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Informationen zum Dokument  BGer 2C_640/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_640/2014 vom 27.03.2015
 
{T 0/2}
 
2C_640/2014
 
 
Urteil vom 27. März 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Petry.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.B.________,
 
2. C.B.________,
 
handelnd durch A.B.________,
 
3. D.B.________,
 
handelnd durch A.B.________,
 
4. E.B.________,
 
handelnd durch A.B.________,
 
Beschwerdeführer,
 
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin
 
Marisa Bützberger,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
 
gerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
 
vom 28. Mai 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 135 III 1 E. 1.1 S. 3).
1
1.2. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 82 lit. a BGG, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG, Art. 90 BGG).
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1.3. Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde (vgl. Art. 42 und 100 Abs. 1 BGG) der hierzu legitimierten Beschwerdeführer 1, 2 und 3 (Art. 89 Abs. 1 BGG) ist einzutreten.
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1.4. Die Beschwerdeführerin 4 ist nicht zur Beschwerde legitimiert, da sie nicht am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat und weder ersichtlich noch dargetan ist, dass ihr keine Möglichkeit zur Teilnahme offen stand (Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG). Auf ihre Beschwerde ist somit nicht einzutreten.
4
 
Erwägung 2
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
6
 
Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin 1 und ihre beiden Söhne sind bulgarische Staatsangehörige, auf welche das Freizügigkeitsabkommen Anwendung findet.
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3.2. EU-Bürger haben gestützt auf Art. 2 Abs. 1 Anhang I FZA das Recht, sich bis zu sechs Monaten zwecks Stellensuche in der Schweiz aufzuhalten. Die Bewilligung zur Stellensuche kann unter gewissen Voraussetzungen bis zu einem Jahr verlängert werden (Art. 18 Abs. 3 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation [VEP; SR 142.203]). Stellensuchende EU-Angehörige haben jedoch grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Bezug von Sozialhilfe (Art. 2 Abs. 1 Anhang I FZA). Reichen die finanziellen Mittel für den Lebensunterhalt nicht aus und beantragen diese Personen Sozialhilfe, kann ihnen die Aufenthaltsbewilligung verweigert werden (vgl. BGE 130 II 388 E. 3.1 S. 392; Urteil 2C_390/2013 vom 10. April 2014 E. 5.4; vgl. auch Weisungen des SEM zur VEP [Stand: Januar 2015], Ziff. 8.2.5.3).
8
 
Erwägung 4
 
4.1. Art. 8 EMRK (bzw. Art. 13 BV) garantiert zwar kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Es kann aber das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzen, wenn einem Ausländer, dessen Familienangehörige hier weilen, die Anwesenheit untersagt und damit das Familienleben vereitelt wird (BGE 135 I 143 E. 1.3.1 S. 145, 153 E. 2.1 S. 154 f.). Muss ein Ausländer, dem eine ausländerrechtliche Bewilligung verweigert worden ist, das Land verlassen, haben dies seine Angehörigen grundsätzlich hinzunehmen, wenn es ihnen "ohne Schwierigkeiten" möglich ist, mit ihm auszureisen; eine weitergehende Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK erübrigt sich in diesem Fall. Anders verhält es sich, falls die Ausreise für die Familienangehörigen "nicht von vornherein ohne Weiteres zumutbar" erscheint. In diesem Fall ist immer eine Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK geboten, welche sämtlichen Umständen des Einzelfalls Rechnung trägt (BGE 137 I 247 E. 4.1.2 S. 249 f.; 135 I 153 E. 2.1 S. 155 mit Hinweisen).
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4.2. Die Beschwerdeführerin 1 ist in der Schweiz straffällig geworden. Nach einer ersten Verurteilung im Jahr 2005 zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 60 Tagen wegen Vergehen gegen die Ausländergesetzgebung wurde sie im Januar 2014 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie mehrfacher Geldwäscherei zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Zwischen Ende Februar und Juli 2012 hatte sie die Väter ihrer Kinder beim Drogenhandel unterstützt. Sie hatte mehrfach Heroin in Mengen bis zu 400 Gramm in ihrem Zimmer gelagert und das bei ihr deponierte Drogentelefon bedient. Auch hatte sie mehrmals eigenhändig Heroin an Abnehmer ausgehändigt. Zudem hatte sie sich am Waschen von Drogengeldern beteiligt. Die Beschwerdeführerin 1 nahm nicht selbständig Abstand vom Drogenhandel, sondern erst infolge der Verhaftung des Vaters ihrer beiden Söhne. Mit ihrem Verhalten hat sie eine beträchtliche kriminelle Energie sowie eine äusserst bedenkliche Gleichgültigkeit gegenüber der schweizerischen Rechtsordnung und der Gesundheit anderer Menschen demonstriert.
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4.3. Dem öffentlichen Interesse an der Wegweisung sind die privaten Interessen der Beschwerdeführer an deren Verbleib in der Schweiz gegenüberzustellen.
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4.3.1. Die Beschwerdeführerin 1 macht geltend, sie lebe seit gut neun Jahren in der Schweiz. Auch ihre Kinder hätten den grössten Teil ihres Lebens hier verbracht. Deren Interessen seien von der Vorinstanz ungenügend gewichtet worden.
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4.3.2. Empfindlicher trifft das Urteil der Vorinstanz die siebenjährige Schweizer Tochter der Beschwerdeführerin 1, die hier geboren ist und ein grosses Interesse daran hat, in der Schweiz aufzuwachsen.
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4.4. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz in ihrer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände das öffentliche Interesse an der Wegweisung der Beschwerdeführer höher gewichtet hat als deren private Interessen an einem Verbleib in der Schweiz. Die Verweigerung der Bewilligung erweist sich daher als verhältnismässig. Die Beschwerde der Beschwerdeführer 1 bis 3 ist als unbegründet abzuweisen.
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Erwägung 5
 
5.1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die unterliegenden Beschwerdeführer gemäss Art. 66 Abs. 1 BGG grundsätzlich kostenpflichtig; sie haben indessen um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
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5.2. Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Praxisgemäss sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
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5.3. Der Beizug eines Rechtsvertreters ist in einer Streitsache wie der vorliegenden notwendig. Rechtsanwältin Marisa Bützberger ist als unentgeltliche Rechtsbeiständin der Beschwerdeführer zu bestellen. Als solche hat sie Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (Art. 64 Abs. 2 BGG).
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5.4. Parteientschädigungen werden keine zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2. Den Beschwerdeführern wird Rechtsanwältin Marisa Bützberger, Zürich, als unentgeltliche Rechtsbeiständin beigegeben; diese wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.
 
3. 
 
Lausanne, 27. März 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Petry
 
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