Beschluß | |
des Ersten Senats vom 11. Oktober 1978
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-- 1 BvR 84/74 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Dr. W ... - Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Dr. Dr. Gerda Krüger, Am Laichholz 16, Perchting - gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1973 - VI ZR 113/71 -.
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Entscheidungsformel:
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Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Haftung gerichtlich bestellter Sachverständiger, deren schuldhafte Falschbegutachtung zu einer gerichtlich verfügten Freiheitsentziehung geführt hat.
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I.
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1. Der beschwerdeführende Kläger des Ausgangsverfahrens hatte im Zusammenhang mit seinem Versuch, wegen des Verdachts der Tötung eines Rechtsanwalts ein Ermittlungsverfahren in Gang zu bringen, den Verfolgungsbehörden öffentlich Verschleierung vorgeworfen. Im Zuge eines Strafverfahrens wegen übler Nachrede und anderer Delikte wurde er zur Begutachtung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Dauer von sechs Wochen in eine Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie eingewiesen, deren Direktor der Beklagte des Ausgangsverfahrens war. Dieser wurde vom Ermittlungsrichter zum medizinischen Sachverständigen bestellt. In einem umfangreichen schriftlichen Gutachten bejahte er eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers allgemein und bei einigen seiner Handlungen sogar eine völlige Zurechnungsunfähigkeit; er nannte den Beschwerdeführer eine abnorme Persönlichkeit mit querulatorischer Entwicklung und stellte eine "psychopathische progressive Querulanz mit eindeutigem Krankheitswert" fest. In einem späteren kurzen Ergänzungsgutachten nahm er die völlige Zurechnungsunfähigkeit wegen aller dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen an. Im übrigen bejahte er die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers und regte die Prüfung der Unterbringung in einer Heilanstalt und seiner Sicherungsverwahrung an. Die ![]() ![]() | |
In der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hörte das Gericht andere Sachverständige. Entsprechend ihrem Gutachten nahm es keine Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit an und verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe; seine Revision wurde verworfen (BGHSt 21, 334).
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2. Im Ausgangsverfahren hat der Beschwerdeführer vom Beklagten Schadensersatz verlangt mit der Begründung, dieser habe das Gutachten schuldhaft unrichtig erstattet und hierdurch sein Persönlichkeitsrecht und seine persönliche Freiheit beeinträchtigt. Als Ausgleich seines immateriellen Schadens -- hilfsweise der ihm im beruflichen Fortkommen zugefügten Nachteile -- forderte er die Zahlung von 10 000 DM. Der Beklagte hat die Unrichtigkeit seines Gutachtens bestritten und erklärt, er stehe noch heute zu seiner Beurteilung des Beschwerdeführers; keinesfalls habe er schuldhaft gehandelt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Berufung und Revision des Beschwerdeführers blieben erfolglos.
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Der Bundesgerichtshof geht in dem angegriffenen Revisionsurteil (BGHZ 62, 54) davon aus, das Berufungsgericht habe zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt, daß das Gutachten objektiv unrichtig gewesen sei und daß den Beklagten insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe. Nach der rechtsirrtumsfreien Würdigung des Berufungsgerichts habe der Beklagte hingegen den Schaden weder vorsätzlich herbeigeführt noch in dem Sinne schuldhaft gehandelt, daß er mit einer Rechtsgutverletzung gerechnet und diese billigend in Kauf genommen habe; ein Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB sei daher nicht gegeben. Da der beklagte Sachverständige nicht beeidet worden sei, entfalle nach über ![]() ![]() | |
Zwar hafte der gerichtliche Sachverständige für fahrlässige Rechtsgutverletzungen, die er bei der Vorbereitung seines Gutachtens -- etwa bei ärztlichen Untersuchungen -- einem Verfahrensbeteiligten unmittelbar zufüge (BGHZ 59, 310). Eine andere Beurteilung sei aber geboten, wenn der Sachverständige fahrlässig seine Pflicht verletze, sein Gutachten nach bestem ![]() ![]() ![]() ![]() | |
II.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot.
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Die Versagung des Schadensersatzanspruchs sei willkürlich im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG; denn der im Ausgangsverfahren verklagte Sachverständige hafte jedenfalls wegen bedingt vorsätzlicher Schädigung. Er habe entgegen den Feststellungen eines früheren Sachverständigen und den Ergebnissen seiner eigenen Untersuchungen und ungeachtet des Bagatellcharakters der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen dessen Persönlichkeit völlig negativ bewertet und in seinem Gefälligkeitsgutachten die sachwidrigen Unterstellungen der fachunkundigen Ermittlungsbehörden noch weit überboten.
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Das in der Literatur vielfach kritisierte Urteil sei aber auch dann zu beanstanden, wenn dem Sachverständigen lediglich Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Der Bundesgerichtshof verletze den Gleichheitssatz, das Rechtsstaatsgebot und das durch Art. 14 GG besonders implizierte Verbot der Beseitigung materiell berechtigter Ansprüche, wenn er durch rechtsschöpferische Normsetzung den gerichtlichen Sachverständigen von der Pflicht freistelle, für fahrlässige unerlaubte Handlungen einzustehen. Diese nach dem klaren Gesetzeswortlaut für jedermann geltende Pflicht lasse insbesondere dann keinen Raum für Unterschiede, wenn durch deliktische Handlungen die durch die Verfassung besonders geschützten Freiheitsrechte verletzt würden, in die nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden dürfe. Es sei schlechthin grundgesetzwidrig, die deliktische Haftung eines Mitglieds der Rechtsgemeinschaft für ein solches Tun nur deshalb einzuschränken, weil er in besonderer öffentlich ![]() ![]() | |
Im Laufe des Verfahrens hat der Beschwerdeführer noch ergänzend mitgeteilt, er habe im Hinblick auf Andeutungen am Schluß des angegriffenen Urteils Schadensersatzansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen geltend gemacht. Sein Antrag sei mit der Begründung zurückgewiesen worden, alle gerichtlichen Maßnahmen zur zwangsweisen Unterbringung des Beschwerdeführers seien berechtigt gewesen.
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2. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung sowie der Beklagte des Ausgangsverfahrens geäußert. Ferner wurden die obersten Gerichte des Bundes gehört.
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a) Der Bundesminister der Justiz hat in seiner Stellungnahme einleitend darauf hingewiesen, er könne mangels genauer Kenntnis des konkreten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob dem Beschwerdeführer ein verfassungsrechtlich unentziehbarer Schadensersatzanspruch zustehe. Allgemein sei in der Grundsatzfrage, unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche wegen unrichtiger Gutachtenerstattung in Betracht kämen, davon auszugehen, daß der Sachverständige keine öffentliche Gewalt für das Gericht ausübe, daß daher keine Staatshaftungsansprüche bestünden, daß aber auch eine unmittelbare Anwendung des Richterprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB) auf den Sachverständigen ausscheide. Seine Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die eigentliche Entscheidung in die richterliche Verantwortung falle; es genüge -- davon gehe auch der Bundesgerichtshof zutreffend aus --, daß sein Gutachten mittelbar eine Schädigung ![]() ![]() | |
Die Haftung des Sachverständigen sei keine bloße Frage des einfachen Rechts. Verfassungsrechtlich sei vielmehr davon auszugehen, daß das Grundrecht der persönlichen Freiheit als tragende Grundnorm für alle Bereiche des Rechts gelte und demgemäß auch eine wesentliche Ausstrahlung auf die Gestaltung des einfachen Rechts entfalte, das rechtswidrige Eingriffe nicht nur seitens der staatlichen Gewalt, sondern auch durch Einzelne verhindern und ihnen gegebenenfalls mit rechtlichen Sanktionen begegnen solle. Dieser Einfluß sei auch bei der Auslegung einschlägiger Rechtsnormen zu berücksichtigen und gegebenenfalls im Einzelfall vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Fraglich könne sein, wie sich das auf die in § 823 Abs. 1 BGB vorgesehene Verschuldensform auswirke. Das Grundrecht gebiete nachdrücklich nur, daß den schutzwürdigen Rechten des Einzelnen, gegen den aufgrund eines unzutreffenden Gutachtens freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet worden seien, angemessen Rechnung getragen werde; der Richter müsse aber bei seiner Entscheidung über den Schadensersatzanspruch nicht die Besonderheit der Aufgaben eines gerichtlichen Sachverständigen unberücksichtigt lassen. Eine Haftung des Sachverständigen für leichte Fahrlässigkeit werde durch die Ausstrahlungswirkung des Art. 2 GG nicht geboten; sie werde dem höchstpersönlichen Charakter einer Gutachtenerstellung nicht gerecht und könne die innere Unabhängigkeit des Sachverständigen beeinträchtigen, der im Interesse der Wahrheitsfindung eine seiner Auf ![]() ![]() | |
b) Die Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, des Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts haben mitgeteilt, daß sich ihre Gerichte mit der strittigen Problematik bislang nicht befaßt hätten und daß auch keine einschlägigen Verfahren anhängig seien.
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf seine in dem angegriffenen Urteil zitierten Entscheidungen BGHZ 42, 313 und 43, 374 hingewiesen. Der für Amtshaftungsprozesse zuständige III. Zivilsenat hat mitgeteilt, er habe die strittige Rechtsfrage bisher nicht entschieden. Die in dem angegriffenen Urteil zitierte Entscheidung BGHZ 59, 310 betreffe die Haftung eines Sachverständigen, der den Kläger bei einer ärztlichen Untersuchung für das Gutachten geschädigt habe. Der Senat habe in diesem Fall die Haftung bejaht und sei dabei auch kurz auf die Bestrebungen eingegangen, die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen zu beschränken. Er sei dem nicht gefolgt; verletze der Sachverständige bei der Vorbereitung seines Gutachtens Pflichten, wofür er unabhängig vom Gerichtsverfahren jedermann gemäß § 823 Abs. 1 BGB einzustehen habe, bestehe ![]() ![]() | |
Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat ebenfalls mitgeteilt, er sei mit der strittigen Problematik bislang nicht befaßt gewesen. Aus der Sicht der Sozialgerichtsbarkeit sei eine erweiterte Haftung des medizinischen Sachverständigen über die vom Bundesgerichtshof hinaus gezogenen Grenzen jedenfalls dann bedenklich, wenn als Haftungsgrund nicht nur die Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsrechts, wie die Freiheitsentziehung, sondern auch ein allgemeiner Vermögensschaden geltend gemacht werde. Die Sozialgerichtsbarkeit habe in erheblichem Umfang über Leistungsansprüche zu entscheiden und vielfach anspruchsverneinende Urteile zu erlassen, deren tatsächliche Voraussetzungen einer medizinischen Sachaufklärung bedürften; sie sei daher auf eine große Anzahl geeigneter und aussagebereiter medizinischer Sachverständiger angewiesen. Es sei nicht auszuschließen, daß eine Ausdehnung der Sachverständigenhaftung die Bereitschaft geeigneter Ärzte zur Erstattung frist- und sachgerechter sowie erschöpfender Gutachten mindern werde, ohne daß dem wirksam begegnet werden könnte. Auch werde eine Ausdehnung der Haftung auf fahrlässiges Verhalten dazu führen, daß Anspruchsbewerber, die im Prozeß die ihnen ungünstigen Sachverständigengutachten vergeblich angegriffen hätten und unterlegen seien, nunmehr auf dem Wege über eine Schadensersatzklage gegen den Sachverständigen versuchen würden, zum Erfolg zu kommen.
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c) Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hat mitgeteilt, er sei im wohlverstandenen Interesse der Behörden und des Beschwerdeführers nicht zu einer Stellungnahme bereit. Zur Begründung hat er ausgeführt, er halte an seiner Diagnose einer "exzessiven Querulanz" fest, die verständlicherweise dem pathologischen Geltungsstreben und Öffentlichkeitsbedürfnis des Beschwerdeführers widerspreche. Unter dem Vorwurf der Falschbegutachtung sei seit über einem Jahrzehnt in Presse, Rundfunk und Fernsehen eine permanente Hetze gegen seine Person erfolgt; ![]() ![]() | |
Diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer entgegengetreten.
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I.
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Nach ständiger Rechtsprechung sind rechtskräftige Urteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf Verfassungsbeschwerde hin nur in begrenztem Umfang nachprüfbar (BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 32, 311 [316]; 42, 143 [147 ff.]). Wie die "richtige" Lösung einer solchen Streitigkeit konkret auszusehen hat, ist im Grundgesetz nicht vorgeschrieben. Zudem würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte es ähnlich wie eine Revisionsinstanz eine unbeschränkte rechtliche Nachprüfung deshalb in Anspruch nehmen, weil eine Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall obliegen vielmehr grundsätzlich den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann erst dann eingreifen, wenn das Urteil des Fachgerichts Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Das gleiche gilt, wenn das Fachgericht zu seinem Ergebnis auf einem methodischen Weg gelangt, der den für die Rechtsfindung verfassungsrechtlich bestehenden Rahmen überschreitet (BVerfGE 34, 269 [280]).
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Diese Grenzen der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung ![]() ![]() | |
Zu den den Fachgerichten vorbehaltenen Aufgaben gehört endlich auch die nähere Prüfung, ob die einzelnen Voraussetzungen für die in § 823 Abs. 1 BGB geregelte Haftung wegen ![]() ![]() | |
II.
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Der Beschwerdeführer wird in seinem Grundrecht aus Art. 2 GG verletzt, wenn der Bundesgerichtshof ihm diesen Schadensersatzanspruch selbst für den Fall versagt, daß der Sachverständige grob fahrlässig gehandelt haben sollte.
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1. Der Bundesgerichtshof verneint die aus der allgemeinen Deliktsnorm des § 823 Abs. 1 BGB folgende Haftung deshalb, weil der gerichtlich bestellte unbeeidete Sachverständige aus Rechtsgründen nicht für die Folgen einer fahrlässigen Falschbegutachtung einzustehen habe. Dieses Ergebnis wird also nicht mit dem Fehlen der aus dem Gesetz herleitbaren Anspruchsvoraussetzungen begründet und auch nicht durch eine analoge Anwendung des in § 839 Abs. 2 BGB geregelten, für instanzbeendende Entscheidungen vorgesehenen richterlichen Haftungsprivilegs gewonnen. Vielmehr wird es in dem angegriffenen Urteil mit folgenden allgemeinen Erwägungen begründet, die nach Meinung des Bundesgerichtshofs den Haftungsausschluß sowohl bei leichter als auch bei grober Fahrlässigkeit gebieten:
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Die Stellung des Sachverständigen als Gehilfe des Richters bei der Urteilsfindung spreche dagegen, ihm ein so weitgehendes Haftungsrisiko aufzuerlegen. Wenn er auch keine richterliche ![]() ![]() ![]() ![]() | |
2. Die auf diese Weise begründete Einschränkung der Sachverständigenhaftung geht über das übliche Maß einer bloßen Gesetzesauslegung hinaus; denn der eindeutige Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB ("wer") ist als solcher nicht auslegungsfähig. Die Haftungsbeschränkung beruht vielmehr auf einer Fortbildung des vom Gesetzgeber normierten Deliktsrechts, wobei diese Fortbildung maßgeblich auf die Auswirkungen einer uneingeschränkten Gesetzesanwendung abstellt. Eine solche richterliche Rechtsfortbildung ist von Verfassungs wegen nicht schon grundsätzlich zu beanstanden. Vielmehr gehört sie -- wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt klargestellt hat (BVerf- GE 34, 269 [286 ff.] m.w.Nachw.; vgl. auch 37, 67 [81]; 38 386 [396]) -- zu den anerkannten Aufgaben und Befugnissen der Gerichte. Es ist aber ebenso anerkannt, daß diese Befugnis nicht unbegrenzt besteht.
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Der vorliegende Fall nötigt nicht zu der näheren Prüfung, welche Grenzen der allgemeine Grundsatz der richterlichen Gesetzesbindung zieht, der seinerseits als Eckpfeiler im Gewaltenteilungssystem sowie als ein im Interesse der Rechtssicherheit notwendiges Gegenstück zur richterlichen Unabhängigkeit bezeichnet und ferner mit der stärkeren demokratischen Legitimation des aus dem politischen Willensbildungsprozeß hervorgegangenen Parlamentsgesetzes begründet wird (vgl. neuerdings Krey, Rechtsfindung contra legem als Verfassungsproblem, JZ 1978, S. 465 ff. m.w.Nachw.). Der Bundesgerichtshof über ![]() ![]() | |
a) In der Begründung der Verfassungsbeschwerde wird die besondere Qualität der deliktsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und anderer absoluter Rechte hervorgehoben: Das Deliktsrecht als gesetzlicher Schutz gegen die Verletzung dieser Rechtsgüter sei Grundlage jedweder Rechtsordnung der Kulturnationen und Bestandteil des Rechtsbewußtseins überhaupt; unterschiedslos -- und diese Unterschiedslosigkeit sei seinem Charakter immanent -- verpflichte es jedermann, stets und überall Eingriffe in geschützte Rechte Dritter zu unterlassen und für die Folgen schuldhafter Eingriffe einzustehen. Ob bereits diese allgemeinen Erwägungen darauf hindeuten, daß die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten werden, wenn ein Mitglied der Rechtsgemeinschaft sogar von der Haftung für grob fahrlässige Rechtsverletzung freigestellt wird, kann dahinstehen. Die angegriffene Entscheidung läßt -- das ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung von wesentlicher Bedeutung -- außer acht, daß es sich bei dem strittigen Schadensersatzanspruch nicht um eine beliebige Geldforderung handelt, sondern um eine Entschädigung für die Verletzung des verfassungsrechtlich besonders geschützten Rechtsgutes der persönlichen Freiheit. Die Verbürgung dieses verfassungsrechtlichen Freiheitsrechts durch Art. 2 Abs. 2 GG wird durch das geltende Deliktsrecht konkretisiert, indem es Sanktionen für dessen Beeinträchtigung durch Dritte bereithält. Die Haftungsregelung des § 823 Abs. 1 BGB erweist sich demgemäß -- wie der Bundesminister der Justiz zutreffend hervorgehoben hat -- unter der Herrschaft des Grundgesetzes dem Grundsatz nach als Ausprägung des besonderen Schutzgehaltes dieses Grundrechts. Das gilt auch, soweit diese Vorschrift Schadensersatzansprüche wegen schuldhaft rechtswidriger Freiheitsentziehung auslöst; denn solche Ansprüche sind grundsätz ![]() ![]() | |
Es bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung, in welchem Umfang das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG den Gesetzgeber verpflichtet, die in dieser Verfassungsnorm genannten Rechtsgüter haftungsrechtlich abzusichern (vgl. auch BVerfGE 39, 1 [41 f.]). Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß die Verfassung dem Gesetzgeber für die Ausgestaltung des Haftungsrechts Spielraum läßt, der beispielsweise auch solche Kompromißlösungen einschließt, wie sie bei der gesetzlichen Neuregelung der Sachverständigenhaftung erörtert werden. Für die hier entscheidungserhebliche Frage, wo die Grenzen der Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung verlaufen, ist wesentlich, daß das geltende Deliktsrecht einen gesetzlichen Anspruch gegen jedermann gewährt, der rechtswidrig und schuldhaft die persönliche Freiheit eines anderen verletzt. Sind die gesetzlich geregelten Voraussetzungen dieses Anspruchs gegeben, darf der Richter diese Regelung nicht in der Weise korrigieren, daß er die in § 823 Abs. 1 BGB statuierte Jedermann- Haftung zugunsten bestimmter Personen auf nur vorsätzliches Handeln einschränkt. Mögen auch die Gründe für eine solche im Gesetz nicht vorgesehene Haftungsbeschränkung bedenkenswert sein, so ist es doch nicht Sache des an Gesetz und Recht gebundenen Richters, im Wege der Rechtsfortbildung Haftungsansprüche zu verkürzen, die das Gesetz in Einklang mit der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten Grundentscheidung gewährt. Der Richter ist dazu um so weniger berufen, als die dadurch entstehende Haftungslücke nur vom Gesetzgeber -- etwa im Wege der Erweiterung der Staatshaftung -- geschlossen werden könnte.
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b) Die Grenzen einer zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung werden jedenfalls dann überschritten, wenn aus den vom Bundesgerichtshof genannten Gründen sogar die gesetzlich vorgesehene Haftung für grob fahrlässiges Handeln ausgeschlos ![]() ![]() | |
Während die Anerkennung eines Geldersatzes für immaterielle Schäden bei schweren Verletzungen des Persönlichkeitsrechts die Rechtsstellung des Geschädigten auf der Grundlage einer richtungweisenden Verfassungsnorm verbessert, wird durch die strittige Haftungsbeschränkung gerade umgekehrt die Rechtsstellung des Geschädigten verschlechtert und damit ein Weg beschritten, der den Intentionen des Grundrechts des Art. 2 Abs. 2 GG eher zuwiderläuft. Der Ausschluß einer Haftung für grobe Fahrlässigkeit entspricht -- wie allerdings erst nach Erlaß des angegriffenen Urteils erkennbar geworden ist -- auch keineswegs den Vorstellungen für eine gesetzliche Neuregelung der Sachverständigenhaftung, die lediglich auf einen Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit abzielen; die Kommission für das Zivilprozeßrecht weist in ihrem 1977 veröffentlichten Bericht (S. 142 f.) ausdrücklich auf die "berechtigte Kritik" an der angegriffenen Entscheidung hin und wertet diese als unbefriedigend (vgl. auch Franzki, Die Reform des Sachverständigenbeweises in Zivilsachen, DRiZ 1976, S. 97 [100 f.]). Während ferner die dem Soraya-Fall zugrunde liegende Rechtsprechung weitgehende Zustimmung der Rechtswissenschaft fand und dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprach, ist die Beschränkung der Sachverständigenhaftung auf Vorsatz nahezu ausnahmslos auf entschiedene Ablehnung gestoßen. Zwar war die Literatur noch weithin der früheren Entscheidung über den Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit gefolgt (vgl. die Nachweise in dem angegriffenen Urteil); die Begründung für eine noch weitergehende Haftungsbeschränkung, die den gerichtlichen Prozeß zum "Freigelände für grob fahrlässige Gutachter" erkläre und den Geschädigten weitgehend rechtlos stelle, wird aber nunmehr als dogmatisch unrichtig und rechts ![]() ![]() | |
Für die weitgehende Einschränkung der Sachverständigenhaftung läßt sich endlich -- anders als im Soraya-Fall -- auch nicht vorbringen, die richterliche Rechtsfortbildung habe "nicht das System der Rechtsordnung verlassen und keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung gebracht, sondern lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterentwickelt" (a.a.O., S. 292). Vielmehr beruht diese Entscheidung ersichtlich auf eigenen rechtspolitischen Erwägungen, kraft deren das deliktsrechtliche System der Jedermann-Haftung durch eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausnahme durchbrochen wird. Diese Durchbrechung verbreitert zudem noch die ohnehin wenig überzeugende Diskrepanz in der Haftung des beeideten und des nicht beeideten Sachverständigen; denn während der beeidete Sachverständige anerkanntermaßen gemäß § 823 Abs. 2 BGB sogar für Vermögensschäden und leichte Fahrlässigkeit einzustehen hat, soll die aus § 823 Abs. 1 BGB folgende Haftung des unbeeideten Sachverständigen selbst bei Verletzung verfassungsrechtlich besonders geschützter Rechtsgüter auf Vorsatz beschränkt werden. ![]() | |
Während eine Versagung von Schadensersatzansprüchen der in Rede stehenden Art im Falle grober Fahrlässigkeit von der Mehrheit der Richter als Grundrechtsverletzung beurteilt worden ist, läßt sich dies für eine Haftungsbeschränkung im Falle nur leichter Fahrlässigkeit nicht feststellen (§ 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG).
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1. Nach Meinung von vier Richtern läge es in der Konsequenz der bisherigen Erwägungen, daß das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 GG auch dann verletzt wird, wenn ihm ein aus der gesetzlichen Regelung des § 823 Abs. 1 BGB herleitbarer Schadensersatzanspruch mit der Begründung versagt wird, der gerichtlich bestellte unbeeidete Sachverständige habe aus Rechtsgründen nicht für Folgen einer leicht fahrlässigen Falschbegutachtung einzustehen. Eine solche Haftungsbeschränkung könne zwar der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Erwägungen des Bundesgerichtshofs anordnen. Hingegen dürfe der Richter auch insoweit nicht einen bestehenden deliktsrechtlichen Schutz unterlaufen, den das Gesetz in Einklang mit der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten Grundentscheidung gewähre.
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Zur Bekräftigung dieser Auffassung wurde ferner ausgeführt, ein gesetzlich gegebener, in der Vergangenheit unter der Herrschaft des geltenden Deliktsrechts entstandener Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit gehöre -- ähnlich wie die privatrechtlichen Ansprüche der Contergan- Geschädigten (BVerfGE 42, 263 [292 ff.]) -- in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Zwar stehe auch Art. 14 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Einschränkung der Sachverständigenhaftung nicht entgegen. Wenn aber der Gesetzgeber kraft des ihm obliegenden Regelungsauftrages (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) und unter Berücksichtigung der Spannungslage zwischen den Belangen des Einzelnen und den Anforderungen der sozialstaatlichen Ordnung eine Regelung getroffen habe, wie sie das geltende Deliktsrecht darstelle, könne es nicht Sache der Ge ![]() ![]() | |
2. Nach Meinung der vier anderen Richter kommt zur Beantwortung der Frage, ob die strittige Entscheidung die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet, als Prüfungsmaßstab allein Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in Betracht. Dabei wird teilweise anerkannt, daß eine Haftungsbegrenzung auf Vorsatz über diese Grenzen hinausgehe und sich -- wie ausgeführt -- auch nicht mehr mit den Erwägungen der Soraya-Entscheidung rechtfertigen lasse. Nach übereinstimmender Auffassung dieser Richter gilt dies aber nicht für die Überlegungen, mit denen der Bundesgerichtshof einen Haftungsausschluß im Falle leichter Fahrlässigkeit begründet. Einer solchen Haftungsbeschränkung stehe weder das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG noch erst recht die Eigentumsgarantie entgegen. Sie entspreche den Vorstellungen für eine gesetzliche Neuregelung der Sachverständigenhaftung. Auch in der Literatur sei im Anschluß an die frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1968, S. 787) weitgehend anerkannt worden, daß gewichtige Gründe dafür sprächen, auf ein leicht fahrlässiges Verhalten des Sachverständigen § 823 Abs. 1 BGB nicht anzuwenden. Wenn der Bundesgerichtshof im Rahmen der ihm obliegenden Auslegung des Deliktsrechts und unter Anwendung moderner, die Folgen einbeziehender Auslegungsmethoden an dieser Beurteilung festhalte, könne dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
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