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Original
 
[AZA 0]
6S.253/1999/sch
KASSATIONSHOF
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12. Januar 2000
Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Monn.
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In Sachen
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Hohler, Badenerstrasse 75, Zürich,
gegen
StaatsanwaltschaftdesKantons Zürich,
betreffend
mehrfacher versuchter Mord
(Art. 112 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB),
hat sich ergeben:
A.- X.________ verübte am 8. Juli 1997, um ca. 16.50 Uhr, einen bewaffneten Raubüberfall auf ein Schuhgeschäft in Siebnen. Im Anschluss daran flüch- tete er mit einem einige Tage zuvor entwendeten Personenwagen in Richtung Wädenswil, wo er im Rahmen der inzwischen eingeleiteten Fahndung an der Beichlen- Kreuzung von einer Fahrzeugpatrouille der Stadtpoli- zei Wädenswil mit dem Gefreiten A.________ am Steuer und Korporal B.________ als Beifahrer erkannt und sofort verfolgt wurde.
Die Beamten konnten dem Fliehenden mit ihrem gekennzeichneten Polizeifahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Sirene nach Samstagern folgen, wo X.________ sein Fahrzeug bei der Einmündung der Oberen Schwandenstrasse plötzlich zu wenden versuchte. Dies gelang ihm nicht, weil sein Fahrzeug vom Polizeiauto, mit welchem A.________ ebenfalls wenden wollte, angefahren, gegen die Leitplanke gedrückt und blockiert wurde.
Unmittelbar nach der Kollision eröffnete X.________, um seine Flucht zu sichern, aus einem mitgeführten und mit sechs Patronen geladenen Revolver mit dem Kaliber .357 Magnum das Feuer auf die beiden Polizeibeamten. Noch im Fahrzeug sitzend schoss er aus dem linken vorderen Seitenfenster und aus einer Distanz von etwa zwei Metern auf A.________, der das Polizeiauto verlassen wollte. Der Schuss verfehlte den Beamten nur knapp. Darauf wechselte X.________ die Schussrichtung und gab, noch vom Fahrersitz aus, zwei Schüsse auf den noch im Polizeifahrzeug sitzenden B.________ ab, der nicht aussteigen konnte, weil er Probleme mit dem Sicherheitsgurt hatte. Ein Schuss traf den Beamten im Unterleib, und der zweite blieb in der Motorhaube stecken. X.________ verliess nun sein Fahrzeug durch das vordere Seitenfenster. Als er sich auf der Motorhaube des Polizeifahrzeuges befand, feuerte er aus einer Distanz von etwa eineinhalb Metern zwei weitere Schüsse durch die Windschutzscheibe auf den immer noch auf dem Beifahrersitz sitzenden B.________ ab. Einer der Schüsse durchdrang B.________, und der andere blieb im Bereich der Wirbelsäule stecken. X.________ sprang auf der Fahrerseite von der Motorhaube des Polizeifahrzeugs und gab aus kurzer Distanz einen weiteren Schuss auf den schwerverletzten B.________ ab. Auch dieses Geschoss durchdrang dessen Körper. Daraufhin flüchtete X.________ zu Fuss weiter. Die Waffe lud er nach kurzer Flucht in einem Baumgarten nach.
B.________ erlitt schwerste Verletzungen und ist seither querschnittgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt.
B.- Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 14. Dezember 1998 unter anderem des mehrfachen versuchten Mordes im Sinne von Art. 112 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB (sowie weiterer hier nicht interessierender Delikte) schuldig und bestrafte ihn mit 16 Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 494 Tagen erstandener Haft. Das Gericht ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 6 Abs. 1 StGB ohne Aufschub der Strafe an.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 24. November 1999 eine dagegen eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde.
C.- X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der Entscheid des Geschworenengerichts vom 14. Dezember 1998 sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und in der Person von Rechtsanwalt Dr. Christoph Hohler ein unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestellen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägungen:
1.- Im kantonalen Verfahren war unter anderem umstritten, ob der Beschwerdeführer, wie ihm in der Anklageschrift vorgeworfen wurde, bei den Schussab- gaben die beiden Geschädigten gesehen und deshalb gezielt auf sie geschossen hat (vgl. angefochtener Entscheid S. 44 - 46 Ziff. 8.2.4.). Die Vorinstanz stellt fest, der erste Schuss auf den Gefreiten A.________ sei gezielt abgegeben worden (lit. a). Bei den beiden Schüssen, die der Beschwerdeführer noch aus seinem Auto heraus abgegeben hat, sei es möglich, dass er Korporal B.________ nicht gesehen habe; da er aber von der Anwesenheit zweier Beamter gewusst und gesehen habe, dass nur der Fahrer ausstieg, habe er zumindest damit rechnen müssen, dass sich der Beifahrer noch im Wagen befand; auch bei den von der Motorhaube aus in die Windschutzscheibe abgegebenen Schüssen habe er zumindest davon ausgehen müssen, dass sich der Beifahrer in der Schussrichtung befinde; beim letzten Schuss schliesslich habe er den Geschädigten gesehen, weshalb der Schuss bewusst und gezielt abgegeben worden sei (lit. b).
Diese Feststellungen führten die Vorinstanz in subjektiver Hinsicht zum Schluss, wer mit einem Revolver mit dem Kaliber .357 Magnum aus kurzer Distanz mehrere Schüsse auf den Oberkörper eines Menschen abgebe, müsse mit tödlichen Verletzungen rechnen, nehme diese also zumindest in Kauf. Auch wenn es dem Beschwerdeführer in erster Linie darum gegangen sei, seine Flucht zu sichern und sich einer polizeilichen Kontrolle und Verhaftung zu entziehen, habe er bei der Abgabe aller sechs Schüsse den Tod der Beamten zumindest in Kauf genommen. Daran ändere nichts, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tatbegehung unter Drogeneinfluss stand, weil dieser Umstand auf seine Steuerungsfähigkeit keinen Einfluss gehabt habe (vgl. angefochtener Entscheid S. 46 Ziff. 8.2.5., S. 48/49 Ziff. 8.3.2. lit. a sowie in Bezug auf die Zurechnungsfähigkeit S. 57 - 61 Ziff. 2.3.).
In rechtlicher Hinsicht kommt die Vorinstanz zum Ergebnis, der Beschwerdeführer habe sich des mehrfachen eventualvorsätzlichen vollendet versuchten Mordes im Sinne von Art. 112 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig gemacht (vgl. angefochtener Entscheid S. 49 - 53 Ziff. 8.3.2. lit. b).
2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe sein Verhalten zu Unrecht als mehrfachen versuchten Mord im Sinne von Art. 112 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB qualifiziert (Beschwerde S. 4 Ziff. 4). Zum einen sei das Kriterium der besonderen Skrupellosigkeit nicht erfüllt (Beschwerde S. 7 Ziff. 3), und zum anderen stelle sich die Frage, ob der Mordtatbestand bei blossem Eventualvorsatz überhaupt erfüllt sein könne (Beschwerde S. 6 Ziff. 2).
3.- a) Gemäss Art. 112 StGB macht sich des Mordes schuldig, wer besonders skrupellos handelt, namentlich wenn sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind. Mord zeichnet sich demnach durch die aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus. Das Gesetz will den skrupellosen, gemütskalten, krass und primitiv egoistischen Täter erfassen, der ohne soziale Regungen ist und sich daher zur Verfolgung seiner eigenen Interessen rücksichtslos über das Leben anderer Menschen hinwegsetzt. Die Qualifikation ist in einer Gesamtwürdigung der äusseren und inneren Umstände der Tat vorzunehmen (BGE 120 IV 265 E. 3a).
b) Die Vorinstanz führt zu diesem Punkt aus, dem Beschwerdeführer, der einen Raub begangen gehabt habe, mit einem gestohlenen Auto und entwendeten Schildern unterwegs gewesen und von einem Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene verfolgt worden sei, habe klar sein müssen, dass ihm zu Recht die Verhaftung durch die beiden Polizeibeamten drohe. Obwohl er während der Verfolgung eine Bedenkzeit gehabt habe, habe er sich nicht zur Aufgabe entschieden, sondern zur Flucht, die er - wie bereits bei früheren Vorfällen - mit allen Mitteln habe sichern wollen. Zwar sei er durch die Kollision mit dem Streifenwagen unter Druck geraten, er habe diese Lage aber vollständig selber zu verantworten gehabt. Anstatt sich nun zu ergeben, davonzurennen oder allenfalls einen Warnschuss in die Luft abzugeben, habe er ohne jede Vorwarnung und hemmungslos das Feuer gegen den Gefreiten A.________ eröffnet. Dem im Streifenwagen verbliebenen und in seinem Sicherheitsgurt "verhedderten" Korporal B.________ habe er sodann keine Chance gelassen; ohne zu zögern habe er auf ihn fünf Schüsse abgegeben. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei unter diesen Umständen besonders skrupellos gewesen (vgl. angefochtener Entscheid S. 51 - 53).
c) Zunächst ist der Einwand des Beschwerdeführers, bei Eventualvorsatz dürfte Mord von vornherein ausgeschlossen sein, jedenfalls für den vorliegenden Fall unbegründet. Der Beschwerdeführer soll nach der Schlussfolgerung der Vorinstanz zwar den Tod des Gefreiten A.________ und von Korporal B.________ "nur" in Kauf genommen haben. Er hat jedoch den ersten und den letzten Schuss gezielt abgegeben und bei den anderen vier Schüssen gewusst, dass sich der Beifahrer noch im Fahrzeug befand. Anders wären seine Schüsse in Richtung auf den Beifahrersitz ja auch gar nicht sinnvoll zu erklären. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz, indem sie dem Beschwerdeführer "nur" Eventualvorsatz anlastet, sehr wohlwollend entschieden. Ein Schuldspruch wegen mehrfacher direktvorsätzlicher Tatbegehung wäre ohne weiteres ebenfalls möglich - wenn nicht sogar einleuchtender - gewesen.
Der Beschwerdeführer wollte sich nach der missglückten Flucht mit allen Mitteln einer Verhaftung entziehen. Mit besonderer Rücksichtslosigkeit und Heimtücke schoss er sofort und in kurzer Zeit das ganze Magazin leer, um die Beamten unter allen Umständen ausser Gefecht zu setzen. Deren Leben war ihm dabei völlig gleichgültig. Besonders verwerflich ist der letzte Schuss, den der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Vorinstanz bewusst und gezielt auf den bereits schwerverletzten Korporal B.________ abgab. Die Art der Tatausführung qualifiziert das Verhalten des Beschwerdeführers als geradezu klassischen Mordversuch.
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist abzuweisen.
4.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung muss abgewiesen werden, weil die Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos waren (Art. 152 OG). Folglich hat der Beschwerdeführer in Anwendung von Art. 278 Abs. 1 BStP die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen. Seine finanzielle Lage ist bei der Bemessung der Gerichtsgebühr zu berücksichtigen (Art. 153a Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 800. -- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft sowie dem Geschworenengericht des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 12. Januar 2000
Im Namen des Kassationshofes des
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: