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Informationen zum Dokument  BGer 6S.681/2001  Materielle Begründung
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BGer 6S.681/2001 vom 02.07.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6S.681/2001 /pai
 
Sitzung vom 2. Juli 2002
 
Kassationshof
 
Bundesrichter Schubarth, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Raymond Caliezi, Beethovenstrasse 24, 8002 Zürich,
 
gegen
 
Y.________, privater Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marc-Antoine Kämpfen,
 
Gerechtigkeitsgasse 23, 8002 Zürich,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach,
 
8023 Zürich,
 
Entziehen eines Unmündigen (Art. 220 StGB),
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 31. August 2001.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 28. Februar 2001 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Dielsdorf die Angeklagte X.________ des Entziehens eines Unmündigen (Art. 220 StGB) sowie der Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) schuldig und verurteilte sie zu einem Monat Gefängnis bedingt (bei einer Probezeit von zwei Jahren). Auf Berufung der Verurteilten hin trat das Obergericht (II. Strafkammer) des Kantons Zürich mit Urteil vom 31. August 2001 auf die Anklage der Tätlichkeiten (wegen Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung) nicht ein. Der Schuldspruch des Entziehens eines Unmündigen (Art. 220 StGB) wurde vom Obergericht hingegen bestätigt, und die Strafe wurde auf 27 Tage Gefängnis bedingt festgelegt (bei einer Probezeit von zwei Jahren).
 
B.
 
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
 
C.
 
Der private Beschwerdegegner (Geschädigter bzw. Strafantragsteller) sowie die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich haben mit Eingaben vom 28. November 2001 bzw. 5. und 11. Februar 2002 auf eine Vernehmlassung je ausdrücklich verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Auszugehen ist von folgendem (von der Vorinstanz gemäss Art. 277bis BStP verbindlich festgestellten) Sachverhalt:
 
1.1 Die Beschwerdeführerin ist in Nordzypern aufgewachsen. Als Jugendliche zog sie nach London, wo sie im Jahre 1980 den privaten Beschwerdegegner kennenlernte, den sie am 1. September 1981 heiratete. Anschliessend nahmen die Eheleute in der Schweiz Wohnsitz. Da das Paar kinderlos blieb, entschloss es sich, ein neugeborenes Kind des Bruders und der Schwägerin der Beschwerdeführerin zu adoptieren. Nachdem die in der Türkischen Republik Nordzypern wohnhafte Schwägerin schwanger geworden war, täuschte die in der Schweiz lebende Beschwerdeführerin (mit einem angepolsterten Bauch) eine Schwangerschaft vor und erklärte, sie fahre nach Zypern, um dort zu gebären. Die Schwägerin gebar dort am 2. März 1988 ihren Sohn A.________. Am 9. März 1988 unterzeichneten die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann beim Bezirksgericht Girne (Nordzypern) eine Adoptionsurkunde. Gleichzeitig erklärten B.________ (die Schwägerin der Beschwerdeführerin) und C.________ (der Bruder der Beschwerdeführerin), dass A.________ ihr von ihnen biologisch erzeugter Sohn sei und dass sie mit der Adoption ihres Sohnes durch die Beschwerdeführerin und deren Ehemann ausdrücklich einverstanden seien. Anschliessend reisten die Beschwerdeführerin und der private Beschwerdegegner mit dem Kind, das sie "D.________" nannten, in die Schweiz ein. Die beabsichtigte Adoption konnte jedoch in der Folge nicht vollzogen werden.
 
1.2 Nach dem Scheitern der Adoptionsbemühungen gerieten die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in den Besitz von gefälschten Geburtsurkunden, denen wahrheitswidrig zu entnehmen war, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um die biologische Mutter des Kindes D.________ handle. Gestützt darauf liessen sie das Kind in den schweizerischen amtlichen Registern als ihren ehelichen Sohn eintragen. Dieser wuchs bei seinen "Registereltern" in der Schweiz auf und wurde hier eingeschult. Nachdem zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann Beziehungsprobleme aufgetreten waren, hielt sie sich ungefähr ab 1994 überwiegend in Ankara und in Nordzypern auf, wogegen der private Beschwerdegegner zusammen mit D.________ in Niederglatt lebte. Am 5. Januar 1998 reichte der Ehemann beim Bezirksgericht Dielsdorf Klage auf Ehescheidung gegen die Beschwerdeführerin ein.
 
1.3 An Ostern 1998 fuhr die Beschwerdeführerin mit D.________ nach Nordzypern. Am 4. Juni 1998 erliess das Familiengericht von Girne eine Verfügung, wonach der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann (unter Androhung von Sanktionsfolgen) verboten werde, D.________ aus der Türkischen Republik Nordzypern wegzubringen. Gleichzeitig wurde die Rückführung des Kindes zu seinen biologischen Eltern angeordnet. Entgegen dieser richterlichen Verfügung verbrachte die Beschwerdeführerin das Kind heimlich über die Grenze in den griechischen Teil Zyperns, von wo aus beide wieder in die Schweiz gelangten.
 
1.4 Anlässlich der Hauptverhandlung im hängigen Scheidungsprozess vom 3. September 1998 wurde eine Regelung der vorsorglichen Massnahmen getroffen und D.________ unter die Obhut des privaten Beschwerdegegners gestellt. Gleichzeitig räumte der Massnahmenrichter der Beschwerdeführerin ein Besuchsrecht ein, welches die Parteien von Fall zu Fall selbst regeln konnten. Für den Streitfall wurde angeordnet, dass die Beschwerdeführerin das Kind jeweils am ersten Wochenende jedes Monats, für drei Wochen während den Sommerschulferien sowie (in den geraden Kalenderjahren) an Ostern und Weihnachten bzw. (in den ungeraden Kalenderjahren) an Pfingsten und Neujahr zu sich oder mit sich auf Besuch nehmen durfte.
 
1.5 Am 4. Juli 1999 reiste die Beschwerdeführerin erneut mit D.________ nach Nordzypern, wo er seither lebt. Am 10. August 1999 verfügte der Einzelrichter (im summarischen Verfahren) des Bezirksgerichtes Dielsdorf (auf entsprechendes Begehren des privaten Beschwerdegegners hin), dass die Beschwerdeführerin D.________ unverzüglich zurückzubringen habe. Mit Schreiben vom 24. August 1999 sprach sich D.________s biologischer Vater gegen eine Rückführung des Kindes in die Schweiz aus. Gemäss seiner Sachdarstellung habe er der Beschwerdeführerin im Jahre 1988 lediglich gestattet, dass sie seinen Sohn in die Schweiz mitnehmen könne, um ihm zu ermöglichen, bei ihr in der Schweiz zu wohnen und seine schulische Ausbildung dort unter günstigeren Bedingungen zu absolvieren.
 
1.6 Mit - zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils noch nicht rechtskräftigem - Urteil des Bezirksgerichtes (I. Abteilung) Dielsdorf vom 20. Oktober 1999 wurde die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Gatten geschieden und D.________ unter die elterliche Gewalt des privaten Beschwerdegegners ge-stellt. Das Gericht hielt in seinen Erwägungen fest, es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass D.________ nicht das leibliche Kind der Parteien (und der Zivilstandsregistereintrag demgemäss unzutreffend) sein könnte. Im Hinblick auf das Kindeswohl habe eine Registerberichtigung jedoch nicht von Amtes wegen zu erfolgen. Vielmehr stehe es den Betroffenen frei, das gesetzlich vorgesehene Anfechtungsverfahren einzuleiten. Mangels einer Anfechtung der Ehelichkeitsvermutung bzw. der Anerkennung des Kindesverhältnisses habe sich der Richter an die verurkundeten Gegebenheiten zu halten.
 
1.7 Nach Abweisung eines Rekurses gegen die Rückführungsverfügung des Befehlsrichters vom 10. August 1999 wurde der Beschwerdeführerin (unter Androhung der Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung, Art. 292 StGB) befohlen, D.________ unverzüglich an den privaten Beschwerdegegner zu übergeben.
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin wegen Entziehens eines Unmündigen (Art. 220 StGB) schuldig gesprochen, da sie das Kind D.________ am 4. Juli 1999 (ca. 09.15 Uhr) zur Ausübung des Besuchsrechtes abgeholt habe, anschliessend in den türkischen Teil Zyperns ausgereist sei und sich seither weigere, das Kind wieder in die Schweiz zu bringen und dem Erziehungsberechtigten zu übergeben.
 
2.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin und der private Beschwerdegegner nicht die leiblichen Eltern (oder Adoptiveltern) des Kindes seien. Darüber müsse jedoch nicht abschliessend entschieden werden, da auch der blosse "Registervater" Träger der elterlichen Gewalt im Sinne von Art. 220 StGB sein könne.
 
2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Registereintrag sei "nachgewiesenermassen unrichtig, ja von ihr" und dem privaten Beschwerdegegner "mittels gefälschter Geburtsurkunde erschlichen worden". Sowohl die I. Zivilkammer (welche mit dem Scheidungsverfahren befasst war) als auch die II. Strafkammer des Obergerichtes gingen davon aus, dass der Registereintrag falsch und das Kind D.________ weder der Sohn der Beschwerdeführerin noch des privaten Beschwerdegegners sei. Zwar werde im angefochtenen Urteil erwogen, das bestehende faktische Kindesverhältnis bzw. die Registerelternschaft könne nur (auf entsprechende Anfechtungsklage hin) durch richterliche Anordnung der Registerberichtigung beseitigt werden. Da "aufgrund der Parteiaussagen und der Urkunden" jedoch fest stehe, dass der Registereintrag falsch sei, werde im angefochtenen Strafurteil "klar Bundesrecht verletzt". Ausserdem erscheine der Strafantrag des geschiedenen Ehemannes "in höchstem Grade als rechtsmissbräuchlich".
 
3.
 
Gemäss Art. 220 StGB wird (auf Antrag) mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder der vormundschaftlichen Gewalt (bzw. Sorge) entzieht oder sich weigert, sie ihm zurückzugeben.
 
3.1 Art. 220 StGB stellt ein Vergehen gegen die Familie (Sechster Titel StGB) unter Strafe. Geschütztes Rechtsgut ist primär die Ausübung der Rechte und Pflichten durch den betroffenen Inhaber der elterlichen Gewalt bzw. Sorge (BGE 125 IV 14 E. 2a S. 15; 118 IV 61 E. 2a S. 63; 108 IV 22 S. 24; 98 IV 35 E. 2 S. 37, je mit Hinweisen; Botschaft über die Änderung des StGB vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1009 ff., S. 1060; vgl. Susanne Hüppi, Straf- und zivilrechtliche Aspekte der Kindesentziehung gemäss Art. 220 StGB mit Schwergewicht auf den Kindesentführungen durch einen Elternteil, Diss. ZH 1988, S. 22 ff., 42; Martin Schubarth, in: Guido Jenny/Martin Schubarth/Peter Albrecht, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 4: Delikte gegen die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Bern 1997, Art. 220 N. 8 f.; Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Straftaten gegen Gemeininteressen, 5. Aufl., Bern 2000, § 27 Rz. 3). Von der Kindesentziehung ist allerdings nicht nur der Erziehungsberechtigte betroffen, sondern auch das Kind, wie gerade der hier zu beurteilende Fall deutlich zeigt. Mittelbar dient Art. 220 StGB daher auch dem Schutz des Familienfriedens bzw. des Kindeswohls (BGE 92 IV 1 E. a S. 2; vgl. Hüppi, a.a.O., S. 30; Schubarth, a.a.O., N. 8).
 
3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann sich auch ein Elternteil der Entziehung eines Unmündigen strafbar machen, der seinem Ehepartner das Kind vorenthält. Dies gilt namentlich für den Fall, dass ein Elternteil, dem im Rahmen vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren ein Besuchsrecht zugesprochen wurde, dieses Besuchsrecht überschreitet bzw. sich weigert, das Kind dem Inhaber der elterlichen Obhut zurückzubringen (BGE 110 IV 35 E. 1c S. 37; 108 IV 22 S. 24; 98 IV 35 E. 2 S. 37 f., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 IV 14 E. 2b S. 16; 118 IV 61 E. 2a S. 63). Gemäss BGE 95 IV 67 f. dürfte selbst ein Ehegatte, der im "ungeschmälerten Besitz der elterlichen Gewalt" steht (also vor einem Zuteilungsentscheid des Massnahmenrichters), nicht eigenmächtig über das Kind verfügen und dieses dem Ehepartner entziehen. Da beide Elternteile das Recht haben, an der Betreuung und Erziehung mitzuwirken, dürfe der andere Ehegatte die elterliche Gewalt nicht für sich alleine beanspruchen.
 
3.3 Gemäss den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 Satz 2 BStP) handelt es sich bei der Beschwerdeführerin und dem privaten Beschwerdegegner weder um die leiblichen noch um Adoptiveltern des Kindes D.________.
 
Solange sie unmündig sind, stehen Kinder unter elterlicher Sorge (Art. 296 Abs. 1 ZGB). Während der Ehe üben die Eltern das Sorgerecht gemeinsam aus. Wird der gemeinsame Haushalt aufgehoben oder die Ehe getrennt, so kann das Gericht die elterliche Sorge einem Ehegatten allein zuteilen (Art. 297 Abs. 1-2 ZGB). Grundsätzlich bestimmt sich der Inhaber der elterlichen Gewalt (bzw. Sorge) im Sinne von Art. 220 StGB (i.V.m. Art. 296 f. ZGB) nach den Regeln des Zivilrechts (BGE 92 IV 1 E. b S. 3; vgl. Hüppi, a.a.O., S. 6; Jörg Rehberg, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 21; Schubarth, a.a.O., Art. 220 N. 20; Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, Art. 220 N. 1). Das Kindesverhältnis entsteht nach den Bestimmungen von Art. 252-269c ZGB zur Mutter durch Geburt oder Adoption, zum Vater durch die Ehe mit der Mutter oder durch besonderen Rechtsakt (Adoptionsverfügung, Kindesanerkennung, Vaterschaftsurteil; vgl. dazu Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. Aufl., Bern 1999, Rz. 2.06, 3.02 ff.).
 
Im vorliegenden Fall ist kein solches gesetzliches Kindesverhältnis zwischen dem Kind und der Beschwerdeführerin bzw. dem privaten Beschwerdegegner ersichtlich. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei daher der objektive Tatbestand von Art. 220 StGB nicht anwendbar. Das Fehlen eines gesetzlichen Kindesverhältnisses schliesst indessen die Ausübung elterlicher Gewalt/Sorge (bzw. die Ausübung einer familienrechtlich geschützten Erziehungsbefugnis) im Rahmen einer faktischen Elternschaft nicht zum Vornherein aus. Laut bundesrätlicher Botschaft könne Art. 220 StGB namentlich auf Fälle anwendbar sein, "in denen die unmündige Person von einem Heim oder einem anderen Pflegeort weggeholt oder ferngehalten wird" (BBl 1985 II 1060; vgl. auch GVP AR 1990, Nr. 3167, S. 91; Hüppi, a.a.O., S. 6, 36 ff., 126 ff.; Schubarth, a.a.O, Art. 220 N. 29 in fine; Trechsel, a.a.O., Art. 220 N. 1). Auch das Familienrecht anerkennt (in gewissen Grenzen) die vertretungsweise ausgeübte bzw. die faktische "elterliche Gewalt" (z.B. von Pflegeeltern [Art. 300 ZGB], des Stiefelternteils [Art. 299 ZGB] oder von anderen Betreuern, zu denen kein gesetzliches Kindesverhältnis im Sinne von Art. 252-269c ZGB besteht). Faktische Familienverhältnisse können unter gewissen Umständen auch kindesrechtliche Befugnisse und Pflichten nach sich ziehen (vgl. Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, a.a.O., Rz. 10.04, 25.11 ff., 27.43). Unter welchen konkreten Umständen auch faktische Familien durch Art. 220 StGB strafrechtlich geschützt werden, ist hier jedoch nicht abschliessend zu beurteilen. Entscheidend erscheint im vorliegenden Fall nämlich, dass der Massnahmenrichter im Scheidungsverfahren die elterliche Obhut des Kindes am 3. September 1998 dem privaten Beschwerdegegner zugewiesen hat.
 
3.4 Für die Frage, ob das hier zu beurteilende faktische Kindesverhältnis unter strafrechtlichem Schutz steht, erscheinen folgende Gesichtspunkte von massgeblicher Bedeutung:
 
Zunächst war das (angebliche leibliche) Kindesverhältnis zur Beschwerdeführerin und zum privaten Beschwerdegegner seit vierzehn Jahren in den Zivilstandsregistern (Familienregister) eingetragen. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz blieb der Eintrag bis heute unangefochten. Die öffentlichen Register bringen den vollen Beweis der durch sie bezeugten Tatsachen, bis die allfällige Unrichtigkeit der Eintragung nachgewiesen ist (Art. 9 Abs. 1 ZGB, sog. "öffentlicher Glaube" bzw. Publizitätswirkung der Register; vgl. BGE 117 II 11 E. 4 S. 12 f.; 110 II 1 E. 3a S. 2 f.; 74 II 206, je mit Hinweisen; s. auch Andreas Bucher, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. Aufl., Basel 1999, Rz. 287; Cyril Hegnauer, Berner Kommentar zum ZGB, Bern 1984, Art. 252 N. 59, Art. 255 N. 55). "Registereltern" können grundsätzlich (ungeachtet ihrer tatsächlichen Elternschaft) die Rechte und Pflichten aus dem Kindesverhältnis geltend machen, wozu (im Rahmen der elterlichen Sorge) auch die Erziehungsbefugnis gehört. Das entsprechende faktische Kindesverhältnis und dessen Wirkungen können nur dadurch beseitigt werden, dass ein schweizerischer Richter (auf entsprechende Berichtigungsklage hin) die Nichtelternschaft der fälschlich registrierten Person feststellt und die entsprechende Registerberichtigung verfügt (vgl. Hegnauer, Kommentar ZGB, a.a.O., Art. 252 N. 71 f., 88; Art. 255 N. 55, 64 ff.; s. auch BGE 41 II 425).
 
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sowohl im vorsorglichen Massnahmenentscheid vom 3. September 1998 als auch im Scheidungsurteil vom 20. Oktober 1999 die elterliche Obhut des Kindes dem privaten Beschwerdegegner zugewiesen wurde, und zwar ausdrücklich im Wissen darum, dass es sich womöglich um eine blosse "Registervaterschaft" handeln könnte.
 
3.5 Nicht zu folgen ist der Argumentation der Beschwerdeführerin, bei lediglich faktischen Familienverhältnissen bzw. bei "Registereltern" sei der objektive Tatbestand von Art. 220 StGB zum Vornherein ausgeschlossen.
 
Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführerin, der private Beschwerdegegner und das Kind D.________ (nach den Feststellungen der Vorinstanz) zunächst während etwa sechs Jahren zu dritt als Familie zusammengelebt. Unbestrittenermassen waren die Beschwerdeführerin und ihr damaliger Ehemann zumindest faktisch und aus sozialer Sicht die Eltern des Kindes. Der private Beschwerdegegner hat das Kind während mehr als elf Jahren betreut. Dabei war er ca. fünf Jahre lang auf sich alleine gestellt, nachdem die Beschwerdeführerin den gemeinsamen Haushalt ungefähr 1994 verlassen hatte und sich danach überwiegend in Ankara und Nordzypern aufhielt. Selbst wenn der Eintrag der (biologischen) Elternschaft im Zivilstandsregister (nach dem Scheitern der Adoptionsbemühungen) auf einer gefälschten Geburtsurkunde beruhte, stehen die betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich unter dem Schutz von Art. 220 StGB.
 
Auch bei blossen "Registereltern", die zwar weder die biologischen noch die Adoptiveltern des betroffenen Kindes sind, die aber mit dem Kind über längere Zeit als Familie zusammenleben, kann grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse an der Bewahrung des Familienfriedens bzw. am Schutz der Befugnisse des faktisch Erziehungsberechtigten bestehen. In diesem Zusammenhang ist auch dem grundrechtlichen Gesamtkontext Rechnung zu tragen. Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung (Art. 11 Abs. 1 BV). Art. 14 BV gewährleistet das Recht auf Familie. Auch Art. 8 EMRK schützt das Familienleben vor staatlichen (bzw. staatlich geduldeten) Eingriffen. Unter den Schutz von Art. 8 EMRK fallen grundsätzlich nicht nur leibliche Eltern-/Kindverhältnisse oder Adoptiv-Kindesverhältnisse, sondern (in gewissen Grenzen) auch faktisch-soziale Lebensgemeinschaften. Von zentraler Bedeutung ist in dem Zusammenhang das Kindeswohl (vgl. Jochen A. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl u.a. 1996, Art. 8 N. 15, 22 ff.). Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (SR 0.107) schützt das Kind ausdrücklich vor rechtswidrigen Eingriffen in seine Familienbeziehungen bzw. vor rechtswidriger Trennung von seinen Eltern bzw. einem Elternteil (vgl. Art. 8 und Art. 9 UNO-Kinderrechtekonvention, s. auch Art. 14 Abs. 2, Art. 16 und Art. 18 Abs. 1).
 
3.6 Nach dem Gesagten steht die Auffassung der Vorinstanz, der private Beschwerdegegner sei Träger der elterlichen Gewalt im Sinne von Art. 220 StGB gewesen, im Einklang mit dem Bundesrecht. Da die Beschwerdeführerin am 4. Juli 1999 lediglich ein (vom Massnahmenrichter eingeräumtes) Besuchsrecht ausübte und das Kind seither nicht an den Erziehungsberechtigten zurück brachte, ist der objektive Tatbestand von Art. 220 StGB erfüllt. Sie ist strafrechtlich gleich zu behandeln wie ein leiblicher Elternteil, der sein Besuchsrecht im Rahmen angeordneter vorsorglicher Massnahmen überschreitet bzw. die Rückgabe des Kindes verweigert (vgl. BGE 125 IV 14 E. 2b S. 16; 110 IV 35 E. 1c S. 37; 108 IV 22 S. 24).
 
4.
 
Ein Strafantrag des Erziehungsberechtigten liegt ebenfalls vor. Nach der Praxis des Bundesgerichtes kommt einem Elternteil, dem (im Rahmen vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren) die Obhut über das Kind zugeteilt wurde, auch gegenüber dem anderen Elternteil das Strafantragsrecht zu (BGE 108 IV 22 S. 24 f.). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erscheint der Strafantrag des privaten Beschwerdegegners nicht als rechtsmissbräuchlich erhoben.
 
Ein rechtsmissbräuchlicher Strafantrag ist gerade bei Kindesentziehung nur mit Zurückhaltung anzunehmen (vgl. BGE 104 IV 90 E. 3b S. 95). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens verlangt wird, das der Antragssteller durch rechtswidrige Provokation ausgelöst hat. Ein solcher Fall ist nach der Praxis des Bundesgerichtes gegeben, wenn der strafantragstellende Elternteil die Ausübung des Besuchsrechtes durch den anderen Elternteil zunächst ständig schikanös behindert hat und dann wegen geringfügiger Überschreitung des Besuchsrechtes eine Bestrafung beantragt (BGE 105 IV 229 E. 2-4 S. 231 ff., E. 4 S. 234; 104 IV 90 E. 3 S. 94-96). Im vorliegenden Fall hat der Registervater während elf Jahren die Elternfunktion ausgeübt und faktisch gelebt. Folgerichtig hat ihm der Massnahmenrichter mit Verfügung vom 3. September 1998 die elterliche Obhut über das Kind anvertraut. Der private Beschwerdegegner hatte im Zeitpunkt des inkriminierten Sachverhaltes somit ein schutzwürdiges Interesse an der Respektierung seiner Betreuungsrechte. Dass er das Besuchsrecht der Beschwerdeführerin behindert hätte, wird nicht behauptet und geht auch nicht aus den Akten hervor. Was den unzutreffenden Registereintrag betrifft, kann sich die Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben nicht auf Rechtsmissbrauch berufen, nachdem sie (nach eigener Darlegung) an der Erschleichung des Registereintrages selbst massgeblich beteiligt war.
 
5.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 278 Abs. 1 BStP).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.--- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht, II. Strafkammer, des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. Juli 2002
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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