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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 28. Juni 1999 |
i.S. K. c. L. AG |
(als Gesamtnachfolger der B. AG) (Berufung) | |
Regeste |
Arbeitsvertrag; Streikrecht; Missbräuchliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses infolge Streiks (Art. 336 OR). |
Bejahung eines Streikrechts im schweizerischen Arbeitsrecht (E. 2). |
Ein Streik ist rechtmässig, wenn er von einer tariffähigen Organisation getragen ist, durch Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgt, nicht gegen die Friedenspflicht verstösst und verhältnismässig ist (E. 3b). |
Die Teilnahme an einem rechtmässigen Streik verletzt den Arbeitsvertrag nicht; dieser ist in seinen Hauptpflichten suspendiert. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und bildet der Streik das ausschlaggebende Motiv für die Kündigung, ist sie missbräuchlich (E. 3c). | |
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A. | |
Der Beklagte wurde ab Mai 1992 als ungelernter Arbeiter in der Baumwollspinnerei der B. AG in Kollbrunn zu einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 2'960.-- beschäftigt. Es bestand kein Gesamtarbeitsvertrag. Am 27. Januar 1994 teilte die Arbeitgeberin der Belegschaft der Spinnerei mit, zufolge der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden praktisch alle Arbeitsverhältnisse ab ![]() ![]() | 1 |
Ab dem 23. März 1994 wurde die Baumwollspinnerei von der Belegschaft bestreikt, wobei sich auch der Beklagte am Streik beteiligte. Am 28. April 1994 löste er - gleichzeitig mit anderen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen - das Arbeitsverhältnis fristlos auf.
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Am 27. Juni 1994 belangte die B. AG den Beklagten auf Fr. 290.30 nebst Zins. Sie verlangte eine Entschädigung wegen ungerechtfertigten Verlassens der Arbeitsstelle. Der Beklagte verlangte widerklageweise im Wesentlichen Fr. 8'880.-- als Entschädigung gemäss Art. 336a OR. Mit Entscheid vom 9. Mai 1995 hiess der Einzelrichter des Bezirkes Winterthur die Klage vollumfänglich und die Widerklage im Betrag von Fr. 2'960.-- nebst Zins teilweise gut. Das zweitinstanzlich im Wesentlichen nur noch mit der Entschädigungsforderung des Beklagten befasste Obergericht des Kantons Zürich wies diese mit der Begründung ab, eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung sei nicht geschuldet, weil nicht die ordentliche Kündigung der Klägerin, sondern die vom Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kausal gewesen sei.
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Auf Berufung des Beklagten hob das Bundesgericht das obergerichtliche Urteil am 14. Januar 1997 auf. Es erwog, die nach Art. 336a OR grundsätzlich anspruchsberechtigte Partei verzichte nicht von Gesetzes wegen auf eine Entschädigung, wenn sie nach erfolgter Einsprache ihrerseits das Arbeitsverhältnis fristlos kündige. Da das Obergericht sich zur Frage der Missbräuchlichkeit der Kündigung vom 21. März 1994 nicht geäussert hatte, wies das Bundesgericht ![]() ![]() | 4 |
Das Bundesgericht heisst die dagegen eingelegte eidgenössische Berufung des Beklagten gut, hebt den angefochtenen Beschluss des Obergerichts auf und verpflichtet die Klägerin zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Monatslohns an den Beklagten.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
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b) Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Frage offen gelassen, ob ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht auf Streik bestehe. In BGE 111 II 245 f. verwarf es die vom Arbeitsgericht Zürich vertretene Auffassung als «zu absolut und zu summarisch», das Streikrecht bzw. das Recht auf kollektive Kampfmassnahmen habe im geltenden Arbeitsrecht noch keinen Eingang gefunden. Es betonte gleichzeitig, dass der Arbeitskampf jedenfalls nur als letztes Mittel zur Herbeiführung des Arbeitsfriedens in Frage komme (E. 4a). Offen gelassen wurde die Frage auch in einem Entscheid vom 25. Oktober 1985 (publ. in Rivista di diritto amministrativo e tributario ticinese [RDAT] 1987, S. 27 f.). Das Bundesgericht hatte darin die Verfassungsmässigkeit einer gegen streikende ![]() ![]() | 8 |
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aa) Entscheidend ist, ob die angerufene staatsvertragliche Regelung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides bilden zu können. Die erforderliche Bestimmtheit geht insbesondere blossen Programmartikeln ab. Sie fehlt auch Bestimmungen, die eine Materie nur in Umrissen regeln, dem Vertragsstaat einen beträchtlichen Ermessens- oder Entscheidungsspielraum lassen oder blosse Leitgedanken enthalten (BGE 121 V 246 E. 2b; 120 Ia 1 E. 5b; KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., S. 90 und 91). In Anwendung dieser Grundsätze verneinte das Bundesgericht die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 2, Art. 9 und 13 Abs. 2 lit. c des Paktes I (BGE 121 V 246 E. 2e; 120 Ia 1 E. 5d). Art. 8 Abs. 1 lit. d des Paktes ![]() ![]() | 11 |
bb) Es sprechen somit beachtliche Gründe dafür, der betreffenden Bestimmung self-executing-Charakter zuzubilligen. Danach wären die Vertragsstaaten zur Gewährleistung des Streikrechts verpflichtet, ohne dass eine landesrechtliche Umsetzung dieser - von der Schweiz durch die vorbehaltlose Unterzeichnung und Ratifikation des Paktes I anerkannten - Freiheit zwingend erforderlich wäre. Umgekehrt sind staatliche Massnahmen verboten, welche diese Freiheit - über die Schranken gemäss Art. 4 und 8 Abs. 2 Pakt I hinaus - beeinträchtigen. Den Vertragsstaaten bleibt unbenommen, gewisse Einschränkungen des Streikrechts (z.B. Verbot von wilden Streiks und von Sympathiestreiks etc.) vorzusehen, solange sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit zum Streik zwecks Verfolgung wirtschaftlicher und sozialer Ziele nicht verunmöglichen oder dadurch vereiteln, dass sie keinerlei Schutz vor Entlassung oder anderweitigen Sanktionen bei rechtmässigen Streiks vorsehen (CRAVEN, a.a.O., S. 280).
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e) Ob Art. 8 Abs. 1 lit. d des Paktes I «self-executing» ist, kann letztlich genauso offen bleiben, wie die Streitfrage, ob auch die in Art. 22 Abs. 1 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2, «UNO-Pakt II») vom 16. Dezember 1966, für die Schweiz ebenfalls am 18. September 1992 in Kraft getreten, normierte ![]() ![]() | 13 |
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Erwägung 3 | |
3.- a) Der Streik - verstanden als kollektive Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung zum Zwecke der Durchsetzung von Forderungen nach bestimmten Arbeitsbedingungen gegenüber einem oder mehreren Arbeitgebern - wird in der Literatur als äusserstes jedoch unentbehrliches Mittel des Arbeitskampfes zur Erzielung einer kollektivvertraglichen Regelung anerkannt (Nachweise in BGE 111 II 245 4a; VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 357a OR; ders., recht 1987, S. 139; MICHAEL HOHN, Streikrecht und Aussperrungsrecht, Diss. Bern 1978, S. 25 f.; GYGI/RICHLI, Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl., Ziff. 9.4.2 S. 229 f.). Entsprechend kommt nur Trägern des kollektiven Arbeitsrechts, mithin Arbeitnehmerorganisationen, das Recht zu, einen Streik zu beschliessen. Der Einzelne ist bloss berechtigt, im Rahmen des Kollektivs auf einen Streikbeschluss hinzuwirken. Damit soll der Arbeitskampf auf der kollektivrechtlichen Ebene konzentriert und beschränkt bleiben und der Streik als letztes Mittel der Gewerkschaft als anerkanntem Verhandlungspartner im Arbeitskampf zur Verfügung stehen (VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 357a OR; ders., Streik und Aussperrung ![]() ![]() | 15 |
b) Entsprechend den in der Lehre an die Rechtmässigkeit eines Streiks geknüpften Voraussetzungen muss der Streik von einer tariffähigen Organisation getragen werden und durch Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgen. Weiter darf er nicht gegen die Friedenspflicht verstossen und auch nicht unverhältnismässig sein (BGE 111 II 245 E. 4c mit Hinweisen). Damit sind «wilde» Streiks einzelner Arbeitnehmer und «politische» Streiks, die ohne Bezug auf das Arbeitsverhältnis erfolgen, verboten. Untersagt sind damit auch Kampfmassnahmen, die Gegenstände betreffen, welche in einem Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind (VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 26 f. und 34 f. zu Art. 357a OR; BBl 1997 I 179 und 180). Art. 28 Abs. 3 nBV nennt den Verhältnismässigkeitsgrundsatz nicht ausdrücklich, doch leitet sich aus der in Art. 28 Abs. 2 nBV normierten Auflage, Streitigkeiten zwischen den Sozialpartnern primär durch Verhandlung oder Vermittlung beizulegen, das Gebot eines verhältnismässigen Einsatzes des Streiks ab.
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c) Für die Auswirkung eines rechtmässigen Streiks auf Arbeitsverhältnisse des Privatrechts ist das Verhältnis zwischen staatlich als im System des kollektiven Arbeitsrechts anerkanntem Streikrecht und privatrechtlicher Ordnung zu klären. Dabei erscheint als Konsequenz einer ganzheitlichen Betrachtungsweise offensichtlich, dass die Teilnahme an einem rechtmässigen Streik und die damit notwendig verbundene vorübergehende Arbeitsniederlegung nicht gleichzeitig eine Verletzung der vertraglichen Arbeitspflicht darstellen kann (REHBINDER, Berner Kommentar, N. 14 zu Art. 337 OR; VISCHER, recht 1987, S. 140). Dem Arbeitnehmer kann diesfalls nicht zugemutet werden, den in seinem Interesse ausgerufenen Streik durch Erbringung der Arbeitsleistung zu vereiteln, selbst wenn er ![]() ![]() ![]() | 17 |
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