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Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 26. Mai 1976
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- 2 BvR 294/76 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Firma Heinrich Bauer Verlag, Kommanditgesellschaft, vertreten durch den persönlich haftenden Gesellschafter Heinz Heinrich Bauer, Burchardstraße 11, Hamburg 1, -Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. J. Augstein, H. von Döllen, R. Bruder, Dr. G. Schreiber, Dr. K. Weiss, Hamburger Allee 24, Hannover 1 - gegen a) den Beschluß des Amtsgerichts München vom 8. August 1972 - ER VII Gs 3329/72 -, b) den Beschluß des Landgerichts München I vom 11. August 1972 - XVII Qs 120/72 -. ![]() | |
1. Der Beschluß des Amtsgerichts München vom 8. August 1972 - ER VII Gs 3329/72 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes.
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2. Der Freistaat Bayern hat die der Beschwerdeführerin erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. - I. | |
Die Beschwerdeführerin betreibt in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft einen Verlag, in dem sie unter anderem die Zeitschrift "Quick" herausgibt. Sie unterhält Geschäftsräume in Hamburg, München und Bonn. Leiter ihres Bonner Büros ist der Redakteur Paul Limbach.
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Die Zeitschrift "Quick" druckte in den Jahren 1970 bis 1972 wiederholt nicht zur Veröffentlichung bestimmte Dokumente politischen Inhalts ab; so wurde in der "Quick" Nr 31/72 ein persönliches Schreiben des damaligen Bundesministers Schiller an den Bundeskanzler veröffentlicht.
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In einem Ermittlungsverfahren gegen den Redakteur Limbach wegen Verdachts der Steuerhinterziehung ordnete das Amtsgericht Bonn durch Beschluß vom 5. Juli 1972 die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten und des von ihm geleiteten Bonner Büros der Beschwerdeführerin an. Anläßlich der am 14. Juli 1972 durchgeführten Durchsuchung fanden die Steuerfahndungsbeamten unter anderem Ablichtungen amtlicher Schriftstücke mit den Aufschriften "Nur für den Dienstgebrauch", "Vertraulich", "Streng vertraulich" und "Geheim" sowie in einem im übrigen leeren Tresor Ablichtungen des erwähnten, zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Schiller-Briefes, auf denen ein Bündel 100-DM-Scheine lag. Außerdem wurden Unterlagen sichergestellt, die den Verdacht aufkommen ließen, daß die Beschwerdeführerin "Schmiergelder" an Behördenangehörige gezahlt habe. ![]() | |
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Nunmehr beantragte die Staatsanwaltschaft Bonn beim Amtsgericht München den Erlaß eines Durchsuchungsbefehls, der am 8. August 1972 antragsgemäß erging und folgenden Wortlaut hatte:
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Beschluß
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In dem Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Heinrich Bauer Verlages, München 2, Augustenstraße 10 und Andere wegen Verwahrungsbruchs usw wird gem §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung der Geschäftsräume einschließlich eventueller Nebengebäude und -räume des Heinrich Bauer Verlages, München 2 Augustenstraße 10 angeordnet, da nach den bisherigen Ermittlungen zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird.
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Bei der daraufhin am 9. und 10. August 1972 in den Münchner Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin durchgeführten Durchsuchung stellte die Polizei eine größere Zahl von Unterlagen sicher, über deren näheren Inhalt die Beschwerdeführerin keine Angaben gemacht hat.
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Die bereits erfolgte Durchsuchung könne auch bei Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ihre Anordnung und die hiergegen eingelegte Beschwerde seien damit gegenstandslos; die Beschwerdeführerin sei nicht mehr beschwert.
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II.
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Gegen den Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts München und die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung richtet sich die am 8. September 1972 eingegangene Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin rügt Verletzung ihrer Grundrechte aus Art 2 Abs 1, 5 Abs 1 Satz 2, 12 Abs 1, 13 und 14, jeweils in Verbindung mit Art 20 Abs 2 und 3 GG. Sie beantragt, neben der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen anzuordnen, daß die Ermittlungsbehörden Kenntnisse, die sie bei Gelegenheit der Durchsuchung gewonnen hätten, nicht in einem Strafverfahren gegen Informanten der Beschwerdeführerin verwerten dürften. Hilfsweise beantragt sie, das Amtsgericht München anzuweisen, ein solches Verwertungsverbot auszusprechen. Zur Begründung trägt sie vor:
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Die angegriffenen Entscheidungen beachteten den vom Redaktionsgeheimnis umfaßten Informantenschutz nicht und verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ließen eine verfassungsrechtliche Güterabwägung, insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Grundrecht der Pressefreiheit in seiner konkreten Ausgestaltung als Informantenschutz, vermissen. Die Abwägung sei erforderlich gewesen, weil das Ermittlungsverfahren zumindest auch der Feststellung von "Quick"-Informanten gedient habe. Dabei hätte auch berücksichtigt werden müssen, daß nur ein vager Verdacht des Verwahrungsbruchs und der Bestechung bestanden habe.
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Die Ermittlungsunterlagen hätten nicht den Schluß gerechtfertigt, daß allein die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin Ergebnisse für das Ermittlungsverfahren habe ![]() ![]() | |
Der angegriffene Durchsuchungsbeschluß sei nach seinem Inhalt, Zweck und Ausmaß zu unbestimmt. Er lasse insbesondere die konkrete Angabe von Straftatbeständen vermissen.
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Die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung sei schon deshalb verfassungswidrig, weil sie sich jeglicher Sachprüfung enthalte.
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III.
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Der Bundesminister der Justiz und das Bayerische Staatsministerium der Justiz haben sich zu der Verfassungsbeschwerde im wesentlichen wie folgt geäußert:
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1. Der Bundesminister der Justiz:
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Es sei zweifelhaft, ob der amtsgerichtliche Beschluß vom 8. August 1972 den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Durchsuchungsbefehls zu stellen seien, genüge. Derjenige, bei dem eine Durchsuchung vorgenommen werde, müsse aus dem Durchsuchungsbefehl ersehen können, weshalb, mit welchem Ziel und in welchem Umfang Durchsuchungsmaßnahmen bei ihm getroffen werden sollten. Dabei spiele allerdings der jeweilige Stand der Ermittlungen eine wesentliche Rolle. Es seien Fälle denkbar, in denen eine Durchsuchung geboten sei, obwohl das Ermittlungsergebnis nur wenig konkrete Angaben im Durchsuchungsbeschluß ermögliche.
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Danach könne hingenommen werden, daß im vorliegenden Fall im Durchsuchungsbefehl lediglich "die Verantwortlichen des Heinrich Bauer Verlages ... und andere" als Beschuldigte angegeben seien. Auch die Räume, in denen die Durchsuchung habe vorgenommen werden sollen, seien hinreichend genau bezeichnet. Bedenklich erscheine indessen, daß die strafbare Handlung, der die Ermittlungen gegolten hätten, lediglich mit den Worten "wegen Verwahrungsbruchs usw" beschrieben sei. ![]() ![]() | |
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz:
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Soweit die Beschwerdeführerin den Erlaß eines Verwertungsgebotes begehre, erscheine ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig; ein solcher Ausspruch könne nicht Inhalt einer Entscheidung nach § 95 BVerfGG sein. Im übrigen dürfte die Verfassungsbeschwerde, folge man den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im "Spiegel"-Urteil (BVerfGE 20, 162 ff.), begründet sein. Der Durchsuchungsbefehl lasse die konkrete Bezeichnung der Tat, deren die Beschuldigten verdächtigt worden seien, vermissen. Aus den Worten "wegen Verwahrungsbruchs usw" könne ein Beschuldigter nicht ersehen, worum es gehe. Zweck, Ziel und Umfang der Durchsuchung seien mit der bloßen Wiedergabe des Wortlauts des § 102 StPO nicht konkret genug umrissen. Auch lasse der Beschluß nicht erkennen, ob die bei der Durchsuchung von Presseräumen erforderliche besonders sorgfältige Abwägung stattgefunden habe.
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Die Verfassungsbeschwerde ist mit der aus Ziffer 3 dieses Abschnitts ersichtlichen Einschränkung zulässig.
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1. Durchsuchungsbeschlüsse sind der verfassungsrechtlichen ![]() ![]() | |
3. Hingegen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin den Erlaß eines Verwertungsverbotes erstrebt; denn es ist dem Senat schon im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verwehrt, im vorliegenden Verfahren die Frage zu entscheiden, ob die Fehlerhaftigkeit des Durchsuchungsbeschlusses der Verwertbarkeit der bei der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse entgegensteht. Das hat zunächst das mit dem Beschlagnahmeverfahren befaßte Fachgericht zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht kann hierüber nicht befinden, bevor dieses gegenwärtig beim Landgericht München I in der Beschwerdeinstanz anhängige Verfahren abgeschlossen ist.
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Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den amtsgerichtlichen Durchsuchungsbefehl richtet, ist sie auch begründet. Der Beschluß genügt nicht den Mindestanforderungen, die aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit an den Inhalt solcher Anordnungen zu stellen sind; er verletzt damit das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art 13 Abs 1 GG. ![]() | |
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Zwar ist die Unverletzlichkeit der Wohnung ihrem Ursprung nach ein echtes Individualrecht, das dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse seiner freien Entfaltung einen "elementaren Lebensraum" (Dagtoglou in: Bonner Kommentar, Art 13 Rdnr 33) gewährleisten soll. Indessen ist für die Beantwortung der Frage, ob ein Grundrecht "seinem Wesen nach" auf juristische Personen anwendbar ist, weniger auf den historischen Ursprung des Grundrechts als vielmehr darauf abzustellen, ob es nur individuell oder auch korporativ betätigt werden kann (Dürig in: Maunz-Dürig, GG, Art 19 Abs 3 Rdnr 51). Danach genießen grundsätzlich auch Kommanditgesellschaften den Schutz des Grundrechts aus Art 13 Abs 1 GG; denn diese können - ebenso wie Einzelpersonen - berechtigterweise Inhaberinnen von Wohnungen sein (so auch Maunz in: Maunz-Dürig, GG, Art 13 Rdnr 6). Hinzu kommt, wie im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 1971 (BVerfGE 32, 54 [69 ff.]) geklärt worden ist, daß der Begriff "Wohnung" in Art 13 Abs 1 GG auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfaßt. Die Geschäftsräume einer Einzelfirma können aber ihre Wohnungseigenschaft im Sinne des Art 13 Abs 1 GG nicht dadurch einbüßen, daß ihre Inhaberin in eine Gesellschaft umgewandelt wird (ebenso Dagtoglou, aaO).
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2. Eine Durchsuchung stellt schon ihrer Natur nach regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen, namentlich in die Grundrechte aus Art 2 und 13 GG dar. Sie steht daher ebenso ![]() ![]() | |
3. Ein auf § 102 StPO gestützter Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen läßt, wird diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind. Die nur schlagwortartige Bezeichnung der mutmaßlichen Straftat und die Anführung des Wortlauts des § 102 StPO bieten in einem solchen Fall keinen ausreichenden ![]() ![]() | |
Die Beschreibung des Tatvorwurfs steckt den äußeren Rahmen, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist, ab. Sie hat bei richtiger Handhabung eine begrenzende, die Privatsphäre des Betroffenen schützende Funktion. Zugleich versetzt sie ihn in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten.
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Die Beschreibung der aufzuklärenden Straftaten wird durch die Angaben über die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, ergänzt. Sie sollen verhindern, daß sich die Zwangsmaßnahme auf Gegenstände erstreckt, die vom Durchsuchungsbeschluß nicht erfaßt werden, und entfalten damit ihrerseits eine weitere Schutzwirkung zugunsten der Grundrechte des Betroffenen. Allerdings wird eine genaue Bezeichnung des Beweismaterials, auf das die Durchsuchung gerichtet ist, häufig nicht möglich sein. Das schließt indessen nicht aus, die erwarteten Beweismittel wenigstens annäherungsweise - gegebenenfalls in Form beispielhafter Angaben - zu beschreiben.
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4. Diesen rechtsstaatlichen Mindesterfordernissen genügt der angegriffene Durchsuchungsbeschluß nicht. Abgesehen davon, daß er bei der schlagwortartigen Bezeichnung der mutmaßlichen Straftaten ("wegen ...") nur den Verwahrungsbruch, nicht dagegen die aktive und passive Bestechung erwähnt, enthält er weder tatsächliche Angaben über die aufzuklärenden Straftaten noch läßt er die Art und den denkbaren Inhalt der zu suchenden Beweismittel erkennen. Solche Kennzeichnungen wären hier nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich und unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Strafverfolgung auch nicht untunlich gewesen.
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5. Welche zusätzlichen Anforderungen von Verfassungs wegen an die Zulässigkeit einer Durchsuchung deshalb gestellt werden müssen, weil sie sich gegen ein Presseunternehmen richtet und daher die Bedeutung des Art 5 Abs 1 Satz 2 GG zu ![]() ![]() | |
6. Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zum Urteil des Ersten Senats vom 5. August 1966 (BVerfGE 20, 162 ff. - "Spiegel"-Fall). Der damalige Sachverhalt weist gegenüber dem vorliegenden, soweit die verfassungsrechtliche Überprüfung des Durchsuchungsbeschlusses am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips in Frage steht, drei wesentliche Besonderheiten auf: Der seinerzeit ergangene Durchsuchungsbefehl enthielt wenigstens andeutungsweise eine Kennzeichnung des Tatvorwurfs; dem Beschuldigten war die konkrete Bezeichnung der Tat aus einem Haftbefehl, der gleichzeitig mit dem Durchsuchungsbeschluß ergangen war, bekannt; die Durchsuchung erfolgte in Anwesenheit des Ermittlungsrichters. Weist - wie hier - ein Durchsuchungsbefehl unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit bei Berücksichtigung der erwähnten Besonderheiten des "Spiegel"-Falles schwerwiegendere Rechtsmängel als der damalige Durchsuchungsbeschluß auf, so stehen die Ausführungen des Ersten Senats der Feststellung nicht entgegen, daß der angegriffene Beschluß Verfassungsrecht verletze.
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7. Da die Durchsuchung abgeschlossen ist, bleibt für die Aufhebung ihrer Anordnung kein Raum. Die Entscheidung beschränkt sich deshalb auf die Feststellung einer Verletzung des Grundgesetzes (vgl. dazu BVerfGE 6, 386 [388 f.]).
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III.
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Soweit die Verfassungsbeschwerde dem Beschluß des Landgerichts gilt, hat sie sich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Durchsuchungsbefehls erledigt. Denn mit dieser Feststellung ist zugleich dem von der Beschwerdeführerin im Verfahren der strafprozessualen Beschwerde verfolgten Rechtsschutzbegehren in vollem Umfang entsprochen. Selbst wenn die ![]() ![]() | |
IV.
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Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist der Freistaat Bayern, dem die von der Beschwerdeführerin erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.
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