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Informationen zum Dokument  BGer 1P.718/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.718/2005 vom 19.12.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.718/2005 /gij
 
Urteil vom 19. Dezember 2005
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, Luchsstrasse 11, Postfach, 9450 Altstätten SG,
 
Kreisgericht Rheintal, Einzelrichter in Strafsachen der 3. Abteilung, Obergasse 27, 9450 Altstätten.
 
Gegenstand
 
Art. 9, 29 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK (Strafverfahren, SVG),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kreisgerichts Rheintal, Einzelrichter in Strafsachen der 3. Abteilung, vom 1. Juli 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ fuhr am 21. Februar 2004, gegen 17.15 Uhr, mit seinem Personenwagen auf der Hauptstrasse von Balgach in Richtung Au. Hinter ihm schloss das von Y.________ gelenkte Motorrad auf und scherte, auf der Höhe der Firma L.________ in Heerbrugg, zum Überholen aus. Als der Motorradfahrer dieses Manöver abschliessen wollte, hat nach seinen Aussagen der Lenker des Personenwagens die Geschwindigkeit massiv erhöht; wegen Gegenverkehrs habe er den Überholvorgang abbrechen und sich wieder hinter dem Personenwagen in die Fahrspur einordnen müssen. An der nächsten Signalanlage, die auf rot stand, gab sich der Motorradfahrer als Polizeibeamter zu erkennen und forderte den Lenker des Personenwagens zum Anhalten auf. Dieser leistete der Anweisung Folge; im Rahmen der Kontrolle setzte der Motorradfahrer den Autolenker darüber in Kenntnis, dass er ihn wegen Behinderung eines Überholmanövers (Art. 35 Abs. 7 Satz 2 SVG) anzeigen werde.
 
B.
 
Gestützt auf den in der Folge erstatteten Rapport erliess die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, am 31. März 2004 gegen X.________ eine provisorische Bussenverfügung; die Busse betrug Fr. 150.--. Auf seine Einsprache hin bestätigte die Staatsanwaltschaft mit Strafbescheid vom 10. November 2004 die Busse; gleich entschied auf weitere Einsprache hin das Kreisgericht Rheintal, Einzelrichter in Strafsachen der 3. Abteilung, am 1. Juli 2005.
 
C.
 
Gegen den Entscheid des Kreisgerichts erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und beantragt dessen Aufhebung. Er rügt eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV), des rechtlichen Gehörs und des Akteneinsichtsrechts (Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 3 EMRK) sowie des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Ziff. 1 EMRK).
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Für die Geltendmachung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte steht auf Bundesebene die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung (Art. 84 Abs. 2 OG i.V.m. Art. 269 Abs. 2 BStP). Insbesondere ist die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts nicht gegeben; der angefochtene Entscheid wurde von einem unteren Gericht gefällt, das als einzige kantonale Instanz im Sinne von Art. 268 Ziff. 1 Satz 2 BStP entschieden hat (BGE 116 IV 78 E. 2 S. 80; Urteil 6P.146/2002 vom 28. August 2003, E. 2.2). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer hat die ihm zur Last gelegte Übertretung stets bestritten. Er bringt vor, das gegen ihn durchgeführte Strafverfahren sei von Anfang an mit einem nicht heilbaren Verfahrensmangel behaftet. Beim Motorradfahrer Y.________, auf dessen Aussage hin er verurteilt wurde, habe es sich um einen Polizisten ausser Dienst gehandelt; dieser hätte ihn weder zum Anhalten auffordern noch kontrollieren dürfen. Anstatt bei diesem ersten Kontakt eine amtliche Funktion vorzuspiegeln hätte Y.________ ihn über sein Aussageverweigerungsrecht belehren müssen. Durch dessen rechtswidriges Vorgehen sei der Beschwerdeführer um das Recht gebracht worden, seine Identität zu verschweigen bzw. in der Folge die Führereigenschaft zu bestreiten. Insgesamt seien im angefochtenen Entscheid das kantonale Polizei- und Strafverfahrensrecht willkürlich gehandhabt sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden; gleichzeitig erweise sich das Strafverfahren als unfair.
 
2.2 Im angefochtenen Entscheid wird eingeräumt, es sei problematisch gewesen, dass dem Beschwerdeführer sein Fehlverhalten von einem Polizisten vorgehalten worden sei, der nicht im Dienst war. Selbst wenn die provisorische Bussenverfügung deswegen an einem Ungültigkeitsgrund gelitten haben sollte, erwachse dem Beschwerdeführer daraus kein Nachteil. Im Anschluss an eine Einsprache gegen diese Bussenverfügung werde die Strafuntersuchung nur durchgeführt, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten gegeben seien. Im vorliegenden Fall habe Y.________ den Tatvorwurf durch spätere Zeugenaussagen bekräftigt.
 
2.3
 
2.3.1 Zur Hauptsache geht es dem Beschwerdeführer beim dargelegten Rügenkomplex um den in Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 3 EMRK verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88). Danach ist der Betroffene unter anderem berechtigt, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache äussern zu können (BGE 129 II 497 E. 2.2 S. 504 f.; 127 I 54 E. 2b S. 56). Ob dieser Anspruch missachtet worden sei, ist mit freier Kognition zu überprüfen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242 f.; 121 I 230 E. 2b S. 232). Eine willkürliche Handhabung von Art. 170 Abs. 1 lit. b des St. Gallischen Strafprozessgesetzes vom 1. Juli 1999 (StP/SG; sGS 962.1) behauptet der Beschwerdeführer nicht. Nach dieser Bestimmung wird für den Erlass einer provisorischen Bussenverfügung vorausgesetzt, dass dem Verzeigten Vorhalt gemacht worden ist.
 
2.3.2 Die Gehörsrüge betrifft an sich die provisorische Bussenverfügung; eigentlich kritisiert der Beschwerdeführer aber die Umstände bzw. die Art und Weise des Vorhalts. Mit anderen Worten war der Beschwerdeführer hier von Anfang an darüber orientiert, was ihm vorgeworfen wurde; der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich grundlegend von der Konstellation, bei der eine Anhörung gänzlich unterblieben ist. Folglich erweist sich der beanstandete Verstoss gegen das rechtliche Gehör nicht als besonders schwer (BGE 129 I 361 E. 2.1 S. 364; Urteil 1A.160/2004 vom 10. März 2005, E. 2.2); einer Heilung im nachfolgenden Strafverfahren steht nichts entgegen. Der Beschwerdeführer geht fehl, wenn er meint, die Heilung von Verfahrensmängeln sei ausgeschlossen, wenn dafür nicht eine zweite Gerichtsinstanz mit voller Kognition zur Verfügung stehe (vgl. BGE 126 I 68 E. 2 S. 72).
 
2.4 Ebenso wenig ist dem Beschwerdeführer zu folgen, wenn er aus dem mangelhaften Vorhalt ableitet, das Verfahren sei insgesamt unfair im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewesen.
 
2.4.1 Als allgemeiner, auch aus der genannten Konventionsbestimmung abgeleiteter Grundsatz des Strafprozessrechts ist anerkannt, dass niemand gehalten ist, zu seiner Belastung beizutragen. Der in einem Strafverfahren Beschuldigte ist auf Grund seines Aussageverweigerungsrechts berechtigt zu schweigen, ohne dass ihm daraus Nachteile erwachsen dürfen. Daraus ergibt sich für die Behörden insbesondere die Verpflichtung, ihre Anklage zu führen, ohne auf Beweismittel zurückzugreifen, die durch Zwang oder Druck in Missachtung des Willens des Angeklagten erlangt worden sind (BGE 131 IV 36 E. 3.1. S. 40 f. mit Hinweisen).
 
2.4.2 Im angefochtenen Entscheid werden Erklärungen des Beschwerdeführers wiedergegeben, die in der Anzeige stehen; die Aussagen habe er im Rahmen der fraglichen Kontrolle bzw. des Vorhalts gemacht. Seine dort abgegebenen Erklärungen waren jedoch für die strafrechtliche Beurteilung unbestrittenermassen ohne Belang. Entscheidend waren die während der Strafuntersuchung und der Hauptverhandlung beweismässig korrekt verwerteten Zeugenaussagen von Y.________. Es kann daher offen bleiben, ob der beanstandete Vorhalt durch einen Polizisten, der sich auf dem Weg zum Dienstantritt befand, eine verfassungs- bzw. konventionswidrige Zwangsmassnahme darstellt.
 
2.4.3 Der Beschwerdeführer wendet ein, gegenüber einer Privatperson hätte er sich nicht ausweisen müssen. Soweit er damit ein Beweisverwertungsverbot für den Umstand verlangt, dass er den fraglichen Personenwagen gelenkt hat, verdient seine Rüge keinen Rechtsschutz. Er war mit seinem eigenen Wagen unterwegs und gibt selbst zu, dass seine Identität auch über das Aufnotieren der Autonummer hätte ermittelt werden können. Im Übrigen hat der Zeuge den Beschwerdeführer beim Überholvorgang von nahe gesehen. Es hätte die strafprozessuale Lage des Beschwerdeführer im Ergebnis nicht verbessert, wenn es nicht zur Kontrolle gekommen wäre. Anders würde es sich verhalten, wenn die Identität ohne die Kontrolle mutmasslich nicht hätte festgestellt werden können (vgl. dazu Urteil 1P.641/2000 vom 24. April 2001, E. 4, in: Pra 90/2001 Nr. 110 S. 639).
 
2.5
 
2.5.1 Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte er in der fraglichen Kontrolle bzw. beim Vorhalt über sein Schweigerecht im Sinne von Art. 79 Abs. 1 StP/SG belehrt werden müssen. Auch in dieser Hinsicht wird letztlich der Anspruch auf ein Beweisverwertungsverbot verfolgt (vgl. Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 826); das Anliegen betrifft wiederum die Aussagen des Beschwerdeführers, die in der Anzeige stehen. Es wurde bereits dargelegt, dass diese Äusserungen für die strafrechtliche Verurteilung nicht massgebend waren (E. 2.4.2). Somit kann offen bleiben, ob die Willkürrüge betreffend Art. 79 Abs. 1 StP/SG ein unzulässiges Novum im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde darstellt (BGE 129 I 49 E. 3 S. 57 mit Hinweisen).
 
2.5.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, im angefochtenen Entscheid seien Art. 2 und 28 des Polizeigesetzes des Kantons St. Gallen vom 10. April 1980 willkürlich gehandhabt worden; der Vorwurf erweist sich als appellatorisch (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262; 125 I 492 E. 1b S. 495, je mit Hinweisen). Mit diesen kantonalen Normen befasst sich der angefochtene Entscheid nicht; der Beschwerdeführer hätte aufzeigen müssen, inwiefern dieser deswegen an einem qualifizierten Mangel leidet. Demzufolge ist auf diese Vorbringen nicht weiter einzugehen.
 
2.6 Die Verfassungsrügen, mit denen beanstandet wird, dass der Vorhalt der Verkehrsregelverletzung durch einen Polizisten erfolgt ist, der nicht im Dienst war, dringen insgesamt nicht durch, soweit darauf einzutreten ist.
 
3.
 
Bezüglich des Rapports bzw. der Anzeige von Y.________ bemängelt der Beschwerdeführer, dass eine zweite Fassung existiere, in die er nicht habe Einsicht nehmen können. Der Einzelrichter habe die ihm unbekannte Fassung in der Einvernahme des Anzeigeerstatters als Zeugen anlässlich der Hauptverhandlung angesprochen. Erst in diesem Rahmen habe der Beschwerdeführer von diesem Aktenstück erfahren; es sei dort zu wenig Zeit gewesen, um noch darauf zu reagieren.
 
3.1 Das Recht auf Akteneinsicht ist Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Es wird in erster Linie durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben. Das Bundesgericht prüft deren Auslegung und Anwendung auf staatsrechtliche Beschwerde hin unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Unabhängig vom kantonalen Recht greifen die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK folgenden Regeln zur Sicherung des Akteneinsichtsrechts Platz. Ob diese Garantien verletzt wurden, beurteilt das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 126 I 15 E. 2a S. 16, 19 E. 2a S. 21 f.).
 
Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, inwiefern der Anspruch auf Akteneinsicht gemäss Art. 174 StP/SG vorliegend über die grundrechtliche Garantie hinaus geht. Folglich ist der angefochtene Entscheid einzig vor dem Hintergrund von Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK zu prüfen.
 
3.2 Das Bundesgericht hat sich wiederholt zur Aktenführungspflicht im Strafverfahren geäussert. Danach muss die Produktion von Beweismitteln für den Angeklagten und das Gericht nachvollziehbar sein. Aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 3 EMRK garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich für den Angeklagten das grundsätzlich uneingeschränkte Recht, in alle für das Verfahren wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen. Die effektive Wahrnehmung dieses Anspruchs setzt notwendig voraus, dass die Akten vollständig sind; ansonsten können die Verteidigungsrechte nicht im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BV geltend gemacht werden (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88 f. mit Hinweisen). Insbesondere ist die Behörde, die neue Akten dem bestehenden Dossier einfügt und sich in ihrem Entscheid darauf beziehen will, grundsätzlich verpflichtet, die Parteien darüber zu orientieren (BGE 124 II 132 E. 2b S. 137; Urteil 1P.83/2002 vom 9. Juli 2002, E. 2.2, in: Pra 91/2002 Nr. 182 S. 969).
 
3.3 Die Geltendmachung prozessualer Verfahrensrechte im Strafprozess setzt allerdings grundsätzlich voraus, dass der Angeschuldigte bzw. sein Verteidiger entsprechende Verfahrensanträge frist- und formgerecht stellen. Zum einen verlangt Art. 86 Abs. 1 OG als Zulässigkeitsvoraussetzung der staatsrechtlichen Beschwerde, dass die erhobenen Rügen den kantonalen Instanzenzug durchlaufen haben. Zum anderen widerspricht es dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn ein Prozessbeteiligter zumutbare Anträge im kantonalen Verfahren nicht rechtzeitig stellt und erst nachträglich eine Verletzung von Parteirechten beanstandet (BGE 120 Ia 48 E. 2e/bb S. 55; Urteil 1P.195/2002 vom 2. September 2002, E. 3.1.1).
 
3.4 Hier besteht neben dem Rapport bzw. der Anzeige, womit das Strafverfahren eingeleitet wurde, eine offensichtlich ältere Fassung, auch wenn beide Dokumente dasselbe Datum tragen. In der älteren Version, die offenbar keine Aktennummer erhalten hatte, ging der Anzeigeerstatter irrigerweise davon aus, an der Stelle, an der er den Beschwerdeführer zu überholen versuchte, seien 60 km/h statt der tatsächlich erlaubten 50 km/h zulässig. Die beiden Fahrzeuge waren vor dem fraglichen Überholmanöver mit knapp 50 km/h unterwegs.
 
Der Einzelrichter am Kreisgericht Rheintal hat die beiden Fassungen der Anzeige in der Zeugeneinvernahme von Y.________ anlässlich der Hauptverhandlung zur Sprache gebracht und den Zeugen eingehend dazu befragt. Dem Beschwerdeführer ist aufgrund der mangelhaften Aktenablage zuzugestehen, dass er vor der Hauptverhandlung keine Kenntnis von der älteren Fassung der Anzeige hatte. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass er in der Hauptverhandlung umgehend hätte Akteneinsicht verlangen müssen. Sein Argument, er habe dort nicht mehr reagieren können, überzeugt nicht. Gemäss dem Einvernahmeprotokoll stellte der Verteidiger des Beschwerdeführers mehrere Ergänzungsfragen; keine bezog sich jedoch auf die beiden Anzeigeversionen.
 
Der Beschwerdeführer hat folglich im kantonalen Verfahren nicht rechtzeitig Akteneinsicht in das fragliche Dokument begehrt. Deshalb kann er nicht im Nachhinein, im anschliessenden staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, geltend machen, ihm sei diesbezüglich das rechtliche Gehör verweigert und eine wirksame Verteidigung verunmöglicht worden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in vergleichbarer Weise wie in dem von ihm angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 18. März 1997 i.S. Foucher c. France (Recueil CourEDH 1997-II S. 452 Ziff. 32) davon abgehalten worden wäre, ein Einsichtsgesuch zu stellen.
 
3.5 Der Beschwerdeführer bringt vor, die beiden Anzeigen würden sich nicht nur in der Frage der Höchstgeschwindigkeit unterscheiden. Die ältere Fassung erwähne eine (offenbar entfernte) Signalisationstafel "60 km/h" und sei deswegen örtlich präziser gewesen. Zudem werde die Motivation des Anzeigeerstatters für das Überholmanöver unterschiedlich umschrieben. Diese Vorbringen vermögen die Beurteilung nicht in Frage zu stellen, dass die Akteneinsichtsrüge verspätet ist. Einerseits wurden diese beiden weiteren Aspekte in der Einvernahme ebenfalls behandelt; der Beschwerdeführer war somit in der Lage, den Gehalt der Unstimmigkeiten zwischen den beiden Fassungen vollumfänglich abzuschätzen. Anderseits hat der Zeuge die Strecke, auf der das abgebrochene Überholmanöver stattfand, auch ohne Bezugnahme auf eine Geschwindigkeitstafel örtlich klar umschrieben.
 
3.6 Zu Recht rügt der Beschwerdeführer keine Verletzung des Anklagegrundsatzes (BGE 126 I 19 E. 2a S. 21 mit Hinweisen). Zwar findet sich die Angabe der falschen bzw. zu hohen zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf dem fraglichen Streckenabschnitt, wie sie in der älteren Fassung der Anzeige steht, auch in der Anklageschrift. Der Beschwerdeführer hat aber vor Gericht ausreichend Gelegenheit gehabt, zu dem in der Zeugeneinvernahme anlässlich der Hauptverhandlung insofern richtig gestellten Sachverhalt Stellung zu nehmen (vgl. BGE 116 Ia 455 E. 3cc S. 459; Urteil 1P.494/2002 vom 11. November 2002, E. 3.3, in: Pra 92/2003 Nr. 81 S. 444).
 
4.
 
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt Altstätten, und dem Kreisgericht Rheintal, Einzelrichter in Strafsachen der 3. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. Dezember 2005
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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