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Bearbeitung, zuletzt am 29.05.2020, durch: Philippe Dietschi | |||
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9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Katholische Kirchgemeinde Luzern sowie Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Luzern (Staatsrechtliche Beschwerde) |
2P.321/2006 vom 16. November 2007 | |
Regeste |
Art. 15 BV; Art. 9 EMRK; Glaubens- und Gewissensfreiheit; Anforderungen an den Austritt aus der römisch-katholischen Kirche. Die Erklärung des Austritts aus der Landeskirche genügt; vom Austrittswilligen darf nicht verlangt werden, dass er sich von der römisch-katholischen Kirche als solcher lossagt (Praxisänderung; E. 3-9.1). | |
Sachverhalt | |
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: | |
Erwägung 3 | |
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"Wer nach kirchlicher Ordnung der römisch-katholischen Kirche angehört, gilt für Landeskirche und Kirchgemeinden als Katholikin oder Katholik, solange sie oder er dem zuständigen Kirchenrat am gesetzlich geregelten Wohnsitz nicht schriftlich erklärt hat, der römisch-katholischen Konfession nicht mehr anzugehören."
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Erwägung 4 | |
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4.2 Art. 15 BV und Art. 9 EMRK rücken ihrem Wortlaut nach die Religionsfreiheit des Individuums in den Vordergrund. Art. 15 Abs. 4 BV schliesst - als Ausprägung der sog. negativen Religionsfreiheit - das Recht ein, aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft auszutreten. Insoweit muss der Staat dafür sorgen, dass derjenige, welcher einer Religionsgemeinschaft nicht mehr angehören will, aus ihr austreten kann und hernach nicht der zwangsweisen Durchsetzung von Mitgliedschaftspflichten ausgesetzt wird (CHRISTOPH WINZELER, Einführung in das Religionsverfassungsrecht der Schweiz, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 32; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1987/1988, S. 333). Das gilt auch dann, wenn die betreffende Glaubensgemeinschaft nach ihrem internen Recht keine Austrittsmöglichkeit ![]() ![]() | 9 |
4.3 Die genannten Verfassungsbestimmungen verbieten es den Kirchen nicht, gewisse formelle Anforderungen an die Austrittserklärung zu stellen. Demnach ist es insbesondere zulässig, das Austrittsverfahren durch ausdrückliche Formvorschriften derart zu gestalten, dass überstürzte Austritte unter dem momentanen Einfluss von Drittpersonen verhindert werden. Es darf ausserdem im Interesse der Rechtssicherheit verlangt werden, dass der Wille, der Kirche oder Religionsgemeinschaft nicht mehr anzugehören, unzweideutig erklärt wird (BGE 104 Ia 79 E. 3a S. 84; Urteil P.1384/1981 vom 18. März 1983, ZBl 85/1984 S. 131, E. 1 und 3b). Die kantonale Gesetzgebung kann auch das Erfordernis aufstellen, dass der Austritt nicht nur aus einer einzelnen Kirchgemeinde, sondern aus der Landeskirche als ganzer erklärt wird (vgl. BGE 2 S. 388 E. 5 S. 396; 34 I 41 E. 11 S. 52 f.).
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5.2 Daneben haben sich die stimmberechtigten Angehörigen der römisch-katholischen Kirche im Kanton Luzern gestützt auf § 92 ![]() ![]() | 13 |
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6. Wie ausgeführt, verlangt der Synodalrat für einen wirksamen Kirchenaustritt die ausdrückliche Erklärung des Betreffenden, dass er der römisch-katholischen Kirche, Konfession oder Religionsgemeinschaft nicht mehr angehöre; eine lediglich auf die Kirchgemeinde oder Landeskirche bezogene Austrittserklärung genüge nicht. Das bedeutet, dass sich der Austrittswillige nach der Auffassung des Synodalrates explizit von der römisch-katholischen Kirche lossagen muss. Diese ist aber - wie in Erwägung 5.1 hiervor erwähnt - selber Teil des Glaubensbekenntnisses. Für einen Kirchenaustritt erwartet der Synodalrat vom Austrittswilligen somit einen bekenntnishaften Akt. Besteht aber - wie hier - neben der Glaubensgemeinschaft eine staatskirchenrechtliche Organisation, so muss es genügen, dass nur der Austritt aus der Letzteren erklärt wird. Denn im weltlichen Rechtsverkehr ist in einem solchen Fall nur der Austritt aus der staatlichen Zugehörigkeitsordnung massgebend. Mit der Erklärung des Austritts aus dieser - in casu aus der Landeskirche - kann bereits gewährleistet werden, dass Mitgliedschaftspflichten künftig nicht mehr zwangsweise durchgesetzt werden; unter anderem wird für die Zeit ab der Austrittserklärung die Kirchensteuer nicht mehr geschuldet. Zusätzliche, bekenntnishafte Erklärungen sind nach dem Gesagten für einen Kirchenaustritt nicht ![]() ![]() | 15 |
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An der bereits erwähnten Rechtsprechung (BGE 129 I 68) kann demnach nicht festgehalten werden. Ausserdem bedarf der Klarstellung, dass im Blick auf das dargestellte Nebeneinander Landeskirche und Kirchgemeinden nicht als "Organe der Dachorganisation" der römisch-katholischen Kirche zu verstehen sind (vgl. die kritischen Besprechungen zu BGE 129 I 68 : ANDREAS KLEY, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2002 und 2003, ZBJV 139/2003 S. 707; DIETER KRAUS, Religionsrechtlich bedeutsame Entscheide des Bundesgerichts in den Jahren 2002-2003, in: Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht 2003 S. 148; MARKUS WALSER, Kantonalkirche und Kirchgemeinden im Kanton Luzern, in: Wilhelm Rees [Hrsg.], Recht in Kirche und Staat, Berlin 2004, S. 833 ff.).
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8. In ihrem Schreiben vom 22. Mai 2006 hat die Beschwerdeführerin den Austritt aus der staatskirchenrechtlichen Organisation "Katholische Kirchgemeinde Luzern" erklärt. Die kantonalen Behörden sehen darin auch deshalb keine gültige Austrittserklärung, weil § 12 der Kirchenverfassung nicht bloss einen Austritt aus einer Kirchgemeinde zulasse. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass eine solche Auslegung des kantonalen Rechts willkürlich sei. Sie macht allein geltend, dass sie eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bewirke. Diese Rüge ist indessen im Lichte der obigen Ausführungen unbegründet. Denn die kantonale ![]() ![]() | 18 |
Die Beschwerdeführerin kritisiert auch, dass sie im Verfahren vor dem Synodalrat zu den Hintergründen ihres Schreibens vom 22. Mai 2006 näher befragt und - nach Verweigerung der Aussage zu einzelnen Fragen - sogar zur Beweisaussage angehalten wurde. Da das erwähnte Schreiben die Anforderungen einer Austrittserklärung nicht erfüllte, lag es nahe, den Willen der Beschwerdeführerin durch eine Befragung näher zu ergründen. Es ist darüber hinaus zulässig, Fragen zu den Motiven und Hintergründen des Austritts zu stellen. Da ein solcher jedoch nicht begründet werden muss, ist es unstatthaft, allein aus der Aussageverweigerung bei entsprechenden Fragen auf den fehlenden Austrittswillen zu schliessen. Die Würdigung des Aussageverhaltens im angefochtenen Entscheid erscheint in dieser Hinsicht verfassungswidrig.
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Nicht zu beanstanden ist dagegen die Folgerung, die Beschwerdeführerin habe durch ihre Aussageverweigerung nichts dazu beigetragen, den Mangel ihrer Erklärung vom 22. Mai 2006 zu beheben. Der Synodalrat durfte in diesem Zusammenhang auch zwei frühere Schreiben der Beschwerdeführerin vom 7. März und 28. April 2005 berücksichtigen, in denen sie ebenfalls ihren Austritt aus der katholischen Kirchgemeinde Luzern erklärte. Nach einem Briefwechsel und der Erhebung von zwei Gemeindebeschwerden teilte sie der Kirchgemeinde am 8. April 2006 mit, dass sie die beiden Rechtsmittel durch ihren Anwalt zurückziehen lasse; zudem wolle sie, soweit dies überhaupt möglich bzw. nötig sei, wieder in die katholische Kirchgemeinde Luzern eintreten. Wenn die Beschwerdeführerin nur wenige Wochen später ohne jegliche Erläuterung erneut den Austritt aus ebendieser Kirchgemeinde erklärt, erscheint ihr Verhalten wenig kohärent. Die kantonalen Behörden durften deshalb den Schluss ziehen, aus der Vorgeschichte und aus dem Aussageverhalten gehe kein klar erkennbarer Wille der Beschwerdeführerin hervor, aus der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern auszutreten. Jedenfalls zeigt sie nicht in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entsprechenden Weise auf, inwiefern eine solche Würdigung der dargestellten Umstände willkürlich sein oder gegen Treu und Glauben verstossen sollte.
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Die ungenügende Klarheit der schriftlichen Erklärung vom 22. Mai 2006 wird demnach nicht behoben, wenn das weitere Verhalten der ![]() ![]() | 21 |
Erwägung 9 | |
9.1 Der angefochtene Entscheid verletzt damit zwar die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die übrigen angerufenen verfassungsmässigen Rechte der Beschwerdeführerin nicht. Er stützt sich jedoch zu einem wesentlichen Teil auf eine verfassungswidrige Begründung. Die Beschwerde ist deshalb im Sinne der Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. ![]() | 22 |
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