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2. Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt.
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3. Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muß den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen.
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Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995
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– 2 BvR 552/91 – | |
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der am ... verstorbenen Frau T..., fortgeführt von ihrem Alleinerben, Herrn T..., – Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Rüdiger Zuck und Kollegen, Robert-Koch-Straße 2, Stuttgart – gegen a) den Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 20. Februar 1991 – II R 18/90 –, b) das Urteil des Finanzgerichts Köln vom ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel: | |
1. § 12 Absatz 1 und 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1991 (Bundesgesetzbl. I S. 468), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 1994 (Bundesgesetzbl. I S. 2624) in Verbindung mit dem Ersten und Zweiten Teil des Bewertungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1991 (Bundesgesetzbl. I S. 230), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 1994 (Bundesgesetzbl. I S. 2624) ist jedenfalls seit 1987 in allen seinen seitherigen Fassungen insofern mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, als er bei gleichem Steuertarif als Bemessungsgrundlagen für Grundbesitz den seit 1964/74 der Wertentwicklung nicht mehr angepaßten Einheitswert und für das Vermögen im übrigen den Gegenwartswert zugrunde legt.
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2. Der Erbschaftsteuerbescheid des Finanzamts Aachen-Innenstadt vom 19. September 1988 sowie der Änderungsbescheid vom 2. Januar 1989 (Steuer-Nr.: 201/9098/3272 Erb 1), die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Aachen-Innenstadt vom 16. Juni 1989 (Steuer-Nr.: 201/9098/3272 Erb 1, Rbl. Nr. G 111/86-91), das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 24. August 1989 (9 K 3207/89) und der Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 20. Februar 1991 (II R 18/90) verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
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3. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
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4. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen. Das bisherige Recht ist längstens bis zum 31. Dezember 1995 anwendbar. Ab diesem Zeitpunkt verbleibt es bei der Regelung des § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 der Abgabenordnung in der Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1993 (Bundesgesetzbl. I S. 2310).
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5. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. ![]() | |
A. | |
Das Verfahren betrifft die Frage, ob bei der Erbschaftsteuer die unterschiedliche Belastung einerseits von Kapitalvermögen in gegenwartsnahen Verkehrswerten, andererseits von Grundbesitz mit 140 v.H. der Einheitswerte des Jahres 1964 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
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I.
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1. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet gemäß §§ 1, 3, 7 und 8 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes vom 17. April 1974 (BGBl I S. 933) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1991 (BGBl I S. 468) – für das Jahr 1987 insoweit in der Fassung vom 17. April 1974, zuletzt geändert durch den am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Art. 18 des Gesetzes vom 19. Dezember 1985 (BGBl I S. 2436) – Erwerbe von Todes wegen, Schenkungen unter Lebenden, Zweckzuwendungen und Familienstiftungen. Die Erbschaftsteuer ist eine Erbanfallsteuer; sie besteuert damit nicht den Nachlaß als solchen, sondern die beim jeweiligen Empfänger mit dem Erbfall eintretende Bereicherung. Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 ErbStG); Nachlaßverbindlichkeiten sind abzugsfähig (§ 10 Abs. 3 bis 5 ErbStG). Der progressive Steuertarif kennt vier nach Verwandtschaftsgraden abgestufte Steuerklassen; insoweit schränkt der Tarif – neben persönlichen Freibeträgen (§§ 16, 17 ErbStG) – das Prinzip der Bereichungssteuer ein, um Familienvermögen zur Sicherung und Versorgung der hinterbliebenen Familienmitglieder steuerlich zu schonen.
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2. Die Vermögenswerte sind gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG für 1987 – insoweit in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 1985 (BGBl I S. 845), zuletzt geändert durch den am 1. November 1987 in Kraft getretenen § 24 des Gesetzes vom 22. Oktober 1987 (BGBl I S. 2294) – grundsätzlich nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes, jetzt geltend in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1991 ([BGBl I S. 230], §§ 1-16 ![]() ![]() | |
Die einheitswertgebundenen Werte wurden letztmals zum 1. Januar 1964 festgestellt (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 [BGBl I S. 851, BewÄndG 1965]), mit diesen Feststellungen erstmals zum 1. Januar 1974 angewandt (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung bewertungsrechtlicher und anderer steuerrechtlicher Vorschriften vom 27. Juli 1971 [BGBl I S. 1157]) und wegen der inzwischen eingetretenen Wertentwicklung mit 140 v.H. des Einheitswertes 1964 angesetzt (§ 121 a BewG i.d.F. des Gesetzes zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze vom 17. April 1974 [BGBl I S. 949]).
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Die in § 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG vorgesehene Anpassung der Einheitswerte des Grundbesitzes an die reale Wertentwicklung durch Neubewertung in Zeitabständen von je sechs Jahren wurde durch Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BewÄndG 1965 i.d.F. des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Deshalb stützen sich sämtliche für Grundvermögen festgestellten Einheitswerte auch heute noch auf die Wertverhältnisse des Jahres 1964.
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Wenn die Erbschaftsteuer das einheitswertgebundene Vermögen in den Vergangenheitswerten von 1964 belastet, das nicht einheits ![]() ![]() | |
II.
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1. Die Beschwerdeführerin erhielt 1987 aufgrund eines testamentarischen Vermächtnisses ein Bankdepot mit festverzinslichen Wertpapieren und Aktien zugewendet. Die mit dem Vermächtnis belastete Erbin sperrte dieses Depot zunächst, gab es erst nach mehreren Monaten teilweise und nach fast einem Jahr vollständig frei.
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2. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 19. September 1988 wurde gegen die verstorbene Beschwerdeführerin Erbschaftsteuer in Höhe von 440.625 DM festgesetzt. Das Finanzamt legte dabei den Wert des Depots zum Todestag der Erblasserin in Höhe von 938.530 DM zugrunde; im Zeitpunkt der Freigabe des Depots betrug der Wert des unveränderten Depots nur noch 499.200 DM.
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3. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Maßgeblicher Zeitpunkt der Bewertung des Vermächtnisses sei gemäß § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin. Die unterschiedliche Behandlung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen lasse sich durch die mit der pauschalisierenden Bewertung von Grundstücken verbundene Vereinfachung rechtfertigen.
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4. Die vom Finanzgericht zugelassene Revision wurde vom Bundesfinanzhof gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I S. 1861) ohne Nennung von Gründen als unbegründet zurückgewiesen. ![]() | |
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin – wie schon im Ausgangsverfahren – die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Das Erbschaftsteuerrecht sei insoweit verfassungswidrig, als es ausschließlich den Todestag des Erblassers zum Stichtag bestimme. Außerdem knüpfe das Erbschaftsteuerrecht an verfassungswidrige Bewertungsvorschriften an und verstoße auch aus diesem Grunde gegen das Grundgesetz.
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Die Vorschriften des Bewertungsgesetzes über die Bewertung von Grundvermögen einerseits und Wertpapiervermögen andererseits, auf die § 12 ErbStG verweise, seien verfassungswidrig. Wenn Wertpapiere nach dem Verkehrswert und Grundbesitz nach dem wesentlich geringeren Einheitswert besteuert würden, verstoße dies gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Ungleichbehandlung müsse nicht durch Annäherung der Werte des Grundbesitzes an die Verkehrswerte ausgeräumt werden, sondern könne auch zu einer verminderten Besteuerung von Wertpapiervermögen oder zu einer Kombinationslösung führen. Im Ergebnis sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß mit einer Korrektur der Bewertungsvorschriften auch die Vorschriften über die Wertbestimmung für Wertpapiere geändert werden würden.
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IV.
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Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung, das Finanzamt und der II. Senat des Bundesfinanzhofs Stellung genommen.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit der erbschaftsteuerlichen Stichtagsregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ![]() ![]() | |
Eine Entscheidung des Finanzgerichts über die beantragte Billigkeitsmaßnahme steht noch aus. Hierzu ist geltend gemacht, die Anwendung der gesetzlichen Stichtagsregelung führe im konkreten Einzelfall zu einem "gesetzlich ungewollten Überhang" und damit zu einer unbilligen und "erdrosselnd" wirkenden Härte. Sollte dies zutreffen, kommt eine Korrektur durch eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht, ohne daß die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG durch diese besonderen Auswirkungen in einem atypischen Fall in Frage gestellt würde (vgl. BVerfGE 48, 102 [115 f.]). Die Verfassungsbeschwerde greift insoweit folgerichtig die gesetzliche Regelung nicht generell an, sondern geht davon aus, daß die Aufrechterhaltung der Stichtagsregelung von der Möglichkeit einer Korrektur im Einzelfall abhänge. Daher ist zunächst die fachgerichtliche Entscheidung über den abgelehnten Billigkeitserlaß abzuwarten.
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3. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit des § 12 ErbStG wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz rügt, ist sie zulässig. Die Rüge wendet sich nicht lediglich gegen die Anwendung einer gesetzlichen Regelung im konkreten Einzelfall, sondern greift mit § 12 ErbStG die rechtliche Grundlage der festgesetzten Erbschaftsteuerschuld an. Für den Fall, daß die in § 12 ErbStG vorgesehene Bewertung vor der Verfassung keinen Bestand hat, ordnet Art. 10 § 3 Erbschaftsteuerreformgesetz 1974 (ErbStRG) an, daß die Rechtsgrundlage für die Erbschaftsbesteuerung entfällt. Damit verdeutlicht der Gesetzgeber, daß die Einheitsbewertung des Grundbesitzes unverzichtbarer Bestandteil des gelten ![]() ![]() | |
§ 12 Abs. 1 und 2 ErbStG i.V.m. dem Ersten und Zweiten Teil des Bewertungsgesetzes sind insofern mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, als sie die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer für Grundbesitz (§ 19 BewG) auf der Grundlage von zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerten, für Kapitalvermögen hingegen zu Gegenwartswerten ansetzen.
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I.
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Die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) läßt es zu, daß der Steuergesetzgeber eine Erbschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG) vorsieht, die den durch den Erbfall beim Erben anfallenden Vermögenszuwachs und die dadurch vermittelte finanzielle Leistungsfähigkeit belastet. Entscheidet sich der Gesetzgeber dabei für eine gesonderte Bewertung der zu besteuernden Güter, so muß er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen und die Steuerpflichtigen – ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen – gleichmäßig belasten (vgl. BVerfGE 23, 242 [256]; 84, 239 [271]) – nachfolgend 1. Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 63, 312 [327]). Die Steuerbelastung darf das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen (vgl. Papier, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand Mai 1994, Rn. 297 zu Art. 14) – nachfolgend 2.
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1. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Erbschaftsteuer in ihrer der ![]() ![]() | |
2. Die Erbschaftsbesteuerung mindert für den Steuerpflichtigen den Wert seines Erbes. Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muß den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen.
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a) aa) Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Rechtsinstitut der Privaterbfolge. Das Erbrecht hat die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 83, 201 [208]) mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen ![]() ![]() | |
bb) Dem Recht des Erblassers zu vererben, das durch seine Testierfreiheit geschützt ist, entspricht das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben. Auch der Erbe genießt den Schutz des Grundrechts und kann ihn – jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an – geltend machen (vgl. BVerfGE 19, 202 [204, 206]; 67, 329 [340]). Andernfalls würde der Grundrechtsschutz mit dem Tod des Erblassers erlöschen und damit weitgehend entwertet werden (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 14. Dezember 1994 – 1 BvR 720/90 –, Umdruck S. 21).
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Neben den verfassungsrechtlichen Schutz der Testierfreiheit tritt der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Deshalb sieht das bestehende Erbschaftsteuerrecht auch das Familienprinzip als weitere Grenze für das Maß der Steuerbelastung vor.
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cc) Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überläßt es dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen (vgl. BVerfGE, a.a.O.). Diese Regelungsbefugnis eröffnet auch dem Erbschaftsteuergesetzgeber im Rahmen der Garantie des Privaterbrechts eine weitreichende Gestaltungsbefugnis. Wenngleich die Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht in einem Zusammenhang stehen, garantiert die Erbrechtsgarantie nicht das (unbedingte) Recht, den gegebenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen; die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Einschränkung des Erbrechts sind – weil sie an einen Vermögensübergang anknüpfen – weitergehend als die zur Einschränkung des Eigentums (vgl. Papier, a.a.O., Rn. 291 zu Art. 14).
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b) Aus diesen Maßstäben folgt:
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aa) Der erbschaftsteuerliche Zugriff bei Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG) ist derart zu mäßigen, daß jedem dieser Steuerpflichtigen der jeweils auf ihn überkomme ![]() ![]() | |
In bezug auf einen darüber hinausgehenden Vermögenszuwachs ist der erbschaftsteuerliche Zugriff so zu beschränken, daß die Erbschaft für den Ehegatten noch Ergebnis der ehelichen Erwerbsgemeinschaft bleibt und auch eine im Erbrecht angelegte Mitberechtigung der Kinder am Familiengut nicht verlorengeht. Im geltenden Recht nimmt der Gesetzgeber diese nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotene Abstufung in der Steuerbelastung auf, indem er die Steuersätze, welche für die Erbfolge der dem Erblasser ferner stehenden Steuerpflichtigen gelten, für die Erbfolge der nächsten Familienangehörigen deutlich verringert.
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bb) Zudem hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuerlast zu berücksichtigen, daß die Existenz von bestimmten Betrieben – namentlich von mittelständischen Unternehmen – durch zusätzliche finanzielle Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer auftreten, gefährdet werden kann. Derartige Betriebe, die durch ihre Widmung für einen konkreten Zweck verselbständigt und als wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit organisiert sind, sind in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet: Sie unterliegen als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber den ![]() ![]() | |
Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) fordert, diese verminderte Leistungsfähigkeit bei den Erben zu berücksichtigen, die einen solchen Betrieb weiterführen, also den Betrieb weder veräußern noch aufgeben, ihn vielmehr in seiner Sozialgebundenheit aufrechterhalten, ohne daß Vermögen und Ertragskraft des Betriebes durch den Erbfall vermehrt würden. Die Erbschaftsteuerlast muß hier so bemessen werden, daß die Fortführung des Betriebes steuerlich nicht gefährdet wird. Diese Verpflichtung, eine verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen, ist unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben.
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Das geltende, historisch überlieferte Erbschaftsteuerrecht beachtet dieses Erfordernis betriebsangemessener Belastung etwa bei der Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft, wenn es dort gemäß § 36 BewG der Erbschaftsbesteuerung den Ertragswert zugrunde legt, um eine Zerschlagung dieser Wirtschaftseinheiten zu vermeiden.
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II.
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§ 12 Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG insofern unvereinbar, als er auf die Regeln des Bewertungsgesetzes verweist, die Kapitalvermögen (festverzinsliche Wertpapiere und Aktien) zu Gegenwartswerten ansetzen, obwohl sie den Grundbesitz in den Vergangenheitswerten des zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswertes erfassen.
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1. Der Gesetzgeber verfolgt mit § 12 ErbStG i.V.m. dem Bewertungsgesetz das Ziel, den steuerpflichtigen Erwerb in zeitgerecht mitschreitenden Werten zu erfassen. Soweit das Bewertungsgesetz ![]() ![]() | |
Wenn die Erbschaftsteuer das Kapitalvermögen in Gegenwartswerten, das einheitswertgebundene Vermögen hingegen in den Vergangenheitswerten von 1964 belastet, so hat dieses deutliche Wertverzerrungen und Belastungsungleichheiten zur Folge (vgl. im einzelnen BVerfG, a.a.O., zu C. III. 2.a). Das Zurückbleiben der Einheitswerte hinter den zeitnahen Werten mindert die Erbschaftsteuerbelastung des Grundbesitzes im Widerspruch zur Konzeption des Erbschaftsteuergesetzes. Insoweit ist den Erfordernissen des Gleichheitssatzes nicht genügt.
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2. Bei einer Neuregelung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage wird der Gesetzgeber zu beachten haben, daß sich die Belastung durch die Erbschaftsteuer aus dem Zusammenwirken von Bemessungsgrundlage und Steuersatz ergibt. Deshalb sind – wie durch Art. 10 § 3 des Erbschaftsteuerreformgesetzes 1974 (BGBl I S. 933 – ErbStG –) vorgesehen – die auf die derzeit geltende Bemessungsgrundlage anwendbaren Steuersätze (§ 19 ErbStG) an die künftige erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage anzupassen. Dabei beläßt der Gleichheitssatz dem Steuergesetzgeber eine weitreichende Gestaltungsbefugnis, die ihn insbesondere berechtigt, sich bei seinen Regelungen auch von finanzpolitischen, volkswirt ![]() ![]() | |
3. Nach allem hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg, insofern die angegriffenen Entscheidungen auf der in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verfassungswidrigen Vorschrift des § 12 Abs. 1 und 2 ErbStG beruhen und dadurch die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Diese Feststellung führt indes nicht zu einer Aufhebung der Entscheidungen der Finanzgerichte.
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a) Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt zu einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung, weil die Gleichheitswidrigkeit nicht zu bestimmten Folgerungen zwingt, der Gesetzgeber vielmehr mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 87, 153 [177 ff.]). Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen. Die Erfordernisse verläßlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung rechtfertigen es, die bisherige, mit dem Grundgesetz unvereinbare Erbschaftsbesteuerung von einheitswertgebundenem und nicht einheitswertgebundenem Vermögen für zurückliegende Kalenderjahre weiter anzuwenden.
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b) Auch im laufenden Kalenderjahr ist das bisherige Erbschaftsteuerrecht weiter anzuwenden. Diese Anordnung entspricht der Regelung des Art. 10 § 3 ErbStRG, wonach Steuersätze und Freibeträge des Erbschaftsteuergesetzes für den Fall des Entfallens der Bewertung von Grundstücken zum Einheitswert von 140 v.H. nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 nur noch im laufenden Kalenderjahr Geltung beanspruchen sollen. Für die Zeit ab 1. Januar 1996 kann es bei der Regelung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO verbleiben, die die Finanzverwaltung ermächtigt, im Falle der verfassungsgerichtlichen Feststellung der Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz die Steuer auf der Grundlage dieses Gesetzes vorläufig festzusetzen. Die Erbschaftsteuer wird nicht wie die Vermögensteuer bei einem Steuerpflichtigen fortlaufend er ![]() ![]() | |
c) Im Falle des Beschwerdeführers obliegt es Finanzgericht und Finanzbehörden zu entscheiden, ob im Rahmen der wegen der Anwendung des Stichtagsprinzips (§ 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) noch ausstehenden Entscheidung über die beantragte Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden kann, daß die Verfassungsbeschwerde mit den Einwänden gegen die gesetzlichen Regelungen Erfolg gehabt hat.
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D. | |
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
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E. | |
Diese Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig ergangen.
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