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Informationen zum Dokument  BGer H 327/2000  Materielle Begründung
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BGer H 327/2000 vom 30.04.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
H 327/00
 
Urteil vom 30. April 2003
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und nebenamtlicher Richter Walser; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Parteien
 
Ausgleichskasse Wirtschaftskammer 114, Viaduktstrasse 42, 4002 Basel, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________ & Co. AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch W.________
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal
 
(Entscheid vom 17. Mai 2000)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Urteil vom 7. August 1996 hatte das Eidgenössische Versicherungsgericht die Geschäftsführung von Dr. X.________ in der A.________ & Co. AG AHV-rechtlich als unselbstständige Erwerbstätigkeit qualifiziert.
 
Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle vom 30. November 1998 bei der Firma stellte die Revisionsstelle der Ausgleichskasse AGEBAL fest, dass die Firma im Jahr 1997 Dr. X.________ für seine Geschäftsführung Entschädigungen in der Höhe von Fr. 217'842.- ausbezahlt, aber nicht als massgebenden Lohn abgerechnet hatte. Mit Verfügung vom 29. Januar 1999 forderte die Kasse daher von der A.________ & Co. AG paritätische Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten und Verzugszinsen im Ausmass von Fr. 27'448.85 nach.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (heute: Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht) mit Entscheid vom 17. Mai 2000 gut und hob die angefochtene Verfügung auf.
 
C.
 
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
 
Während die A.________ & Co. AG und der als Mitinteressierter beigeladene Dr. X.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters- und Hinterlassenenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 29. Januar 1999) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Bestimmungen anwendbar.
 
2.
 
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.
 
3.
 
In sachverhaltlicher Hinsicht hat die Vorinstanz für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich (Erw. 2 hievor) festgestellt und ist im Übrigen nicht bestritten, dass Dr. X.________ nicht mehr in der durch das Urteil vom 7. August 1996 geprüften Form, d.h. auf Grund eines Beratervertrags zwischen ihm und der A.________ & Co. AG unselbstständig erwerbend für die Beschwerdegegnerin tätig ist. Vielmehr wurde zwischenzeitlich die Dr. X.________ GmbH gegründet, welche mit der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen abrechnet. Dr. X.________ erbrachte als Angestellter dieser GmbH für die A.________ & Co. AG Leistungen. Hiefür stellte die GmbH der AG Honorare in Rechnung. X.________ bezog sodann von der GmbH einen Lohn. Die Ausgleichskasse erachtete 1997 Entschädigungen für von X.________ erbrachte Arbeiten im Betrag von Fr. 217'842.-, obwohl sie an die GmbH ausbezahlt worden waren, als Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit von Dr. X.________, auf welchen die Beschwerdegegnerin paritätische Beiträge nachzuzahlen habe. Die Vorinstanz, die A.________ & Co. AG und Dr. X.________ hingegen lehnen diese Betrachtungsweise ab.
 
4.
 
Zu prüfen ist demnach, ob diese an die GmbH entrichteten Entschädigungen in Wirklichkeit als von der Beschwerdegegnerin an Dr. X.________ ausbezahlter Lohn zu betrachten sind.
 
4.1 Die Beschwerdeführerin vertrat schon im vorinstanzlichen Verfahren den Standpunkt, Dr. X.________ habe nach der Gründung der GmbH innerhalb der Organisation der Beschwerdegegnerin die gleiche Stellung beibehalten wie vorher. Das Konstrukt der Zwischenschaltung einer GmbH sei offensichtlich mit dem Zweck gewählt worden, die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu vermeiden, weshalb eine Beitragsumgehung vorliege.
 
Die Vorinstanz hat demgegenüber erkannt, dass die Kriterien für eine Beitragsumgehung nicht erfüllt seien.
 
4.2 Nach der Rechtsprechung sind die Organe der AHV ebenso wenig wie die Steuerbehörden verpflichtet, die zivilrechtliche Form, in der ein Sachverhalt erscheint, unter allen Umständen als verbindlich anzusehen. Dies gilt namentlich dann, wenn eine Beitragsumgehung vorliegt. Eine solche ist anzunehmen, wenn
 
- die von den Beteiligten gewählte Rechtsgestaltung als unge- wöhnlich, sachwidrig oder absonderlich, jedenfalls den wirtschaft- lichen Gegebenheiten völlig unangemessen erscheint,
 
- anzunehmen ist, dass diese Wahl missbräuchlich und nur deshalb getroffen worden ist, um Beiträge einzusparen, welche bei sach- gemässer Ordnung der Verhältnisse geschuldet wären,
 
- und das gewählte Vorgehen tatsächlich zu einer erheblichen Bei- tragsersparnis führen würde, wenn es von den Organen der AHV hingenommen würde.
 
Sind diese drei Voraussetzungen erfüllt, ist zu entscheiden, wie wenn die Umgehungshandlung nicht stattgefunden hätte, und der Beitragspflicht ist die Ordnung zugrunde zu legen, die sachgemäss dem vom Beitragspflichtigen erstrebten wirtschaftlichen Zweck entsprochen hätte (BGE 113 V 94f. Erw. 4b).
 
4.3 Sowohl die Beschwerdeführerin wie das BSV räumen ein, dass die Gründung einer GmbH und die Anstellung von Dr. X.________ gesetzlich zulässig sind und grundsätzlich nachvollziehbare Gründe für eine solche Rechtsgestaltung bestehen können.
 
Dem ist beizupflichten. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in BGE 113 V 95f. Erw. 4c bei einem EDV-Berater festgehalten, die Ausübung der EDV-Tätigkeit als Angestellter einer vom Berater selbst beherrschten und nach ihm benannten AG entspreche einer allgemein üblichen rechtlichen Ausgestaltung der eigenen Tätigkeit in Form einer Aktiengesellschaft und sei weder als ungewöhnlich, sachwidrig noch als absonderlich zu bezeichnen. Namentlich könne sich auch eine Einzelperson der Aktiengesellschaft bedienen, um ihre Haftung zu beschränken, welche grundsätzlich auch zu Gunsten des Alleineigentümers bzw. Alleinaktionärs gelte. Dies ist ohne weiteres auf eine GmbH anwendbar, wobei im Fall der Dr. X.________ GmbH noch darauf hinzuweisen ist, dass diese mit zwei Gesellschaftern ordnungsgemäss konstituiert ist.
 
4.4 Im vorinstanzlichen Verfahren hatte Dr. X.________ geltend gemacht, dass die Gründung der GmbH im Zusammenhang mit der beabsichtigten Neugestaltung seines beruflichen Lebens stehe. Mit Hilfe dieser Firma gelinge es ihm, seine bis anhin völlig ungenügende Altersvorsorge besser zu gestalten. Auch diese Überlegung ist nachvollziehbar und keineswegs sachwidrig. Denn als selbstständig erwerbender Einzelunternehmer könnte sich Dr. X.________ gemäss Art. 44 BVG nur bei der Vorsorgeeinrichtung seines Berufes, seiner Arbeitnehmer oder bei der Auffangeinrichtung versichern lassen. Ist ein Einzelunternehmer, wie dies bei Dr. X.________ offenbar der Fall ist, ohne Personal tätig, bleibt bei Fehlen einer Verbandsvorsorgeeinrichtung des Berufs nur die Möglichkeit, sich der Auffangeinrichtung anzuschliessen. Demgegenüber kann sich eine GmbH für ihr Personal einer beliebigen Sammeleinrichtung zuwenden.
 
4.5 Die Beschwerdeführerin sieht ein missbräuchliches Vorgehen darin, dass die GmbH rund zwei Monate nach Eröffnung des Urteils vom 7. August 1996 errichtet worden sei. Es könne kein Zufall sein, dass erst in einem Zeitpunkt auf diese Weise vorgegangen worden sei, als die Betroffenen das erwähnte Urteil gekannt hätten. Offensichtlich sei nach einem Weg gesucht worden, um fortan der Entrichtung von AHV-Beiträgen auf den Zahlungen an Dr. X.________ zu entgehen.
 
Auch dieses Argument ist nicht stichhaltig. Dr. X.________ hat schon im kantonalen Prozessen belegt, dass er sich bereits im April 1996, also Monate vor dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts , um die Gründung einer GmbH bemüht und die Statuten, das Gründungsprotokoll sowie Angaben über die Gesellschafter dem Handelsregisteramt des Kantons St. Gallen zur Prüfung eingereicht hatte. Deshalb lässt sich nicht belegen, dass die GmbH einfach als Reaktion auf das Urteil vom 7. August 1996 errichtet worden ist. Dr. X.________ hatte die Überführung der Einzelfirma in eine GmbH schon früher ins Auge gefasst, als das letztinstanzliche Verfahren noch völlig offen war. Zudem hatte das kantonale Gericht mit Entscheid vom 14. Juni 1995 - entsprechend den Anträgen der A.________ & Co. AG - erkannt, dass die damals ausgeübte Beratungstätigkeit als selbstständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren sei.
 
4.6 Als auffällig bezeichnet die Beschwerdeführerin weiter die Tatsache, dass Dr. X.________ im Jahr 1997 von der GmbH einen Lohn von nur Fr. 96'000.- bezogen, diese aber der A.________ & Co. AG Fr. 285'000.- in Rechnung gestellt habe. Solches erscheine als krasses Missverhältnis. Der Vorinstanz ist diese Tatsache nicht entgangen. Sie hat aber in Einklang mit BGE 113 V 96f. Erw. 4c und 5 zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht die gewählte Rechtsgestaltung, sondern die Höhe des an Dr. X.________ ausgerichteten Entgelts im Verhältnis zu den eingegangen Honorareinnahmen ungewöhnlich erscheine. Das Eidgenössisches Versicherungsgericht hat im zitierten Urteil festgehalten, derartige Umstände allein erfüllten die Voraussetzungen für die Annahme einer Beitragsumgehung nicht. Mit Recht hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, dass es Sache der zuständigen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen ist, genauer abzuklären, ob gegebenenfalls weitere Bezüge vorliegen, die als massgeblicher Lohn erfasst werden müssten.
 
4.7 Dass die erwähnte Ausgestaltung effektiv zu einer erheblichen Beitragsersparnis führte, vermag für sich allein die Annahme einer Beitragsumgehung nicht zu rechtfertigen. Ebenso wenig stichhaltig ist das weitere Argument des BSV, dass dadurch gleichzeitig die Beschwerdegegnerin von ihrer Beitragspflicht als Arbeitgeberin befreit werde. Damit übersieht das Bundesamt, dass zwar die A.________ & Co. AG auf den Honorarentschädigungen, die sie für die Tätigkeit von Dr. X.________ an die GmbH zu bezahlen hatte, keine Beiträge abrechnen muss, statt dessen jedoch die GmbH beitragspflichtig wird: Diese hat im Rahmen ihrer ordnungsgemässen Geschäftstätigkeit für die an Dr. X.________ ausgerichteten Entgelte die entsprechenden Beiträge - wenn auch bei einer andern Ausgleichskasse - abzurechnen. Somit ist festzustellen, dass weder die mit der Zwischenschaltung der GmbH gewählte Rechtsgestaltung als ungewöhnlich, sachwidrig oder absonderlich gewertet noch angenommen werden kann, dass diese Wahl missbräuchlich und nur deshalb getroffen worden sei, um Beiträge zu sparen.
 
4.8 Der vom BSV vorgebrachte Hinweis auf AHI 1998 S. 101 ändert schliesslich ebenfalls nichts an diesem Ergebnis. Es kann nicht gesagt werden, dass Dr. X.________ die GmbH einzig und allein dazu gegründet habe, um bei den von der Beschwerdegegnerin erzielten Honoraren Beiträge sparen zu können. Wie der Zusammenstellung der Honorarerträge vom 1. November 1996 bis 31. Dezember 1997 der GmbH entnommen werden kann, hat diese Firma nicht nur Einnahmen für die Tätigkeit bei der Beschwerdegegnerin verbucht, sondern auch solche aus anderen Aufträgen. Dies belegt, dass Dr. X.________ seine Beratertätigkeiten ganz allgemein im Rahmen einer geschäftlichen Neugestaltung über die GmbH abwickelt, welche somit keineswegs nur ein Instrument ist, um die bei der Beschwerdegegnerin erzielten Honorare der Beitragspflicht zu entziehen. Anders als die vom BSV zitierte Kollektivgesellschaft entwickelt die GmbH eigene unternehmerische Aktivitäten, und dies in einem Rahmen, der wie ausgeführt, keineswegs als ungewöhnlich oder sachwidrig bezeichnet werden kann.
 
5.
 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG) und der fachmännisch vertretenen Beschwerdegegnerin eine Entschädigung auszurichten (Art. 159 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von total Fr. 1900.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, dem Bundesamt für Sozialversicherung und X.________ zugestellt.
 
Luzern, 30. April 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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