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Informationen zum Dokument  BGer 1B_372/2014  Materielle Begründung
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BGer 1B_372/2014 vom 08.04.2015
 
{T 0/2}
 
1B_372/2014
 
 
Urteil vom 8. April 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Bischofszell,
 
Poststrasse 5b, 9220 Bischofszell.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 23. September 2014 des Obergerichts des Kantons Thurgau.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Im angefochtenen Entscheid wird das Gesuch des Beschwerdeführers um amtliche Verteidigung kantonal letztinstanzlich abgewiesen. Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind diesbezüglich erfüllt. Insbesondere droht dem Beschwerdeführer im Falle einer unzulässigen Verweigerung der Offizialverteidigung (oder einer gesetzwidrigen definitiven Kostenauflage) ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).
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1.2. Nicht eingetreten werden kann hingegen auf den Antrag des Beschwerdeführers, das Bundesgericht habe ihm ein Recht einzuräumen auf "Gegenklage bezüglich widerrechtlichem Nutzungsentzug gegen Stadtrat Arbon auf Anordnung des Bauamtes". Der angefochtene Entscheid beschränkt sich (wie die erstinstanzliche Verfügung) auf die Frage der amtlichen Verteidigung im hängigen Strafverfahren. Er hat weder (verwaltungsrechtliche) baurechtliche Streitigkeiten noch materiellstrafrechtliche Fragen zum Gegenstand. Diesbezüglich fehlt es somit an einem beschwerdeweise anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Entscheid (Art. 80 Abs. 1 bzw. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Seine materiellstrafrechtlichen Vorbringen kann der Beschwerdeführer nötigenfalls im hängigen Einspracheverfahren geltend machen.
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Erwägung 2
 
2.1. Ausstandsgründe sind unverzüglich nach ihrer Kenntnisnahme geltend zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO), damit die betroffene zuständige Justizbehörde rechtzeitig prüfen kann, ob und (wenn ja) welche Gerichtspersonen in den Ausstand zu treten haben. Verspätete Rügen verstossen gegen Treu und Glauben und führen zur Verwirkung des Anspruchs (BGE 134 I 20 E. 4.3.1 S. 21 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer macht geltend, die Obergerichtsvizepräsidentin habe bereits zwischen 2000 und 2009 in anderen Fällen gegen ihn bzw. seine Firmen entschieden. Der von ihm als Ausstandsgrund vorgebrachte Sachverhalt war ihm schon vor der Einreichung seiner Beschwerde an die Vorinstanz bekannt. Er behauptet nicht, im kantonalen Verfahren rechtzeitig ein Ausstandsgesuch gegen die Obergerichtsvizepräsidentin gestellt zu haben, welches von der Vorinstanz zu Unrecht nicht behandelt worden wäre.
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2.2. Darüber hinaus wäre auch materiell kein Ausstandsgrund erkennbar. Der blosse Umstand dass die Obergerichtsvizepräsidentin schon mit anderen Verfahren befasst war, von denen der Beschwerdeführer direkt oder indirekt betroffen gewesen sei, lässt sie objektiv nicht als befangen erscheinen. Zwar behauptet der Beschwerdeführer sinngemäss, die Richterin habe an einer "rechtswidrigen" Enteignung mitgewirkt, welche seinen wirtschaftlichen Ruin "bis zur Mittellosigkeit" nach sich gezogen habe. Er reicht jedoch keine Unterlagen ein, welche diese Behauptungen belegen würden, insbesondere keine rechtskräftigen Urteile, wonach er von einer rechtswidrigen Enteignung betroffen gewesen wäre. Solches geht insbesondere aus dem von ihm eingereichten Deckblatt eines Urteils des Obergerichtes (Rekurskommission) vom 29. Mai 1996 nicht hervor. Der Beschwerdeführer räumt denn auch ausdrücklich ein, dass seine diesbezüglichen Strafanzeigen gegen Gerichtspersonen allesamt (mit rechtskräftigen Nichtanhandnahmeverfügungen) zurückgewiesen worden seien.
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2.3. Die Befangenheitsrüge erweist sich als unbegründet, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.
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Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
4.1. Laut angefochtenem Entscheid wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe ohne Bewilligung und in Verletzung des kantonalen Planungs- und Baugesetzes einen Wintergarten erstellt. Die Isolierverglasung um den ursprünglichen Sitzplatz habe er so dicht konstruiert und zusammengefügt, dass kein Wind mehr auf den verglasten Raum einwirke. Damit habe er ein vollwertiges Wohnzimmer gebaut, welches eine Beheizung zulasse. Ein Bauherr dürfe nicht eigenmächtig (ohne Baubewilligung und unter Berufung auf das Baureglement oder einen Gestaltungsplan) mehr bauen als bewilligt worden sei. Dieser Vorwurf biete weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten, denen der Beschwerdeführer nicht gewachsen wäre. Schon deshalb sei keine amtliche Verteidigung zu bewilligen. Darüber hinaus erscheine der Straffall als Bagatelle. Nicht im hängigen Strafverfahren zu prüfen seien im Übrigen Vorwürfe, die der Beschwerdeführer gegenüber dem Stadtrat bzw. dem Bauamt Arbon erhoben habe. Die von ihm geltend gemachten "Gegenklagen" seien von ihm nötigenfalls in Form von geeigneten Schadenersatzverfahren oder Aufsichtsbeschwerden einzuleiten. Allfällige konnexe Gesuche um Rechtsverbeiständung wären ebenfalls in den betreffenden Verfahren zu stellen.
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4.2. Über die hier nicht vorliegenden Fälle der notwendigen amtlichen Verteidigung (Art. 130 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO) hinaus wird eine amtliche Verteidigung verfügt, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten, eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO).
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4.3. Der Beschwerdeführer wurde im Strafbefehlsverfahren wegen Widerhandlung gegen das kantonale Planungs- und Baugesetz verurteilt. Angesichts der erstinstanzlich ausgefällten Busse von Fr. 1'200.-- kann der vorliegende Fall nicht mehr als Bagatelle eingestuft werden. Es liegt ein Straffall von leichter bis mittlerer Schwere vor, bei dem zu prüfen ist, ob sich im Einspracheverfahren Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur stellen, denen der Beschwerdeführer auf sich alleine gestellt nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Sein Vorbringen, er sei AHV-Bezüger, weshalb er die mit Einsprache angefochtene Busse von Fr. 1'200.-- nicht bezahlen könne, begründet noch keinen Anspruch auf amtliche Verteidigung. Nach den dargelegten Vorschriften muss die Rechtsverbeiständung jedenfalls sachlich notwendig sein (vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV).
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4.4. Unbestrittenermassen handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen pensionierten Architekten. Es wird ihm vorgeworfen, bei der Erstellung eines Wintergartens das kantonale Planungs- und Baurecht verletzt zu haben. Gerade als Baufachmann muss er die verwaltungs- und strafrechtlichen Vorschriften des kantonalen Planungs- und Baurechts näher kennen. Auch was den ihm vorgeworfenen Sachverhalt betrifft, ist er fachlich versiert und vermag er den wenig komplexen Vorwurf ohne Weiteres zu verstehen. Daraus ergibt sich, dass hier keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur ersichtlich sind, die eine Rechtsverbeiständung des Beschwerdeführers im hängigen Strafverfahren als sachlich geboten erscheinen liessen.
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4.5. Nach dem Gesagten hält die Verweigerung der amtlichen Verteidigung durch die Vorinstanz vor dem Bundesrecht stand.
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4.6. Nicht gefolgt werden kann schliesslich dem Rechtsbegehren des Beschwerdeführers, die vorinstanzliche Kostenauflage von Fr. 1'500.-- sei aufzuheben. Wie dargelegt, durfte die Vorinstanz seine Beschwerde als unbegründet abweisen. Damit sind die verursachten Verfahrenskosten durch ihn zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Aus Art. 29 Abs. 3 BV ergibt sich zwar ein Anspruch von finanziell bedürftigen Rechtsuchenden auf Befreiung von der Kostenvorschussobliegenheit. Das betroffene Gemeinwesen kann die verursachten Verfahrenskosten jedoch den unterliegenden bedürftigen Beschwerdeführern auferlegen und nötigenfalls bei ihnen nachfordern, sobald ihre finanzielle Situation dies erlaubt. Insofern haben auch mittellose Rechtsuchende grundsätzlich keinen Anspruch auf definitive Befreiung von selbst verursachten Kosten (vgl. BGE 122 I 322 E. 2c S. 324; 110 Ia 87 E. 4 S. 90; 99 Ia 437 E. 2 S. 439; je mit Hinweisen).
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Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. April 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Forster
 
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