![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: A. Tschentscher, Johannes Rux | |||
![]() | ![]() |
![]() |
2. Es verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn dem Beamten oder Angestellten des öffentlichen Dienstes, der glaubt, ein verfassungswidriges Handeln seiner Behörde in einem Einzelfall festgestellt zu haben, grundsätzlich zur Pflicht gemacht wird, zunächst die in der institutionellen Ordnung des demokratischen Staates liegenden Abhilfemöglichkeiten auszuschöpfen, bevor er die Öffentlichkeit unterrichtet. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 28. April 1970 |
- 1 BvR 690/65 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Werner P... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein, Hannover, Hamburger Allee 24 - gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs vom 8. November 1965 - 8 StE 1/65 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.![]() |
![]() | |
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein erstinstanzliches Urteil des Bundesgerichtshofs, durch das der Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit (§ 353 b StGB) zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten - unter Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung - verurteilt worden ist.
| 1 |
A. - I. | |
Der Beschwerdeführer trat, damals dreißigjährig, am 1. November 1956 als Angestellter in den Dienst des Bundesamts für Verfassungsschutz. Nach kurzer Einarbeitungszeit war er als Sachbearbeiter in der Abteilung IV (Spionageabwehr) des Amtes tätig. Er wurde zunächst nach Vergütungsgruppe VII TO A bezahlt; später rückte er in die Vergütungsgruppen VI b und V b auf. Bei Beginn seiner Tätigkeit wurde er zur Geheimhaltung und Unbestechlichkeit besonders ermahnt, über die arbeits- und strafrechtlichen Folgen einer Verletzung seiner Dienstpflichten belehrt und auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Dienstobliegenheiten sowie auf die Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen durch Handschlag verpflichtet. Am 2. Juli 1957 wurde er zur Bearbeitung geheimer Vorgänge ermächtigt und ebenfalls entsprechend belehrt.
| 2 |
Seit 1961 nahm der Beschwerdeführer an, überwacht zu werden. Ferner glaubte er, feststellen zu können, daß sich das Arbeitsklima in seiner Gruppe verschlechtere, weil hier mehrere ehemalige SS-Angehörige beschäftigt waren, die nach seiner Meinung eine unter sich fest zusammenhaltende Clique bildeten. Im übrigen kamen ihm auch Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit gewisser gegen Deutsche und Nicht-Deutsche gerichteter Maßnahmen der Post- und Fernsprechüberwachung; er befürchtete, wegen seiner Beteiligung an diesen Maßnahmen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.
| 3 |
Am 7. April 1963 wandte sich der Beschwerdeführer schriftlich an den Rechtsanwalt Dr. Augstein in Hannover und bat um Beratung. Bei einem ersten Gespräch, das noch im April stattfand, ![]() ![]() | 4 |
Die vorstehend geschilderten Sachverhalte wurden in der Folge auch in Presseveröffentlichungen erörtert, die - soweit sie auf Informationen durch den Beschwerdeführer zurückgingen - zum Teil zuvor mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz besprochen worden waren; dem Amt war damals noch nicht bekannt, daß die geplanten Veröffentlichungen auf den Informationen des Beschwerdeführers beruhten.
| 5 |
II. | |
Die Anklage warf dem Beschwerdeführer vor, er habe Fernsprechüberwachungsmaßnahmen gegen Deutsche und Nicht-Deutsche, ferner Namen und Dienststellung operativ tätiger oder im Sicherheitsdienst des Hauses eingesetzter Angehöriger des Bundesamts für Verfassungsschutz Unbefugten mitgeteilt und sich dadurch sowohl der vorsätzlichen Preisgabe von Staatsgeheimnis ![]() ![]() | 6 |
Der Bundesgerichtshof hat den Beschwerdeführer lediglich wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtsverschwiegenheit in einem Fall (dem sog. Keller-Fall) verurteilt; im übrigen hat er ihn freigesprochen, teils weil er angenommen hat, der Beschwerdeführer habe sich entweder in einem Tatbestandsirrtum oder in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden, teils weil dem Beschwerdeführer eine fahrlässige Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland nicht nachzuweisen sei.
| 7 |
Zum "Keller-Fall" hat der Bundesgerichtshof ausgeführt: Die Informationen des Beschwerdeführers seien zwar nicht als Preisgabe eines Staatsgeheimnisses zu werten. Der Beschwerdeführer habe jedoch zumindest bedingt vorsätzlich als Beamter im Sinne des § 359 StGB ein Amtsgeheimnis einem Unbefugten offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen - nämlich die Zusammenarbeit mit den Abwehrdiensten der Alliierten - gefährdet. Der Beschwerdeführer habe sich insoweit weder in einem Tatbestands- noch in einem entschuldbaren Verbotsirrtum befunden. Auch wenn man unterstelle, daß im "Keller-Fall" der Art. 10 GG verletzt worden sei, wäre der Beschwerdeführer nicht berechtigt gewesen, sich sogleich an die Öffentlichkeit zu wenden. Es habe sich nur um einen einzigen Fall gehandelt, der - im Hinblick auf die Gefährlichkeit des von der Maßnahme betroffenen Personenkreises - jedenfalls nicht als schwerer Verfassungsverstoß gewertet werden könne. Eine etwa von dem Beschwerdeführer angenommene Befugnis zur "Flucht in die Öffentlichkeit" würde nach Lage der Sache als vorwerfbarer Irrtum zu werten sein.
| 8 |
III. | |
Mit der Verfassungsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer, das Urteil des Bundesgerichtshofs aufzuheben, weil es seine ![]() ![]() | 9 |
Auch wenn man § 353 b StGB für rechtsgültig halte, seien Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Bei richtiger Auslegung des Art. 10 GG habe nach dem festgestellten Sachverhalt der Beschwerdeführer schon aus objektiven Gründen ebensowenig aus § 353 b wie aus §§ 99, 100, 100 c StGB verurteilt werden dürfen. Das Grundrecht des Art. 10 GG werde durch die alliierten Vorbehaltsrechte nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschland-Vertrages beschränkt; Art. 4 des Truppenvertrages sei nicht einschlägig. Nach dem Deutschland-Vertrag dürften die Alliierten nur im Rahmen eines militärischen Notstandes und nach Konsultation mit der Bundesregierung Post- und Telefonüberwa ![]() ![]() | 10 |
IV. | |
Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung haben sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht geäußert.
| 11 |
B. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet.
| 12 |
I. | |
Gegen die Gültigkeit des § 353 b StGB sind keine verfassungsrechtlichen Bedenken zu erheben.
| 13 |
1. Die Vorschrift wurde durch das von der Reichsregierung beschlossene Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 2. Juli 1936 (RGBl. I. S. 532) in das Strafgesetzbuch eingefügt. Staatsrechtliche Grundlage für dieses Gesetzgebungsverfahren war das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Bestimmung ist dies ohne Bedeutung; es kommt allein darauf an, ob sie inhaltlich mit dem ![]() ![]() | 14 |
2. § 353 b StGB steht seinem Inhalt nach mit dem Grundgesetz nicht in Widerspruch.
| 15 |
a) Die Bestimmung ist nicht "typisch nationalsozialistisches Recht". Sie enthält weder Verstöße gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit (BVerfGE 23, 98 [106]), noch ist sie in dem Sinne an spezifischen Auffassungen oder Bedürfnissen des nationalsozialistischen Staates orientiert, daß sie staatliche Interessen gegenüber denen des Einzelnen überbewertet.
| 16 |
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Oktober 1952 (JZ 1953, S. 148) darauf hingewiesen, daß eine ähnliche Vorschrift bereits in den Entwürfen für ein Allgemeines Deutsches Strafgesetzbuch von 1925 und 1927 enthalten war. Die Amtliche Begründung zu § 353 b (Deutsche Justiz 1936, S. 996 f.) läßt nicht erkennen, daß auf die Formung des Tatbestands nationalsozialistische Rechtsvorstellungen entscheidend eingewirkt hätten. Die Bestimmung ist deshalb nach 1945 weder von den Besatzungsmächten aufgehoben noch von den deutschen Gerichten für unanwendbar gehalten worden.
| 17 |
Auch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl. I S. 741) hat, wie schon der Entwurf 1962 (BTDrucks. IV/650) vorgeschlagen hatte, an der bestehenden Regelung im wesentlichen festgehalten; § 353 b ist nur sprachlich neu gefaßt worden; außerdem wurde auf die Strafschärfungsmöglichkeit bei besonders schweren Fällen verzichtet.
| 18 |
b) § 353 b StGB sah zur Zeit der Verurteilung im Regelfall Gefängnis und nur in besonders schweren Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren vor; das Mindestmaß der Regelstrafe war also ein Tag Gefängnis. Bei dieser weiten Fassung des Strafrahmens war der Richter nicht zur Verhängung einer übermäßig hohen oder unangemessenen Strafe gezwungen; er hatte die Möglichkeit, bei der Strafzumessung den Umständen des Einzelfalles in jeder Weise Rechnung zu tragen. Die Strafandrohung stand deshalb ![]() ![]() | 19 |
c) Der Beschwerdeführer meint, Beamte und Angestellte seien staats-, disziplinar- und fürsorgerechtlich so verschiedene Personenkreise, daß sie nicht mit gleichen Geheimhaltungspflichten belastet werden dürften. Er will damit offenbar rügen, die Gleichbehandlung beider Gruppen in § 353 b StGB verletze den Gleichheitssatz.
| 20 |
Allerdings unterscheiden sich - auch im Bereich des öffentlichen Dienstes - Beamte und Angestellte in ihrem Rechtsstatus wesentlich voneinander. Das bedeutet aber nicht, daß es schlechthin unzulässig wäre, bestimmte Beamtenpflichten auch den Angestellten aufzuerlegen. Die öffentlichen Verwaltungen beschäftigen in weitem Maße neben den Beamten auch Angestellte. Diese werden immer mehr auch mit hoheitlichen Aufgaben betraut. Das Grundgesetz hat in Art. 33 Abs. 4 dieser Entwicklung Rechnung getragen, indem es die Übertragung hoheitsrechtlicher Befugnisse an Angestellte - wenn auch grundsätzlich nur als Ausnahme - zuläßt (vgl. BVerfGE 9, 268 [284]). Nehmen aber in der Behördenarbeit Beamte und Angestellte in weitem Umfang dieselben Funktionen wahr, so ist selbstverständlich, daß Pflichten, die sich bereits aus der Natur des Dienst- und Treueverhältnisses zum Staat ergeben, aber auch die Qualität der von der öffentlichen Verwaltung zu erbringenden Leistung wesentlich beeinflussen, für beide Gruppen gelten müssen. Dies gilt auch und besonders für die Verschwiegenheitspflicht. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die öffentliche Verwaltung nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn sichergestellt ist, daß über die dienstlichen Vorgänge von seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen bewahrt wird. Auf die Verschwiegenheit dieser Dienstkräfte ![]() ![]() | 21 |
Aus diesen Gründen stellt es keine Verletzung des Gleichheitssatzes dar, daß der Gesetzgeber, der das Bedürfnis nach strafrechtlichem Schutz des Amtsgeheimnisses bejaht hat, den statusmäßigen Unterschieden zwischen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes in diesem Zusammenhang kein Gewicht beigelegt und die vielfach gleichartige Funktion beider Gruppen hat ausschlaggebend sein lassen. Diese Regelung entspricht der Natur der Sache, nämlich den Bedürfnissen einer geordneten Staatsverwaltung. Bei der strafrechtlichen Ahndung von Dienstpflichtverletzungen sind übrigens seit jeher Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes nach § 359 StGB weitgehend gleichbehandelt worden. Auch der durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz neu eingeführte § 97 b StGB hat - im Zusammenhang der Strafvorschriften über die Preisgabe von Staatsgeheimnissen - die in Abs. 2 den Beamten auferlegte erhöhte Sorgfaltspflicht auf die Angestellten des öffentlichen Dienstes erstreckt.
| 22 |
d) § 353 b StGB enthält nicht schon selbst eine unzulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit des von ihm umschriebenen Täterkreises.
| 23 |
Es mag zweifelhaft sein, ob die in § 353 b StGB bezeichnete Tathandlung, das Offenbaren von Geheimnissen, überhaupt unter den Geltungsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fällt, da sie sich im ![]() ![]() | 24 |
Die Bestimmung hält sich auch bei der Gestaltung des Tatbestands im einzelnen in den durch ihren Schutzzweck gezogenen Grenzen. Die Tatbestandsmerkmale, die die Geheimhaltungspflicht nicht überdehnen, sind durch eine langjährige Rechtsprechung genügend präzisiert. Weniger gewichtige Pflichtverletzungen, für die eine disziplinarische Ahndung ausreicht, werden nicht strafrechtlich verfolgt; denn die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht wird nur bestraft, wenn sie eine (konkrete) Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen zur Folge gehabt und der Täter diese Folge mindestens fahrlässig herbeigeführt hat. Schließlich ist der Gefahr unnötiger Strafprozesse auch dadurch vorgebeugt, daß es zur Strafverfolgung der Ermächtigung durch die oberste Dienstbehörde bedarf.
| 25 |
Da § 353 b StGB als "allgemeines Gesetz" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG anzusehen ist, kann offenbleiben, ob er schon deshalb ![]() ![]() | 26 |
II. | |
Ist die der Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde liegende Strafvorschrift gültig, so bleibt zu prüfen, ob ihre Auslegung und Anwendung im Falle des Beschwerdeführers zu verfassungsrechtlichen Bedenken Anlaß gibt. Der Beschwerdeführer meint hierzu, daß sich das Bundesamt für Verfassungsschutz im sog. Keller-Fall unter Verletzung des Art. 10 GG an einer Abhörmaßnahme beteiligt habe. Ein solcher Verfassungsverstoß könne kein schützenswertes Amtsgeheimnis sein. Seine Preisgabe erfülle daher nicht den Tatbestand des § 353 b StGB. Zumindest fehle es an der Rechtswidrigkeit der Mitteilung, da das Grundrecht des Art. 10 GG gegenüber der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit höherwertig sei. Der Beschwerdeführer habe die Öffentlichkeit von diesem verfassungswidrigen Sachverhalt unterrichten dürfen. Werde er deswegen verurteilt, so sei sein Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt.
| 27 |
1. Das Bundesverfassungsgericht prüft gerichtliche Entscheidungen nur in bestimmten Grenzen nach. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den konkreten Fall ist allein Sache der zuständigen Gerichte. Damit entfällt die Notwendigkeit, den in dieser Richtung vorgetragenen Angriffen des Beschwerdeführers nachzugehen. Zu erörtern ist lediglich, ob die Entscheidung des Bundesgerichtshofs darauf beruht, daß bei der Anwendung oder Auslegung des einfachen Rechts Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt wurden oder daß das Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen ausgegangen, also willkürlich verfahren ist (BVerfGE 15, 219 [221 f.]; 18, 85 [92 f.]; Beschluß vom 15. April 1970 - 2 BvR 396/69 - unter B IV).
| 28 |
2. Über die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit für die Auslegung des einfachen Rechts, insbesondere der "allge ![]() ![]() | 29 |
Von dieser Betrachtungsweise ist auch auszugehen, wenn die Frage auftritt, ob und in welcher Weise ein Amtsträger Amtshandlungen seiner Behörde, die unter Verstoß gegen die Verfassung begangen worden sind, der Öffentlichkeit unterbreiten darf. Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Staatsbürgers, der Mißstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Ordnung (vgl. BVerfGE 12, 113 [124 f.]). Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verdient, wenn es diesem Ziel dient, besonderen Schutz; er kann auch dem Träger eines öffentlichen Amts nicht versagt werden. Andererseits kann das Recht zur öffentlichen Rüge des verfassungswidrigen Handelns einer Behörde für deren Angehörige nicht unbeschränkt sein. Sie dürfen bei der Abwägung die Rücksicht auf die ihnen anvertrauten öffentlichen Interessen nicht außer acht lassen.
| 30 |
3. In diesem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, ob im sog. Keller-Fall überhaupt gegen die Verfassung verstoßen worden ist. Der Bundesgerichtshof hat dies zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt. Er hat jedoch diesen Verfassungsverstoß unter Würdigung der gesamten Umstände des Falles als nicht so schwerwie ![]() ![]() | 31 |
4. Der Bundesgerichtshof hat dem Beschwerdeführer nicht schlechthin das Recht versagt, Verfassungsverstöße seiner Behörde zu offenbaren. Er hat aber aus der Funktion des Beschwerdeführers als eines Angestellten des öffentlichen Dienstes gewisse Vorbedingungen hergeleitet, die hätten erfüllt sein müssen, bevor sich der Beschwerdeführer an die Öffentlichkeit hätte wenden dürfen. Bei seiner "Güter- und Pflichtenabwägung" kommt der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis, daß der Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes, der glaubt, zur Abstellung von Verfassungswidrigkeiten Amtsgeheimnisse preisgeben zu müssen, grundsätzlich zunächst die ihm nach der Organisation des demokratischen Rechtsstaates zu Gebote stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen habe, bevor er den Weg in die Öffentlichkeit betritt. Von dieser Regel soll nur dann eine Ausnahme gelten, wenn ein schwerer Verstoß gegen den "Kernbereich des Verfassungsrechts", gegen "oberste Rechts- und Verfassungswerte" vorliegt.
| 32 |
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob gegen diese "Stufentheorie" in ihrer allgemeinen und abstrakten Fassung Einwände möglich wären, ob namentlich die Abgrenzung der Verfassungsverstöße, bei denen sie zu beachten sein soll, gegenüber denen, die zu unmittelbarer öffentlicher Rüge berechtigen, gebilligt wer ![]() ![]() ![]() ![]() | 33 |
Dem Beschwerdeführer war dieses Vorgehen möglich und zumutbar. Ein evidenter, besonders schwerer Verfassungsverstoß, der eine sofortige Unterrichtung der Öffentlichkeit erfordert oder doch gerechtfertigt hätte, lag nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs nicht vor. Die Abteilung des von dem Beschwerdeführer beanstandeten verfassungswidrigen Verfahrens wäre im Verwaltungswege ohne weiteres möglich gewesen. Der Dienstweg über die zunächst zuständigen Vorgesetzten zum Präsidenten des Bundesamts, unter Umständen zu dem diesem vorgesetzten Minister, hätte dem Beschwerdeführer offengestanden und würde keine nennenswerte zeitliche Verzögerung bedeutet haben. Schließlich hätte der Beschwerdeführer an einen Abgeordneten des Bundestags oder mit einer Petition an das Parlament als solches herantreten können. Da er nicht einmal versucht hat, diese Wege zu beschreiten, ist sein pauschaler und durch nichts belegter Einwand, die Einschaltung dieser Stellen würde nichts genutzt haben, unbeachtlich.
| 34 |
Auf der anderen Seite war der Beschwerdeführer nach seinem allgemeinen Bildungsstand und nach dem durch seine Tätigkeit im Bundesamt für Verfassungsschutz gewonnenen Erfahrungswissen unzweifelhaft in der Lage zu erkennen, daß gerade im Hinblick auf seinen besonderen Pflichtenkreis die unmittelbare Offenbarung dienstlicher Vorgänge an Außenstehende, namentlich an einer Geheimhaltungspflicht nicht unterworfene Journalisten, den Arbeitserfolg des Bundesamts gefährden, insbesondere die Zusammenarbeit mit den Alliierten erheblich erschweren mußte. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß bei Beamten und Angestellten, deren Tätigkeit nachrichtendienstlicher Natur ist und die in einer Behörde arbeiten, zu deren Dienstaufgaben der Schutz des Staates nach außen gehört, der Pflicht zur unbedingten Ge ![]() ![]() | 35 |
Das Ergebnis, zu dem der Bundesgerichtshof auf Grund seiner Abwägung zwischen der Bedeutung des hier in Frage stehenden Grundrechts und dem durch § 353 b StGB geschützten öffentlichen Interesse gelangt ist, beruht sonach auf sachgerechten Erwägungen; es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
| 36 |
5. Den Angriffen, die der Beschwerdeführer gegen die angeblichen Widersprüche in den Urteilsgründen des Bundesgerichtshofs richtet, kommt nur insoweit verfassungsrechtliche Relevanz zu, als damit geltend gemacht werden soll, die - allein maßgeblichen (vgl. BGHSt 15, 263) - schriftlichen Gründe enthielten in wichtigen Punkten so evidente Widersprüche, daß sich der Schluß aufdränge, sachfremde Erwägungen hätten die Urteilsfindung beeinflußt. Für eine solche Annahme bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte.
| 37 |
Müller Stein Ritterspach Haager Rupp-v. Brünneck Brox Zeidler![]() | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |