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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Marcel Schröer | |||
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Beschluß |
des Ersten Senats vom 3. April 1990 |
-- 1 BvR 680, 681/86 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Frau B..., 2. des Herrn H... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Norbert Schönberger und Dr. Dr. Heinz Dielmann, Düsseldorfer Straße 15/17, Frankfurt/Main 1 - gegen a) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2. Mai 1986 - RReg. 5 St 94/86 -, das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. November 1985 - 4 Ns 30 Js 1522/84-. |
Entscheidungsformel: |
Der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2. Mai 1986 - RReg. 5 St 94/86 - und das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. November 1985 - 4 Ns 30 Js 1522/84 - verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen. |
Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: | |
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Bestrafungen nach § 86a StGB wegen Verwendung von Kennzeichen der NSDAP.
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I. | |
1. Die Beschwerdeführer betreiben ein kleines Unternehmen, in dem T-Shirts bedruckt und anschließend an Endabnehmer verkauft werden. Ab Oktober 1984 erwarben sie Druckvorlagen für die beiden Abbildungen, die zum Aufdruck auf T-Shirts bestimmt und Gegenstand ihrer späteren Verurteilung waren.
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Das erste Bild zeigt die obere Körperhälfte Adolf Hitlers in ![]() ![]() | 3 |
"September 1939 Poland September 1940 England Cancelled April 1940 Norway April 1941 Jugoslavia May 1940 Luxembourg May 1941 Greece May 1940 Holland June 1941 Crete May 1940 Belgium August 1942 Russia Cancelled June 1940 France July 1945 Berlin Bunker". | 4 |
Unter dieser Aufstellung ist in noch kleinerer Schrift vermerkt:
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"C Third Reich Promotions 1939 +".
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Das zweite Bild zeigt eine Schwarz-Weiß-Fotografie des uniformierten Hitler, der dem Betrachter seine linke Körperseite zuwendet. Auf dem linken Arm trägt er die Hakenkreuzbinde, wobei das Hakenkreuz auch hier durch zwei gekreuzte Balken ersetzt ist. An den Fingern der zum "Deutschen Gruß" erhobenen rechten Hand ist eine festgeknotete Schnur dargestellt, an der eine Yo-Yo-Rolle hängt, deren rotierende Bewegung durch Linien wiedergegeben wird. Links neben der Schnur steht in gotischer Schrift der Name Adolf Hitlers, und unter der Yo-Yo-Rolle als Erläuterung vierzeilig
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"European Yo-Yo Champion 1939-1945". | 8 |
Die Beschwerdeführer verkauften insgesamt 156 Hemden mit diesen Aufdrucken, 153 mit der ersten und drei mit der zweiten Abbildung.
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Das Amtsgericht sprach sie wegen gemeinschaftlichen fortgesetzten Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig und verurteilte sie jeweils zu einer Geldstrafe. Ihre Berufung blieb erfolglos. Das Landgericht führte im wesentlichen aus: Die Beschwerdeführer hätten die Abbildungen nicht als satirische Darstellungen ansehen dürfen. Maßstab müsse insoweit die ![]() ![]() | 10 |
Die Revisionen der Beschwerdeführer verwarf das Bayerische Oberste Landesgericht einstimmig als offensichtlich unbegründet.
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2. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Sie machen geltend: Der Bundesgerichtshof beurteile die Frage, ob von einer Abbildung eine den Nationalsozialismus verherrlichende oder ablehnende Wirkung ausgehe, bewußt aus der Sicht potentieller Verfechter dieses Gedankenguts. Er finde damit zugleich eine geeignete Abgrenzung für satirische und parodistische Darstellungsformen, die in den Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie fielen. Das Landgericht wende sich ausdrücklich von diesem Ansatz ![]() ![]() | 12 |
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet: § 86a StGB verfolge den Zweck, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aus dem öffentlichen Erscheinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen, um den Anschein einer Duldung entsprechender Bestrebungen zu vermeiden. Die Massenverbreitung solcher Kennzeichen laufe diesem Schutzzweck zuwider. Eine Abwägung zwischen dem erforderlichen Schutz des freiheitlich-demokratischen Staates und der Kunstfreiheit ergebe in diesen Fällen eindeutig den Vorrang des Staatsschutzes. Die Verwendung der Kennzeichen sei deshalb weder durch die Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 StGB noch unmittelbar durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt.
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II. | |
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
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1. Bei strafrechtlichen Sanktionen für Betätigungen im Werk- oder Wirkbereich der Kunstfreiheit untersucht das Bundesverfassungsgericht die Auslegung des einfachen Rechts auch in ihren Einzelheiten auf ihre Vereinbarkeit mit diesem Grundrecht (BVerfGE 75, 369 [376]). Es begnügt sich nicht mit der sonst üblichen ![]() ![]() | 15 |
2. Das Landgericht verkennt den künstlerischen Gehalt der Abbildungen. Es prüft die Frage, ob es sich bei diesen um Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG handelt, unter dem Gesichtspunkt ihres satirischen Charakters und verneint diesen mit Argumenten, die mit dem genannten Grundrecht nicht vereinbar sind. Von mehreren Möglichkeiten der Interpretation entscheidet sich das Landgericht für ein -- nicht einmal naheliegendes -- Verständnis der Abbildungen, das sie von vornherein dem Geltungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entzieht und das allein strafrechtlich relevant ist (vgl. BVerfGE 67, 213 [230]).
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Die Annahme, daß der "kundige Betrachter" in der Abbildung keine Verhöhnung oder Verspottung Hitlers sehen könne und der "vernünftige Durchschnittsbürger" in der ersten Abbildung lediglich eine chronologische Aufzählung der Feldzüge, die Erfolglosigkeit der Angriffe auf England und Rußland sowie das Ende Hitlers erkennen könne, wird dem Inhalt der Darstellung nicht gerecht. Ähnliches gilt für die zweite Abbildung, für die das Landgericht die Auffassung vertritt, das Yo-Yo-Spiel diene ausschließlich dazu, die Hitlerdarstellung zu entschärfen; für einen "vernünftigen Betrachter" sei auch nach einigem überlegen ein Spott oder eine Verächtlichmachung nicht nachvollziehbar. Beide Darstellungen lassen entgegen der Auffassung des Landgerichts auch die Interpretation zu, daß Hitler und sein Größenwahn hier in Form einer Satire verspottet werden sollen. Daß eine solche Beurteilung möglich ist und sogar naheliegt, zeigen übrigens die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts Frankfurt, auf die sich die Beschwerdeführer im Strafverfahren bezogen haben und die übereinstimmend einen verspottenden Charakter der Darstellungen angenommen haben (Beschluß AG Frankfurt am Main vom 27. November ![]() ![]() | 17 |
Zwar ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß Adolf Hitler als Gegenstand der Darstellung vor allem gewählt wurde, um Aufsehen zu erregen und den Absatz der Motive zu fördern. Dies schließt eine Beurteilung als "Kunst" im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG aber nicht aus. Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm wäre hier nur dann von vornherein nicht betroffen, wenn eine Satire offenkundig nicht in Betracht käme. Für eine solche Annahme reicht es als Begründung nicht aus, daß die Hitlerdarstellung auf den ersten, flüchtigen Blick anreißerisch oder schockierend wirke. Damit hat das Landgericht Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheitsgarantie zu Lasten der Beschwerdeführer verkannt; diese nehmen am Schutz des Grundrechts im Wirkbereich teil, weil sie notwendige Vermittler der Abbildungen waren (vgl. BVerfGE 30, 173 [191]).
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Da das Bayerische Oberste Landesgericht die Revision ohne Begründung verworfen hat, leidet seine Entscheidung an demselben Mangel wie das Urteil des Landgerichts.
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