VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer C 140/2000  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer C 140/2000 vom 07.08.2002
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 140/00 /Rp
 
Urteil vom 7. August 2002
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Signorell
 
Parteien
 
M.________, 1960, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Strassburgstrasse 11, 8021 Zürich,
 
gegen
 
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie, Sektion Oberaargau-Emmental, Alter Markt 5, 3402 Burgdorf, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Bern
 
(Entscheid vom 30. März 2000)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 2. Juli 1998 lehnte die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie (nachfolgend: Kasse) ein Gesuch der M.________ auf Gewährung von Kinderzuschlägen für die Zeit vom 1. April 1996 bis 31. März 1998 ab.
 
B.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. März 2000 ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ das vorinstanzliche Begehren erneuern.
 
Die Kasse schliesst (sinngemäss) auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichtet auf Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Ein volles Taggeld der Arbeitslosenversicherung beträgt 80 % des versicherten Verdienstes. Der Versicherte erhält zudem einen Zuschlag, der den auf den Tag umgerechneten gesetzlichen Kinder- und Ausbildungszulagen entspricht, auf die er Anspruch hätte, wenn er in einem Arbeitsverhältnis stünde. Dieser Zuschlag wird nur ausbezahlt, soweit die Kinderzulagen während der Arbeitslosigkeit nicht ausgerichtet werden (Art. 22 Abs. 1 AVIG [in der Fassung vom 5. Oktober 1990, in Kraft seit 1. Januar 1992]).
 
Gemäss Art. 20 Abs. 3 Satz 1 AVIG erlischt der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn er nicht innert dreier Monate nach dem Ende der Kontrollperiode, auf die er sich bezieht, geltend gemacht wird. Als Kontrollperiode gilt jeder Kalendermonat, für den der Arbeitslose Entschädigungsansprüche geltend macht. Diese für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs gesetzte Frist ist eine Verwirkungsfrist (vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, RZ 74 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung), die weder einer Erstreckung noch einer Unterbrechung, in sinngemässer Anwendung von Art. 35 OG und Art. 24 VwVG aber einer Wiederherstellung zugänglich ist (BGE 114 V 123 mit Hinweisen).
 
2.
 
2.1 Die 1960 geborene M.________, die Mutter von vier Kindern ist, verlor ihre Arbeitsstelle als Küchenhilfe in einem Restaurant per 31. März 1996. In der Folge meldete sie sich zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenversicherung an und bezog bis zu ihrer Aussteuerung Ende März 1998 Taggelder. Während der Arbeitslosigkeit nahm sie immer wieder Zwischenverdiensttätigkeiten an. Wahrscheinlich im Rahmen einer über längere Zeit (ab Juli 1997) erfolgten Beschäftigung bei einem Hotelbetrieb erfolgte eine Anmeldung bei der Verbandsausgleichskasse Gastrosuisse zum Bezug von Kinderzulagen, welche am 5. Juni 1998 rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Mai 1996 das frühere Arbeitsverhältnis betreffende Kinderzulagen nachzahlte. Gestützt auf diesen Entscheid verlangte die Beschwerdeführerin anfangs Juni 1998 bei der Kasse für die Dauer der Arbeitslosigkeit (1. April 1996 bis 31. März 1998) die Nachzahlung der nicht bezahlten Kinderzuschläge. Die Kasse wies die Versicherte am 8. Juni 1998 darauf hin, dass der Anspruch auf Kinderzuschläge drei Monate nach Ende der Kontrollperiode erlösche, weshalb eine Zahlung nur noch für den Monat März entrichtet werden könne, sofern die fehlenden Unterlagen innert zehn Tagen, spätestens jedoch bis zum 30. Juni 1998, eingereicht würden. Nachdem diese Aufforderung erfolglos geblieben war, stellte die Kasse mit Verfügung vom 2. Juli 1998 fest, der (arbeitslosenversicherungsrechtliche) Anspruch auf Kinderzuschläge für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 31. März 1998 sei verwirkt.
 
2.2 Nach der Rechtsprechung zu Art. 46 IVG, die analog auch auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung gilt (BGE 111 V 264 Erw. 3b), wahrt der Versicherte mit der Anmeldung bei der Invalidenversicherungs-Kommission grundsätzlich alle seine zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Versicherung bestehenden Leistungsansprüche, auch wenn er diese im Anmeldeformular nicht im einzelnen angibt. Dieser Grundsatz findet nicht Anwendung auf Leistungen, die in keinem Zusammenhang mit den sich aus den Angaben des Versicherten ausdrücklich oder sinngemäss ergebenden Begehren stehen und für die auch keinerlei aktenmässige Anhaltspunkte die Annahme erlauben, sie könnten ebenfalls in Betracht fallen. Denn die Abklärungspflicht der Verwaltung erstreckt sich nicht auf alle überhaupt möglichen Leistungsansprüche, sondern nur auf die vernünftigerweise mit dem vorgetragenen Sachverhalt und allfälligen bisherigen oder neuen Akten im Zusammenhang stehenden Leistungen. Macht der Versicherte später geltend, er habe abgesehen von der verfügungsmässig zugesprochenen bzw. verweigerten Leistung noch Anspruch auf eine andere Versicherungsleistung und er habe sich hiefür rechtsgültig angemeldet, so ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles im Lichte des Grundsatzes von Treu und Glauben zu prüfen, ob jene frühere ungenaue Anmeldung auch den zweiten, allenfalls später substantiierten Anspruch umfasst (BGE 101 V 112 mit Hinweisen).
 
3.
 
3.1 Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, hatte die Beschwerdeführerin ihren Anspruch auf Gewährung des Kinderzuschlages weder bei der Anmeldung zum Leistungsbezug noch in den monatlichen Kontrollausweisen jemals geltend gemacht. Nachdem sie sowohl im Anmeldeformular als auch auf den monatlichen Kontrollausweisen die gestellte Frage, ob sie Kinder habe, für die ihr oder dem anderen Elternteil ein Anspruch auf Kinder- und/oder Ausbildungszulagen zustehe oder ob sich an diesen Verhältnissen etwas geändert habe, stets verneinte, hatte die Verwaltung im Sinne der in Erw. 2.2 vorne dargestellten Rechtsprechung keinen Anlass zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin neben dem gewöhnlichen Taggeld im Weiteren Anspruch auf arbeitslosenversicherungsrechtliche Kinderzuschläge hätte. Da sodann unbestritten ist, dass für die Zeit nach dem 1. März 1998 keine Unterlagen einreicht wurden, stellte die Vorinstanz richtig fest, dass die geltend gemachten Ansprüche verwirkt sind.
 
Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen daran nichts zu ändern. Der dort vertretenen Auffassung, die Geltendmachung des Taggeldanspruchs beinhalte auch jenen auf Kinderzuschläge, kann nicht gefolgt werden. Der Kinderzuschlag ist keine Leistungsart der Arbeitslosenversicherung (Art. 7 Abs. 2 AVIG). Art. 22 Abs. 1 2. Satz AVIG beinhaltet nicht eine Bemessungsnorm für die Arbeitslosenentschädigung. Der Zuschlag steht in keinem Zusammenhang mit den Bemessungsgrundlagen der Arbeitslosenentschädigung. Dessen Höhe wird vielmehr ausschliesslich nach dem Ansatz gemäss dem Familienzulagengesetz des Wohnsitzkantons festgelegt. Sodann wird dieser nach der Anzahl kontrollierter und grundsätzlich anspruchsberechtigter (also auch für nicht entschädigungsberechtigte Warte- und Einstelltage) Arbeitslosentage berechnet (vgl. zum Ganzen Rz 161-169 dem vom Staatssekretariat für Wirtschaft [seco] herausgegebenen Kreisschreiben über die Arbeitslosenentschädigung [KS-ALE] in der seit 1. Januar 1992 gültigen Fassung). Nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin herleiten lässt sich sodann aus dem Umstand, dass die Verbandsausgleichskasse Gastrosuisse rückwirkend Kinderzulagen entsprechend dem jeweiligen Beschäftigungsgrad ausrichtete. Denn - im Gegensatz zum AVIG - sieht Art. 25 des bernischen Gesetzes über Kinderzulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom 5. März 1961 vor, dass das Nachforderungsrecht für nicht bezogene Kinderzulagen erst nach Ablauf von fünf Jahren seit deren Fälligkeit verjährt.
 
3.2 Zutreffend sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen zur Möglichkeit der Wiederherstellung einer unbenutzt abgelaufenen Frist. Mit zutreffender Begründung lehnte es das kantonale Gericht ab, die versäumte Frist zur Geltendmachung des Anspruchs auf Kinder- und Ausbildungszuschläge wiederherzustellen. Darauf wird verwiesen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), Abteilung Arbeitsvermittlung, Bern, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 7. August 2002
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
i.V.
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).