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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Brian Valerius, A. Tschentscher | |||
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2. Die mit einem Völkermord gemäß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB tateinheitlich begangenen Verbrechen gemäß §§ 211, 212 StGB werden von dem nach § 6 Nr. 1 StGB geltenden Weltrechtsprinzip erfaßt (Annexkompetenz). |
3. § 220 a Abs. 1 StGB ist ein Straftatbestand, der nach seinem Wortlaut und auch nach seinem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn außer einmaligen Handlungen auch mehrere natürliche Handlungen oder ganze Handlungskomplexe umschreibt (tatbestandliche Handlungseinheit). |
4. Eine einzige materiell-rechtliche Tat im Sinne des § 220 a Abs. 1 StGB liegt vor, wenn sich die tatbestandlichen Handlungen auf eine bestimmte, etwa durch ihren Lebensraum näher konkretisierte nationale, rassische, religiöse oder ethnische (Teil)Gruppe beziehen und die mehreren Handlungen als ein einheitlicher örtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachverhalt erscheinen.![]() |
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3. Strafsenat |
Urteil |
vom 30. April 1999 g.J. |
- 3 StR 215/98 - |
Oberlandesgericht Düsseldorf |
Aus den Gründen: | |
Das Oberlandesgericht D. hat den Angeklagten, einen bosnischen Serben, wegen Völkermordes in elf Fällen, und zwar in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in 20 Fällen (A II 8 a; Einzelstrafe: neun Jahre), mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in acht Fällen (A II 8 b; Einzelstrafe: neun Jahre), mit Freiheitsberaubung in 300 Fällen (A II 8 c; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe), zweimal in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in drei Fällen (A II 8 d und e; Einzelstrafen von sieben und acht Jahren), in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung in 15 Fällen (A II 8 f; Einzelstrafe: neun Jahre), mit Freiheitsberaubung in zwölf Fällen (A II 8 g; Einzelstrafe: sieben Jahre), mit Mord in 22 Fällen (A II 8 h; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe), mit gefährlicher Körperverletzung (A II 8 i; Einzelstrafe: sieben Jahre), mit Mord in sieben Fällen (A II 8 j; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe) und mit Mord in einem Fall (A II 8 k; Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Es hat festgestellt, daß die Schuld besonders schwer wiegt.
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I. Verfahrensvoraussetzungen | |
Die Anwendung des deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 1 und § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
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1. Nach § 6 Nr. 1 StGB gilt kraft des Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht für ein im Ausland begangenes Verbrechen des Völkermordes. Voraussetzung der Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Straftaten, die von Ausländern im Ausland an Ausländern verübt worden sind, ist ferner, daß der Anwendung deutschen Strafrechts ein völkerrechtliches Verbot nicht entgegensteht (BGH NStZ ![]() ![]() | 3 |
a) Einer Verurteilung des Angeklagten durch die deutsche Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips steht ein völkerrechtliches Verbot nicht entgegen.
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aa) Ein solches Verbot ist insbesondere nicht aus Art. VI der Völkermordkonvention (Genozid-Konvention) vom 9. Dezember 1948 (BGBl. 1954 II 729) abzuleiten, der die Aburteilung durch ein Gericht des Tatortstaates oder einen internationalen Gerichtshof vorsieht (vgl. Jescheck GA 1981, 49, 58; Oehler NStZ 1994, 485, a.A. noch in Oehler, Internationales Strafrecht 2. Aufl. Rdn. 854, 892). Zwar mag das Absehen der Konvention von dem - im ersten Entwurf noch vorgesehenen - Universalprinzip darin begründet sein, daß sich einzelne Vertragsstaaten im Hinblick auf den politischen Charakter des geschützten Rechtsguts gegen jegliche internationale Strafgerichtsbarkeit verwahren wollten (vgl. Jescheck ZStW 66, 193, 202 f.). Dies hat jedoch nicht dazu geführt, daß ein entsprechendes Verbot aufgenommen wurde. Daß die Regelung nicht abschließend ist und sein sollte, also die Aburteilung durch ein anderes nationales Gericht als das des Tatorts nicht verbietet, ergibt sich nicht nur aus ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, S. 93, 101 f.); die Annahme, daß Völkermord nur durch das Tatortgericht oder einen Internationalen Gerichtshof geahndet werden dürfte, wäre vor allem mit der in Art. 1 der Konvention übernommenen Verpflichtung der Vertragsstaaten, das weltweit geächtete Ver ![]() ![]() | 5 |
bb) Diese Auslegung der Völkermordkonvention findet auch ihre Bestätigung in Art. 9 Abs. 1 des Statuts des Jugoslawien-Strafgerichtshofs (abgedruckt bei Schomburg/Lagodny IRG 3. Aufl. S. 1176, 1180), der unabhängig von Art. VI der Völkermordkonvention eine konkurrierende Gerichtsbarkeit nationaler Gerichte für die Verfolgung des Völkermordes vorsieht. Die zur Auslegung des Statuts neben den Kammern des Tribunals berufene Anklagebehörde beim Tribunal versteht unter nationalen Gerichten im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die Gerichtsbarkeit des Tatortstaates, sondern auch die Gerichtsbarkeit jedes anderen Staates (vgl. Louise Arbour a.a.O.). Dies ergibt sich daraus, daß seitens der Anklagebehörde des Tribunals nicht nur im vorliegenden Verfahren, sondern auch in den gegen N. D. und D. K. in Deutschland geführten Verfahren auf eine Übernahme des Verfahrens verzichtet und die Verfolgung durch den Generalbundesanwalt und die nach § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG zuständigen Oberlandesgerichte begrüßt wurde. Hätte die internationale Staatengemeinschaft die Regelung des Art. VI der Völkermord-Konvention als ab ![]() ![]() | 6 |
cc) Aus dem Umstand, daß die Völkermordkonvention das Weltrechtsprinzip nicht vorschreibt, folgt deshalb nur, daß die Vertragsstaaten nicht verpflichtet sind, dieses Prinzip einzuführen (vgl. Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, S. 143) und einen von einem Ausländer an Ausländern im Ausland begangenen Völkermord zu verfolgen. Den Vertragsstaaten ist es aber völkerrechtlich nicht verwehrt, bei der Verfolgung des Völkermords, dessen internationaler Charakter kraft Völkergewohnheitsrechts (vgl. Roggemann NJW 1994, 1436, 1437) und durch internationalen Vertrag anerkannt ist, innerstaatlich mehr zu tun als das völkerrechtliche Minimum, das ihnen die Verfolgung von Auslandstaten nur unter einschränkenden Voraussetzungen zur Pflicht macht (Gribbohm in LK 11. Aufl. § 6 Rdn. 14; BGHSt 27, 30, 32 f.).
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b) Ein legitimierender Anknüpfungspunkt wurde vom Oberlandesgericht D. zu Recht darin erblickt, daß der Angeklagte von Mai 1969 bis Anfang 1992 seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte, er auch danach noch in B. amtlich gemeldet war, seine deutsche Ehefrau und seine Tochter, die er auch nach der Tat mehrfach besuchte, nach wie vor in Deutschland leben, und er im Inland verhaftet worden ist, nachdem er sich freiwillig auf deutschen Boden begeben hatte. Allein dieser Inlandsbezug rechtfertigt die Aus ![]() ![]() | 8 |
2. Auch die tateinheitlich begangenen Verbrechen des Mordes werden vom Weltrechtsprinzip des § 6 Nr. 1 StGB erfaßt, so daß es nicht darauf ankommt, ob neben § 6 Nr. 1 StGB für tateinheitlich mit dem Völkermord verwirklichte Delikte § 6 Nr. 9 StGB eingreift, dessen Voraussetzungen das Oberlandesgericht, auch für die Zeit nach dem 19. Mai 1992 (vgl. dazu das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 16. November 1998 in Sachen Selebisi), angenommen hat. Der Senat ist der Auffassung, daß § 6 Nr. 1 StGB jedenfalls dann, wenn ein Verbrechen des Völkermordes nach § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegt, die Geltung des deutschen Strafrechts auch für die tateinheiflich verwirklichten Tatbestände des Mordes und des Totschlags gemäß §§ 211, 212 StGB begründet.
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a) Die Annahme, § 6 Nr. 1 StGB erfasse auch tateinheitlich mit Völkermord gemäß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB begangene ![]() ![]() ![]() | 10 |
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c) Die der Annahme einer Annexkompetenz zugrunde liegenden Erwägungen stehen auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zwar ist bereits entschieden worden, daß das tateinheitliche Zusammentreffen des in § 6 Nr. 3 StGB genannten § 316 c StGB (Angriff auf den Luft- und Seeverkehr) mit einem vorsätzlichen Tötungsdelikt für dieses ebensowenig die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts (BGH NJW 1991, 3104) begründet, wie das tateinheitliche Zusammentreffen des von § 6 Nr. 5 StGB erfaßten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit dem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch (BGHSt 34, 1; BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 1; BGH, Beschl. vom 4. Juli 1995 - 1 StR 286/95), der für sich genommen nicht unter das Weltrechtsprinzip fällt. In diesen Fällen tateinheitlicher Begehung fehlt es aber an einer vergleichbaren engen tatbestandlichen Verknüpfung, wie sie zwischen § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB und §§ 211, 212 StGB typischerweise besteht, daß nämlich der nach dem Weltrechtsprinzip verfolgbare Tatbestand des Völkermordes in der Begehungsalternative des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB stets zugleich die Erfüllung des Tatbestandes des § 212 StGB oder des § 211 StGB beinhaltet. Demgegenüber setzt der Tatbestand des § 316 c StGB, der nach § 6 Nr. 3 StGB ebenfalls dem Weltrechtsprinzip unterfällt, nicht voraus, daß ein Mensch getötet wird, so daß eine Erstreckung dieser Vorschrift auf ein tateinheitlich begangenes Tötungsdelikt aus den oben ausge ![]() ![]() | 12 |
3. Die Geltung des deutschen Strafrechts und damit auch die deutsche Gerichtsbarkeit ergeben sich im vorliegenden Fall im übrigen auch aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB.
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a) Der Angeklagte, der auch zur Tatzeit Ausländer war, hat die Tat im Ausland - auf dem Gebiet der am 6. April 1992 international anerkannten Republik Bosnien-Herzegowina - gegen muslimische Staatsangehörige dieses Staates begangen. Er wurde am 16. Dezember 1995 am Flughafen D. festgenommen, also im Inland betroffen. Die Tat war nach dem zur Tatzeit in Bosnien-Herzegowina geltenden Strafrecht, nämlich nach Art. 141 des jugoslawischen Strafgesetzbuchs, der § 220 a StGB entspricht, und nach Art. 36 des bosnisch-herzegowinischen Strafgesetzbuchs, der in Abs. 2 Nr. 4 eine dem Mord aus niedrigen Beweggründen entsprechende Regelung enthält, mit Strafe bedroht.
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b) Die Auslieferung wäre nach der Art der Tat zulässig gewesen, weil in der Tat liegende Auslieferungshindernisse weder nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 und § 7 IRG noch nach den diesen Vorschriften im wesentlichen entsprechenden Regelungen der Art. 2 - 4 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrags vorliegen. Gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 IRG ist die Auslieferung auch bei einer politischen Tat zulässig, wenn der Angeklagte wegen Völkermordes, Mordes oder Totschlags verfolgt wird oder verurteilt worden ist. Nach Art. 3 Abs. 2 lit. a des Auslieferungsvertrags wird ein vorsätzliches Verbrechen gegen das Leben nicht als politische Tat angesehen, es sei denn, daß die Tat - was hier nicht der Fall ist - im offenen Kampf begangen worden ist. Gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b des Auslieferungsvertrags ist auch Völkermord keine politische Straftat, da Jugoslawien und die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Verfolgung aufgrund der Völkermordkonvention verpflichtet sind. ![]() | 15 |
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II. Sachrüge | |
Die Sachrüge führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs dahin, daß der Angeklagte statt wegen tatmehrheitlich begangener Straftaten des Völkermordes nur eines Verbrechens des Völkermordes (§ 220 a StGB) schuldig ist; im übrigen ist auch die Sachrüge unbegründet.
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1. Geschichtlicher und politischer Hintergrund der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist der ab Anfang 1989 ständig fortschreitende Zerfall der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien, die mit den Unabhängigkeitserklärungen der Republiken Slowenien und Kroatien im Juni 1991 und den kurz darauf in diesen Republiken beginnenden Kämpfen zwischen den Streitkräften der Republiken und der jugoslawischen Volksarmee (JNA) ihren ersten Höhepunkt ![]() ![]() | 18 |
a) Währenddessen wurde Slobodan Milosevic, seit 1989 Präsident der Republik Serbien, maßgebliche Führungsfigur der neu erweckten großserbischen Bewegung, die nunmehr das Ziel verfolgte, alle im ehemaligen Jugoslawien lebenden Serben politisch zu vereinen. Serbische Nationalisten begannen zunächst in Kroatien, später auch in Bosnien-Herzegowina, mit der Vorbereitung der Abspaltung der serbisch besiedelten Gebiete. Im September 1991 wurden von ihnen in Bosnien-Herzegowina erst vier, dann fünf autonome serbische Gebiete ausgerufen, darunter das autonome Gebiet Nordbosnien mit Sitz in Doboj. Am 9. Januar 1992 rief die "Versammlung des serbischen Volkes in Bosnien-Herzegowina" die "Serbische Republik Bosnien-Herzegowina", die spätere "Republika Srpska" aus und gab sich wenig später eine eigene Verfassung, in der die autonomen Gebiete als rein serbische Gebiete definiert wurden.
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b) Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils begann aber schon einige Zeit vorher eine gezielte und von den bosnischen Serben sowie dem serbischen Militär zentral gelenkte kompromißlose Politik der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung der sog. autonomen serbischen Gebiete, die sich in erster Linie gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung richtete. Ab April 1992 gingen die JNA und paramilitärische Truppen in Abstimmung mit der politischen Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in verschiedenen Orten der Nord- und Ostgrenze Bosniens vor, um die von den Serben bewohnten Gebiete "ethnisch rein" zu bekommen. Mit Gewalt wurden die elementaren Grundlagen der Existenz der bosnischen Muslime in diesen Gebieten zerstört. Bei den bosnischen Muslimen handelt es sich um eine Bevölkerungs ![]() ![]() | 20 |
c) Ziel und Objekt einer solchen Säuberungsaktion wurde ab April 1992 bis in den Herbst 1992 hinein auch das Gebiet um die Stadt Doboj, die an den Hauptverbindungsstrecken in Nord-Süd-Richtung zwischen Sarajewo und Kroatien und in Ost-West-Richtung zwischen Serbien und serbischen Siedlungsgebieten in Bosnien bis zur Krajina und zur Adriaküste lag. Die Gemeinde Doboj, zweitgrößter Eisenbahnknotenpunkt Jugoslawiens, bestand aus der Stadt Doboj sowie aus den umliegenden Dörfern Bukovacke Sivsije, Mala Bukovica, Kostajnica, Svjetlisa und Grabska im Nordwesten bzw. Nordosten von Doboj, sowie Sevarlije im Süden. Am 3. Mai 1992 wurde das Zentrum der Stadt Doboj durch serbische Truppen besetzt, die muslimischen Wohnviertel mit schweren Waffen beschossen, die jüngeren Männer und Angehörige der Intelligenzschicht wurden verhaftet. Das Dorf Mala Bukovica wurde bereits im April 1992 von serbischen Soldaten und paramilitärischen Einheiten umzingelt. Der muslimischen Bevölkerung war es untersagt, den Ort zu verlassen. Im Juni 1992 begann der Terror im Ort selbst, in dem muslimische Männer aus ihren Häusern geholt und mißhandelt wurden; ihnen wurden Geld und Wertsachen abgenommen und sie wurden in Gefangenenlager verschleppt. Das Dorf Bukovatke Sivsije wurde am 4. Mai 1992 von der JNA eingenommen, es wurden mehrfach muslimische Männer aus den Häusern geholt, geschlagen und weggebracht. Mitte Juni 1992 wurde die Moschee in die Luft gesprengt und die bis dahin dort verbliebenen musli ![]() ![]() ![]() | 21 |
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Der Angeklagte wirkte persönlich bei jeweils näher festgestellten Festnahmen und anschließenden Internierungen männlicher Muslime aus den Dörfern Grabska, Mala Bukovica und Sevarlije am 3., 5. und 10. Mai und in der ersten Hälfte Juni 1992, sowie den bei dieser Gelegenheit und später teilweise mehrfach begangenen Mißhandlungen und Körperverletzungen einzelner Gefangener mit (Taten A II 8 a bis g und i der Urteilsgründe); ferner hat er eigenhändig oder im Zusammenwirken mit anderen auch Bewohner der Dörfer getötet. So hat er nach den Feststellungen Mitte Juni 1992 gemeinsam mit einer weiteren Person in Grabska 22 der dort zurückgebliebenen Einwohner - Frauen, Behinderte und ältere Männer - erschossen, die sich verängstigt durch Kampfhandlungen außerhalb des Dorfes im Freien versammelt hatten (Tat A II 8 h). Drei weitere gefangene Moslems, die dort Zwangsarbeit verrichten mußten, mußten anschließend die Leichen in ein Massengrab transportieren. Einige Tage später, am 17. oder 18. Juni 1992, trieb der Angeklagte mit Angehörigen seiner paramilitärischen Gruppe 40 bis 50 Männer aus dem Dorf Sevarlije heraus, ließ sie brutal mißhandeln, sechs von ihnen wurden auf seinen Befehl erschossen. Ein siebtes Opfer, das nur angeschossen war, starb, als es in einem Stall zusammen mit den sechs Leichen verbrannt wurde (Tat A II 8 j). An einem nicht näher feststellbaren Tag im September 1992 stülpte der Angeklagte einem Gefangenen, der zuvor von serbischen Soldaten durch Schläge mit Gewehrkolben und Stöcken mißhandelt worden war, auf dem Hof des Zentralgefängnisses in Doboj einen Blecheimer auf den Kopf, um den Soldaten eine neue Art der Folter und des Tötens zu demonstrieren. Sodann schlug er derart fest mit einem Holzknüppel auf den Eimer, daß das Opfer sofort hinfiel, bewegungslos liegenblieb und an den Folgen des Schlages starb (Tat A II 8 k).
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2. Diese rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen des Angeklagten, die in die von serbischer Seite initiierten Ereignisse in der Region Doboj und in die quasi-staatliche Lenkung der systematischen Vernichtung und Vertreibung der muslimi ![]() ![]() ![]() | 24 |
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a) § 220 a StGB ist durch Gesetz vom 9. August 1954 (BGBl. II S. 729) über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Genozid-Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Dabei hat der Bundesgesetzgeber den Wortlaut des § 220 a StGB bewußt an Artikel II der Genozid-Konvention angelehnt, in dem die objektiven und subjektiven Merkmale des - völkerstrafrechtlichen - Verbrechens des Völkermordes tatbestandlich umschrieben worden sind (vgl. zum Gesetzgebungsverfahren des § 220 a StGB: Campbell, § 220 a StGB, S. 160 ff., 166 ff.). Nach Artikel II der Konvention für die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes bedeutet Völkermord:
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"eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: (a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; (b) Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe; (c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; ![]() ![]() (e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe." | 27 |
§ 220 a StGB spiegelt als innerstaatliche Norm die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetriebene völkerrechtliche Entwicklung und das Verständnis des Genozids als Teil des Verbrechens gegen die Menschlichkeit wider (vgl. hierzu Dahm, Völkerrecht, Bd. III (1961) S. 301 f.; Stillschweig a.a.O.; Becker, Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (1996), S. 40 ff., 179 ff.; Jescheck, Die internationale Genocidium-Konvention vom 9. 12. 1948, ZStW 66 (1954), S. 193, 195 f., 199 ff.; ders., Entwicklung, gegenwärtiger Stand und Zukunftsaussichten des internationalen Strafrechts, GA 1981, 49, 58; Jähnke in LK 10. Aufl. § 220 a Rdn. 4; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 220 a Rdn.1 f.; Jeschek/Weigend AT 5. Aufl. § 14 IV; Maurach/Schroeder/Maiwald BT/2, 7. Aufl. § 88 Rdn. 2 und 5). Kennzeichnend für das mit dem Begriff des "Völkermordes" hinsichtlich Schutzrichtung und Angriffshandlung nur unzureichend und mißverständlich übersetzte Verbrechen des Genozids (vgl. Jähnke a.a.O. Rdn. 4; Stillschweig a.a.O. S. 94; Maurach/Schroeder/Maiwald BT/1, 8. Aufl. § 1 I Rdn. 2) ist, daß der einzelne zwar als Tatobjekt, jedoch nicht in seiner Individualität, sondern in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Gruppe angegriffen oder verletzt wird, deren soziale Existenz zu zerstören der Täter beabsichtigt. Schutzgut des Verbrechens des Völkermordes sind deshalb nicht die Individualrechtsgüter der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen, sondern ist die Existenz der Gruppe als solche (Dahm, Völkerrecht a.a.O. S. 300, 302; Stillschweig a.a.O. S. 96; Jescheck ZStW 66, 193, 199 ff.; vgl. ferner Urteil des Ruanda-Tribunals vom 2. September 1998 gegen Akayesu Ziff. 6.3.1.), wobei das Unmenschliche, das gegenüber dem Verbrechen des Mordes besondere Unrechtsmerkmal darin liegt, daß der oder die Täter in dem Opfer nicht mehr den Menschen, sondern nur noch das Mitglied der verfolgten Gruppe sehen (vgl. Dahm a.a.O. S. 300). ![]() | 28 |
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Der Schutzzweck des Tatbestandes ist zunächst für die Auslegung der einzelnen in § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB abschließend aufgezählten objektiven Begehungsweisen maßgeblich. Durch den Zweck des § 220 a StGB, nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppen vor der Zerstörung ihrer sozialen Identität und Existenz zu bewahren, wird aber auch das Verhältnis der einzelnen in § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB abschließend aufgezählten Tathandlungen zueinander bestimmt. Die verschiedenen Begehungsweisen des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB stellen innerhalb des § 220 a Abs. 1 StGB keine selbständigen Tatbestände, sondern Tatmodalitäten desselben von der Völkermordabsicht des Täters geprägten Verbrechens dar (vgl. Jähnke a.a.O. Rdn. 14; in diesem Sinne wohl auch Stillschweig a.a.O. zu Art. II der Genozid-Konvention).
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c) Das Oberlandesgericht hat die Taten des Angeklagten als elf rechtlich selbständige Taten gewertet, wobei jede der Taten neben der Identität der Gruppe der Muslime auch höchstpersönliche Rechtsgüter des Lebens, der Freiheit und/oder der körperlichen Unversehrtheit verletze und jede der Taten den Tatbestand des Völkermordes verwirkliche. Diese Einzeltaten werden nach Ansicht des Oberlandesgerichts durch den einheitlichen Vorsatz der Zerstörung der Gruppe der Muslime in der Region Doboj nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefaßt. An dieser rechtlichen Wertung trifft zunächst zu, daß die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit nicht vorliegen. Auch können höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen nur unter besonderen Umständen zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbunden werden. ![]() ![]() | 31 |
aa) Bei der Prüfung des Konkurrenzverhältnisses der einzelnen Tatkomplexe zueinander hat das Oberlandesgericht ersichtlich auf den Umstand abgestellt, daß der Angeklagte in den einzelnen Komplexen höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen oder derselben Person bei verschiedenen Gelegenheiten verletzt hat. Dabei läßt es unberücksichtigt, daß der Tatbestand des § 220 a StGB, wie bereits dargelegt, gerade nicht dem Schutz individueller Rechtsgüter dient, sondern dem überindividuellen Schutz der sozialen Existenz einer der in § 220 a StGB näher bezeichneten Gruppen. Dieses Mißverständnis schon des objektiven Tatbestandes wird zumindest mittelbar auch durch das Zitat der Entscheidung BGH NJW 1969, 2056 belegt, die, wie auch weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, den Begriff des Massenverbrechens als denkbare rechtliche Handlungseinheit im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Vernichtungsprogrammen abgelehnt hat. Die in dieser wie auch in anderen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze können jedoch auf den Tatbestand des § 220 a StGB nicht übertragen werden. Denn § 220 a StGB bzw. eine vergleichbare Vorschrift gab es zur Tatzeit der im Rahmen von Vernichtungsprogrammen begangenen Tötungen, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen nicht. Grundlage späterer Verurteilung der an diesen Vernichtungsprogrammen beteiligten Täter oder Teilnehmer konnten nur die jeweiligen Tatbestände der §§ 212 StGB ff., §§ 223 StGB a.F. ff. oder § 239 StGB usw. sein, mithin Rechtsnormen, die dem Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter des einzelnen dienen und deren Zusammenfassung zu einer Tat im Rechtssinne nur in engen Grenzen möglich ist (vgl. in diesem Zusammenhang BGH NStZ 1984, 229 f.). Gerade auch die Ereignisse während des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und die damit zusammenhängenden Massenvernichtungen und -vertreibungen waren aber für die internationale Völkergemeinschaft und den ![]() ![]() | 32 |
bb) Das Oberlandesgericht hat durch seine Orientierung an den Individualrechtsgütern der Rechtsnatur des § 220 a StGB nicht hinreichend Rechnung getragen und deshalb die Fälle A II 8 a bis k jeden für sich genommen als selbständige Tat gewertet. Soweit es die Fälle A II 8 a bis g unter die Begehungsalternative des § 220 a Abs. 1 Nr. 3 StGB subsumiert hat, hat es zwar eingangs seiner rechtlichen Würdigung zutreffend dargelegt, daß der Angeklagte in diesen Fällen die Gruppe der in der Region Doboj lebenden bosnischen Muslime unter Lebensbedingungen gestellt hat, die geeignet waren, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Für die als Einzeltaten abgeurteilten Fälle hat es jedoch entscheidend auf den Umstand abgestellt, daß Einzelpersonen und Personengruppen bei verschiedenen Gelegenheiten gefangen genommen oder einzelne Gefangene mißhandelt worden sind. Diese Handlungen des Angeklagten erfüllen nach den getroffenen Feststellungen zwar die Tatbestände des § 220 a StGB a.F. bzw. § 224 StGB n.F. oder des § 239 StGB, sie genügen jedoch den tatbestandlichen Voraussetzungen schwerer Körperverletzungen im Sinne der §§ 224, 225 StGB a.F. nicht und damit auch weder den Voraussetzungen der Begehungsalternative des § 220 a Abs. 1 Nr. 2 StGB noch einer der anderen Begehungsweisen.
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Die bloße körperliche Mißhandlung oder Gefangennahme einzelner Personen kann insbesondere nicht schon jeweils für sich genommen unter die Begehungsalternative des § 220 a Abs. 1 Nr. 3 StGB subsumiert werden. § 220 a Abs. 1 StGB erfaßt nämlich ebenso wie Art. II der Genozid-Konvention als objektive Ausführungshandlungen nur die schwersten - aus dem großen Kreis möglicher - Angriffshandlungen gegen die Existenz einer Gruppe (vgl. Stillschweig a.a.O.); dies spiegelt sich vor allem in der Strafdrohung - lebenslange Freiheitsstrafe - wider. Das hierfür erforderliche Gewicht kommt einfachen ![]() ![]() | 34 |
d) Soweit das Oberlandesgericht die vom Angeklagten eigenhändig oder im Zusammenwirken mit anderen begangenen Tötungshandlungen als unter § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB fallende Straftaten gewürdigt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Anders als das Oberlandesgericht ist der Senat jedoch der Auffassung, daß diese Tötungshandlungen, unbeschadet der Tatsache, daß sie tateinheitlich zugleich den Straftatbestand des § 211 StGB verwirklichen, jedenfalls unter dem Blickwinkel des Verbrechens des Völkermordes zusammen mit den weiteren, unter § 220 a Abs. 1 Nr. 3 StGB zu subsumie ![]() ![]() | 35 |
aa) Für den Tatbestand des Völkermordes sind nicht nur objektive Tathandlungen von erheblichem Gewicht erforderlich, sie erhalten ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord, der sie etwa von gemeinen Tötungsverbrechen oder Körperverletzungsdelikten abhebt, vielmehr erst durch die, von § 220 a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht, eine der unter den Schutz des § 220 a StGB fallenden Gruppen als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Damit liegt das Wesentliche des Verbrechens des Völkermordes, anders als bei den tateinheitlich verwirklichten Tatbeständen der §§ 211, 212 StGB, die höchstpersönliche Rechtsgüter schützen, weniger in den einzelnen Verletzungshandlungen, denn in der die völkerrechtliche Werteordnung mißachtenden Absicht des Täters, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (vgl. Jähnke a.a.O. Rdn. 4; Triffterer in Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschlichkeitsverbrechen S. 176, 189; Becker a.a.O. S. 179 f., 182 f.; vgl. auch Jescheck ZStW 66, 193, 212, 214). Daß einer solchen tatbestandskonstitutiven Absicht bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung mehrerer Einzelhandlungen, die für sich genommen schon den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllen, eine andere Bedeutung zukommt als einem einheitlichen, auf bloße Wiederholung strafbarer Handlungen gerichteten Vorsatz, liegt auf der Hand. Eine solche Absicht verbindet, wie dies im übrigen auch schon für die gewöhnlichen Absichtsdelikte des Strafgesetzbuches anerkannt ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 14; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Vor §§ 52 ff. Rdn. 21 m.w.Nachw.), die zur Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Absicht begangenen Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne. Hinzu kommt hier im objektiven Bereich, daß die Zerstörung einer Gruppe typischerweise ein durch wiederholte Einzelakte begangenes Verbrechen darstellt (vgl. Jähnke a.a.O. Rdn. 14), dem ein gewisses Dauer- und Wiederholungselement aufgrund der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung zu eigen ist.
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bb) Daß § 220 a Abs. 1 StGB auch objektiv vor allem ein mehrfaches Handeln zum Nachteil derselben (Teil)Gruppe ![]() ![]() ![]() ![]() | 37 |
cc) Der Senat verkennt nicht das Problem, daß beim Fehlen geeigneter objektiver Abgrenzungs- oder Eingrenzungskriterien überdimensionierte oder zeitlich uferlose Handlungseinheiten konstruktiv möglich werden, eine Gefahr, die immer dann besteht, wenn mehrere natürliche Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefaßt werden (zu der ähnlichen Frage, unter welchen Voraussetzungen zeitliche oder sonstige Einschnitte in den Ablauf einer geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 StGB Einfluß auf die Beurteilung von Handlungskomplexen als tatbestandliche Handlungseinheiten haben können vgl. BGHSt 43, 1, 3 ff. = NStZ 1997, 487 m. Anm. Rudolphi; Paeffgen JR 1999, 89, 93 ff.).
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Deshalb kann von einer Tat im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit, soll sie die Kennzeichnung als eine Tat noch rechtfertigen, immer nur unter engen Voraussetzungen ausgegangen werden, die sich nicht nur aus der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung ergeben, sondern auch davon abhängen, inwieweit sich die konkreten tatbestandlichen Ausführungshandlungen gegen ein bestimmtes geschütztes Rechtsgut bzw. dessen Träger oder gegen ein konkretes Tatobjekt richten. Das heißt, nicht nur die tatbestandliche Unrechtsumschreibung, sondern auch die Identität des Handlungsobjekts, an dem oder mit dem das tatbestandliche Un ![]() ![]() | 39 |
Diese Voraussetzungen sind nach den Urteilsfeststellungen für die vom Angeklagten in der Zeit von April 1992 bis September 1992 zum Nachteil der bosnischen Muslime in der Region Doboj begangenen strafbaren Handlungen gegeben. Selbst wenn bei dem Angeklagten als Motiv seines Handelns die weiter reichende Absicht vorhanden war, die Gruppe aller bosnischen Muslime zu zerstören, reicht es für den Tatbestand des § 220 a Abs. 1 StGB aus, wie schon dem Wortlaut des § 220 a Abs. 1 1. Halbs. StGB ("ganz oder teilweise" zu zerstören) zu entnehmen ist, daß sich seine Absicht bei den abgeurteilten objektiven Tathandlungen nur auf die Zerstörung eines Teils dieser Gruppe richtete; zugleich bestimmt sich der Umfang der einen materiell-rechtlichen Tat nach dieser in dem festgestellten örtlichen und zeitlichen Rahmen verwirklichten (Teil)Zerstörungsabsicht bezüglich eines regional begrenzten Gruppenteils der bosnischen Muslime.
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4. Der Senat hatte weiter zu prüfen, ob auch die in den Fällen A II 8 h, j und k tateinheitlich verwirklichten Verbrechen des Mordes durch § 220 a StGB zu einer Tat verklammert werden, oder ob die höchstpersönliche Rechtsgüter verletzenden Tötungshandlungen wegen ihres eigenen besonderen Unrechts- und Unwertgehalts als selbständige Taten zu werten sind, mit der Folge, daß die einheitliche Tat des § 220 a StGB durch die auch nach § 211 StGB strafbaren vorsätzlichen Tötungshandlungen "entklammert" würde, so daß mehrere selbständige Taten des Völkermordes anzunehmen wären.
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a) Daß die durch § 220 a Abs. 1 Nr. 3 StGB zusammengefaßten strafbaren Handlungen des Angeklagten mehrfach tateinheitlich auch die Tatbestände der §§ 223 a, 239 StGB a.F. ![]() ![]() | 42 |
b) Auch die in den Fällen A II 8 h, j und k begangenen vorsätzlichen Tötungen, die das Oberlandesgericht zutreffend unter § 211 StGB subsumiert hat, bieten im Ergebnis keinen Anlaß, das einheitliche Verbrechen des § 220 a StGB in mehrere selbständige Taten aufzuspalten.
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aa) Die Tötung eines Menschen unter Umständen, die ein oder mehrere Mordmerkmale des § 211 StGB erfüllt, ist besonders verwerflich und deshalb mit der absoluten Strafe, nämlich lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden. Straftaten gegen das menschliche Leben sind einer additiven Betrachtungsweise nicht zugänglich und können nur ausnahmsweise zu einer Tat zusammengefaßt werden (vgl. BGHSt 16, 397; BGH NStZ 1984, 311; 1996, 129; NJW 1998, 619 f.). Ein solcher Ausnahmefall kommt auch dann in Betracht, wenn mehrere Mordtaten zum Nachteil mehrerer Menschen jeweils mit einem weiteren Verbrechen tateinheitlich zusammentreffen, das, wenn es zumindest wertgleich mit dem Verbrechen des Mordes ist, diese zu einer Tat verbindet. Denn es ist kein rechtlicher Grund ersichtlich, die Prinzipien der sog. Tateinheit durch Klammerwirkung (vgl. BGHSt 28, 18, 20; Stree a.a.O. § 52 Rdn. 14 ff; Rissing-van Saan a.a.O. § 52 Rdn. 27 ff.; Lackner, StGB 22. Aufl. § 52 Rdn. 5; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. Vor § 52 Rdn. 5 ff.) nicht auch auf mehrere, an sich selbständige Mordtaten anzuwenden, wenn ein weiteres, ebenso schwerwiegendes Verbrechen vorliegt (vgl. BGHSt 2, 246). Das ist bei dem Verbrechen des Völkermordes gemäß § 220 a Abs. 1 StGB der Fall. Es ist ein zumindest gleichwertiges Verbrechen, wie schon der Umstand zeigt, daß es mit derselben absoluten Strafdrohung, lebenslange Freiheitsstrafe, ausgestattet ist wie § 211 StGB. Hinzu kommt, daß Völkermord den Völkerstrafrechtstatbeständen, die von der Völkergemeinschaft inzwischen weitgehend anerkannt worden sind, zuzurechnen ist (vgl. Art. 4 des Statuts des Jugoslawien-StGH und Art. 2 des Ruanda-StGH-Statuts, abgedruckt bei Schomburg/ ![]() ![]() | 44 |
bb) Für eine Entklammerung des § 220 a StGB durch die Verbrechen nach §§ 211, 212 StGB spricht auch nicht, daß das Gesetz in § 220 a Abs. 2 StGB der Begehungsalternative der Tötung von Gruppenmitgliedern gegenüber den übrigen Begehungsformen des Völkermordes ein besonderes Gewicht beimißt, indem § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ausdrücklich von der Möglichkeit ausgenommen wird, einen minder schweren Fall anzunehmen, Dies besagt jedoch nichts anderes, als daß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB der Tötung einzelner Gruppenmitglieder kein geringeres Gewicht als § 211 StGB einräumt. Daß durch die Tötung mehrer Menschen neben § 220 a StGB jeweils neues, eigenständiges Unrecht gesetzt wurde, weil das höchstpersönliche Rechtsgut des Lebens der betroffenen Einzelpersonen verletzt wurde, führt demnach zwar zur Annahme von Tateinheit zwischen § 220 a StGB und § 211 StGB, rechtfertigt aber keine Entklammerung der unter § 220 a StGB zusammenzufassenden mehreren strafbaren Handlungen des Angeklagten. ![]() | 45 |
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