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Informationen zum Dokument  BGer P 54/2001  Materielle Begründung
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BGer P 54/2001 vom 18.06.2002
 
[AZA 7]
 
P 54/01 Vr
 
II. Kammer
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter
 
Frésard; Gerichtsschreiberin Fleischanderl
 
Urteil vom 18. Juni 2002
 
in Sachen
 
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. A.________, 1911,
 
2. B.________, 1908, Beschwerdegegner, beide vertreten durch H.________,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
 
A.- A.________ und B.________ (geb. 1911 und 1908) meldeten sich am 9. September 1997 zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) zu ihren AHV-Altersrenten an. Mit Verfügung vom 15. Mai 1998 bejahte die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn rückwirkend ab 1. Januar 1998 einen Anspruch von A.________, lehnte indessen die Ausrichtung von EL an B.________ wegen eines Einnahmenüberschusses ab. Auf Grund einer ihr nachträglich zugestellten Mitteilung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 11. Februar 1998 erhielt die Ausgleichskasse Kenntnis davon, dass A.________ ab 1. März 1997 eine Hilflosenentschädigung mittleren und ab 1. November 1997 eine solche schweren Grades zugesprochen worden war. Die Verwaltung nahm in der Folge eine Neuberechnung des EL-Anspruchs für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1999 vor (Verfügungen vom 29. Mai 2000). Mit gleichentags erlassenem, unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Verwaltungsakt forderte sie in dieser Zeitspanne zu Unrecht ausgerichtete Leistungen in Höhe von insgesamt Fr. 17'532.- zurück, welcher Betrag sich zufolge Verrechnung mit einer für die Periode vom 1. Januar bis 31. Mai 2000 geschuldeten EL-Nachzahlung um Fr. 1855.- auf Fr. 15'677.- verringerte.
 
Ein mit Eingabe vom 6. Juni 2000 gestelltes Gesuch um Erlass der Rückforderung lehnte die Ausgleichskasse mangels guten Glaubens ab (Verfügung vom 27. Juni 2000).
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 9. Juli 2001 insofern gut, als es die Erlassverfügung vom 27. Juni 2000 aufhob und die Sache an die Ausgleichskasse zurückwies, damit diese die erforderlichen Abklärungen im Sinne der Erwägungen treffe und hierauf neu verfüge (Ziff. 1 des Dispositivs).
 
C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, Dispositiv-Ziffer 1 des vorinstanzlichen Entscheides sei aufzuheben.
 
Während das kantonale Gericht sowie A.________ und B.________, letztere vertreten durch ihren Schwiegersohn H.________, auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Über die Rückerstattungspflicht für die im Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1999 unrechtmässig bezogenen Ergänzungsleistungen im Betrag von Fr. 17'532.- hat die Beschwerdeführerin am 29. Juni 2000 rechtskräftig verfügt. Streitig und zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren einzig, ob die Voraussetzungen für einen Erlass der Rückforderung gegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung geht es hierbei nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen im Sinne von Art. 132 OG (BGE 122 V 136 Erw. 1 mit Hinweisen; ARV 2001 Nr. 18 S. 161 Erw. 2), weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht lediglich zu prüfen hat, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
2.- Die Vorinstanz hat die Grundsätze und Bestimmungen über die Erlassvoraussetzungen des guten Glaubens und der grossen Härte (Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 AHVG; BGE 112 V 103 Erw. 2c; ZAK 1987 S. 166 f.
 
Erw. 3 [= BGE 110 V 27], 1976 S. 191 Erw. 2a; vgl. auch BGE 110 V 180 Erw. 3c und ARV 1998 Nr. 14 S. 73 Erw. 4a) zutreffend dargelegt. Darauf ist zu verweisen. Zu ergänzen bleibt, dass rechtsprechungsgemäss zu unterscheiden ist zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann und ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 223 Erw. 3 mit Hinweisen; AHI 1994 S. 123 Erw. 2c).
 
3.- a) Das kantonale Gericht hat sich nicht abschliessend zur Frage geäussert, ob die Beschwerdegegner sich der Unrechtmässigkeit des EL-Bezugs bewusst waren, sondern geprüft, ob den Versicherten die Unterlassung der nachträglichen Meldung, dass ab 1. März 1997 ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung bestand, als grobfahrlässiges Verhalten im Sinne der Rechtsprechung vorzuwerfen sei oder lediglich eine leichte Nachlässigkeit darstelle. Im Wesentlichen geht es somit darum, ob die Unkenntnis der Unrechtmässigkeit der Leistung vorliegend entschuldbar war, was das Eidgenössische Versicherungsgericht frei überprüft.
 
b) aa) Unbestrittenermassen haben die Beschwerdegegner, welche nach ihrer Anmeldung zum EL-Bezug vom 9. September 1997 mit Mitteilung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 11. Februar 1998 Kenntnis vom A.________ rückwirkend ab 1. März 1997 zustehenden Anspruch auf Hilflosenentschädigung erhielten, die in Art. 24 ELV statuierte Meldepflicht verletzt, wonach der Anspruchsberechtigte, sein gesetzlicher Vertreter oder gegebenenfalls die Drittperson oder die Behörde, welcher eine Ergänzungsleistung ausbezahlt wird, der kantonalen Durchführungsstelle von jeder Änderung der persönlichen und von jeder ins Gewicht fallenden Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich Mitteilung zu machen hat. Zu prüfen bleibt, ob das fehlerhafte Verhalten auf einer nur leichten Fahrlässigkeit beruht, sodass die Beschwerdegegner sich auf den guten Glauben berufen können, oder die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine zumindest grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist.
 
bb) Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend erkannt wurde, bedarf es hierzu der näheren Beurteilung der Umstände der Anmeldung zum EL-Bezug. In Nachachtung der zu berücksichtigenden Judikatur (BGE 110 V 25, insbesondere 27 f. Erw. 3 mit weiteren Hinweisen) hat die Vorinstanz richtig erwogen, dass im Zusammenhang mit einem von einer Behörde ausgefüllten EL-Gesuchsformular, das der Ansprecher wohl unterzeichnet, jedoch nicht überprüft hat, nicht von vornherein auf das Fehlen des guten Glaubens des Bewerbers geschlossen werden darf. Vielmehr sind auch allfällige - das Verständnis für administrative Angelegenheiten - erschwerende Umstände wie minimale Schulbildung, schlechte Sprachkenntnisse oder eine angeschlagene Gesundheit zu beachten (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 10. September 1992, P 55/91). Nach eingehender Würdigung der vorhandenen Unterlagen ist das kantonale Gericht zum überzeugenden, auch seitens der Beschwerdeführerin letztinstanzlich nicht beanstandeten Schluss gekommen, dass sich anhand der derzeitigen Aktenlage kein klares Bild über die genauen Umstände der Anmeldung erstellen lässt. Namentlich deutet einiges darauf hin - so etwa die mit Schreibmaschine ausgefüllten Positionen des Anmeldeformulars, das im Zeitpunkt der Eingabe hohe Alter von B.________ (89-jährig) und dessen angeblich massive Sehstörungen -, dass eine Behörde das Gesuch ausgefüllt und B.________ dieses in der Folge lediglich noch unterzeichnet hat, ohne sich vorgängig über den Inhalt der Anmeldung und damit insbesondere über den unmittelbar oberhalb der Unterschrift stehenden Hinweis auf die Meldepflicht bei Veränderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Kenntnis zu setzen. Hierfür spricht im Übrigen neben dem fortgeschrittenen Alter, den gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie dem Vertrauen des Beschwerdegegners in die Amtsperson auch der Umstand, dass im Formular für den Fall von Verständigungsproblemen ausdrücklich die Tochter und der Schwiegersohn der Beschwerdegegner als Ansprechpersonen aufgeführt wurden. Eine Rückweisung der Sache an die Beschwerdeführerin zur weiteren Abklärung (u.a. Befragung des B.________ und allfälliger Drittpersonen zum genauen Anmeldungshergang, Einholung von Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand des B.________ im Zeitpunkt der Anmeldung), wie sie die Vorinstanz entschieden hat, erscheint nach dem Gesagten als unumgänglich und gibt zu keinen Beanstandungen Anlass.
 
Falls die Ausgleichskasse zum Ergebnis gelangt, dass von den Beschwerdegegnern auf Grund der persönlichen Umstände nicht erwartet werden konnte, ihre Meldepflichten selbstständig zu erkennen und zu erfüllen, dürfte sie eine grobe Nachlässigkeit bezüglich der Verletzung der Meldepflicht auch nicht mit dem Argument begründen, die Versicherten hätten es unterlassen, einen für die Erledigung ihrer Obliegenheiten gegenüber der Verwaltung geeigneten Beistand beizuziehen (bereits erwähntes Urteil T. vom 10. September 1992, B 55/91).
 
4.- Sollte die Erlassvoraussetzung des guten Glaubens zu bejahen sein, wird die Beschwerdeführerin zu prüfen haben, ob auch - kumulativ - eine grosse Härte gegeben ist.
 
a) Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht ausgeführt wird, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 122 V 221 seine Rechtsprechung in einem Ergänzungsleistungsstreit dahingehend präzisiert, dass die Rückerstattung im Falle rückwirkend ausgerichteter Rentennachzahlungen insoweit keine grosse Härte darstellen kann, als die aus den entsprechenden Nachzahlungen stammenden Mittel im Zeitpunkt, in dem die Rückzahlung erfolgen sollte (BGE 116 V 12 Erw. 2a), noch vorhanden sind. Diese Präzisierung bezieht sich indessen nur auf Fälle, in welchen der versicherten Person im Nachhinein zusätzliche Leistungen aus Ansprüchen zufliessen, die sich bezüglich ihrer zeitlichen Bestimmung mit dem vorangegangenen Ergänzungsleistungsbezug decken und dessen Unrechtmässigkeit erst zu Tage treten lassen. Andernfalls bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung, wonach allfällig vorhandene Vermögenswerte bei der Prüfung der grossen Härte gemäss Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 AHVG und Art. 79 Abs. 1bis und 1ter AHVV zu berücksichtigen sind.
 
b) Den Beschwerdegegnern wurde mit Mitteilung vom 11. Februar 1998, von welcher die Beschwerdeführerin erst im Verlaufe des ersten Halbjahres 2000 Kenntnis erhielt, rückwirkend Hilflosenentschädigung ab 1. März 1997 bzw. ab
 
1. November 1997 zugesprochen. Inwiefern damit eine Nachzahlung von Hilflosenentschädigung für den nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung relevanten Zeitraum - die EL wurden mit Wirkung ab 1. Januar 1998 ausgerichtet - einherging, bleibt nach Lage der Akten indes unklar. Namentlich enthalten die Unterlagen keine Hinweise darauf, wann und in welcher Höhe die Nachzahlung der Hilflosenentschädigung erfolgte. Die Ausgleichskasse, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird auch in dieser Hinsicht, sofern die Erlassvoraussetzung des guten Glaubens zu bejahen ist, weitere Abklärungen zu treffen haben. Erst im Anschluss daran ist eruierbar, ob - sofern die Versicherte im Zeitpunkt, als ihr die Rückerstattungsverfügung vom 27. Juni 2000 zugestellt wurde, noch über Mittel aus der Nachzahlung der Hilflosenentschädigung verfügte (BGE 122 V 228 Erw. 6d) - für die Rückerstattung der EL in Höhe des die den massgeblichen Zeitraum betreffende Nachzahlung der Hilflosenentschädigung nicht übersteigenden Betrages eine grosse Härte zu verneinen ist und ein Erlass insoweit ausser Betracht fällt. In diesem Fall ist von der Beschwerdegegnerin zu verlangen, dass sie die noch vorhandene Nachzahlung für die Rückerstattung der zu Unrecht bezogenen EL verwendet (vgl. BGE 122 V 229 Erw. 7).
 
Das kantonale Gericht hat somit auch diesbezüglich im Ergebnis zu Recht auf Rückweisung der Sache an die Ausgleichskasse erkannt.
 
5.- Da der Erlass einer Rückerstattungsforderung nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen betrifft (vgl. Erw. 1 hievor), ist das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der
 
Erwägungen abgewiesen.
 
II.Die Gerichtskosten von Fr. 1400.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 18. Juni 2002
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
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