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Informationen zum Dokument  BGer 4A_216/2013  Materielle Begründung
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BGer 4A_216/2013 vom 29.07.2013
 
{T 0/2}
 
4A_216/2013
 
 
Urteil vom 29. Juli 2013
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________ AG,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marc Weber,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Adrian Rüesch,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitsvertrag; Bonus,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, vom 26. Februar 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ (Arbeitnehmer, Beschwerdegegner) arbeitete ab dem 1. September 2006 als Senior Consultant, ab dem 1. August 2007 als Projekt Manager und ab dem 1. Januar 2009 als Senior Projekt Manager für die X.________ AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin). Integrierender Bestandteil des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 31. März 2006 war ein gleichentags von beiden Parteien unterzeichnetes "Honorarreglement". Der Arbeitsvertrag enthielt hinsichtlich der Entschädigung von A.________ lediglich einen Verweis auf das Honorarreglement, das seinerseits folgende Regelung beinhaltet:
1
"1.  Einkommen
2
Das Einkommen setzt sich wie folgt zusammen:
3
1.1  Grundgehalt
4
Das Grundgehalt beträgt CHF 100'000.00 p.a. / pro rata temporis.
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1.2  Bonus
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Der jährlich variable Bonus wird nach einem vom Verwaltungsrat verabschiedeten Beurteilungssystem im Rahmen der einmal jährlich stattfindenden Leistungsbeurteilung festgelegt. Er kann bei Zielerreichung bis 40% des Grundgehaltes betragen. Bei Übererfüllung der Ziele kann der Bonus erhöht werden.
7
Die Beurteilung der Zielerreichung erfolgt auf Basis der vereinbarten Jahresziele und Assignments. Das Beurteilungssystem basiert auf folgenden Zielfeldern: Wirtschaftliches Ergebnis, Akquisition/CG-Arbeit, Projektabwicklung/Projektqualität, Mitarbeiterführung/-entwicklung, Produktentwicklung/Innovation/PG-Arbeit sowie spezielle Assignments/ Beiträge zum Ganzen.
8
1.3  Zielgehalt
9
Das jährliche Zielgehalt setzt sich aus dem Grundgehalt und dem Bonus zusammen.
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2.  Zahlungs-/Abrechnungsmodus
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Das Grundgehalt des Mitarbeiters von CHF 100'000.00 p.a. ist zahlbar in 13 Raten.
12
Die Auszahlung des Bonus erfolgt vierteljährlich in Form einer à-conto-Zahlung unter Berücksichtigung des Standes der Zielerreichung und Kundenzahlungen für die verantworteten Projekte. Die endgültige Schlussabrechnung des Bonus erfolgt einen Monat nach der jährlich stattfindenden Leistungsbeurteilung im Rahmen der Gehaltszahlung.
13
Die Zahlungen verstehen sich brutto, davon abgezogen werden die Personal-/Sozialversicherungsbeiträge.
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3.  Inkrafttreten / Bemerkungen
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Dieses Reglement tritt am 1. September 2006 in Kraft.
16
Der Verwaltungsrat ist im Sinne des Unternehmenszweckes und dessen Entwicklung und Förderung berechtigt und gehalten, das Honorarreglement jährlich anzupassen."
17
Für die Monate September bis Dezember 2006 wurde A.________ aufgrund der Leistungsbeurteilung mit dem Hinweis "Bonus bei Zielerreichung gem. Honorarreglement: CHF 13'333.35 (brutto) " ein Bonus von brutto Fr. 14'000.-- ausbezahlt. Per 1. April 2007 wurden sein Grundgehalt auf Fr. 105'000.-- und der "Bonus bei Zielerreichung" auf "max. 50 %" erhöht. Für das Jahr 2007 wurde A.________ aufgrund der Leistungsbeurteilung mit dem Hinweis "Bonus bei Zielerreichung gem. Honorarreglement: CHF 46'687.50 (brutto) " ein Bonus von brutto Fr. 38'300.-- ausbezahlt. Per 1. Januar 2008 wurde das Grundgehalt von A.________ auf Fr. 110'000.-- erhöht; per 1. Januar 2009 erfolgte eine weitere Erhöhung des Grundgehalts auf Fr. 121'000.--.
18
"[...]
19
4.1. Die Bonifizierung erfolgt aus dem Jahresergebnis, aber  nicht für das Jahresergebnis.
20
4.2. Die Höhe der zur Bonifizierung verfügbaren Summe entscheidet der VR in freier Würdigung der Gesamtleistung des Unternehmens gemäss unserer Central Performance Controls (CPCs) und aller dafür relevanten Umstände. Bonifizierungen können auch durch  nicht-geldmässige Leistungen des Unternehmens erfolgen.
21
4.3. Die Gesamtbonussumme wird durch Entscheid des Verwaltungsrats funktionsgerecht aufgeteilt. Innerhalb einer Entwicklungskategorie werden zwei Drittel der jeweils verfügbaren Bonussumme im Sinne des OneFirm-Prinzips nach Funktionen verteilt. Das letzte Drittel dient der Würdigung individueller Sonderleistungen.
22
4.4. In der Probezeit und in den auf die Probezeit folgenden zwölf Kalendermonaten partizipiert der Mitarbeitende nicht am Bonus-System.
23
4.5. Bei Kündigung besteht für die vor der Kündigung liegenden zwölf Monate des Arbeitsverhältnisses ebenfalls kein Bonusanspruch.
24
4.6. In beiden Fällen liegt eine freiwillige Bonusvergabe abhängig von der erbrachten Leistung im Ermessen des Verwaltungsrates.
25
5.  [...]
26
Die Ermittlung allfälliger Boni erfolgt durch den Verwaltungsrat nach Abnahme des Jahresabschlusses durch die Generalversammlung. Bis dahin bleibt die individuelle Bonussumme variabel und kann nicht im Voraus berechnet werden [...]"
27
Zugleich arbeitete die Arbeitgeberin ein diesen Bestimmungen entsprechendes neues "Honorarreglement" aus. Dieses sollte das bisherige Honorarreglement ersetzen und sah unter dem Passus "Zur Kenntnis genommen und akzeptiert" eine Rubrik für Namen und Unterschrift des jeweiligen Arbeitnehmers vor. In diesem Honorarreglement wurde der Bonus als solcher "im Sinne von Art. 322d OR" qualifiziert und unter anderem festgehalten, ein "grundsätzlicher Anspruch auf Bonifizierung" bestehe nicht. Das neue Honorarreglement wurde A.________ nie zur Unterzeichnung unterbreitet.
28
B. Am 26. September 2011 erhob A.________ beim Kreisgericht St. Gallen Klage mit dem Begehren, die X.________ AG sei zu verpflichten, ihm Fr. 86'360.-- brutto zuzüglich Zins zu bezahlen. Das Kreisgericht hiess die Klage mit Entscheid vom 7. Juni 2012 gut.
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C. Die X.________ AG beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung, subeventualiter zur Beweisabnahme und Entscheidung an die Vorinstanz/-en zurückzuweisen. A.________ begehrt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne, und der angefochtene Entscheid sei zu bestätigen. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Der angefochtene Entscheid des Kantonsgerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG) über eine Forderung aus Arbeitsvertrag. Vor der Vorinstanz ist die gesamte Klageforderung in der Höhe von Fr. 86'360.-- streitig geblieben, womit der in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten für die Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert erreicht ist (Art. 74 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten. Vorbehalten bleibt eine rechtsgenügliche Begründung (Erwägung 2).
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Erwägung 2
 
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 BGG, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Der Beschwerdeführer soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die er im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit seiner Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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3. Der Streit drehte sich im kantonalen Verfahren in erster Linie um die Frage, nach welchen Bestimmungen der Bonusanspruch des Beschwerdegegners zu beurteilen ist.
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4. Die Beschwerdeführerin rügt im Teil "I. Formelles" der Beschwerde, die Vorinstanz habe verschiedene in der Berufung vorgebrachte Behauptungen sowie Beweismittel zu Unrecht unter Berufung auf Art. 317 Abs. 1 ZPO nicht zugelassen. Die Nichtabnahme der Beweise stelle einen Verstoss gegen Art. 8 ZGB und weiter eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 BV sowie Art. 6 EMRK dar.
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5. Die Beschwerdeführerin beanstandet in verschiedener Hinsicht die vorinstanzlichen Ausführungen zum Honorarreglement vom 31. März 2006.
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5.1. Sie rügt die Interpretation, wonach dem Beschwerdegegner gemäss dem Honorarreglement bei Erreichung der Ziele ein grundsätzlicher Anspruch auf einen bestimmten Bonus (in der Höhe von zunächst 40 % bzw. dann 50 % des Grundgehalts) zugestanden habe. Sie moniert, die Vorinstanz sei zu diesem Ergebnis gelangt, indem sie ausschliesslich auf den Wortlaut des Honorarreglements abgestellt und dabei "die vielen anderen Dokumente wie persönliche Schreiben an den Beschwerdeführer [sic], die Bekanntmachungen des Verwaltungsrates der Beschwerdeführerin betr. Bonus-Entscheide, Geschäftsergebnis, Strategie und Unternehmenszweck und nicht zuletzt das Verhalten des Beschwerdegegners während der ganzen Dauer des Arbeitsverhältnisses" völlig unberücksichtigt gelassen habe.
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5.2. Die Beschwerdeführerin kritisiert weiter die vorinstanzlichen Ausführungen zur Wenn wie hier - in Bezug auf die Voraussetzungen der Bonusausrichtung - der tatsächliche Parteiwille nicht feststeht, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips (Art. 2 Abs. 1 ZGB) so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666; 132 III 24 E. 4). Die Vorinstanz ging auf die Kriterien zur "Beurteilung der Zielerreichung" nach Ziffer 1.2 des Honorarreglements vom 31. März 2006 ein und schloss, der Bonus sei nach der individuellen Leistung gemäss vorgängiger Zielvereinbarung zu bemessen gewesen. Das Argument der Beschwerdeführerin, zusätzlich habe auch das Geschäftsergebnis respektive der "Deckungsbeitrag" den Bonus (mit-) bestimmt, erachtete sie demgegenüber als unzutreffend. Aus dem Sachzusammenhang ergebe sich näm lich ohne weiteres, dass mit dem wirtschaftlichen Ergebnis gemäss Ziffer 1.2 des Honorarreglements "nicht das wirtschaftliche Gesamtergebnis, sondern die individuelle Leistung aus wirtschaftlicher Sicht angesprochen" sei.
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5.3. Die Beschwerdeführerin moniert sodann, die Vorinstanz habe bei der Qualifikation des Bonus als Lohnbestandteil die Gesamteinkommensentwicklung des Beschwerdegegners nicht berücksichtigt. Diese habe nämlich dazu geführt, dass der Bonus zu einer untergeordneten, akzessorischen Vergütung im Sinne der Praxis zur Abgrenzung Gratifikation/Lohnbestandteil geworden sei.
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6. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Erwägung der Vorinstanz, der Beschwerdegegner habe der im Frühjahr 2009 eingeführten neuen Bonusregelung nicht zugestimmt, weshalb sie für ihn nicht gelte.
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6.1. Sie meint, Ziffer 3 des Honorarreglements, gemäss welcher der Verwaltungsrat "im Sinne des Unternehmenszweckes und dessen Entwicklung und Förderung berechtigt und gehalten" ist, "das Honorarreglement jährlich anzupassen", bedeute, dass sie die neue Bonusregelung ohne Zustimmung der Mitarbeiter habe einführen können. Denn vorliegend sei lediglich "im Rahmen der bestehenden Einkommensregelung" "eine Anpassung einzelner Komponenten innerhalb des für diese Anpassung definierten Spielraumes" vorgenommen worden.
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6.2. Die Beschwerdeführerin scheint sodann die Meinung der Vorinstanz rügen zu wollen, wonach der Beschwerdegegner durch das Anklicken des dafür vorgesehenen Links in der E-Mail vom 16. März 2010 lediglich den Empfang der E-Mail bestätigt, nicht aber deren Inhalt (d.h. die neue Bonusregelung) akzeptiert habe. An anderer Stelle führt die Beschwerdeführerin indessen selbst aus, durch das Anklicken sei der "Erhalt" der E-Mail durch den Beschwerdegegner bestätigt worden. Diese Interpretation erscheint denn auch angezeigt. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich jedenfalls keine tatsächlichen Umstände, welche die Auffassung stützen würden, wonach die Beschwerdeführerin bereits aus dem Anwählen eines Links durch den Beschwerdegegners auf dessen inhaltliches Einverständnis mit der neuen Bonusregelung schliessen durfte.
42
6.3. Schliesslich kritisiert die Beschwerdeführerin ausführlich die Auffassung der Vorinstanz, wonach das Verhalten des Beschwerdegegners keine stillschweigende respektive konkludente Annahme der neuen Bonusregelung bedeute.
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7. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz den Bonusanspruch des Beschwerdegegners für die Jahre 2009 und 2010 zutreffend nach dem Honorarreglement vom 31. März 2006 beurteilt und auf 50 % des jeweiligen Grundgehalts festgelegt.
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8. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
45
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 5'000-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. Juli 2013
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
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