BGer 6B_1287/2020 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 09.03.2021, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer 6B_1287/2020 vom 23.02.2021 |
6B_1287/2020 |
Urteil vom 23. Februar 2021 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
| |
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied,
| |
Bundesrichter Muschietti,
| |
Bundesrichterin van de Graaf,
| |
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
|
Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
| |
Beschwerdeführer,
| |
gegen
| |
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
| |
Beschwerdegegnerin.
| |
Gegenstand
| |
Einstellung des Strafverfahrens; Nichtleistung des Kostenvorschusses,
| |
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Oktober 2020 (SW.2020.85).
|
Erwägungen: | |
1. Nach einer Strafanzeige des Beschwerdeführers eröffnete die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung, mehrfacher Veruntreuung, evtl. mehrfachen Betrugs sowie mehrfacher Urkundenfälschung. Aufgrund der im Untersuchungsverfahren erhobenen Beweismittel gelangte sie zum Schluss, dass sich die gegen die Bank B.________ AG sowie deren Mitarbeiter erhobenen Tatverdächtigungen nicht aufrechterhalten liessen. Sie stellte das Strafverfahren deshalb mit Verfügung vom 3. Juli 2020 ein. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 14. Juli 2020 Beschwerde an die Vorinstanz. In der Folge wies die Verfahrensleitung der Vorinstanz das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit und fehlender Mittellosigkeit am 24. September 2020 ab und forderte diesen auf, innert zehn Tagen eine Sicherheit von Fr. 3'000.-- zu leisten, andernfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.
| |
2. Gegen die Abweisung der unentgeltlichen Rechtspflege vom 24. September 2020 wandte sich der Beschwerdeführer am 21. Oktober 2020 mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Ehe dieses darüber befand, trat die Vorinstanz mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 wegen Nichtleistung der verlangten Sicherheit auf die bei ihr hängige Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens nicht ein. Entsprechend wurde ein (Zwischen-) Entscheid über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege hinfällig, weshalb das Bundesgericht auf die Beschwerde vom 21. Oktober 2020 nicht eintrat (Urteil 1B_553/2020 vom 13. Januar 2021).
| |
3. Der Beschwerdeführer erhebt am 5. November 2020 Beschwerde in Strafsachen gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensbeschluss vom 22. Oktober 2020. Er beantragt, auf seine Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung sei einzutreten. Zur Begründung verweist er auf seine Beschwerde vom 21. Oktober 2020. Sofern dieser entsprochen würde, entfiele die Voraussetzung für eine Forderung zur Zahlung einer Sicherheitsleistung.
| |
4. Der Beschwerdeführer ist durch den vorinstanzlichen Nichteintretensbeschluss formell beschwert und zur Beschwerde an das Bundesgericht im Sinne von Art. Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG befugt. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
|
5. | |
5.1. In seinem Urteil vom 13. Januar 2021 hielt das Bundesgericht fest, die vorinstanzliche Verfügung vom 24. September 2020 habe sich auf den Endentscheid vom 22. Oktober 2020 ausgewirkt. Es sei daher im Rahmen der Beschwerde gegen diesen Beschluss die Rechtmässigkeit der Verpflichtung zu einer Sicherheitsleistung zu prüfen und damit gleichzeitig zu beurteilen, ob die Vorinstanz die unentgeltliche Rechtpflege verweigern durfte (Urteil 1B_ 553/2020 E. 1.3).
| |
5.2. Gemäss Art. 383 Abs. 1 Satz 1 StPO kann die Verfahrensleitung die Privatklägerschaft verpflichten, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen Sicherheit zu leisten. Art. 136 StPO bleibt vorbehalten (vgl. Art. 383 Abs. 1 Satz 2 StPO). Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so tritt die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht ein (Art. 383 Abs. 2 StPO).
| |
5.3. Art. 136 Abs. 1 StPO konkretisiert den in Art. 29 Abs. 3 BV verankerten Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft im Strafprozess. Dieser ist gestützt auf die vorgenannte Gesetzesbestimmung die unentgeltliche Rechtspflege für die Durchsetzung ihrer Zivilansprüche ganz oder teilweise zu gewähren, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (lit. a) und die Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (lit. b).
| |
5.4. Die Vorinstanz hat das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beschwerdeführers sowohl mangels Bedürftigkeit (Art. 136 Abs. 1 lit. a StPO) als auch wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels (Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO) mit Verfügung vom 24. September 2020 abgewiesen.
| |
5.5. Als aussichtslos im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV bzw. Art. 136 Abs. 1 lit. b StPO sind Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 142 III 138 E. 5.1 mit weiteren Hinweisen).
| |
5.6. Die Vorinstanz gelangt im Rahmen der summarischen Prüfung der Prozessaussichten zum Schluss, dass aufgrund der umfassenden Strafuntersuchung der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Bank B.________ AG bzw. ihrer Mitarbeitenden äusserst unwahrscheinlich sei. Die Staatsanwaltschaft habe im Verlauf der Strafuntersuchung drei Handschriftengutachten in Auftrag gegeben, in welchen eine Vielzahl von Originalunterschriften des Beschwerdeführers mit jenen auf den fraglichen Bankbelegen vom 23. Januar 2009 sowie vom 29. August 2011 verglichen worden seien. Dabei sei das Gutachten des Kriminaltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Thurgau sowie jenes des Forensischen Instituts Zürich zum Ergebnis gekommen, dass alle geprüften Bankbelege Unterschriften aufweisen, die dem Schriftbild des Beschwerdeführers sehr ähnlich seien. Das dritte Gutachten des Kriminaltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Bern halte sogar fest, die geprüften Bankdokumente seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Beschwerdeführer selber unterzeichnet worden. Damit sei der wohl unumstössliche Beweis erbracht, dass der Beschwerdeführer die im Strafverfahren strittigen Geldbezüge selber quittiert habe. Infolgedessen liesse sich der in der Strafanzeige vorgebrachte Verdacht nicht länger aufrechterhalten, Mitarbeiter der Bank B.________ AG hätten auf den fraglichen Bankbelegen seine Unterschrift gefälscht, um damit unrechtmässig vereinnahmte Kontobezüge zu kaschieren. Ein strafbares Verhalten sei auch deshalb auszuschliessen, da gemäss den plausiblen Darlegungen der Staatsanwaltschaft insgesamt fünf Bankmitarbeiter aus verschiedenen Bankbereichen und unterschiedlichen Standorten in die zur Anzeige gebrachten Delikte involviert gewesen sein müssten. Dies sei aufgrund des eher bescheidenen und für Bankangestellte kaum lohnenswerten Deliktsbetrags im mittleren fünfstelligen Bereich kaum wahrscheinlich. Die Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft erweise sich deshalb insgesamt als aussichtslos.
| |
5.7. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was geeignet wäre, diese summarische Beurteilung der Vorinstanz als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.
| |
Als unbegründet erweist sich die Kritik, die Vorinstanz hätte sich pauschal auf die Ergebnisse der drei Handschriftengutachten abgestützt, ohne deren Inhalt entsprechend seinen Rügen in Frage zu stellen. Vorliegend bestätigen drei voneinander unabhängige Handschriftengutachten, dass der Beschwerdeführer die fraglichen Bankbelege mit überwiegender Wahrscheinlichkeit selber quittierte. Bereits deshalb ist es im Lichte der genannten Grundsätze sowie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von Gutachten abgewichen und Abweichungen begründet werden müssen (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1), vertretbar, dass die Vorinstanz zum vorläufigen Schluss kam, eine Verurteilung der Bank B.________ AG sowie deren Mitarbeiter sei unter den gegebenen Umständen von vornherein unwahrscheinlich, womit das Strafverfahren gegen die genannten Personen zu Recht eingestellt worden sei. Dass die Staatsanwaltschaft in antizipierter Beweiswürdigung davon abgesehen hat, den Steueranwalt des Beschwerdeführers als Entlastungszeugen einzuvernehmen, ändert daran mit Blick auf die erhobenen Gutachten nichts. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Befragung einer Person, die im Zeitpunkt des Bezugs der fraglichen Vermögenswerten in den Banklokalitäten nicht zugegen war, etwas an den Ergebnissen der Handschriftengutachten ändern könnte.
| |
Ebenso wenig ist zu monieren, wenn die Vorinstanz den Inhalt sowie die Objektivität der Gutachten nicht in Frage stellte, wurden diese doch alle von der Staatsanwaltschaft und nicht von der Bank B.________ AG in Auftrag gegeben und handelt es sich bei den Gutachtern um die kriminaltechnischen Fachstellen unterschiedlicher Kantone. Es trifft abschliessend auch nicht zu, dass die Vorinstanz ihren Zwischenentscheid einzig auf die Gutachten abstützte, hat sie doch plausibel dargelegt, eine Tatbeteiligung von Mitarbeitenden der Bank B.________ AG könne auch aufgrund der bankinternen Geschäftsabläufe sowie der kaum lohnenswerten Deliktssumme mit grösster Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
| |
5.8. Die Beurteilung der Vorinstanz, wonach die Beschwerde gegen die Einstellung des Strafverfahrens ernsthafter Erfolgsaussichten entbehre, womit die Beschwerde bzw. eine mit dem Strafverfahren verknüpfte Zivilklage aussichtslos sei, ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden. Angesichts dessen kann offen bleiben, wie es sich mit der Voraussetzung der Bedürftigkeit verhielte. Die Vorinstanz hat mit der Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege nicht gegen Art. 136 Abs. StPO bzw. Art. 29 Abs. 3 BV verstossen.
| |
Unter diesen Umständen durfte sie vom Beschwerdeführer gestützt auf Art. 383 StPO eine Sicherheitsleistung verlangen und infolge deren Nichtbezahlung auf die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung nicht eintreten.
| |
6. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor Bundesgericht ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Entsprechend dem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
|
Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
| |
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
| |
3. Die Kosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
| |
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
| |
Lausanne, 23. Februar 2021
| |
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
| |
des Schweizerischen Bundesgerichts
| |
Das präsidierende Mitglied: Denys
| |
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill
| |
© 1994-2021 Das Fallrecht (DFR). |