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Informationen zum Dokument  BGer I 822/2002  Materielle Begründung
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BGer I 822/2002 vom 20.05.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 822/02
 
Urteil vom 20. Mai 2003
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger; Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Jancar
 
Parteien
 
R.________, 1976, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Gsell, Schanzeneggstrasse 1, 8002 Zürich,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 25. Oktober 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 23. Juli 2002 wies die IV-Stelle Zürich das Gesuch der 1976 geborenen R.________ um Zusprechung beruflicher Massnahmen und einer Invalidenrente ab.
 
B.
 
Hiegegen erhob die Versicherte beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung zwecks Gehörsgewährung, eventuell auf Rentenzusprechung und subeventuell auf Rückweisung zu weiteren Abklärungen, worauf die IV-Stelle die Verfügung vom 23. Juli 2002 wiedererwägungsweise aufhob und die Durchführung eines weiteren Vorbescheidverfahrens ankündigte (Verfügung vom 23. Oktober 2002). Das kantonale Gericht schrieb das Verfahren als gegenstandslos ab und sprach der Versicherten eine Prozessentschädigung von Fr. 800.-- (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu (Entscheid vom 25. Oktober 2002).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Versicherte, die Verfügung vom 25. Oktober 2002 sei insofern aufzuheben, als die Sache zur Zusprechung einer vollen Prozessentschädigung an das kantonale Gericht zurückzuweisen sei. Sie reicht die Kostennote ihres Rechtsvertreters vom 30. Oktober 2002 im Betrag von Fr. 2'414.65 (inklusive Mehrwertsteuer) ein.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichten.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Streitig und zu prüfen ist einzig die Höhe der vorinstanzlich zugesprochenen Parteientschädigung.
 
Weil der angefochtene Entscheid am 25. Oktober 2002 erlassen wurde, beurteilt sich diese Frage nicht nach dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, sondern nach dem bis 31. Dezember 2002 geltenden Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil T. vom 23. Januar 2003 Erw. 2.2, H 255/02; vgl. auch BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.
 
Da es sich beim angefochtenen Entscheid nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
3.
 
3.1 Gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung vor der kantonalen Rekursbehörde nach gerichtlicher Festsetzung. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Parteientschädigung besteht, beurteilt sich somit nach Bundesrecht. Dieses enthält jedoch in diesem Bereich keine Bestimmung über die Bemessung der Parteientschädigung und insbesondere keinen Tarif. Die Regelung dieser Frage ist dem kantonalen Recht überlassen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht darf die Höhe einer Parteientschädigung nur daraufhin überprüfen, ob die Anwendung der für ihre Bemessung einschlägigen kantonalen Bestimmungen zu einer Verletzung von Bundesrecht geführt hat (Art. 104 lit. a OG), wobei als Beschwerdegrund praktisch nur das früher aus Art. 4 Abs. 1 aBV abgeleitete, nunmehr in Art. 9 BV verankerte Willkürverbot in Betracht fällt. Nach der zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangenen und weiterhin anwendbaren Rechtsprechung ist eine Entschädigung dann willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 125 V 408 Erw. 3a, 114 V 86 Erw. 4a; SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 6 Erw. 4a, 2001 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 2, 2000 IV Nr. 11 S. 31 Erw. 2a).
 
3.2 Praxisgemäss ist dem erstinstanzlichen Gericht bei der Bemessung der Entschädigung ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen (BGE 114 V 87 Erw. 4b; ZAK 1989 S. 254 Erw. 4b, je mit Hinweisen). Ermessensmissbrauch (Art. 104 lit. a OG) liegt vor, wenn die Behörde zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot der Willkür oder rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt (BGE 123 V 152 Erw. 2, SVR 2000 IV Nr. 11 S. 31 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
 
Im Rahmen seines Ermessens hat das erstinstanzliche Gericht für die Bestimmung der Höhe des Anwaltshonorars die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache, den Umfang der Arbeitsleistung und den Zeitaufwand des Anwalts zu berücksichtigen (BGE 114 V 87 Erw. 4b; vgl. Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht vom 16. November 1992, SR 173.119.2). Dabei kann das durchschnittliche Anwaltshonorar je nach der kantonalen Anwaltsgebühren-Regelung willkürfrei innerhalb einer relativ weiten Bandbreite von ca. Fr. 160.-- bis Fr. 320.-- pro Stunde (eingeschlossen die Mehrwertsteuer; vgl. dazu auch BGE 125 V 201) festgesetzt werden (SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 6 Erw. 4b und c mit Hinweisen).
 
3.3 Nach der Rechtsprechung muss der Entscheid über die zu entrichtende Parteientschädigung in der Regel nicht begründet werden. Um überhaupt eine sachgerechte Anfechtung zu ermöglichen (vgl. hiezu BGE 124 V 181 Erw. 1a mit Hinweisen), wird eine Begründungspflicht jedoch angenommen, wenn sich das Gericht nicht an vorgegebene Tarife oder gesetzliche Regelungen hält oder sofern von einer Partei aussergewöhnliche Umstände geltend gemacht werden (BGE 111 Ia 1; ZAK 1986 S. 134 Erw. 2a) oder schliesslich wenn das Gericht den Rechtsvertreter zur Einreichung einer Kostennote auffordert und die Parteientschädigung abweichend von der Kostennote auf einen bestimmten, nicht der üblichen, praxisgemäss gewährten Entschädigung entsprechenden Betrag festsetzt. Diese Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn der Rechtsvertreter die Kostennote ohne vorgängige richterliche Aufforderung einreicht (SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 5 Erw. 3a, 2000 IV Nr. 11 S. 32 Erw. 3b).
 
4.
 
4.1 Im Verfahren vor dem Sozialversicherungsgericht kann nach der schriftlichen Stellungnahme der Gegenpartei ein weiterer Schriftenwechsel angeordnet werden (§ 19 Abs. 1 und 3 des zürcherischen Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht vom 7. März 1993, GSVGer; vgl. auch § 26 Abs. 3 und § 58 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 [Verwaltungsrechtspflegegesetz; VRG]). Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) ist ein solcher unter anderem dann vorzusehen, wenn die Beschwerdeinstanz in ihrem Entscheid auf erstmals in der Vernehmlassung vorgetragene Tatsachen, Beweismittel oder Rechtsgründe abstellen will (BGE 114 Ia 314 Erw. 4b; Zünd, Kommentar zum Gesetz über das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Zürich 1999, N 7 zu § 19; Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N 35 zu § 26; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, S. 239 Rz 672). Das Bundesgericht hat bezüglich § 19 Abs. 3 GSVGer im Rahmen einer arbeitslosenversicherungsrechtlichen Rückforderungsstreitigkeit entschieden, dass ein zweiter Schriftenwechsel anzuordnen ist, wenn die Verwaltung die angefochtene Verfügung lite pendente aufhebt (nicht veröffentlichtes Urteil G. vom 9. April 1996 Erw. 3c, 2P.297/1995).
 
Gemäss § 9 Abs. 3 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtlichen Gebühren, Kosten und Entschädigungen des Kantons Zürich vom 6. Oktober 1994 (GebV) hat die Partei, die Anspruch auf eine Parteientschädigung erhebt, dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Zusammenstellung über den Zeitaufwand und die Barauslagen einzureichen (Satz 1). Reicht sie die Zusammenstellung nicht rechtzeitig ein, so wird die Entschädigung von Amtes wegen und nach Ermessen festgesetzt (Satz 2).
 
4.2 Der Vertreter der Beschwerdeführerin reichte vor Erlass des angefochtenen Entscheides keine Kostennote ein. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt, weil die Vorinstanz keine Aufforderung zur Einreichung einer Kostennote erlassen habe. Denn in Fällen, wo es wie vorliegend weder zu einem vollständigen einfachen Schriftenwechsel komme noch eine Mitteilung über den Abschluss des Schriftenwechsels erfolge, sei für die Verfahrensparteien die "Rechtzeitigkeit" im Sinne von § 9 Abs. 3 GebV nicht erkennbar.
 
5.
 
5.1 Gestützt auf Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG und die hiezu ergangene Rechtsprechung stellt es keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn das kantonale Gericht die Parteientschädigung ohne ausdrückliche Aufforderung zur Einreichung einer Kostennote von sich aus festsetzt (SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 12 Erw. 3b und c mit Hinweisen).
 
5.2 Am 16. September 2002 erhob der Versicherte Beschwerde gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 23. Juli 2002. Die IV-Stelle hob diese Verfügung am 23. Oktober 2002 lite pendente auf und teilte dies dem kantonalen Gericht gleichentags mit. Dieses erhielt am 24. Oktober 2002 Kenntnis von der Aufhebungsverfügung.
 
Angesichts dieser neuen Tatsache hätte die Vorinstanz einen zweiten Schriftenwechsel anordnen müssen. Indem sie ohne jegliche Informierung der Beschwerdeführerin bereits einen Tag später, nämlich am 25. Oktober 2002, den angefochtenen Abschreibungs- und Parteikostenentscheid erliess, hat sie deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Erw. 4.1 hievor). Mit diesem raschen Vorgehen wurde auch das Recht der Versicherten vereitelt, nach § 9 Abs. 3 GebV "rechtzeitig" eine Kostennote einreichen zu können. Die Vorinstanz hat damit die Parteientschädigung unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften (Erw. 2 hievor) festgesetzt. Die Sache ist daher an sie zurückzuweisen, damit sie die Parteientschädigung der Versicherten für das kantonale Beschwerdeverfahren unter Einbeziehung der Kostennote vom 30. Oktober 2002 gemäss den aufgeführten Bemessungselementen (Erw. 3 hievor) neu festsetze.
 
6.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die IV-Stelle kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario) und sie hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung für das letztinstanzliche Verfahren auszurichten (Art. 159 Abs. 1 und Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Ziffer 3 des Dispositivs des Entscheides des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2002 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie die Parteientschädigung der Beschwerdeführerin für das kantonale Verfahren neu festsetze.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich auferlegt.
 
3.
 
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.-- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
 
4.
 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 20. Mai 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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