VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8C_454/2020  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 18.09.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8C_454/2020 vom 07.09.2020
 
 
8C_454/2020
 
 
Urteil vom 7. September 2020
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiber Grunder.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Dr. Yves Waldmann,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Basel-Landschaft,
 
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Arbeitsfähigkeit; Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid
 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
 
vom 16. April 2020 (720 19 283 / 70).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1967 geborene A.________ meldete sich am 27. August 2003 wegen Rücken-, Bein-, Nacken- und Schulterschmerzen sowie Depression zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Basel-Landschaft klärte den Sachverhalt in beruflicher und medizinischer Hinsicht ab. Laut Gutachten des Dr. med. B.________, Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 6. März 2006 war der Explorand aufgrund der psychischen und somatischen Beeinträchtigungen in einer angepassten Tätigkeit zu 30 bis 40 % arbeitsunfähig. Mit Verfügung vom 24. Oktober 2006 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. März 2006 eine Viertelsrente zu.
1
Im Rahmen eines im April 2007 von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens stellte die Verwaltung fest, dass der Versicherte aufgrund einer Verbesserung des Gesundheitszustands eine vollzeitliche Erwerbstätigkeit als Chauffeur aufgenommen hatte. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren hob die IV-Stelle mit unangefochten rechtskräftig gewordener Verfügung vom 26. September 2007 die Rente auf das Ende des der Zustellung folgenden Monats auf.
2
Am 8. März 2016 meldete sich A.________ wegen der bei einem Sturz am Arbeitsplatz vom 27. Januar 2015 erlittenen Verletzungen an der Wirbelsäule erneut zum Leistungsbezug an. Gemäss dem auf neurologischen, psychiatrischen, allgemein-medizinischen und orthopä disch-traumatologischen Untersuchungen beruhenden Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle Bern, ZVMB GmbH (im Folgenden: MEDAS), vom 15. Oktober 2018 litt der Explorand an einem lumbo- sowie zervikospondylogenen Schmerzsyndrom ohne radikuläre Zeichen, an einem Status nach medialer Meniskektomie links und Status nach Sinusvenenthrombose (folgenlos ausgeheilt), an einem Span nungskopfschmerz, einer Gastritis, einer Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10 Z73.1) sowie an Problemen in Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung (ICD-10 Z73). Er vermöge schwere Lasten über 10 kg nicht mehr zu heben und zu tragen, unzumutbar seien Verrichtungen über Kopf, das Hantieren mit vibrierenden Maschinen sowie Arbeiten in Zwangsposition des Rumpfes und des Kopfes. In einer diesem Profil angepassten Tätigkeit sei er vollschichtig zu 8.5 Stunden am Tag arbeitsfähig. Laut Beurteilung der Dr. med. C.________, Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) beider Basel, vom 22. Oktober 2018 war die polydisziplinäre Expertise der MEDAS aus medizinischer Sicht schlüssig und nachvollziehbar begründet. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 1. Juli 2019 einen Anspruch auf Invalidenrente. Zur Begründung führte sie aus, der Versicherte sei im Zeitraum vom 27. Januar 2015 bis 26. Januar 2016 nicht ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich zu 40 % arbeitsunfähig gewesen. Seit dem 1. Juli 2015 sei er in seiner früheren beruflichen Tätigkeit als Mitarbeiter in einer Stanzerei wie auch in jeder anderen den Leiden adaptierten Beschäftigung vollständig arbeitsfähig. Daher sei die Wartezeit von einem Jahr durchgehender Arbeitsunfähigkeit von mindestens 40 % nicht erfüllt.
3
B. Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 16. April 2020 ab.
4
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung sowie zur Neuberechnung des Rentenanspruchs an die IV-Stelle zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Einholung einer medizinischen Oberexpertise zurückzuweisen. Ferner wird um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht.
5
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.
6
 
Erwägungen:
 
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG).
7
2. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht in Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 1. Juli 2019 erkannt hat, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf eine Invalidenrente, weil er nicht während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen sei (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG).
8
 
3.
 
3.1. Die Vorinstanz hat nach umfassender Darstellung der medizinischen Akten erkannt, zur Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit sei auf das in allen Teilen beweiskräftige Gutachten der MEDAS vom 15. Oktober 2018 abzustellen. Die medizinischen Sachverständigen hätten anlässlich der interdisziplinären Konsensbesprechung der im Bericht vom 28. September 2016 geäusserten Auffassung des Dr. med. D.________, FMH Orthopädie, Kreisarzt der Suva, beigepflichtet, dass die beim Unfall vom 27. Januar 2015 erlittene Fraktur an der Basis des Wirbelbogens auf Höhe des Brustwirbelkörpers BWK 1 links mit Infraktur/Bone Bruise des Processus spinosus auf Höhe des Halswirbelkörpers HWK 6 sowie die Zerrung des angrenzenden interspinalen Ligamentes HWK 6/7 spätestens am 26. Januar 2016 folgenlos abgeheilt gewesen seien. Die Experten hätten auch sonst keine Befunde erheben können, mit welchen eine Arbeitsunfähgkeit zu begründen wäre. Wohl seien gemäss dem von der orthopädischen Sachverständigen formulierten Zumutbarkeitsprofil das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Verrichtungen über Kopf, das Hantieren mit schlagenden und vibrierenden Maschinen sowie Arbeiten in Zwangspositionen des Rumpfes und des Kopfes nicht zumutbar. Indessen sei festzuhalten, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in einer Stanzerei gemäss Angaben des Versicherten als körperlich leicht belastend einzustufen sei, zumal er lediglich Gewichte bis zu 1 kg habe heben oder tragen müssen, die Körperhaltung selbst habe bestimmen und sowohl stehend und sitzend habe arbeiten können. Das kantonale Gericht ist zusammenfassend zum Schluss gelangt, die IV-Stelle sei zutreffend ab 1. Juli 2015 von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit ausgegangen, weshalb die gesetzliche Wartezeit (27. Januar 2015 bis 26. Januar 2016) nicht erfüllt gewesen sei und der Versicherte bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 1. Juli 2019 keinen Anspruch auf eine Invalidenrente gehabt haben könne.
9
 
3.2.
 
3.2.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie die Aussage der orthopädischen Gutachterin der MEDAS, er sei ab 1. Juli 2015 in der angestammten oder einer vergleichbaren Erwerbstätigkeit von 80 % beginnend bis allenfalls 100 % arbeitsfähig gewesen, missachtet habe. Der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, inwieweit mit diesem Vorbringen begründet werden könnte, der Beschwerdeführer sei während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen. Das kantonale Gericht hat dazu zutreffend festgehalten, gemäss der orthopädischen Sachverständigen der MEDAS sei aufgrund der langjährigen Absenz von einem Arbeitsplatz und der damit einhergehenden Dekonditionierung eine vorübergehende Leistungsminderung von ungefähr 20 % nachvollziehbar. Im Übrigen ist zum einen zu ergänzen, dass ein Hinweis auf eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 20 % in der geschilderten Konsensbesprechung gerade deshalb fehlt, weil die Sachverständigen der MEDAS klar die Auffassung äusserten, der Beschwerdeführer sei vollständig leistungsfähig gewesen. Inwiefern damit ein inhaltlicher Widerspruch zum Teilgutachten der orthopädischen Expertin erblickt werden soll, wie der Beschwerdeführer geltend macht, ist nicht ersichtlich. Zum anderen übersieht er, dass auch unter der Annahme einer dauernden Arbeitsunfähigkeit von 20 % die Voraussetzung von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG nicht erfüllt wäre.
10
3.2.2. Weiter ist nicht ersichtlich, welche Schlussfolgerung aus dem Umstand zu ziehen sein soll, dass die obligatorische Unfallversicherung in Bezug auf die Folgen des Unfalles vom 27. Januar 2015 die Sache erst per 7. Mai 2017 abgeschlossen und bis dahin Taggeldleistungen erbracht hatte. Das kantonale Gericht hat richtig erkannt, dass der Umstand, die obligatorische Unfallversicherung habe über den 26. Januar 2016 (Ende der Wartezeit gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) hinaus Taggeldleistungen erbracht, zur Beurteilung des Streitgegenstands nichts beiträgt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer gemäss Bericht der E.________ AG vom 9. September 2016 seit dem 1. Januar 2016 zu 42 Stunden pro Woche ohne Leistungseinschränkung arbeitstätig gewesen war. Die Beschwerde ist abzuweisen.
11
4. Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
12
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 7. September 2020
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).