![]() | |
Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 8. März 1972
| |
- 2 BvR 28/71 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Gustav H... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Notar Sattler, O. Jettinger, N. Laurens, S. Rieg, Schwäbisch Gmünd, Remsstraße 24 - gegen den Beschluß des Landgerichts Ellwangen/Jagst vom 27. März 1969 - Qs 97/96 - und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
| |
Entscheidungsformel:
| |
2. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
| |
Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulässigkeit der Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte, die Aufzeichnungen über den in einem Strafverfahren beschuldigten Patienten enthält und sich nach dem Tode des behandelnden Arztes im Gewahrsam des die Praxis fortführenden Nachfolgers befand.
| |
I.
| |
1. Der Arzt unterliegt nicht nur nach seinem Standesrecht, sondern auch nach allgemeinem Strafrecht einer Schweigepflicht, die der Wahrung seines Berufsgeheimnisses dient. § 300 StGB in der Fassung des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) bestimmt insoweit unter anderem:
| |
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft
| |
1. als Arzt, ...
| |
2.... anvertraut worden oder bekannt geworden ist, wird ... bestraft.
| |
(2) Den in Absatz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der berufsmäßigen Tätigkeit teilnehmen. Dasselbe gilt für denjenigen, der nach dem Tode des zur Wahrung des Geheimnisses nach Absatz 1 Verpflichteten das von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangte Geheimnis unbefugt veröffentlicht.
| |
(3)...
| |
(4) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.
| |
2. Der Schweigepflicht des Arztes entspricht ein Zeugnisverweigerungsrecht. Für den Bereich des Strafverfahrens trifft § 53 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) folgende Regelung: ![]() | |
1....
| |
2....
| |
3.... Ärzte, ... über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist;
| |
4....
| |
5....
| |
6....
| |
(2) Die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind.
| |
3. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht wird durch ein Beschlagnahmeverbot ergänzt. § 97 StPO in der Fassung des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) lautet auszugsweise:
| |
(1) Der Beschlagnahme unterliegen nicht
| |
1. schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach ... § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 das Zeugnis verweigern dürfen;
| |
2. Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt;
| |
3. andere Gegenstände einschließlich der ärztlichen Untersuchungsbefunde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Genannten erstreckt.
| |
(2) Diese Beschränkungen gelten nur, wenn die Gegenstände im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind; Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte,
| |
... erstreckt, unterliegen der Beschlagnahme auch dann nicht, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt sind. Die Beschränkungen der Beschlagnahme gelten nicht, wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig sind oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch ein Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht oder zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer solchen Straftat herrühren.
| |
(3) ...
| |
(4) ...
| |
(5) ... ![]() | |
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Ellwangen/Jagst erhob im November 1968 bei dem Amtsgericht X. gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen Erpressung. Sie ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
| |
Ende 1965 habe sich in der Wohnung des Beschwerdeführers versehentlich ein Schuß aus der Tränengaspistole des Zeugen Y... gelöst. Der Beschwerdeführer habe darauf erklärt, er sei durch den Schuß am Auge verletzt worden, Y... müsse für die Arztkosten aufkommen, andernfalls werde er ihn anzeigen. Bis Mai 1966 habe er von Y... größere Geldbeträge gefordert und erhalten, obwohl er sich darüber im klaren gewesen sei, daß die ihm zugefügte, allenfalls geringfügige Verletzung kein derart hohes Schmerzensgeld gerechtfertigt habe und die Drohung mit einer Strafanzeige zum Zwecke der unberechtigten Vermögensbereicherung verwerflich gewesen sei.
| |
Der Beschwerdeführer hatte durch seinen Verteidiger der Staatsanwaltschaft mitteilen lassen, daß er sich wegen der erlittenen Schußverletzung seinerzeit in die Behandlung seines inzwischen verstorbenen Hausarztes, Dr. A... B..., begeben habe.
| |
Das Amtsgericht X., das über die Zulassung der Anklage bisher nicht entschieden hat, beauftragte die zuständige Polizeidienststelle, anhand der Karteikarte des "Dr.B..." zu ermitteln, ob diese Behauptung zutreffe. Bei der Ausführung des Auftrags stellte sich heraus, daß der Sohn des behandelnden Arztes, Dr. K... B..., die Praxis seines verstorbenen Vaters mitsamt der Patientenkartei übernommen hatte und unter Hinweis auf seine ärztliche Schweigepflicht Angaben zur Sache verweigerte.
| |
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht X. durch Beschluß vom 20. März 1969 die Beschlagnahme der Kartei des "Dr.B..." insoweit an, als es sich um die Karteikarte des Beschwerdeführers handele und sich daraus ergebe, ob dieser Ende 1965/Anfang 1966 dort in Behandlung gewesen sei. Die den Beschwerdeführer betreffende Karteikarte wurde beschlagnahmt. ![]() ![]() | |
Gegen die Anordnung dieser Beschlagnahme legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein, da sie mit Rücksicht auf die ärztliche Schweigepflicht und das Fehlen einer Befreiungserklärung unzulässig gewesen sei.
| |
Durch Beschluß vom 27. März 1969 verwarf das Landgericht Ellwangen/Jagst die Beschwerde als unbegründet und führte aus: Die Beschlagnahmeanordnung verstoße nicht gegen ein strafprozessuales Verbot. Beschlagnahmefrei seien nach § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO nur solche Gegenstände, die sich im Gewahrsam des zur Zeugnisverweigerung Berechtigten befänden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht habe hier aber allenfalls Dr. A... B... zugestanden. Nachdem dieser verstorben sei, könne er den Gewahrsam an der Karteikarte des Beschwerdeführers nicht mehr wahrnehmen. Eine Nachfolge im Gewahrsam, die das Beschlagnahmeverbot bestehen lasse, sei weder durch Erbgang noch sonstige Übertragung möglich. Das gelte selbst dann, wenn der neue Inhaber der Sachherrschaft seinerseits das Zeugnis verweigern dürfe, da der das Beschlagnahmeverbot begründende Gewahrsam unmittelbar aus dem Verhältnis zum Beschuldigten entstanden sein müsse.
| |
III.
| |
Die am 3. April 1969 eingegangene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen diesen Beschluß. Der Beschwerdeführer rügt Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. Er trägt vor:
| |
Die Beschlagnahme der ärztlichen Karteikarte bedeute einen Eingriff in seine Intimsphäre und taste seine Menschenwürde an. Die Auffassung, daß jeder Wechsel im Gewahrsam an solchen Unterlagen das Beschlagnahmeverbot beseitige, sei unrichtig. Die Interessenlage sei hier nicht anders als bei Krankenanstalten, deren Gewahrsam ohne Rücksicht auf einen Wechsel in der Person des behandelnden Arztes der Beschlagnahme stets entgegenstehe. Es könne nicht Rechtens sein, dem Patienten einer Arztpraxis ![]() ![]() | |
Obwohl die Beschlagnahme bereits am 24. März 1969 erfolgt war, hat der Beschwerdeführer beantragt, den angefochtenen Beschluß bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Vollzug zu setzen.
| |
IV.
| |
Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für begründet und führt aus:
| |
Das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes und das entsprechende Beschlagnahmeverbot dienten dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Geheimsphäre und förderten dadurch die Bereitschaft des Einzelnen, sich ohne Furcht vor staatlicher Ausforschung in ärztliche Behandlung zu begeben. Damit erfülle die Beschlagnahmebeschränkung zugleich ein verfassungsrechtliches Postulat, das sich aus den Art. 1 und 2 GG ergebe. Die Ausstrahlungswirkung dieser Grundrechte nötige dazu, das Beschlagnahmeverbot an ärztlichen Karteikarten fortdauern zu lassen, wenn der ursprüngliche Gewahrsaminhaber zwar verstorben sei, jedoch ein anderer Arzt die Praxis mitsamt der Kartei übernommen habe. Die gegenteilige Auslegung des § 97 StPO, wie sie dem angefochtenen Beschluß zugrunde liege, verstoße gegen das Gebot verfassungskonformer Gesetzesinterpretation.
| |
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
| |
Der angefochtene Beschluß verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, da die ihm zugrundeliegende Auslegung des § 97 StPO mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Schutz der Privatsphäre des Einzelnen nicht in Einklang steht.
| |
1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtspre ![]() ![]() | |
b) Jedoch steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (BVerfGE 27, 344 [351]). Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger (BVerfGE 4, 7 [15 f.]; 27, 1 [7] muß vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen. Dabei ist von den Grundsätzen auszugehen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit entwickelt hat [BVerfGE 16, 194 [201 f.]; 17, 108 [117 f.]; 27, 211 [219]].
| |
c) Ärztliche Karteikarten (Krankenblätter) betreffen mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten. Damit nehmen sie teil an dem Schutz, den das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt. Insbesondere gilt das für die Erkenntnisse, die der Arzt durch seine berufliche Tätigkeit über den Gesundheits ![]() ![]() | |
Bezieht sich der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre des Einzelnen demnach auch auf die Karteikarte des Arztes, der sie dazu benutzt, die kraft seiner Sachkunde gemachten Wahrnehmungen über den Gesundheitszustand des Patienten festzuhalten und als Gedächtnisstütze für dessen weitere Behandlung zu verwenden, dann bedeutet dies, daß eine solche Karteikarte dem Zugriff der öffentlichen Gewalt grundsätzlich entzogen ist. Das ändert freilich nichts daran, daß selbst insoweit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen zurücktreten müssen, wo überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten. So begegnet es keinen Bedenken, wenn der Staat den Gefahren, die der Volksgesundheit durch bösartige Ansteckungskrankheiten oder epidemisch auftretende Leiden drohen, dadurch zu steuern sucht, daß er dem Arzt unter weitestmöglicher Schonung der Interessen des Patienten die Meldung an öffentliche Gesundheitsämter zur Pflicht macht (vgl. §§ 12, 13 des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953 [BGBl. I S. 700]; §§ 3 ff. des Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Juli 1961 ![]() ![]() | |
Andererseits läßt sich ein solcher Eingriff nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten rechtfertigen, die allein dem Patienten zur Last gelegt werden. Wird bei einem Arzt die Karteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen beschlagnahmt, so liegt darin in aller Regel eine Verletzung des dem Einzelnen zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs.
| |
d) Das gilt auch dann, wenn sich die Karteikarte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme nicht mehr im Besitz des behandelnden Arztes, sondern nach dessen Tode im Gewahrsam eines Berufskollegen befindet, der Praxis und Patientenkartei seines Vorgängers übernommen hat. Dabei ist es ohne Belang, ob der Nachfolger die vom früheren Arzt begonnene Behandlung des Be ![]() ![]() | |
Angesichts dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, wieso der verfassungsrechtliche Schutz der Karteikarte gegen Beschlagnahme ohne jede Veränderung sonstiger Umstände allein durch einen Wechsel in der Person des Arztes verloren gehen sollte. Das Vertrauen des Einzelnen auf Achtung seines privaten Geheimbereichs litte empfindlichen Schaden, müßte er damit rechnen, daß die ihn betreffende Karteikarte des behandelnden Arztes zwar nicht bei diesem, wohl aber bei dessen Nachfolger beschlagnahmt werden dürfte. Der vom Grundgesetz gewährte Persönlichkeitsschutz er ![]() ![]() | |
2. a) Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Das Landgericht hat den Zusammenhang verkannt, der zwischen dem Grundrecht des Beschuldigten auf Achtung seines Privatbereichs und dem strafprozessualen Verbot der Beschlagnahme ärztlicher Aufzeichnungen besteht. Wenn § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO solche Aufzeichnungen, zu denen gerade auch die Karteikarte des Arztes gehört, von der Beschlagnahme freistellt, so zielt die Bestimmung - zumindest auch - darauf ab, den privaten Geheimhaltungsinteressen des Beschuldigten Rechnung zu tragen. Sie ist damit auf einem Teilgebiet eine gesetzliche Konkretisierung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht äußert seine Wirkung bereits innerhalb der bestehenden Gesetze des Strafverfahrensrechts, das mit Recht als angewandtes Verfassungsrecht verstanden wird (Sax in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III/2 [1959] S. 967; BGHSt 19, 325 [330]).
| |
b) Allerdings gilt nach § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO das Verbot der Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte nur, wenn sie im Gewahrsam des zeugnisverweigerungsberechtigten Arztes ist. Darin liegt eine Einschränkung des Beschlagnahmeverbots, die ihrerseits am Grundgesetz gemessen werden muß. Reicht sie so weit, daß die Beschlagnahmesperre entfällt, wenn nach dem Tode des behandelnden Arztes der Praxisnachfolger die Karteikarte des Beschuldigten übernimmt, so ist § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO insoweit verfassungswidrig. Reicht sie nicht so weit, so ist die Vorschrift in dieser Beziehung verfassungsgemäß. Sind nach Wortlaut und Gesetzeszweck beide Auslegungen möglich, dann scheidet die erstere aus. Denn das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu ![]() ![]() | |
c) Gegen dieses Gebot hat das Landgericht verstoßen. § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO läßt in der hier entscheidenden Frage eine verfassungskonforme Auslegung zu.
| |
Zwar wird die Auffassung vertreten, daß der Gewahrsam an beschlagnahmefreien Gegenständen unmittelbar aus dem Verhältnis zum Beschuldigten entstanden sein müsse; sobald der Gegenstand aus diesem Gewahrsam durch eine Verfügung des Gewahrsaminhabers oder durch Erbgang herauskomme, erlösche das Beschlagnahmeverbot, selbst wenn der neue Besitzer gleichfalls zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sei (Dünnebier in: Löwe-Rosenberg, StPO, 21. Aufl., § 97 Anm. 4a aa; Müller-Sax [KMR], StPO, 6. Aufl., § 97 Anm. 2c bb, 3b, beide unter Berufung auf die freilich veraltete Entscheidung RGSt 28, 285 [286]). Danach würde die strafverfahrensrechtliche Regelung der Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte beim Praxisnachfolger nichts in den Weg legen.
| |
Indessen ist diese Deutung keineswegs zwingend. Vielmehr erlaubt § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO jedenfalls auch eine Auslegung, nach der für das Beschlagnahmeverbot an der Karteikarte des Beschuldigten nicht nur der Gewahrsam des behandelnden Arztes, sondern ebenso derjenige seines Praxisnachfolgers ausreicht (so Müller-Dietz, Die Beschlagnahme von Krankenblättern im Strafverfahren, Diss. Freiburg 1965, S. 43 f., 100 f.; vgl. auch Peters, Beweisverbote im deutschen Strafverfahren, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages [1966] Bd. I, S. 133). Dafür sprechen sogar gewichtige Gründe. Da dem Praxisnachfolger der Inhalt der Karteikarte stets nur in seiner Eigenschaft als Arzt bekannt wird, darf er darüber genauso das Zeugnis verweigern, wie es seinem Vorgänger gestattet war (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Der Sinn des Beschlagnahmeverbots an ärztlichen Aufzeichnungen besteht aber nach einhelliger Meinung darin, das Zeugnisverweige ![]() ![]() | |
Da die Deutung, nach der § 97 StPO die Beschlagnahme einer ärztlichen Karteikarte des Beschuldigten auch bei dem Praxisnachfolger verbietet, einerseits möglich ist, andererseits aber nur diese Auslegung zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, hätte sie das Landgericht bei seiner Entscheidung zugrunde legen müssen.
| |
3. Der Verstoß gegen das Gebot der verfassungskonformen Auslegung, auf dem der angefochtene Beschluß beruht, hat zu einer Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geführt. Die vom Landgericht bestätigte Beschlagnahmeanordnung zielte darauf ab, den mit der Aufklärung des Falles befaßten Strafverfolgungsbehörden den Inhalt der Karteikarte des Beschwerdeführers und damit Umstände zur Kenntnis zu bringen, die seiner verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre angehörten. Daran ![]() ![]() | |
II.
| |
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung war bereits bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegenstandslos, da die Beschlagnahme damals schon stattgefunden hatte.
| |
III.
| |
Die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen sind zu erstatten (§ 34 Abs. 4 BVerfGG). Die Erstattungspflicht trifft das Land Baden-Württemberg, dem die erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist. ![]() | |
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
| |