BGer 6B_427/2020 | |||
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BGer 6B_427/2020 vom 01.11.2021 | |
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6B_427/2020 |
Urteil vom 1. November 2021 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
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Bundesrichter Denys,
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Bundesrichterin Koch,
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Gerichtsschreiber Briw.
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Verfahrensbeteiligte | |
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Babak Fargahi,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Rechtswidriger Aufenthalt (Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG), EU-Rückführungsrichtlinie,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 26. Februar 2020 (SB190063-O/U/mc).
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Sachverhalt: | |
A.
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Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis bestrafte mit Strafbefehl vom 9. Mai 2018 die äthiopische Staatsangehörige A.________ wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b Ausländergesetz (AuG) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten (wovon 2 Tage durch Haft erstanden sind).
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Im Strafbefehl wird ausgeführt, A.________ habe sich rechtswidrig in der Schweiz aufgehalten, namentlich nach Ablauf des bewilligungsfreien oder des bewilligten Aufenthalts. Trotz Kenntnis der am 28. August 2014 verfügten und mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig gewordenen Wegweisung des Staatssekretariats für Migration, wonach sie bis 23. Oktober 2014 die Schweiz hätte verlassen müssen, habe sie sich ohne gültigen Aufenthaltstitel und ohne sich um die Beschaffung von gültigen Reisedokumenten zu kümmern vom 18. Mai 2016 bis 8. Mai 2018 an verschiedenen Orten der Schweiz aufgehalten.
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B.
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Das Bezirksgericht Horgen stellte am 12. Oktober 2018 auf Einsprache von A.________ auf den im Strafbefehl wiedergegebenen und von ihr eingestandenen Sachverhalt ab. Es folgte ihrem Einwand nicht, die Behörden hätten nicht alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um den Vollzug der Ausreise zu ermöglichen, und verurteilte sie wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG zu 6 Monaten Freiheitsstrafe (wovon 2 Tage durch Haft erstanden sind).
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Das Obergericht des Kantons Zürich stellte das Verfahren auf Berufung von A.________ am 26. Februar 2020 ein. Die erstinstanzlich ausgefällte sechsmonatige Freiheitsstrafe wurde nicht vollzogen. Sie wurde für die zwei Tage Untersuchungshaft entschädigt.
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C.
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Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt beim Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen sowie eventualiter, A.________ gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen.
| 8 |
D.
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In der Vernehmlassung verzichtete das Obergericht auf eine Stellungnahme. A.________ reicht eine "Beschwerdeantwort" vom 6. Oktober 2021 ein (unten E. 1.6).
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Die Beschwerdeführerin hält fest, nach der Vorinstanz habe die Migrationsbehörde von der Anordnung der Durchsetzungshaft abgesehen und damit nicht sämtliche Massnahmen für den Vollzug der Rückkehrentscheidung angewandt, weshalb sie die Auffassung vertrete, die Rückführungsrichtlinie vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (RL 2008/115/EU [vormals: EG]; nachfolgend: Richtlinie) stehe einer Verurteilung der Beschwerdegegnerin entgegen und das Verfahren sei einzustellen.
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Die Beschwerdeführerin wendet gestützt auf das Urteil 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 E. 2.3 ein, die Richtlinie stehe einer Bestrafung nicht entgegen. Diese dürfe nur die effektive Rückführung nicht gefährden. Wenn auch eine Zwangsmassnahme die Rückkehr nicht ermöglicht habe, sei eine Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts wieder zulässig. Eine Durchsetzungshaft müsse zuvor nicht angeordnet werden
| 12 |
Die Vorinstanz verneine die Verhältnismässigkeit und Effektivität einer Ausschaffungshaft und bestätige damit, dass die zwangsweise Rückschaffung im Tatzeitraum nicht möglich gewesen sei, schreibe aber eine solche Eignung der Durchsetzungshaft zu. Diese sei erstens nicht vorausgesetzt und hätte zweitens nicht zur Rückführung geführt, zumal die Beschwerdegegnerin sich in ihrer Verweigerungshaltung eingerichtet und zur Beschaffung der Reisedokumente nicht kooperiert habe. Es habe keine Aussicht auf einen erfolgreichen Vollzug der Abschiebung bestanden. Die Beschwerdegegnerin halte sich seit 2014 illegal in der Schweiz auf, und zwar aufgrund von innerhalb ihres Einflussbereichs liegenden "nicht berechtigten Gründen für die Nichtrückkehr"; auch aktuell sei keine "hinreichende Aussicht auf Abschiebung" erkennbar (vgl. Urteil 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 E. 2.4.3).
| 13 |
1.2. Die Vorinstanz führt aus, das angeklagte Verhalten erfülle sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG. Das Asylgesuch sei mit Entscheid vom 28. August 2014 des Bundesamts für Migration abgewiesen worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Beschwerde am 22. Oktober 2014 abgewiesen, wodurch der Asyl- und Wegweisungsentscheid rechtskräftig geworden sei. Eine neue Ausreisefrist sei bis zum 26. November 2014 angesetzt worden. Seither und insbesondere seit dem 18. Mai 2016 (erste Verurteilung vom 17. Mai 2016 wegen rechtswidrigen Aufenthalts) bis zu ihrer Verhaftung am 8. Mai 2018 halte sich die Beschwerdegegnerin rechtswidrig in der Schweiz auf. Daran änderten die Wiedererwägungsentscheide nichts. Sie beharre auf ihrer rechtskräftig widerlegten Darstellung, auf die sie sich bereits im Asylverfahren und in den Wiedererwägungsgesuchen erfolglos berufen habe. Sie könne keine konkreten Bemühungen für die Ausreise vorweisen (Urteil S. 10).
| 14 |
Die Vorinstanz nimmt an, gemäss der europäischen Rechtsprechung bezögen sich die Begriffe Massnahmen und Zwangsmassnahmen auf jegliches Vorgehen, das auf wirksame Weise unter Beachtung der Verhältnismässigkeit zur Rückkehr der Betroffenen führe. Zwangsmassnahmen seien nur als letztes Mittel vorzunehmen (Art. 8 Abs. 4 Richtlinie). Die Migrationsbehörden hätten abgesehen von der Eingrenzung am 28. Juli 2016 keinerlei weitere (Zwangs-) Massnahmen getroffen (Urteil S. 13). Äthiopien habe sich erst im November 2018 bereit erklärt (und im Januar 2019 bestätigt), die Vereinbarung mit der EU betreffend Zusammenarbeit im Rückkehrbereich auf die Schweiz auszudehnen. Somit sei im Anklagezeitraum lediglich die freiwillige Rückkehr möglich gewesen. Damit wäre die Ausschaffungshaft nicht zielführend und mithin unverhältnismässig gewesen (Urteil S. 14).
| 15 |
Von der Durchsetzungshaft sei aus unbekannten Gründen abgesehen worden. Dementsprechend seien nicht alle zumutbaren Massnahmen getroffen worden, womit die Richtlinie einer Verurteilung entgegenstehe. Daran ändere nichts, dass wohl auch die Durchsetzungshaft die Beschwerdegegnerin nicht zu einer freiwilligen Rückkehr hätte motivieren können. Eine minimale Wahrscheinlichkeit, dass die Anordnung der Durchsetzungshaft doch noch zu einem Umdenken führe, bestehe aber faktisch immer. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Urteils 2C_629/2019 vom 19. Juli 2019 E. 3.3 wäre die Anordnung der Durchsetzungshaft verhältnismässig und damit zulässig gewesen. Weil davon abgesehen worden sei, stehe die Richtlinie einer Verurteilung entgegen und sei das Verfahren einzustellen (Urteil S. 15 f.).
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1.3. | |
1.3.1. In Frage steht eine Verurteilung auf dem Gebiet des Ausländerstrafrechts und ihre Vereinbarkeit mit der Richtlinie (oben E. 1.1), die aufgrund des Schengen-Abkommens (SR 0.362.31) auch von der Schweiz anzuwenden ist (Urteile 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.1; 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 E. 2.3.1).
| 17 |
1.3.2. Das Bundesgericht beachtet die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auslegungsweise bei der "dynamischen" Rechtsübernahme im Rahmen des Schengenabkommens und damit auch bei der Auslegung und Anwendung der Richtlinie (vgl. BGE 146 II 201 E. 4.2.3 betr. Art. 81 Abs. 2 AIG). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangt eine rückführungsrichtlinienkonforme Anwendung von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG, auf die Verhängung und den Vollzug einer Freiheitsstrafe zu verzichten, wenn gegen die betroffene Person mit illegalem Aufenthalt ein Wegweisungsentscheid erging und die erforderlichen Entfernungsmassnahmen, zu denen auch Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 8 der Richtlinie gehören, noch nicht ergriffen wurden (BGE 143 IV 249 E. 1.9). Vom Anwendungsbereich der Richtlinie sind lediglich Straftaten ausgenommen, die Drittstaatsangehörige neben einer illegalen Einreise oder dem illegalen Aufenthalt ausserhalb des Ausländerstrafrechts begangen haben, mithin strafbare Handlungen, durch die über die ausländerrechtlichen Regelungen hinausgehende Schutzzwecke tangiert sind (BGE 143 IV 264 E. 2.6.2; Urteil 6B_701/2019 vom 17. Dezember 2020 E. 1.4.2). Die Verhängung einer Geldstrafe ist dagegen mit der Richtlinie grundsätzlich nicht unvereinbar, vorausgesetzt sie erschwert das Verfahren der Entfernung nicht (BGE 145 IV 197 E. 1.4.3; Urteil 6B_438/2020 vom 9. Februar 2021 E. 1.4).
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1.3.3. In der Richtlinie 2008/115/EG sind gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger festgelegt. Die Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 verpflichtet, das jeweils aktualisierte "Rückkehr-Handbuch" bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen.
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Gemäss Ziff. 4 des Handbuchs steht es den Mitgliedstaaten frei, wirksame, verhältnismässige und abschreckende Sanktionen festzulegen, darunter Freiheitsentzug als strafrechtliche Sanktion bei Verstössen gegen die Migrationsbestimmungen, sofern diese Massnahmen nicht die Anwendung der Richtlinie beeinträchtigen. "Berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr" können Gründe ausserhalb des Einflussbereichs oder im persönlichen Bereich des Rückzuführenden sein; "nicht berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr" innerhalb des Einflussbereichs des Rückzuführenden können in der mangelnden Kooperation bei der Beschaffung der Reisedokumente oder der Offenlegung der Identität, in der Vernichtung von Dokumenten, der Flucht oder Behinderung der Abschiebung sein. Gemäss Ziff. 5 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, sofern nicht das Unionsrecht eine ausdrückliche Ausnahme vorsieht. Gemäss Ziff. 6 ist eines der Hauptziele der Richtlinie die Förderung der freiwilligen Ausreise. Gemäss Ziff. 7 betreffend Art. 8 Abs. 1-4 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten - ungeachtet der Kooperationspflicht des Drittstaatsangehörigen - verpflichtet, "alle erforderlichen Massnahmen" zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu ergreifen, als letztes Mittel Zwangsmassnahmen. Ändern Rückzuführende in der Abschiebehaft ihre Einstellung und zeigen Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise, sind die Mitgliedstaaten gehalten, flexibel zu handeln.
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Zur Vorabentscheidungsfrage, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehe, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen einen Drittstaatsangehörigen allein wegen seiner illegalen Einreise in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats oder seines illegalen Aufenthalts vorsehe, wies die Grosse Kammer des Gerichtshofs im Urteil vom 6. Dezember 2011 in der Rs. C-329/11 Alexandre Achughbabian zunächst darauf hin, dass die Richtlinie dem Recht eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehe, den illegalen Aufenthalt als Straftat einzustufen und strafrechtliche Sanktionen vorzusehen (Randnrn. 28, 46); das gelte aber nur soweit, als das nationale Recht nicht das Ziel der Richtlinie gefährden und sie ihrer praktischen Wirksamkeit berauben könnte (Randnr. 33). Der Gerichtshof ging davon aus, nach Art. 15 der Richtlinie sei die Inhaftnahme nur zulässig, um die Abschiebung vorzubereiten und zu ermöglichen (Randnr. 36), und erwog: Die Verhängung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe während des von der Richtlinie vorgesehenen Rückkehrverfahrens trage nicht zur Verwirklichung der mit diesem Verfahren verfolgten Abschiebung bei; eine derartige Strafe stelle somit keine "Massnahme" oder "Zwangsmassnahme" im Sinne von Art. 8 der Richtlinie dar (Randnr. 37). Der Gerichtshof erkannte, die Richtlinie stehe einer Strafvollstreckung entgegen, wenn gegen den Rückzuführenden "keine Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 8 verhängt wurden".
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In Ziff. 7 des "Rückkehr-Handbuchs" wird das Urteil dahingehend interpretiert, ein Freiheitsentzug sei im Kontext der Rückkehr/Rückführung nur für die Zwecke der Abschiebung zulässig. Diese Auslegung schränkt die Anwendung von Art. 115 Abs. 1 lit. b AIG als ausländerrechtliches Sonderdelikt ein (zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung HANS MAURER, in: Andreas Donatsch [Hrsg.], StGB/JStG, Kommentar, 20. Aufl. 2018, N. 19a zu Art. 115 AIG).
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1.4. | |
1.4.1. Die Vorinstanz begründet die Verfahrenseinstellung damit, die Migrationsbehörden hätten von der Möglichkeit der Anordnung der Durchsetzungshaft abgesehen und damit im anklagegegenständlichen Zeitraum nicht sämtliche zumutbaren Möglichkeiten für den Vollzug der Rückkehrentscheidung angewandt (Urteil S. 16). Die Vorinstanz stellt zudem fest, dass die Migrationsbehörden, abgesehen von der Eingrenzung, fast zwei Jahre nach dem abschlägigen Asylentscheid, "keinerlei weitere (Zwangs-) Massnahmen für den Vollzug der Rückkehrentscheidung (trafen) " (Urteil S. 13). Sie stellt weiter fest, bereits in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2018 hätten erste ausreisepflichtige Personen zwangsweise nach Äthiopien zurückgeführt werden können. Hingegen sei während des anklagegegenständlichen Zeitraums lediglich die freiwillige Rückkehr möglich und damit die Ausschaffungshaft nicht zielführend gewesen (Urteil S. 14). Die unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit erforderliche Eignung der Durchsetzungshaft sei nach der Rechtsprechung aber schon dann gegeben, wenn eine minimale Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass der renitente Ausländer dadurch sein Verhalten überdenke und zur Durchführung der Wegweisung mit den Behörden kooperiere (Urteil S. 15 mit Hinweis auf Urteil 2C_629/2019 vom 19. Juli 2019 E. 3.3).
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1.4.2. Damit stellt die Vorinstanz für das Bundesgericht sachverhaltlich verbindlich fest (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass die erforderlichen Entfernungsmassnahmen noch nicht ergriffen wurden. In die grundsätzlich verbindliche Sachverhaltsfeststellung greift das Bundesgericht nur ein, wenn sie schlechterdings unhaltbar ist (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 347 E. 4.4), mithin nicht bereits, wenn sie sich als "diskutabel" oder "kritikabel", sondern erst, wenn sie sich als "manifestement insoutenable" erweist (Urteil 6B_493/2021 vom 2. Juni 2021 E. 1).
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Wurden somit - wie die Vorinstanz abschliessend feststellt - "im anklagegegenständlichen Zeitraum nicht sämtliche zumutbaren Möglichkeiten für den Vollzug der Rückkehrentscheidung angewandt" (Urteil S. 16), so wurden die erforderlichen Entfernungsmassnahmen, zu denen auch Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 8 der Richtlinie gehören, noch nicht ergriffen.
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1.5. Wie dargelegt (oben E. 1.3.3 in fine), ist nach Ziff. 7 des "Rückkehr-Handbuchs" ein Freiheitsentzug im Kontext der Rückkehr/Rückführung nur für die Zwecke der Abschiebung zulässig. Das liegt in der ratio legis des Rechtsbegriffs "Verzögerung des Rückkehrverfahrens" begründet, indem die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Abschiebung gemäss Art. 1 und 8 der Richtlinie innerhalb kürzester Frist zu erfüllen haben; erst ein Strafverfahren durchzuführen, "würde die Abschiebung verzögern" (Urteil des EuGH
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Nach dem massgebenden Sachverhalt hält sich die Beschwerdegegnerin jedenfalls seit den rechtskräftigen Entscheiden des Jahres 2014 (oben E. 1.2) illegal in der Schweiz auf. Dieser illegale Aufenthalt beruht auf "nicht berechtigten Gründen für die Nichtrückkehr" innerhalb des Einflussbereichs der Beschwerdegegnerin im Sinne von Ziff. 4 des "Rückkehr-Handbuchs" (oben E. 1.3.3). Sie hätte "freiwillig" zurückkehren können und wäre aufgrund der Richtlinie dazu verpflichtet gewesen. Hingegen konnte sie im anklagegenständlichen Zeitraum nicht zwangsweise zurückgeführt werden (oben E. 1.4.1).
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Soweit ein Freiheitsentzug nach der europäischen Rechtslage grundsätzlich ausgeschlossen ist, wird damit nicht schon jede Sanktionierung einer beharrlichen Renitenz ausgeschlossen und der durch nicht kooperierendes Verhalten fortgesetzte illegale Aufenthalt mittelbar begünstigt. Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG droht neben Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr alternativ Geldstrafe an. Die Verhängung einer Geldstrafe ist mit der Richtlinie nicht unvereinbar, soweit sie die Abschiebung nicht verzögert (BGE 143 IV 249 E. 1.9; bestätigt in BGE 145 IV 197 E. 1.4.3; Urteil 6B_438/2020 vom 9. Februar 2021 E. 1.4). Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit dem Urteil des EuGH vom 6. Dezember 2012 in der Rs. C-430/11 Md Sagor, wonach anders als bei einer Freiheitsstrafe vor der Vollstreckung der Rückkehrentscheidung (Randnr. 33) eine (richtlinienkonform angeordnete) Geldstrafe nicht geeignet ist, das Rückkehrverfahren zu behindern (Randnrn. 36, 39). Die Prämisse, ob die Beschwerdegegnerin allenfalls zahlungsunfähig wäre, ist zuerst zu prüfen (vgl. Randnr. 29). Entsprechend ist auch nach der Interpretation in Ziff. 4 des "Rückkehr-Handbuchs" die Verhängung einer angemessenen Geldstrafe bei illegalem Aufenthalt mit der Richtlinie "nicht unvereinbar".
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1.6. | |
1.6.1. Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde unter Kosten- und Entschädigungsfolgen abzuweisen. Sie wendet ein, die erforderlichen Entfernungsmassnahmen seien noch nicht ergriffen worden. Zwangsweise Rückführungen mit Sonderflug seien bereits seit November 2018 und andere zwangsweise Rückführungen seien schon früher möglich gewesen. Es handle nicht schuldhaft, wem es nicht zumutbar sei, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die Gründe der Unzumutbarkeit hätten bereits im mit der Anklage inkriminierten Zeitraum vom 18. Mai 2016 bis 8. Mai 2018 bestanden. Ferner könne sie sich auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen. Zumindest bestehe kein öffentliches Interesse gemäss Art. 8 StPO i.V.m. Art. 52 StGB, sie wegen rechtswidrigen Aufenthalts zu bestrafen.
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1.6.2. Soweit die Beschwerdegegnerin weitere Dokumente ins Recht legt, ohne darzulegen, weshalb die Voraussetzungen von Art. 99 Abs. 1 BGG gegeben sein sollten oder vom vorinstanzlichen Sachverhalt abweicht, ohne Willkür darzutun, ist auf ihre Argumentation nicht einzutreten.
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1.6.3. Die Beschwerdegegnerin hätte aufgrund rechtskräftiger Entscheide bereits im Jahre 2014 ausreisen müssen (oben E. 1.2). Es besteht kein Anlass, auf eine Strafverfolgung im Sinne von Art. 8 StPO zu verzichten oder ein fehlendes Strafbedürfnis gemäss Art. 52 StGB anzunehmen; es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich das Verhalten der Beschwerdegegnerin massgeblich vom Regelfall unterscheiden sollte, sodass das Strafbedürfnis offensichtlich fehlen würde (Urteil 6B_519/2020 vom 27. September 2021 E. 2.4 f.). Die Annahme eines aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes kommt nicht in Betracht (BGE 146 IV 297 E. 2.2.1).
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1.7. Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdegegnerin den Tatbestand von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG erfüllt habe (oben E. 1.2). Indem sie das Strafverfahren einstellt, ohne über Schuld und Strafe zu entscheiden und insbesondere die Ausfällung einer Geldstrafe in Erwägung zu ziehen, verletzt sie Bundesrecht (Art. 95 BGG).
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Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdegegnerin steht es im Rahmen ihres rechtlichen Gehörs frei, ihre Vorbringen in der Vernehmlassung bei der vorinstanzlichen Neubeurteilung vorzutragen (Urteil 6B_519/2020 vom 27. September 2021 E. 2.6). Diese Rückweisung verletzt nicht das nach Massgabe von Art. 107 Abs. 1 BGG für das Bundesgericht geltende Verschlechterungsverbot, da die Staatsanwaltschaft Beschwerde führt (Urteil 6B_495/2008 vom 27. Dezember 2008 E. 1.4 mit Hinweis auf Urteil 6B_411/2007 vom 2. November 2007 E. 1.3). Die Vorinstanz wird in diesem Rahmen von der Beschwerdegegnerin neu eingereichte Dokumente berücksichtigen können.
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2.
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Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (und Verbeiständung) wurde der Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 10. August 2021 bewilligt. Es sind ihr keine Kosten aufzuerlegen. Ihr Anwalt ist aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (Art. 64 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin ist nicht zu entschädigen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2020 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
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3.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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4.
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Rechtsanwalt Babak Fargahi wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 1. November 2021
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
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Der Gerichtsschreiber: Briw
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