BGer 9C_857/2015 | |||
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BGer 9C_857/2015 vom 02.02.2016 | |
{T 0/2}
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9C_857/2015
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Urteil vom 2. Februar 2016 |
II. sozialrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
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Bundesrichter Meyer,
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Bundesrichterin Pfiffner,
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Gerichtsschreiber Grünenfelder.
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Verfahrensbeteiligte | |
vertreten durch Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Zürich,
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Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
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vom 30. September 2015.
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Sachverhalt: | |
A. Mit Einspracheentscheid vom 6. September 2007 wies die IV-Stelle des Kantons Zürich den Rentenspruch der A.________ (geb. 1958) ab. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hob diesen Verwaltungsakt auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 29. Mai 2009). Gestützt auf die Expertise des Medizinischen Zentrums Römerhof (nachfolgend: MZR) vom 26. März 2011 mitsamt Ergänzung vom 13. April 2011 sprach die IV-Stelle der Versicherten mit Verfügung vom 3. Mai 2012 für November 2003 bis Juli 2005 eine ganze Invalidenrente zu.
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B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. September 2015 ab.
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C. Die Versicherte zieht diesen Entscheid mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weiter und beantragt dessen Aufhebung. Es sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zwecks Einholung eines Gutachtens beim Spital D.________ an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
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Erwägungen: | |
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2. Zu prüfen ist einzig, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat (Art. 95 lit. a BGG), indem sie gestützt auf die vorhandenen medizinischen Akten, insbesondere das MZR-Gutachten vom 26. März/13. April 2011, eine dauernde und erhebliche Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) als unabdingbare Grundlage für den streitigen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente verneint hat (Art. 7 und Art. 8 ATSG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 28 ff. IVG). Die zu diesen Bestimmungen ergangene Rechtsprechung hat das kantonale Gericht in materiell- und beweisrechtlicher Hinsicht, soweit für die Beurteilung der Sache erforderlich, zutreffend dargelegt. Es wird auf die Erwägungen 1.1 bis 1.4 des angefochtenen Entscheides verwiesen.
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2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Rechts auf Beizug eines Dolmetschers. Sie bringt vor, die MZR-Gutachter Prof. Dr. med. B.________ (Facharzt für Neurologie) und Dr. med. C.________ (Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates) hätten, der italienischen Sprache nicht mächtig, widersprüchliche und teilweise unrichtige Angaben gemacht. Die Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts, wonach die beiden Experten die für ihre (medizinische) Beurteilung nötigen Auskünfte von der Beschwerdeführerin hätten erhältlich machen können, wofür deren Verständigungsmöglichkeiten in deutscher Sprache bzw. in Mundart ausreichend gewesen seien, sei "nun wirklich unhaltbar". Dies zeige si ch daran, dass die Versicherte laut Prof. Dr. med. B.________ einen PKW-Führerschein habe, ein Auto besitze und dieses problemlos selbständig führen könne. Diesbezüglich sei "einzig richtig", dass sie einen Führerschein habe und Auto fahren könne; hingegen habe und hatte sie selbst kein Auto. Überhaupt enthalte die MZR-Expertise "Behauptungen des Gutachters, die nicht zutreffen können". Wegen des ungenügenden Verständigungsniveaus auf Deutsch sei denn auch eine frühere Anamneseerhebung und Untersuchung in italienischer Sprache erfolgt. Eine verbale Verständigung sei klarerweise notwendig. Da es an dieser gefehlt habe, seien die Erhebung einer differenzierten Schmerzanamnese und eine kriteriengeleitete Diagnostik bei einer "polymorbiden Schmerzpatientin" mit "jahrelanger psychischer Störung" unmöglich gewesen. D ie neurologische Begutachtung hätte hauptsächlich in einer eigenen umfassenden Schmerzexploration bestehen müssen, welche der Expertise des Prof. Dr. med. B.________ jedoch nicht zu entnehmen sei. Ebenso fehle es an e iner interdisziplinären Diskussion hinsichtlich Konsistenz, Plausibilität und Ressourcen. Anamneseerhebungen, klinische Untersuchungsbefunde und -eindrücke entstammten der Verwendung "vorformulierte (r) Blocksätze" und hätten nichts mit der Beschwerdeführerin zu tun. Prof. Dr. med. B.________ suggeriere mit "teils unsinnigen, (...) immer gleichen neurologischen Testungen" eine (nicht vorhandene) Vollständigkeit. Der vorinstanzliche Schluss auf umfassende Untersuchung bei angenommener fünfzehnminütiger Explorationsdauer sei willkürlich. Das neurologische MZR-Gutachten baue "auf einem wahren Lügengebäude" auf und sei "schlicht eine Erfindung", stehe der Gutachter doch "seit langem dringend im Verdacht, in Dutzenden von Fällen in Tat und Wahrheit befundlich nicht Erhobenes und Falsches verbrieft zu haben". Prof. Dr. med. B.________ sei auch nicht unabhängig, wie seine Akquisitionsmethoden zeigten. Mit der einseitigen und willkürlichen Sachverhaltswürdigung und dem Verzicht auf die Einholung des angekündigten Gerichtsgutachtens (im Spital D.________) habe die Vorinstanz den Sachverhalt unvollständig festgestellt und die Untersuchungsmaxime sowie die Rechte auf Beweis, prozessuale Chancengleichheit und Art. 8 EMRK verletzt. Auch hätte das Beschwerdebild "gemäss BGE 140 V 193" (gemeint wohl BGE 141 V 281) gestützt auf den Indikatorenkatalog im Sinne eines strukturierten Beweisverfahrens beurteilt werden sollen.
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2.2. Wie es sich mit diesen Rügen und Vorbringen im Einzelnen verhält, braucht im jetzigen Verfahrensstand bzw. in diesem Prozess nicht entschieden zu werden. Der Einwand bezüglich des vorinstanzlichen Verzichts auf Durchführung der angeordneten gerichtlichen Begutachtung ist begründet: Wenn auch prozessleitende Verfügungen nicht in Rechtskraft erwachsen und grundsätzlich jederzeit auf sie zurückgekommen werden kann (vgl. BGE 121 II 273 E. 1a/aa S. 276 f.), widerspricht es diametral Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) im Verfahren und stellt es eine Verletzung des daraus abgeleiteten Verbots widersprüchlichen Verhaltens dar (vgl. THOMAS GÄCHTER, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, 2005, S. 118 ff., 529 ff.), eine aufgrund konkreter Beweiswürdigung für notwendig befundene gerichtliche Begutachtung anzuordnen, um dann - zwei Jahre später - bei absolut unveränderter Sach- und Prozesslage mittels abweichender (antizipierter) Beweiswürdigung darauf zu verzichten. Es ist kein objektiver Grund ersichtlich - und ein solcher ist insbesondere dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen -, warum diejenigen Themen und Fragen, welche im Beweisbeschluss vom 6. November 2013 detailliert in Erwägung gezogen und im Einzelnen aufgelistet worden sind, geklärt und schlüssig beantwortet sein sollen. Ob die dem Bundesgericht neu eingereichte Anmeldung zur Vortragsveranstaltung vom 2. Juni 2014 zu berücksichtigen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben. Die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es die angeordnete Gerichtsbegutachtung durchführe.
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3. Auf einen Schriftenwechsel wird angesichts des Verfahrensausgangs, der einzig auf formellen Gründen beruht, verzichtet. Die Einholung einer Vernehmlassung zur Beschwerde käme einem Leerlauf gleich und würde nur weitere Kosten verursachen. Damit ist ein Schriftenwechsel aus Gründen der Prozessökonomie nicht erforderlich (Art. 102 Abs. 1 BGG; Urteil 9C_595/2015 vom 4. Januar 2016 E. 5 mit Hinweisen).
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4. Angesichts des bisherigen Verlaufes des Verfahrens sowie der klaren Rechtslage hat die Vorinstanz die Pflicht zur Justizgewährleistung verletzt. Damit greift das Verursacherprinzip (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 3 sowie Art. 68 Abs. 4 BGG). Gerichtskosten und Parteientschädigung gehen somit zu Lasten des Kantons Zürich (vgl. Urteile 9C_483/2015 vom 28. Juli 2015 E. 5 und 9C_903/2014 vom 15. Januar 2015 E. 3).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. September 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit es im Sinne von Erwägung 2.2 verfahre und danach neu entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Kanton Zürich auferlegt.
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3. Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 2. Februar 2016
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Glanzmann
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Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder
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