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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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44. Auszug aus dem Urteil |
vom 10. Juli 1931 i.S. Höcker gegen Obergericht Aargau. | |
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Regierungsratsbeschluss, wodurch eine angekündigte Versammlung und die Aufforderung zur Teilnahme daran wegen mit Bestimmtheit oder doch hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusehender Störung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe durch die Versammlungsteilnehmer allgemein, unter Strafandrohung![]() ![]() | |
Sachverhalt: | |
Ein Aufruf des Kommunistischen Jugendverbandes (K.J.V.) Baden forderte die "Jungarbeiter, Jungarbeiterinnen und Lehrlinge von Baden und Umgebung" zur Teilnahme an einem "Roten Treffen des revolutionären Jungproletariats von Zürich und Baden" auf, das am 10. und 11. Mai 1930 in Baden auf dem Schulhausplatz und in Wettingen abgehalten werden sollte, um gegen die zu niedrigen Löhne und die Ausbeutung der Lehrlinge und jungen Arbeiter zu protestieren. Zunächst sahen die Gemeindebehörden von Baden sich nicht veranlasst gegen die Veranstaltung etwas vorzukehren. Nachdem dann aber noch ein Blatt "Der junge B.B.C." (gemeint ist Brown, Boveri & Cie.) "Buetzer" verteilt worden war, das mit einem erneuten Aufruf zu der erwähnten Versammlung eine Reihe heftiger und beleidigender Angriffe gegen die Direktoren der genannten Gesellschaft, die Kirche und ihre Diener verband und als symbolisches Bild ein mit einem Beil gefälltes Kreuz enthielt, verboten der Gemeinderat und das Bezirksamt Baden die Abhaltung der Kundgebung in Baden und Umgebung. Als trotz der Bekanntgabe dieses Verbotes am Samstag 10. Mai nachmittags eine Anzahl junger Kommunisten aus Zürich in Baden einrückten, um die Demonstration gleichwohl durchzuführen, stiessen sie auf die aufgebotene Polizei. 7 Teilnehmer, welche den polizeilichen Anordnungen Widerstand entgegensetzten, wurden verhaftet, davon aber noch 5 am gleichen Abend, die zwei letzten am folgenden Tage wieder entlassen. Die auf den 11. Mai angesetzte Versammlung fand dann nicht statt. Dagegen sagte der in Zürich erscheinende "Kämpfer, offizielles Organ der Kommunistischen Partei der Schweiz" in der Nummer vom Montag, 12. Mai 1930 eine Kommunistische ![]() ![]() | 1 |
Am 14. Mai 1930 fasste der Regierungsrat des Kantons Aargau, gestützt auf Art. 39 lit. b KV und in Anbetracht, dass die "angedrohten kommunistischen Demonstrationen geeignet sind, die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Ruhe zu stören", nachstehenden Beschluss:
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"§ 1. Die auf Samstag und Sonntag den 17. und 18. Mai 1930 in Baden und Umgebung geplanten Demonstrationen ausländischer und inländischer Kommunisten werden für das Gebiet des Kantons Aargau verboten. Sollten die erwähnten Demonstrationen auf einen andern Termin verschoben werden, so gilt das Verbot in allen Teilen auch für solche Kundgebungen.
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§ 2. Desgleichen ist jegliche Aufforderung zur Teilnahme an den in § 1 hievor erwähnten Kundgebungen durch Wort oder Schrift, insbesondere auch das mittels öffentlicher Aufrufe und Plakate oder durch Flugschriften verboten.
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§ 3. Wer den in vorstehenden §§ umschriebenen Verboten zuwiderhandelt, wird, sofern nicht der Tatbestand eines Verbrechens nach peinlichem Strafgesetz vorliegt, zuchtpolizeilich bestraft. ![]() | 5 |
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Um die Durchführung des Beschlusses zu sichern, wurde der Polizei ein Bataillon Infanterie beigegeben. Infolge dieser Massnahmen fand die geplante Versammlung nicht statt. Immerhin waren eine Anzahl Kommunisten aus Zürich und Winterthur im Hinblick auf dieselbe am Samstag 17. Mai nach Baden gereist. Darunter befanden sich auch die 8 heutigen Rekurrenten Eduard Moser und Mitbeteiligte. Sie wurden, weil sie sich dort an den Versammlungsort (Schulhausplatz) begeben hatten, um trotz des Verbotes zu demonstrieren, und dabei zum Widerstand gegen die Anordnungen der Polizei und des Militärs aufgereizt oder weil sie die Vollziehung dieser Anordnungen (den Dienst der Polizei und Truppe) sonst durch ihr Verhalten erschwert hätten, vorübergehend verhaftet, wegen "Zuwiderhandlung gegen den Beschluss des Regierungsrates vom 14. Mai 1930" den Gerichten zur zuchtpolizeilichen Bestrafung überwiesen und vom Bezirksgericht Baden im Sinne der Anzeige zu Strafen verurteilt, die von 1 Tag Gefängnis (entsprechend der ausgestandenen Untersuchungshaft) bis zu 10 Tagen Gefängnis gehen. Die hiegegen erhobenen Beschwerden der Verurteilten hat das Obergericht des Kantons Aargau am 12. Dezember 1930 abgewiesen, mit der Begründung: nach Art. 39 lit. b KV habe der Regierungsrat "für die Handhabung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Kanton, sowie für die Vollziehung der Gesetze, Dekrete und Beschlüsse des Grossen Rates zu sorgen": Es stehe ihm danach zum erstgenannten Zwecke eine selbständige, über die blosse Gesetzesvollziehung hinausgehende Polizeiverordnungsgewalt für den Fall zu, dass infolge besonderer Ereignisse Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohten, denen auf dem Wege der ordentlichen ![]() ![]() | 7 |
Moser und Mitbeteiligte zogen die obergerichtlichen Urteile durch staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht weiter. Sie beharrten darauf, dass das vom Regierungsrat erlassene Versammlungsverbot schon als solches gegen die KV, nämlich deren Art. 18 verstossen habe, der ausdrücklich das freie Versammlungsrecht anerkenne und dessen Ausübung "keinen anderen Beschränkungen als denjenigen des allgemeinen Rechts und der Sittlichkeit" unterwerfe. Weder nach allgemeinem Recht noch nach den Geboten der Sittlichkeit habe aber Anlass bestanden, eine Versammlung einer staatlich anerkannten politischen Partei zu untersagen. Jedenfalls sei der Regierungsrat nicht befugt gewesen, in Verbindung mit einem solchen Verbot Vergehenstatbestände aufzustellen, wie es durch die Androhung der Strafsanktionen des aargauischen Zuchtpolizeigesetzes (die nach §§ 6, 13 ebenda bis zu 2000 Fr. Geldbusse und 2 Jahren Gefängnis gehen) auf die Übertretung geschehen sei. Art. 19 KV verlange für die Bestrafung des Bürgers ein Gesetz ("niemand soll anders als in den durch das Gesetz bezeich ![]() ![]() ![]() ![]() | 8 |
Das Bundesgericht hat die staatsrechtlichen Beschwerden abgewiesen, hinsichtlich der eben erwähnten Rügen mit der
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Begründung: | |
Art. 18 der aargauischen KV gewährleistet die Versammlungsfreiheit nur innert den Schranken des allgemeinen Rechts und der Sittlichkeit, eine Einschränkung, die sich übrigens von selbst verstehen würde, sogar wenn sie in der Verfassung nicht besonders ausgesprochen wäre. Zu diesen Schranken gehört aber zweifellos auch die Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit, Ruhe und Ordnung im Staate, deren Wahrung als eine primäre Staatsaufgabe durch Art. 39 lit. b KV dem Regierungsrat übertragen ist. Versammlungen, bei denen es auf eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe abgesehen ist, oder von denen eine solche Störung, auch wenn sie von den Veranstaltern nicht geradezu bezweckt sein sollte, doch von Seite der Versammlungsteilnehmer als Folge nach den Umständen mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist, müssen infolgedessen polizeilich verhindert, verboten werden können, ohne dass dagegen Art. 18 KV angerufen werden könnte (Urteil vom 24 Dezember 1917 in Sachen Breguet gegen Regierungsrat Neuenburg S. 11 ff). Diese Voraussetzungen durften hier als gegeben betrachtet werden. Nach dem, was sich am 10./11. Mai in Baden abgespielt hatte, den offensichtlich unzutreffenden und übertriebenen Meldungen des "Kämpfer" über das Eingreifen der Polizei gegenüber den damals geplanten Kundgebungen und der gereizten Stimmung, die dadurch bei den Anhängern der kommunistischen Partei erweckt werden musste, dem heftigen Ton der Aufrufe zu den geplanten neuen Veranstaltungen vom 18./19. Mai selbst und der darin enthaltenen Ankündigung, dass man sich um eventuelle einschränkende Polizeimassregeln nicht kümmern, d.h. ![]() ![]() | 10 |
Auch die Rüge, dass die Bestrafung der Rekurrenten gegen den Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 19 KV) verstosse, ist unbegründet. Wenn hier für jede gerichtliche Verfolgung eines Bürgers ein "Gesetz" verlangt ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() | 11 |
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