VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 5P.370/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 5P.370/2004 vom 05.01.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.370/2004 /bnm
 
Urteil vom 5. Januar 2005
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
 
Gerichtsschreiberin Scholl.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Heinz-Peter Kühnis,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Bolt,
 
Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Art. 8 und 9 BV (Eheschutz),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, vom 26. August 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ (Ehefrau) und X.________ (Ehemann) heirateten im Jahr 1995. Aus ihrer Ehe stammen die beiden gemeinsamen Kinder S.________ und T.________, beide geb. 1996. Y.________ brachte zudem zwei weitere Kinder in die Ehe mit: U.________, geb. 1985, und V.________, geb. 1990. Im Juli 2002 trennten sich die Ehegatten, die vier Kinder wohnen seither bei ihrer Mutter.
 
B.
 
Mit Entscheid vom 18. Mai 2004 regelte der Präsident am Kreisgericht Rheintal das Getrenntleben der Ehegatten. Er verpflichtete X.________ unter anderem zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an seine Ehefrau und an die beiden gemeinsamen Kinder S.________ und T.________. Nachdem Y.________ gegen diesen Entscheid Rekurs erhoben hatte, legte das Kantonsgericht St. Gallen am 26. August 2004 die Unterhaltspflicht von X.________ neu fest: Es verpflichtete ihn unter anderem zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen an Y.________ von Fr. 2'447.-- für den Zeitraum von Dezember 2002 bis Februar 2004. Darin enthalten ist ein Betrag von Fr. 1'688.-- für die beiden Stiefkinder U.________ und V.________. Weiter verpflichtete das Kantonsgericht X.________, sämtliche Steuerschulden des Jahres 2002 und der Vorjahre zu bezahlen. In den übrigen Punkten bestätigte es den vorinstanzlichen Entscheid. Die Unterhaltspflicht für die gemeinsamen Kinder war im kantonsgerichtlichen Verfahren nicht mehr strittig.
 
C.
 
X.________ gelangt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Er verlangt im Wesentlichen die Aufhebung des Entscheids vom 26. August 2004 in Bezug auf die Unterhaltspflicht sowie im Kosten- und Entschädigungspunkt. Strittig sind die an Y.________ sowie die Stiefkinder U.________ und V.________ von Dezember 2002 bis Februar 2004 zu leistenden Beiträge.
 
Ein Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung hat der Präsident der II. Zivilabteilung mit Verfügung vom 20. Oktober 2004 abgewiesen. Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Entscheide oberer kantonaler Instanzen im Eheschutzverfahren gelten nicht als Endentscheide im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG und sind daher nicht mit Berufung anfechtbar. Damit ist in einem solchen Fall einzig die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte gegeben (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; BGE 127 III 474 E. 2 S. 476 ff.). Die vorliegende Beschwerde erweist sich in dieser Hinsicht als zulässig.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer stellt zunächst die angewandte Methode zur Bedarfsberechnung in Frage. Das Kantonsgericht hat sämtliche Kinder aus der Bedarfsberechnung der Ehegatten ausgeklammert, da deren Unterhalt durch die zugesprochenen Unterhaltsbeiträge, die Kinderrenten und Kinderzulagen sowie die Alimentenbevorschussung und den Lehrlingslohn des ältesten Kindes ausreichend gedeckt sei.
 
Der Beschwerdeführer wirft dem Kantonsgericht vor, Elemente von abstrakter und konkreter Berechnungsmethode gemischt zu haben, so dass ein willkürliches Ergebnis resultiere. Auf Grund der komplexen Verhältnisse dränge sich im vorliegenden Fall eine Berechnung nach der konkreten Methode auf. Die kantonsgerichtliche Feststellung, der Bedarf der Kinder sei gedeckt, erweise sich als Untertreibung: Zusammengerechnet würden die genannten "Einkünfte" pro Kind Fr. 1'368.-- ausmachen, was deutlich über dem Barbedarf gemäss den Zürcher Tabellen liege.
 
2.1 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Unterhaltsbeiträge an die beiden gemeinsamen Kinder der Parteien im Rekursverfahren nicht mehr strittig gewesen sind. Gemäss Angaben des Beschwerdeführers hat der Kreisgerichtspräsident deren Unterhalt nach der Prozentregel bemessen. Der Beschwerdeführer hat den erstinstanzlichen Entscheid nicht angefochten und damit insbesondere weder die Berechnungsmethode noch die Höhe dieser Unterhaltsbeiträge im kantonsgerichtlichen Verfahren in Frage gestellt. Soweit der Beschwerdeführer daher in seiner Beschwerde geltend macht, (auch) der Bedarf der gemeinsamen Kinder sei zu hoch bemessen und für ihre Unterhaltsbeiträge eine andere Berechnungsweise verlangt, ist dieses Vorbringen neu, so dass darauf nicht eingetreten werden kann (BGE 118 Ia 20 E. 5a S. 26; 129 I 49 E. 3 S. 57).
 
2.2 Der vom Beschwerdeführer an seine Stiefkinder zu leistende Betrag besteht einzig in einer "Weitergabe" der von ihm bezogenen AHV-Kinderrenten. Das Kantonsgericht hat erwogen, die Kinderrenten seien zweckgebunden und müssten ausschliesslich für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes verwendet werden. Eine (zivilrechtliche) Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers für seine Stiefkinder hat es dagegen nicht angenommen. Da die Zahlungspflicht des Beschwerdeführers damit auf der Zweckbindung der AHV-Kinderrenten beruht (vgl. auch E. 3 nachfolgend) und nicht vom Bedarf der Stiefkinder abhängig ist, erweist sich die Methode des Kantonsgerichts - diese vollständig aus der Bedarfsberechnung der Ehegatten auszuklammern - als haltbar. Die staatsrechtliche Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer wendet sich weiter gegen die Verpflichtung, die zwischen Dezember 2002 und Februar 2004 für die beiden Stiefkinder bezogenen AHV-Kinderrenten diesen zufliessen zu lassen. Er führt aus, er habe diese Beträge zur Tilgung von Schulden der Familie (insbesondere Steuerausstände) verwendet, es sei daher willkürlich, ihn allein unter Berufung auf den Zweck der Renten zu einer vollständigen Nachzahlung zu verpflichten. Auf die besondere Schuldensituation sei Rücksicht zu nehmen. Auch gemäss dem hier analog anwendbaren Art. 285 Abs. 2 ZGB seien Ausnahmen vom Grundsatz der zusätzlichen Bezahlung von Sozialversicherungsrenten möglich.
 
Es ist fraglich, ob Art. 285 Abs. 2 ZGB im vorliegenden Fall anwendbar ist, da der Beschwerdeführer - abgesehen von der Weiterleitung der AHV-Kinderrenten - an die beiden Stiefkinder keine Unterhaltsbeiträge leisten muss. Das Kantonsgericht hat die Weiterleitungspflicht denn auch allein mit dem Zweck der Kinderrenten begründet (vgl. E. 2.2 vorangehend). Dass die AHV-Kinderrenten ausschliesslich für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes zu verwenden sind (vgl. zur IV-Kinderrente: BGE 129 V 362 E. 3.2 S. 364), bestreitet auch der Beschwerdeführer im Grundsatz nicht. Mit Blick auf diesen Bestimmungszweck erscheint es nicht als willkürlich, wenn das Kantonsgericht den Beschwerdeführer verpflichtet hat, die Renten den Stiefkindern zukommen zu lassen, ohne dabei auf die Schuldensituation der Familie Rücksicht zu nehmen (zu den Steuerschulden vgl. auch E. 5.1 nachfolgend). Damit erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde insoweit als unbegründet.
 
4.
 
Weiter kritisiert der Beschwerdeführer die Bedarfsberechnung der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die ihr zugestandenen monatlichen Wohnkosten von Fr. 800.--. Er macht geltend, der für die Kinder ausgeschiedene Anteil am Mietzins von insgesamt Fr. 550.-- sei zu tief. Nach den Zürcher Tabellen müssten für die vier Kinder insgesamt ein Anteil von Fr. 1'120.-- (2 x Fr. 290.-- und 2 x Fr. 270.--) abgezogen werden, so dass die der Beschwerdegegnerin anzurechnenden Wohnkosten noch Fr. 230.-- im Monat betragen würden.
 
Das Kantonsgericht hat die Wohnkosten der Kinder nicht nach den Zürcher Tabellen berechnet. Vielmehr hat es den angemessenen Mietzinsanteil der Kinder geschätzt und sich dabei insbesondere vom Gleichbehandlungsgrundsatz leiten lassen, indem es der Beschwerdegegnerin die gleichhohen Wohnkosten wie dem Beschwerdeführer zugestanden hat.
 
Die direkte Übernahme der Unterkunftskosten gemäss Zürcher Tabellen als Wohnkostenanteil der Kinder - ohne Berücksichtigung des effektiven Mietzinses - trägt den konkreten Verhältnissen nicht ausreichend Rechnung. Dies zeigt bereits das Berechnungsbeispiel des Beschwerdeführers, bei dem der Wohnkostenanteil der Beschwerdegegnerin tiefer ausfallen würde als derjenige für ein einzelnes Kind. Je nach Höhe der Wohnkosten und Anzahl Kinder könnte diese Berechnungsweise sogar dazu führen, dass auf den obhutsberechtigen Elternteil überhaupt kein Anteil der Wohnkosten mehr entfällt. In der Literatur wird der Anteil der Kinder denn auch als Prozentsatz der bezahlten Wohnkosten berechnet (Cyril Hegnauer, Berner Kommentar, N. 37 zu Art. 285 ZGB; Peter Breitschmid, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 285 ZGB; Guglielmoni/Trezzini, Die Bemessung des Unterhaltsbeitrages für unmündige Kinder in der Scheidung, AJP 1993 S. 7). Im vorliegenden Fall hat das Kantonsgericht rund 40 % des Mietzinses für die Kinder ausgeschieden. Für vier Kinder erscheint dieser Anteil zwar eher tief; angesichts der Absicht des Kantonsgerichts, den Ehegatten die gleichhohen Wohnkosten zuzugestehen und des eher geringen Betrages erweist sich der angefochtene Entscheid im Ergebnis aber nicht als geradezu willkürlich.
 
5.
 
Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer auch gegen die Berechnung seines eigenen Bedarfs. Strittig ist dabei die Berücksichtigung von Steuerschulden und von Amortisationen der Hypothekarschulden.
 
5.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst, dass die Steuerschulden der Jahre 1997 bis 2001 bei seiner Bedarfsberechnung nicht berücksichtigt worden seien.
 
Bereits der Kreisgerichtspräsident hatte dem Beschwerdeführer für die Begleichung der Steuerschulden des Jahres 2002 einen Betrag von Fr. 1'550.-- an den monatlichen Bedarf angerechnet. Bezüglich bestehender Rückstände aus den Jahren 1997 bis 2001 hat er festgehalten, der Beschwerdeführer habe diese im Jahr 2003 mittels Vermögensveräusserung beglichen. Im Rekursverfahren vor Kantonsgericht hatte die Beschwerdegegnerin verlangt, die Steuerraten von Fr. 1'550.-- für das Jahr 2002 aus dem Bedarf des Beschwerdeführers zu streichen. Das Kantonsgericht hat insoweit den Rekurs der Beschwerdegegnerin abgewiesen und dem Beschwerdeführer den Betrag zur Tilgung der Steuerschulden 2002 im Bedarf belassen. Die Anrechnung von Raten für die Tilgung älterer Steuerschulden ist im kantonsgerichtlichen Verfahren dagegen nicht strittig gewesen. Damit erweist sich die vorliegende Rüge als neu, so dass darauf nicht eingetreten werden kann (BGE 118 Ia 20 E. 5a S. 26; 129 I 49 E. 3 S. 57).
 
5.2 Bezüglich der strittigen Amortisationen hat das Kantonsgericht erwogen, bei selbstbewohntem Eigentum würden Amortisationszahlungen von Grundpfandschulden nicht als Wohnaufwand berücksichtigt, da die Amortisationen die Bildung von Vermögen bewirke. Gleiches müsse für vermietete Liegenschaften gelten, zumal die Parteien unter dem Güterstand der Gütertrennung leben und die Liegenschaften zum Eigengut des Beschwerdeführers gehören würden. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Beschwerdeführer zur Amortisation verpflichtet sei. Nicht nachvollziehbar sei die Begründung des Kreisgerichtspräsidenten, die gewerblich genutzten Liegenschaften seien einem laufenden Wertverlust ausgesetzt und die Amortisation gleiche zum überwiegenden Teil diesen aus; aus dem vom Beschwerdeführer eingereichten Schreiben der Gläubigerbank ergebe sich jedenfalls nichts derartiges.
 
Der Beschwerdeführer verlangt, die Amortisationszahlungen auf den Geschäftsliegenschaften seien an seinen Bedarf anzurechnen. Er behauptet, die Amortisationen würden lediglich den laufenden Wertverlust der Liegenschaften ausgleichen, so dass sie nicht zu einer Vermögensbildung führen würden. Indes weist er nicht nach, inwiefern das Kantonsgericht bezüglich der Würdigung des genannten Schreibens der Gläubigerbank in Willkür verfallen sein soll. Er behauptet zwar, das Kantonsgericht müsse im Eheschutzverfahren den Sachverhalt von Amtes wegen abklären, ohne aber substantiiert die Verletzung einer konkreten Bestimmung der anwendbaren Zivilprozessordnung darzulegen. Im Übrigen gehen die Ausführungen des Beschwerdeführers in diesem Punkt über appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht hinaus, so dass darauf nicht eingetreten werden kann (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3; 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.).
 
6.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich formell auch gegen die Verlegung der kantonalen Gerichts- und Parteikosten. Da der Beschwerdeführer diesbezüglich keine eigenständigen Rügen erhebt, erübrigen sich indes Ausführungen dazu. Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. Januar 2005
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).