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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Rainer M. Christmann | |||
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StGB § 25 Abs. 1 |
4. Strafsenat |
Urteil |
vom 15. September 1988 g.R.u.a. |
- 4 StR 352/88 - |
Landgericht Bochum |
Gründe: | |
Das Landgericht hat die Angeklagten H. und P. wegen versuchten Mordes zu lebenslanger, den Angeklagten R. zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; die Angeklagte H. hat ihre Revision auf den Strafausspruch beschränkt. Die Rechtsmittel führen jeweils zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen haben die Revisionen der Angeklagten R. und P. keinen Erfolg.
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I. | |
Nach den Feststellungen lebten die Angeklagten in einem von "Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben" geprägten "neurotischen Beziehungsgeflecht" zusammen. Der Angeklagten H. gelang es im bewußten Zusammenwirken mit P., dem leicht beeinflußbaren Angeklagten R. zunächst die Bedrohung ihrer Person durch Zuhälter und Gangster mit Erfolg vorzugaukeln und ihn in eine Beschützerrolle zu drängen. Später brachten beide ihn durch schauspielerische Tricks, Vorspiegeln hypnotischer und hellseherischer Fähigkeiten und die Vornahme mystischer Kulthandlungen dazu, an die Existenz des "Katzenkönigs", der seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe, zu glauben; R. - in seiner Kritikfähigkeit eingeschränkt, aber auch aus Liebe zu Barbara H. darum bemüht, ihr zu glauben - wähnte sich schließlich auserkoren, gemeinsam mit den beiden anderen den Kampf gegen den "Katzenkönig" aufzunehmen. Auf Geheiß mußte er Mutproben ![]() ![]() | 2 |
II. | |
Das Landgericht hat alle Angeklagten zu Recht als Täter eines versuchten Mordes verurteilt.
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1. Der Angeklagte R.: ![]() | 4 |
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Zutreffend hat das Landgericht auch angenommen, daß der Angeklagte für sein Tun verantwortlich gewesen ist. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich die Überzeugung verschafft, daß der Angeklagte nicht schwachsinnig ist und nicht an einer krankhaften seelischen Störung leidet. Wohl handelt es sich bei ihm um eine "hoch abnorme Persönlichkeit", die "neurotisch tiefgreifend gestört und deformiert" ist. Dieser Zustand, so ist den weiteren Ausführungen der Strafkammer zu entnehmen, und die "erfolgreiche Überzeugungsarbeit der Angeklagten H. und P." führten dazu, daß R. zur Tatzeit in "Wahngewißheiten" lebte. Das Landgericht hat dieses Persönlichkeitsbild nicht ausdrücklich einem der Merkmale des § 20 StGB zugeordnet. Seinen Ausführungen ist aber mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß es als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der genannten Vorschriften zu kennzeichnen ist. Diese beeinträchtigte die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht, denn er wußte um das Verbotensein der Tötung eines Menschen und er kannte sämtliche Tatumstände. Auch die Steuerungsfähigkeit war nicht aufgehoben, da der Angeklagte sich dem Tatauftrag hätte entziehen können. Daß die Wahnideen und die "daraus resultierenden pathologischen Gefühle" den Angeklagten nach den Ausführungen der Strafkammer erheblich entsteuerten, hat diese durch Anwendung des § 21 StGB berücksichtigt.
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Der Angeklagte R. kann sich nicht auf Notwehr oder Nothilfe (§ 32 StGB) berufen, da weder er noch andere, wie er wußte, einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff durch das Opfer ausgesetzt waren. Rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB ![]() ![]() | 7 |
Ebenso zutreffend hat die Strafkammer einen Schuldausschluß nach § 35 StGB bereits deswegen verneint, weil der Täter nicht den Willen hatte, die vermeintliche Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden (vgl. Hirsch in LK 10. Aufl. § 35 Rn. 38 m.w.N.). Er selbst fürchtete seinen Tod nicht, weil ihm von H. und P. vorgegaukelt worden war, daß er schon mehrfach gelebt habe und seine Seele sicher wiederkehren werde; an Angehörige und nahestehende Personen dachte er nicht.
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Nicht geprüft hat das Landgericht, ob dem Angeklagten ein übergesetzlicher, den Anwendungsbereich des § 35 StGB überschreitender entschuldigender Notstand zugute kommt (vgl. Lackner, StGB 17. Aufl. vor § 32 Anm. III 3 m. Nachw.). Das führt aber nicht zur Aufhebung des Schuldspruchs. Ein solcher Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgrund (vgl. Lackner a.a.O.) kann, wenn er überhaupt besteht, dem Täter allenfalls unter der Voraussetzung zugebilligt werden, daß eine gewissen ![]() ![]() | 9 |
2. Der Angeklagte P.
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Zu Recht hat das Landgericht auch den Angeklagten P. als Täter verurteilt. Dieser hat gemeinschaftlich mit der Angeklagten H., die den Schuldspruch nicht angegriffen hat, die Tat "durch einen anderen" im Sinne des § 25 Abs. 1 StGB begangen. Sie handelten aus niedrigen Beweggründen. Beide sind nicht etwa deswegen nur Anstifter, weil auch der Mitangeklagte R. als Täter einzustufen war.
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a) Die Frage, ob der Hintermann eines schuldhaft handelnden Täters mittelbarer Täter sein kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof hat zwar in BGHSt 2, 169 [170]; 30, 363 [364] ausgeführt, daß der mittelbare Täter die Tat durch einen anderen ausführe, der nicht selbst Täter sei. Diese Definition, die für den Regelfall der mittelbaren Täterschaft zutrifft, ist in den genannten Entscheidungen aber nicht tragend. Im vorliegenden Fall kommt es auf die Beantwortung der Frage an, weil den Angeklagten H. und P. - jedenfalls nach Überzeugung des Landgerichts - die für eine Verurteilung wegen Anstiftung zum versuchten Mord erforderliche Kenntnis des tatbezogenen Merkmals der Heimtücke nicht nachzuweisen war (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1969, 193; BGH, Beschl. vom 6. Juli 1982 - 1 StR 281/82; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rn. 62, 64). Als Täter sind sie wegen versuchten Mordes zu bestrafen, da sie das täterbezogene Merkmal des niedrigen Beweggrundes erfüllt haben.
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Im Schrifttum ist die Frage der Abgrenzung der Anstiftung zur mittelbaren Täterschaft umstritten (vgl. Lackner, StGB 17. Aufl. § 25 Anm. 1 b mit Nachw.). Nach verbreiteter Meinung wird aus dem Verantwortungsprinzip hergeleitet, daß die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft dort endet, wo das Werkzeug selbst verantwortlicher Täter ist (Jescheck, Lehrbuch des Straf ![]() ![]() | 13 |
b) Die unterschiedliche Gewichtung in den Lösungsansätzen, die auf der einen Seite ausschließlich auf die Handlungsherrschaft des Abhängigen abstellen und auf der anderen Seite den ![]() ![]() ![]() ![]() | 14 |
Die Abgrenzung hängt im Einzelfall von Art und Tragweite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes ab (vgl. BGHSt 32, 38 [42]). Mittelbarer Täter eines Tötungs- oder versuchten Tötungsdelikts ist jedenfalls derjenige, der mit Hilfe des von ihm bewußt hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert, so daß der Irrende bei wertender Betrachtung als ein - wenn auch (noch) schuldhaft handelndes - Werkzeug anzusehen ist.
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c) So liegt es nach den Feststellungen hier. Einerseits haben die Angeklagten H. und P. beim Angeklagten R. die Wahnideen hervorgerufen und diese später bewußt ausgenutzt, um seine rechtlichen Bedenken wie seine Gewissensbisse auszuschalten und ihn zu veranlassen, die von ihnen beabsichtigte Tat ihren Plänen und Vorstellungen entsprechend auszuführen. Auf diese psychologische Weise steuerten sie die Tatplanung. Darüber hinaus bestimmten sie wesentliche Teile der Tatausführung. P. übergab dem Angeklagten R. die Tatwaffe und erklärte auf dessen Frage, wie er die Tat ausführen solle, er solle von hinten so zustechen, wie es "Japaner und Ledernacken im 2. Weltkrieg" getan hätten, da das Opfer dann gleich tot sei; Zeugen dürften keine vorhanden sein. An diese wie auch an sonstige Anweisungen hat sich R. gehalten. Andererseits irrte R. bei der Tat nicht nur über das Verbotensein seines Tuns, er war vielmehr darüber hinaus in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeengt. Er befand sich in einem engen Beziehungs- und Einwirkungsgeflecht, das die Angeklagten H. und P. zum Zwecke seiner Steuerung ausgenutzt und so eingesetzt haben, daß er sich ihrem bestimmenden Einfluß nur schwer entziehen konnte.
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Damit haben die Angeklagten H. und P. ihn zur Tat bestimmt und die Tatausführung kraft ihrer Einwirkung und ihres überlegenen Wissens beherrscht. Sie hatten damit die Tatherrschaft, ohne Mittäter zu sein, weil sie entsprechend ihrem Plan wissentlich und willentlich die objektive Tatbestandsverwirklichung R. ![]() ![]() | 17 |
III. | |
Demgegenüber haben die Strafaussprüche keinen Bestand.
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Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet insoweit die Ablehnung einer Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB bei allen Angeklagten. Zwar kann eine solche Strafrahmenverschiebung versagt werden. Dies setzt aber eine Gesamtschau der Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters voraus, bei der den wesentlich versuchsbezogenen Umständen, nämlich Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und aufgewandte kriminelle Energie, besonderes Gewicht zukommt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1, 2 und 4). Die Strafkammer hat zwar eine solche Würdigung vorgenommen. Diese läßt aber besorgen, daß sie nicht alle wesentlichen der zugunsten der Angeklagten sprechenden Gründe erwogen hat.
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Ausweislich der Urteilsgründe hat die Strafkammer die Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung für H. und P. gemeinschaftlich abgehandelt und insoweit nicht zwischen diesen beiden Angeklagten unterschieden. Dadurch ist ihr möglicherweise entgangen, daß die Tatbeiträge dieser beiden Angeklagten entgegen den Ausführungen im Urteil nicht gleichgewichtig sind. Sie handelten zwar gemeinschaftlich, sie sind auch beide Täter. Die treibende Kraft war aber Barbara H.; P. ordnete sich, wenn auch im eigenen Interesse, unter. Bedenklich ist auch, daß das Landgericht im Rahmen der Prüfung der Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB die Persönlichkeitsabnormitäten der Angeklagten H. und P., ihr eigenartiges Beziehungsgeflecht, nicht ausreichend erwogen hat. Barbara H. kann als "gestörte Persönlichkeit" bezeichnet werden. P. ist der "intelligenteste der drei Angeklagten", hat sich aber "nirgendwo einen eigenen Lebensraum mit stabilen und verläßlichen Wertbezügen" geschaffen. Die Persönlichkeitsmängel beider Angeklagten führen zwar nicht zur Anwendung des § 21 StGB, sie sind jedoch im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Die Möglichkeit dazu hat sich die Strafkammer dadurch versperrt, daß sie die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten bei der Prüfung der Strafrahmenver ![]() ![]() | 20 |
Diese Mängel führen zur Aufhebung der lebenslangen Freiheitsstrafen. Mit ihnen ist aber auch die gegen den Angeklagten R. verhängte zeitige Freiheitsstrafe aufzuheben, weil nicht auszuschließen ist, daß das Landgericht auch seine Persönlichkeitsstruktur bei der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 StGB nicht ausreichend erwogen hat; dafür spricht, daß es in diesem Zusammenhang nicht auch die ungewöhnlichen Entstehungsbedingungen des Verbotsirrtums neben dem Umstand, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war, in Betracht gezogen hat.
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Da der Senat nicht auszuschließen vermag, daß das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB hinsichtlich aller Angeklagten zu einem milderen Strafrahmen gelangt wäre, können die Strafaussprüche nicht bestehenbleiben.
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IV. | |
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