BGer 2C_162/2020 | |||
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BGer 2C_162/2020 vom 05.11.2020 |
2C_162/2020 |
Urteil vom 5. November 2020 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Seiler, Präsident,
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Bundesrichter Zünd,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Gerichtsschreiber Errass.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführerin,
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vertreten durch Rechtsanwalt Michael Sigerist,
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gegen
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Amt für Arbeit,
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Regierungsrat des Kantons Schwyz,
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Sicherheitsdepartement des Kantons Schwyz, Rechts- und Beschwerdedienst.
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Gegenstand
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Arbeitszeitregelung für Tankstellenshop,
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Beschwerde gegen den Entscheid des
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Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz,
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Kammer II, vom 17. Dezember 2019 (II 2019 83).
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Sachverhalt: | |
A. Die A.________ GmbH betreibt im Rahmen des Coop Franchisesystems in U.________ einen Coop Pronto Shop mit Tankstelle. Dieser Tankstellenshop befindet sich an der x.________strasse unmittelbar vor der Autobahneinfahrt. Wer also auf der Autobahn unterwegs ist, muss diese kurz verlassen, um zu tanken oder etwas zu kaufen. Im Dezember 2018/Januar 2019 kontrollierte das kantonale Amt für Arbeit die Arbeitszeitabrechnungen der Mitarbeitenden des genannten Tankstellenshops. Dabei stellte es fest, dass die zulässigen Arbeitszeiten mehrfach nicht eingehalten worden seien. Nach einer Ermahnung verlangte die A.________ GmbH eine anfechtbare Verfügung. Darin wurde festgestellt, dass der Coop Tankstellenshop kein Shop im Sinne von Art. 27 Abs. 1quater des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 (ArG; SR 822.11) und Art. 26 Abs. 2bis der Verordnung 2 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2; SR 822.112) sei, weshalb sich der Coop Tankstellenshop an die in Art. 10 ArG festgelegte betriebliche Tages- und Abendarbeit von 17 Stunden zu halten habe. Die Beschwerde dagegen beim Regierungsrat war erfolglos (17. September 2019), ebenso diejenige gegen den Regierungsratsentscheid beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (17. Dezember 2019).
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B. Vor Bundesgericht beantragt die A.________ GmbH mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 17. Dezember 2019 (II 2019 83), den Beschluss Nr. 638/2019 vom 17. September 2019 des Regierungsrats des Kantons Schwyz (Beschwerdeentscheid VB 97/2019) sowie die Feststellungsverfügung vom 3. April 2019 des Amts für Arbeit des Kantons Schwyz aufzuheben, festzustellen, dass der Coop Tankstellen-Shop ein Shop im Sinne von Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 und nicht an die in Art. 10 ArG festgelegte betriebliche Tages- und Abendarbeit von 17 Stunden gebunden sei sowie eventuell die Sache zum neuen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Wesentlichen wird eine unrichtige Auslegung von Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 geltend gemacht.
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C. Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz verzichten auf eine Vernehmlassung. Das Amt für Arbeit des Kantons Schwyz beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) hat sich nicht vernehmen lassen.
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Der beantragten aufschiebenden Wirkung der Beschwerde wurde am 5. März 2020 nicht entsprochen.
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Erwägungen: | |
1. Da alle Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90, Art. 89 Abs. 1, Art. 42 und 100 Abs. 1 BGG). Nicht einzutreten ist dagegen auf das Begehren, den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz und die Feststellungsverfügung des Amtes für Arbeit des Kantons Schwyz aufzuheben. Verfahrensgegenstand bildet nur das vorinstanzliche Urteil (Devolutiveffekt).
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2.
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2.1. Streitgegenstand bildet die Frage, ob der Tankstellenshop der Beschwerdeführerin ein solcher nach Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 ist. Unbestritten ist, dass der Tankstellenshop der Beschwerdeführerin einen Kiosk im Sinne von Art. 26 Abs. 1 ArGV 2 darstellt, weshalb das Sonntagsarbeitsverbot (Art. 18 ArG) keine Anwendung findet.
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2.2. Nach Art. 10 Abs. 1 ArG gilt die Arbeit von 6 Uhr bis 20 Uhr als Tagesarbeit, die Arbeit von 20 bis 23 Uhr als Abendarbeit. Unter bestimmten Voraussetzungen können Beginn und Ende der betrieblichen Tages- und Abendarbeit zwischen 5 Uhr und 24 Uhr anders festgelegt werden. Auch in diesem Fall beträgt die betriebliche Tages- und Abendarbeit höchstens 17 Stunden (Art. 10 Abs. 2 ArG). Nachtarbeit, d.h. die Arbeit ausserhalb der betrieblichen Arbeit nach Art. 10 ArG, ist verboten (Art. 16 ArG). Nach Art. 27 Abs. 1quater ArG dürfen auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr in Tankstellenshops, deren Waren- und Dienstleistungsangebot in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonntags und in der Nacht beschäftigt werden. Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 nimmt diese Ausführungen auf und konkretisiert sie: Auf Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr, die ein Waren- und Dienstleistungsangebot führen, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, und die in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind Art. 4 (Befreiung von der Bewilligungspflicht) für die ganze Nacht und den ganzen Sonntag sowie die Art. 8 Abs. 1 (Regelung zur Überzeit am Sonntag), Art. 12 Abs. 2 (Gewährung von freien Sonntagen) und Art. 14 Abs. 1 (wöchentlicher freier Halbtag) anwendbar.
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2.3. Art. 27 Abs. 1quater ArG ist Resultat einer parlamentarischen Initiative (09.462: "Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops"; dazu Bericht vom 10. Oktober 2011 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats zur parlamentarischen Initiative "Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops" [nachfolgend: Bericht Tankstellenshops], BBl 2011 8981). Dabei folgte die Mehrheit in der parlamentarischen Auseinandersetzung allerdings nicht dem Vorschlag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats, sondern dem bundesrätlichen Vorschlag (Stellungnahme des Bundesrates vom 11. Januar 2012 zum Bericht Tankstellenshops, BBl 2012 437 [nachfolgend: Stellungnahme]). Dieser entsprach der damals geltenden Verordnungsregelung (aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2; AS 2000 1623; dazu etwa BUNDESRAT SCHNEIDER-AMMANN, AB S 2012 747). Zwar wies der französische Text von aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2 eine Abweichung gegenüber dem deutschen und italienischen Text auf. Der Normsinn entsprach aber diesen Formulierungen (vgl. BGE 134 II 265 E. 5.1 S. 268 m.H. auf den deutschen und italienischen Verordnungstext). Der erwähnte aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2 wurde zu Art. 27 Abs. 1quater ArG (AB S 2012 746, 747 f., 1259; AB N 2012 2038, 2041, 2280); dabei wurde auch der französische Text angepasst. Materiell änderte sich somit nichts.
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2.4.
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2.4.1. Zum alten Recht sind zwei Bundesgerichtsentscheide ergangen (BGE 134 II 265 [E. 5]; Urteil 2A.211/2006 vom 16. Januar 2007 [E. 3]). Die
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2.4.2. Die Beschwerdeführerin geht ohne Weiteres davon aus, dass die Rechtsprechung zum alten Recht, welche indes nur Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr betraf, auch auf das neue Recht in Bezug auf Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr anwendbar ist. Dies trifft zu, da Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 mit aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2 materiell identisch sind.
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2.4.3. Unstrittig ist, dass der Tankstellenshop der Beschwerdeführerin, der sich an der x.________strasse in U.________ befindet, nicht an einem Hauptverkehrsweg mit starkem Reiseverkehr im Sinne von Art. 27 Abs. 1quater ArG liegt. Im Kanton Schwyz gelten nur die Hauptstrasse 8 (H8; von der Kantonsgrenze Schwyz/St. Gallen bis zum Autobahnanschluss Nr. 39 Seewen, ohne Dorfdurchfahrt Pfäffikon) sowie die Nationalstrasse 4 (N4, auch Axenstrasse genannt, ab dem Autobahnanschluss Nr. 41 Brunnen bis zur Kantonsgrenze Schwyz/Uri) als Hauptverkehrswege (siehe Entscheid des Regierungsrates vom 17. September 2019 E. 7.2). Die Beschwerdeführerin macht (e) denn zu Recht auch vor keiner Instanz geltend, dass ihr nicht an einem Hauptverkehrsweg liegender Tankstellenshop die vom Bundesgericht definierten Voraussetzungen erfülle. Vielmehr will sie für Autobahnen die Kriterien für Hauptverkehrswege angewendet wissen, womit ihr Tankstellenshop, der zwar nicht auf einer Autobahnraststätte liege, als Tankstellenshop
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3.
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3.1. Die Beschwerdeführerin geht in ihrer gesamten Argumentation implizit davon aus, dass das
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3.2. Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 sind auszulegen. Sie lauten:
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Art. 27 Abs. 1quater ArG
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"Auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr dürfen in Tankstellenshops, deren Waren- und Dienstleistungsangebot in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sonntags und in der Nacht beschäftigt werden."
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Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2
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"Auf Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr, die ein Waren- und Dienstleistungsangebot führen, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, und die in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind Artikel 4 für die ganze Nacht und den ganzen Sonntag sowie die Artikel 8 Absatz 1, 12 Absatz 2 und 14 Absatz 1 anwendbar."
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3.3. Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 nennen Eine genaue Lagebezeichnung der Tankstellenshops war demgegenüber bei Strassen ausserhalb von Autobahnen nicht möglich, weshalb der Gesetzgeber auch nur von "an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr" schrieb. Bereits aus dem Wortlaut wird somit ersichtlich, dass Autobahnen als geschlossenes System betrachtet werden: Tankstellenshops sollen nur an genau vorgesehenen Standorten auf Autobahnen betrieben werden; Tankstellenshops an Autobahnen sind danach nicht möglich.
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3.4. Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 bezwecke n - wie ihre Vorgängerin (aArt. 26 Abs. 4 ArGV 2) -, den auf Autobahnen oder Hauptverkehrswegen verkehrenden Reisenden zu ermöglichen, Die vom Bundesgericht in den beiden Urteilen erwähnte Möglichkeit, dass ein Tankstellenshop nicht direkt an einem Hauptverkehrsweg gelegen sein muss, damit er allenfalls die Voraussetzungen von Art. 27 Abs. 1quater ArG und Art. 26 Abs. 2bis ArGV 2 erfüllt, ändert daran nichts: Sie bezieht sich nicht auf Autobahnen, sondern nur auf den Bereich des Hauptverkehrswegs, mithin auf den Bereich ausserhalb von Autobahnen, und ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass Hauptverkehrsadern ausserhalb von Autobahnen nicht von Anfang an als solche bezeichnet werden können, sondern zuerst vom Kanton bezeichnet werden müssen (vgl. Bericht Tankstellenshops, BBl 2011 8985), weshalb es zutreffen kann, dass ein Tankstellenshop nicht unmittelbar an einem Hauptverkehrsweg mit starken Reiseverkehr liegt. Allerdings kann dies nicht so verstanden werden, dass ein solcher Tankstellenshop überhaupt keinen räumlichen Bezug mehr zum Hauptverkehrsweg aufweisen muss, war doch auch beim Sachverhalt des Urteils 2A.211/2006 vom 16. Januar 2007 der Tankstellenshop einsehbar und grenzte die Liegenschaft an den Hauptverkehrsweg.
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3.5. Auch das historische Auslegungselement vermag die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht zu unterstützen: Wie bereits ausgeführt (oben E. 2.3) folgte die Mehrheit in der parlamentarischen Auseinandersetzung zur erwähnten parlamentarischen Initiative nicht dem Vorschlag der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats, sondern dem bundesrätlichen Vorschlag, der der damals geltenden Regelung entsprach. Der Vorschlag der Kommission sprach von "Hauptverkehrsstrassen", weshalb eine grössere Anzahl von Tankstellenshops in den Genuss der Sonderbestimmung gekommen wäre. Das Parlament hat ihn indessen - wie erwähnt - abgelehnt. Würde nun der Auslegung der Beschwerdeführerin gefolgt, so würde durch die Hintertür eine Ausweitung des Angebots für Tankstellenshops
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3.6.
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4. Demnach ist die Beschwerde unbegründet und abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer II, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 5. November 2020
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Seiler
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Der Gerichtsschreiber: Errass
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