzung ausser Betracht fällt. Die Vorinstanz hat somit die Kündigung zutreffend als gültig erachtet.
 
4.- Die Vorinstanz ist zum Ergebnis gekommen, dass das Mietgericht die Interessenabwägung im Blick auf die von der Klägerin beantragte Erstreckung zutreffend vorgenommen hat.
 
Sie hat unter Verweis auf die erstinstanzlichen Erwägungen die einmalige Erstreckung um zwei Jahre als angemessen erachtet und insbesondere beigefügt, dass die Klägerin bis zur Durchführung des Erstreckungsverfahrens noch keine intensiven Suchbemühungen unternommen habe, weshalb davon auszugehen sei, dass sie innert der Erstreckungsfrist ein passendes Ersatzobjekt finde. Die Klägerin rügt, die Vorinstanz habe die Erstreckungsart unkorrekt gewählt und damit Art. 272b Abs. 1 OR verletzt.
 
a) Nach Art. 272b Abs. 1 OR kann das Mietverhältnis für Wohnräume um höchstens vier Jahre erstreckt werden. Im Rahmen der Höchstdauer können eine oder zwei Erstreckungen gewährt werden. Die Erstreckung soll der Mieterin mehr Zeit für die Suche nach einem Ersatzobjekt einräumen. Es soll damit die Härte gemildert werden, welche im Zeitpunkt der Kündigung liegt, nicht diejenige der Kündigung selbst (BGE 125 III 226 E. 4b; 116 II 446 E. 3b mit Hinweisen). Wenn das Gericht über Art und Dauer einer Erstreckung entscheidet, hat es dem Zweck des Instituts entsprechend die Interessen im Sinne von Art. 272 OR abzuwägen; dabei steht ihm ein weites Ermessen zu, in welches das Bundesgericht nur eingreift, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Acht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen, oder schliesslich, wenn sich der Entscheid als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweist (BGE 118 II 50 E. 4 S. 55 f.; 125 III 226 E. 4b).
 
b) Die Vorinstanz hat ihr Ermessen bundesrechtskonform ausgeübt, wenn sie einer definitiven Erstreckung gegenüber einer vorläufigen den Vorzug gegeben hat. Sie konnte mit der ersten Instanz insbesondere berücksichtigen, dass auf Seiten des Beklagten auch im Rahmen der Erstreckung der Eigenbedarf und dessen Dringlichkeit ins Gewicht fällt (Art. 272 Abs. 2 lit. d OR), dessen Vorhandensein entgegen der Ansicht der Klägerin für eine einmalige und definitive Erstreckung sprechen kann. Die Vorinstanz hat sodann zu Recht in Betracht gezogen, dass der Klägerin oblag, sofort nach Erhalt der Kündigung mit der Suche nach einer Ersatzwohnung zu beginnen (BGE 116 II 446 E. 3a). Dass die Klägerin die Gültigkeit der Kündigung selbst in Frage stellte, ändert daran nichts. Die Kündigung hat sich als gültig erwiesen, womit die Klägerin ernsthaft rechnen musste. Mit der grosszügig auf die Hälfte der höchstmöglichen Dauer bemessenen Erstreckung des Mietverhältnisses hat die Vorinstanz ihr Ermessen bundesrechtskonform ausgeübt und den Interessen der Klägerin ausreichend Rechnung getragen.
 
5.- Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu bestätigen.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Klägerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Sie hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) vom 6. November 2001 bestätigt.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'500.-- wird der Klägerin auferlegt.
 
3.- Die Klägerin hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) schriftlich mitgeteilt.
 
______________
 
Lausanne, 4. März 2002
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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