BGer U 8/2005 | |||
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BGer U 8/2005 vom 12.04.2005 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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U 8/05
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Urteil vom 12. April 2005
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IV. Kammer
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Besetzung
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Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Traub
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Parteien
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Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
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gegen
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S.________, 1964, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, Sonneggstrasse 55, 8006 Zürich
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Vorinstanz
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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(Entscheid vom 15. November 2004)
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1964 geborene S.________ erlitt am 29. April 2002 bei einem Sturz auf den Rücken eine Kontusion der Lendenwirbelsäule. Die gesundheitlichen Folgen wurden unter anderem im Rahmen eines stationären Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik X.________, welcher vom 2. Dezember 2002 bis zum 7. Februar 2003 dauerte, abgeklärt. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gewährte als zuständiger Unfallversicherer Heilbehandlung und richtete Taggelder aus. Die SUVA stellte die Leistungen mit Wirkung ab dem 31. März 2003 mit der Begründung ein, der versicherte Unfall zeitige ab diesem Datum keine massgebenden Folgen mehr (durch Einspracheentscheid vom 8. August 2003 bestätigte Verfügung vom 28. Mai 2003).
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B.
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Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die hiegegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, dass es die Sache, unter Aufhebung des Einspracheentscheids, an die Verwaltung zurückwies, damit diese Abklärungen betreffend das Valideneinkommen vornehme und hernach über den Rentenanspruch neu verfüge (Entscheid vom 15. November 2004).
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C.
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Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, Dispositiv-Ziff. 1 des angefochtenen Entscheids sei aufzuheben, soweit damit die Beschwerde teilweise gutgeheissen werde; zudem sei Dispositiv-Ziff. 3 (Parteientschädigung) aufzuheben.
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Der Versicherte schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, in teilweiser Aufhebung des kantonalen Entscheids sei der Invaliditätsgrad auf 100 % festzusetzen. Das Bundesamt für Gesundheit enthält sich einer Stellungnahme.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Das kantonale Gericht hielt nach zutreffender Darlegung der einschlägigen gesetzlichen Grundlagen und der Rechtsprechung fest, das gesundheitliche Zustandsbild sei zum ganz überwiegenden Teil psychischer Natur. Insoweit aber sei die adäquate Kausalität nicht gegeben. Die diesbezüglichen Ausführungen bedürfen keiner Ergänzung, weshalb darauf vollumfänglich verwiesen werden kann.
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Zu prüfen bleibt, ob somatische Unfallfolgen ausgewiesen sind, wie Beschwerdegegner und kantonales Gericht annehmen, oder ob deren Andauern - der Beschwerdeführerin folgend - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
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2.
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Die SUVA stellte die bis dahin erbrachten Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld) zum 31. März 2003 ein (Einspracheentscheid vom 8. August 2003). Unabhängig davon, dass sich der Rechtsstreit nunmehr auf die Frage konzentriert, ob eine Invalidenrente geschuldet sei, ist der prinzipielle Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung Gegenstand der Beurteilung. Dieser Anspruch hängt unter anderem von der Feststellung eines versicherten Gesundheitsschadens ab, dessen Vorliegen bis zur Leistungseinstellung der Unfallversicherer anerkennt. Die materielle Beweislast mit Bezug auf eine anspruchsaufhebende Tatfrage liegt bei der Verwaltung (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 329; Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz 910).
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3.
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Streitgegenstand (vgl. dazu BGE 125 V 413) bildet der Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen. Da sich der beschwerdegegnerische Antrag auf Zusprechung einer auf einem Invaliditätsgrad von 100 % beruhenden Rente innerhalb dieses Streitgegenstandes bewegt, liegt diesbezüglich keine - unzulässige (vgl. BGE 124 V 155 Erw. 1) - Anschlussbeschwerde vor, sodass auf das Begehren einzutreten ist. Der Versicherte begründet den Antrag damit, die bei der Abklärung der funktionellen Leistungsfähigkeit in der Rehaklinik X.________ festgestellten Inkonsistenzen könnten ihm, da der psychiatrischen Problematik zuzuschreiben, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Da aber die natürlich unfallkausalen Anteile der psychischen Beeinträchtigung nicht auch adäquat unfallkausal sind, haftet der obligatorische Unfallversicherer nicht für die hiedurch bedingten Einschränkungen (Erw. 1 hievor).
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4.
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4.1 Der Kreisarzt-Stellvertreter hat mit Untersuchungsbericht vom 3. Oktober 2003 ausgeführt, den vom Patienten geklagten Beschwerden liege anscheinend kein organisches Korrelat zugrunde. Er hat sich weder über das Vorliegen eines somatischen Gesundheitsschadens noch über die Frage der natürlichen Kausalität zum versicherten Ereignis abschliessend geäussert, sondern angesichts der verbliebenen Unsicherheiten zu Recht eine stationäre Abklärung eingeleitet, um die Beschwerden erst einmal den in Frage kommenden medizinischen Kategorien zuordnen zu können. Dabei musste es in erster Linie darum gehen, die jeweilige Bedeutung psychischer und organischer Entstehungsfaktoren zu klären. Aufgrund der eingehenden Abklärung in der Rehaklinik X.________ ergab sich, dass die vollständige Arbeitsunfähigkeit als solche psychisch bedingt ist. Wird dagegen nur die somatische Beeinträchtigung (lumbospondylogenes Syndrom) betrachtet, wäre nach fachärztlicher Beurteilung eine ganztägige Arbeit zumutbar, sofern es sich um eine leichte bis mittelschwere wechselbelastende Tätigkeit handelt (Austrittsbericht vom 12. März 2003). Nachdem die Verwaltung die psychogenen Komponenten bei der Leistungsabklärung zu Recht ausgeklammert hat, stellte sich ihr nunmehr noch die Frage nach der Unfallbedingtheit der rein körperlichen Einschränkung. Dabei galt es, die Möglichkeiten einer andauernden Beschwerdeverursachung durch die beim Unfall erlittene organische Schädigung einerseits oder aber einer alternativen Ursache, etwa einer vorbestehenden degenerativen Veränderung der Lendenwirbelsäule, anderseits gegeneinander abzuwägen. Diese Festlegung konnte nach Lage der Akten im Zeitpunkt des Einspracheentscheids mangels einer begründeten medizinischen Kausalitätsbeurteilung noch nicht getroffen werden. Der entsprechende Abklärungsbedarf entfiel erst, als die Verwaltung aufgrund des kantonalen Gerichtsentscheids vom 15. November 2004 eine versicherungsmedizinische Stellungnahme des eigenen Ärztlichen Dienstes vom 3. Januar 2005 einholte.
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4.2 Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass eine einfache Kontusion der Lendenwirbelsäule, wie sie der Versicherte am 29. April 2002 erlitten habe, erfahrungsgemäss innerhalb kurzer Zeit folgenlos abheile. Gemäss anerkannter Expertenmeinung sei in solchen Fällen nach spätestens sechs Monaten davon auszugehen, der "Status quo sine" (d.h. der mutmassliche Zustand, wie er sich auch ohne Unfall eingestellt hätte) sei erreicht. Die rehabilitationsmedizinische Abklärung habe somatisch keine neuen Erkenntnisse gebracht. Objektivierbare körperliche Befunde fehlten. Das lumbospondylogene Syndrom entspreche einer lediglich deskriptiven "Beschwerde-Diagnose".
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Der Versicherte macht zwar zu Recht geltend, dass eine allgemeine Erfahrungsregel für sich allein genommen nicht geeignet ist, den erforderlichen Nachweis für das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung des Unfalls zu erbringen. Die Geltung einer solchen abstrakten Vermutung im konkreten Fall muss anhand der einzelnen Umstände nachvollziehbar dargetan sein. Die Stellungnahme vom 3. Januar 2005, zu welcher es keiner weiteren Untersuchung bedurfte (vgl. RKUV 1988 Nr. U 56 S. 370 Erw. 5b), vermag indes die zuvor bestehende tatbeständliche Lücke hinsichtlich der Zuordnung einer somatischen Beeinträchtigung zum Unfall als dem versicherten Ereignis zu schliessen. Die zitierte Erfahrungsregel kommt hier zum Tragen, weil bei der stationären Abklärung keine organische Schädigung erhoben wurde, die als Folge des erlittenen Traumas der Wirbelsäule identifiziert werden könnte, und weil zugleich bekannt ist, dass der Versicherte bereits vor Jahren an Lumbalgien gelitten hat. Mangels neuartiger Schädigung durch den Unfall ist der Schluss zulässig, die vormalige traumatisch bedingte Aktivierung dieses latent bestehenden (degenerativen) Leidens sei im Zeitpunkt der Leistungseinstellung nicht mehr wirksam gewesen.
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5.
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5.1 Da die entscheiderhebliche Vervollständigung des medizinischen Dossiers erst nach Ergehen des kantonalen Gerichtsentscheids veranlasst wurde, sich die Rückweisung an die Verwaltung nach Stand der Akten im vorinstanzlichen Verfahren also ohnehin aufdrängte, rechtfertigt es sich, die vorinstanzlich zugesprochene Parteientschädigung (Dispositiv-Ziff. 3 des kantonalen Entscheids) zu bestätigen.
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5.2 Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Dispositiv-Ziff. 1 des Entscheids des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 15. November 2004 aufgehoben. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Die SUVA hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
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Luzern, 12. April 2005
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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