VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2P.21/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2P.21/2003 vom 24.04.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2P.21/2003 /bmt
 
Urteil vom 24. April 2003
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
 
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
 
Gerichtsschreiber Häberli.
 
Parteien
 
S.________,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jean Plancherel, Seebahnstrasse 85, 8003 Zürich,
 
gegen
 
W.________,
 
Beschwerdegegner,
 
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich, c/o Obergericht, Hirschengraben 15, 8023 Zürich.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte; Kostenauflage),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich vom 5. Dezember 2002.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
S.________ und ihr langjähriger Lebenspartner B.________ führen Rechtsstreite mit dem gemeinsamen Sohn sowie den drei Kindern, welche S.________ von ihrem verstorbenen Ehemann hat. In diesem Zusammenhang suchten die beiden gemeinsam Rechtsanwalt Dr. W.________ auf, der sich in der Folge als dritter Anwalt mit dem Familienstreit befasste. Nachdem sich S.________ und der - offenbar sehr vermögende - B.________ anfänglich mit den Honorarforderungen von Rechtsanwalt W.________ einverstanden erklärt hatten, verlangten sie kurz darauf von diesem, dass er das Mandat im Rahmen einer unentgeltlichen Prozessführung für S.________ führe. Nachdem W.________ dazu nicht bereit war und sein Mandat per 14. Dezember 2001 (nur eine Woche nach der Übernahme) niederlegte, erstattete S.________ am 7. Januar 2002 Anzeige bei der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich.
 
B.
 
Nach längerer Korrespondenz mit S.________, in welcher diese unter anderem auf das Kostenrisiko für leichtfertige Anzeigeerhebung hingewiesen worden war, eröffnete die Aufsichtskommission am 6. Mai 2002 ein Disziplinarverfahren betreffend "Geschäftsführung und Aktenherausgabe" (§ 7 Abs. 1 und § 12 Abs. 3 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den Anwaltsberuf [AnwG]) gegen W.________. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2002 hielt sie fest, dass kein Disziplinarfehler vorliege, und stellte das Verfahren ein. Sie auferlegte die Verfahrenskosten von 2'969 Franken wegen Leichtfertigkeit der Anzeige S.________ und verpflichtete diese, W.________ eine Parteientschädigung von 2'500 Franken zu bezahlen. Sie begründete ihren Kostenentscheid im Wesentlichen damit, dass S.________ Anzeige erhoben habe, obschon sie wusste, dass sie nicht mittellos ist und deshalb keinen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung hat.
 
C.
 
Am 28. Januar 2003 hat S.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid im Kosten- und Entschädigungspunkt aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV).
 
Sowohl W.________ als auch die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Beschwerdeführerin ist mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangt. Es stellt sich vorab die Frage nach der Zulässigkeit dieses Rechtsmittels.
 
1.1 Bis anhin waren die Verhaltenspflichten der Rechtsanwälte und die Disziplinarsanktionen, welche für Verstösse gegen diese Pflichten verhängt werden können, ausschliesslich kantonalrechtlich geregelt. Als eidgenössisches Rechtsmittel war in diesem Bereich deshalb einzig die staatsrechtliche Beschwerde gegeben. Inzwischen ist am 1. Juni 2002 das Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) in Kraft getreten, welches neben den Berufsregeln (Art. 12) insbesondere auch das Disziplinarrecht (Art. 17) abschliessend regelt (vgl. die Botschaft des Bundesrats vom 28. April 1999, in: BBl 1999 6054, 6060). Gegen letztinstanzliche kantonale Disziplinarentscheide steht nunmehr gestützt auf Art. 97 ff. OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen. Die Regelung des Verfahrens bleibt dabei Sache der Kantone (Art. 34 Abs. 1 BGFA), wobei aber nach Art. 98a OG als letzte kantonale Instanz eine richterliche Behörde entscheiden muss (vgl. BBl 1999 6058).
 
1.2 Der disziplinarrechtlich beurteilte Sachverhalt hat sich vorliegend vor Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes abgespielt; auch das Verfahren wurde vor diesem Zeitpunkt eröffnet. Der angefochtene Entscheid wurde indessen unter der Herrschaft des neuen Bundesgesetzes gefällt. Es könnte deshalb als Rechtsmittel auf Bundesebene bereits die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Frage kommen, wobei diesfalls aufgrund von Art. 98a OG als kantonale Vorinstanz ein Gericht amten müsste. Gemäss BGE 126 I 228 E. 2a S. 234 stellt die zürcherische Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte - jedenfalls unter dem Gesichtswinkel von Art. 6 EMRK - keine richterliche Behörde dar. § 7 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 15. Mai 2002 betreffend die Anpassung des kantonalen Rechts an das eidgenössische Anwaltsgesetz gewährleistet die Befolgung von Art. 98a OG, indem er bei Zulässigkeit der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Aufsichtskommission eine Rekursmöglichkeit an das Obergericht (Verwaltungskommission) vorsieht. Aufgrund der folgenden Erwägungen kann offen bleiben, ob gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Sanktionierung von Disziplinarverstössen, die sich vor Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes ereignet haben, aber unter dessen Herrschaft zur Beurteilung gelangen, gleich wie für rein neurechtliche Fälle die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu ergreifen ist; dasselbe gilt für die Frage, inwieweit dieses Rechtsmittel gegebenenfalls auch dem erfolglosen Anzeiger zur Verfügung stünde.
 
2.
 
2.1 Ist das gegen den angefochtenen Entscheid zur Verfügung stehende Rechtsmittel, wovon die Beschwerdeführerin ausgeht, die staatsrechtliche Beschwerde, so richtet sich dessen Legitimation nach Art. 88 OG. Danach ist zur staatsrechtlichen Beschwerde befugt, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen eigenen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist; allgemeine öffentliche Interessen können mit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht verfolgt werden. Nun dient aber die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte öffentlichen und nicht etwa privaten Interessen allfälliger Geschädigter. Verzichtet die zuständige Behörde auf eine Disziplinierung, so spricht deshalb das Bundesgericht dem Anzeiger die Legitimation nach Art. 88 OG in konstanter Rechtsprechung ab; diesem kommt kein rechtlich geschützter Anspruch auf Disziplinierung des Anwalts zu (BGE 109 Ia 90; 94 I 67 f.; vgl. auch BGE 119 Ib 241 E. 1c S. 244). Soweit sich die Eingabe der Beschwerdeführerin - zumindest implizit - gegen den Entscheid in der Sache richtet, ist deshalb nicht darauf einzutreten.
 
2.2 Der Beschwerdeführerin wurden die Kosten des kantonalen Verfahrens im Betrage von Fr. 2'969.-- auferlegt und sie wurde zur Bezahlung einer Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- verpflichtet. In dieser Hinsicht greift der angefochtene Entscheid in rechtlich geschützte Interessen der Beschwerdeführerin ein, welche deshalb insoweit legitimiert ist, staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Allerdings bleibt die verfassungsrechtliche Kontrolle auf den Kostenspruch als solchen beschränkt und kann nicht dazu führen, dass indirekt auch der Entscheid in der Sache überprüft wird (BGE 109 Ia 90; vgl. auch BGE 106 Ia 237 E. 2 S. 238). Es fragt sich demnach vorliegend einzig, ob der streitige Kostenspruch aus Gründen verfassungswidrig ist, die nicht mit dem Entscheid der Aufsichtsbehörde in der Sache in Zusammenhang stehen. So kann die Beschwerdeführerin etwa rügen, für eine Kostenauflage fehle es an der gesetzlichen Grundlage bzw. das kantonale Recht sehe die Kostenlosigkeit des Verfahrens vor (vgl. BGE 109 Ia 90), der Kostenspruch stehe im Widerspruch zum Ergebnis des Verfahrens oder die auferlegte Gebühr oder Parteientschädigung sei übersetzt.
 
2.3 § 45 Abs.1 AnwG verweist für die Kostenregelung im Disziplinarverfahren auf § 42, § 188 und § 189 des Zürcher Gesetzes vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (StPO). Gemäss diesen Bestimmungen kann der Anzeiger zur Bezahlung der Verfahrenskosten und allenfalls auch einer Parteientschädigung verpflichtet werden, wenn er die Untersuchung in "verwerflicher oder leichtfertiger" Weise veranlasst hat. Die Beschwerdeführerin beanstandet den Kostenspruch der Aufsichtskommission bloss pauschal, ohne auf die dargestellte Regelung Bezug zu nehmen oder auszführen, inwiefern der angefochtene Entscheid in diesm Punkt verfassungswidrig sei; deshalb erscheint fraglich, ob ihre Ausführungen den gesetzlichen Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201, mit Hinweisen) zu genügen vermögen. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben, zumal die Beschwerdeführerin letztlich nur bestreitet, leichtfertig Anzeige erstattet zu haben, und keine der oben erwähnten (zulässigen) Rügen erhebt. Ihre Vorbringen laufen damit auf eine indirekte Überprüfung des Entscheids in der Hauptsache hinaus, weshalb auf sie so oder anders nicht einzutreten ist.
 
2.4 Ist die staatsrechtliche Beschwerde das zu ergreifende Rechtsmittel, so ist auf sie nach dem Gesagten - mangels Legitimation der Beschwerdeführerin bzw. mangels zulässiger Rügen - nicht einzutreten.
 
3.
 
Unterläge der Sachentscheid der Aufsichtsbehörde bei der gegebenen intertemporalen Konstellation bereits der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, so ergäbe sich - von der Notwendigkeit des vorgängigen Weiterzugs an eine gerichtliche Instanz gemäss Art. 98a OG abgesehen - bezüglich der Legitimation der Beschwerdeführerin Folgendes:
 
3.1 In einer durch Bundesverwaltungsrecht geregelten aufsichtsrechtlichen Streitigkeit ist der Anzeiger gestützt auf Art. 103 lit. a OG dann zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wenn die angerufene Behörde zur Ausübung der Aufsicht verpflichtet ist und der Anzeiger an der abgelehnten Aufsichtsmassnahme ein konkretes schutzwürdiges Interesse hat (vgl. BGE 120 Ib 351 E. 3b S. 355 betreffend die Anzeige eines Anlegers bei der Eidgenössischen Bankenkommission; vgl. auch Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 223 ff.). Vorliegend ist zwar die Aufsichtskommission als kantonale Aufsichtsbehörde verpflichtet, die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte auszuüben (Art. 14 BGFA; vgl. BBl 1999 6058). Dem Beschwerdeführer fehlt es jedoch in der Sache selbst an einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG: Es geht hier nicht etwa um aufsichtsrechtliche Verhaltensanweisungen an einen Anwalt, wie dieser ein noch hängiges Mandat zu führen hat, sondern allein um eine nachträgliche disziplinarrechtliche Sanktionierung behaupteter Verstösse gegen die anwaltlichen Berufspflichten. An solchen Anordnungen hat der Anzeiger kein schutzwürdiges eigenes Interesse, das ihn zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimieren würde. Es verhält sich diesbezüglich gleich wie bei der Disziplinaraufsicht über die öffentlichen Bediensteten: Der durch das fehlbare Verhalten eines Beamten Betroffene kann dagegen sowohl zivil- als auch strafrechtlich vorgehen und die hierüber ergehenden Entscheide mit den einschlägigen prozessualen Mitteln anfechten. Hingegen hat er regelmässig keinen Anspruch darauf, dass seinem Begehren um Durchführung einer Disziplinaruntersuchung oder um Verhängung einer Disziplinarmassnahme gegen den Beamten entsprochen wird. Er kann weder die Einstellung des Verfahrens noch die allenfalls verhängte Disziplinarsanktion anfechten (vgl. Peter Hänni, in: Koller/Müller/Rhinow/Zimmerli, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel 1996, Personalrecht des Bundes, N 190, S. 93).
 
3.2 Bezüglich der Anfechtung des Kostenspruchs wäre das nach Art. 103 lit. a OG erforderliche schutzwürdige Interesse an sich gegeben. Doch ist auch in diesem Punkt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten: Zwar kann bei Anfechtung eines sich materiell auf Bundesverwaltungsrecht stützenden kantonalen Entscheids im gleichen Verfahren - kraft Sachzusammenhangs - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch der auf kantonalem Verfahrensrecht beruhende Kostenspruch auf seine Bundesrechtskonformität hin überprüft werden; es braucht in diesem Punkt nicht gesondert staatsrechtliche Beschwerde erhoben zu werden (BGE 122 II 274 E. 1b/aa S. 277 f.). Wird dagegen nur gerade der Kostenspruch angefochten, steht als Rechtsmittel einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung (BGE 122 II 274 E. 1b/bb S. 278). Vorliegend ficht die Beschwerdeführerin den Entscheid der Aufsichtskommission - zumindest implizit - nicht nur hinsichtlich des Kostenspruchs sondern auch in der Hauptsache an, auf welche intertemporal allenfalls das eidgenössische Anwaltsgesetz und mithin Bundesverwaltungsrecht Anwendung finden könnte. Nach dem Gesagten geht ihr jedoch diesbezüglich die Legitimation gemäss Art. 103 lit. a OG ab. Ist nun aber die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in der Hauptsache unzulässig, so fehlt es an einem Sachzusammenhang, welcher es erlauben würde, den Kostenspruch trotz dessen kantonalrechtlicher Natur im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu überprüfen.
 
4.
 
Es besteht daher kein Anlass, die ausdrücklich als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnete Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegen zu nehmen. Auf eine solche wäre nach dem Gesagten, selbst wenn dieses Rechtsmittel bei der vorliegenden intertemporalen Konstellation an sich bereits zulässig sein sollte, nicht einzutreten. Der Beschwerdeführerin steht für die Anfechtung des streitigen Kostenspruchs nur die staatsrechtliche Beschwerde offen, auf welche hier aber - wie dargelegt - (auch) nicht einzutreten ist.
 
5.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG). Parteientschädigung ist keine auszurichten, zumal sich der Beschwerdegegner nicht anwaltlich vertreten liess und auf Stellungnahme verzichtet hat (vgl. BGE 119 Ib 412 E. 3 S. 415; 110 V 132 ff.).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. April 2003
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).