BGer 1P.6/2000
 
BGer 1P.6/2000 vom 28.01.2000
[AZA 3]
1P.6/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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28. Januar 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiberin Leuthold.
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In Sachen
Werner K. R e y, z.Zt. im Regionalgefängnis Bern, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter, Clarastrasse 56, Basel,
gegen
Generalprokurator des Kantons Bern, Haftgericht III Bern-Mittelland, Haftrichter 3,
betreffend
Haftentlassungsgesuch, hat sich ergeben:
A.- Werner K. Rey befindet sich seit dem 27. März 1996 in Haft. Am 8. Juli 1999 wurde er vom Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern wegen versuchten Betruges, mehrfacher Urkundenfälschung und mehrfachen betrügerischen Konkurses zu vier Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung der erstandenen Auslieferungs-, Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 1203 Tagen, verurteilt. Sowohl der Angeschuldigte als auch die Staatsanwaltschaft erklärten gegen dieses Urteil die Appellation an den Kassationshof des Obergerichts des Kantons Bern.
Das Haftgericht III Bern-Mittelland wies mit Entscheiden vom 16. Juli und 9. November 1999 die Haftentlassungsgesuche des Angeschuldigten vom 9. Juli und 18. Oktober 1999 ab. Die dagegen erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden wurden vom Bundesgericht am 16. August und 17. Dezember 1999 abgewiesen.
Mit Eingabe vom 16. Dezember 1999 hatte Werner K.
Rey erneut ein Gesuch um Haftentlassung gestellt. Das Haftgericht wies das Gesuch am 4. Januar 2000 ab.
B.- Gegen diesen Entscheid reichte Werner K. Rey am 12. Januar 2000 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei seine sofortige Haftentlassung anzuordnen.
C.- Das Haftgericht stellt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Generalprokurator des Kantons Bern verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, die sich gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs richtet, kann in Abweichung vom Grundsatz der kassatorischen Natur der Beschwerde nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern ausserdem die Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa; 115 Ia 293 E. 1a, je mit Hinweisen). Die mit der vorliegenden Beschwerde gestellten Anträge sind daher zulässig.
2.- Seit 1. Januar 2000 ist nicht mehr die alte Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (aBV), sondern die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) in Kraft (Bundesbeschluss vom 28. September 1999, AS 1999 2555).
3.- Der Beschwerdeführer rügt, die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs verletze die persönliche Freiheit (Art. 10 BV), die Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), das Willkürverbot (Art. 9 BV), die Unschuldsvermutung (Art. 32 BV) sowie Art. 5 Ziff. 3 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
a) Das Bundesgericht hielt in dem das Haftentlassungsgesuch vom 18. Oktober 1999 betreffenden Urteil vom 17. Dezember 1999 fest, der Beschwerdeführer habe in seinem Gesuch dargelegt, weshalb seiner Ansicht nach die Annahme eines Betruges oder eines gewerbsmässigen Betruges unhaltbar sei, und der Generalprokurator habe in der Vernehmlassung zum Haftentlassungsgesuch ausgeführt, aus welchen Gründen nach seiner Auffassung eine gewerbsmässige Tatbegehung gegeben sei. Es sei vertretbar, wenn das Haftgericht bei der Würdigung dieser beiden Standpunkte in dem auf die Belange des Haftentscheids beschränkten Rahmen zum Schluss gelangt sei, die Appellation der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch vom Anklagepunkt des gewerbsmässigen Betruges sei nicht von vornherein aussichtslos. Das Haftgericht habe die Verfassung nicht verletzt, wenn es angenommen habe, der dringende Tatverdacht wegen gewerbsmässigen Betruges könne bis zum Vorliegen des zweitinstanzlichen Urteils nicht als ausgeräumt betrachtet werden.
b) Bei Einreichung des Haftentlassungsgesuchs vom 18. Oktober 1999 war der Beschwerdeführer noch nicht im Besitz der schriftlichen Ausfertigung des erstinstanzlichen Strafurteils vom 8. Juli 1999. Im hier in Frage stehenden Haftentlassungsgesuch vom 16. Dezember 1999 machte er geltend, durch die in der Zwischenzeit erfolgte Zustellung des schriftlich begründeten Urteils des Wirtschaftsstrafgerichts sei eine neue Situation eingetreten. Er stützte sich dabei auf Seite 564 der Urteilsbegründung, wo festgehalten wird, nach dem Ergebnis der Untersuchung habe kein hinreichender Anlass bestanden, Anklage wegen Betruges zu erheben, denn es habe "offensichtlich an den erwähnten Tatbestandselementen" gefehlt.
Das Haftgericht verwarf die Folgerung des Beschwerdeführers, aus dieser Feststellung ergebe sich, dass kein dringender Tatverdacht hinsichtlich des gewerbsmässigen Betruges gegeben sei. Es führte aus, nach seinem Wissen hätten die Untersuchungsrichter nicht die Ansicht vertreten, es sei zu einem Vermögensschaden gekommen, sondern sie seien beim vorliegenden komplexen Sachverhalt von einer Vermögensgefährdung ausgegangen. Es sei eine Frage der rechtlichen Würdigung, ob die Tatbestandselemente des Vermögensschadens bzw. der Vermögensgefährdung und des Kausalzusammenhanges zu bejahen oder zu verneinen seien. Das Haftgericht erlaube sich diesbezüglich kein abschliessendes Urteil, abgesehen davon, dass ihm dies nicht zustehe. Es gehe auch bei der heutigen Sachlage davon aus, die Appellationsinstanz sei in der Beurteilung der vorgeworfenen Anschuldigung des gewerbsmässigen Betruges frei und könne gegebenenfalls auch zu andern Schlüssen kommen. Für das Haftgericht sei die Sicht der Staatsanwaltschaft nicht von vornherein verfehlt und der Tatverdacht des gewerbsmässigen Betruges nicht schon heute ohne wenn und aber klar zu verneinen. Allein aufgrund der Tatsache, dass die vom Wirtschaftsstrafgericht bei der Urteilseröffnung vom 8. Juli 1999 mündlich vorgetragenen Gründe für den Freispruch von der Anklage des gewerbsmässigen Betruges nun schriftlich vorlägen, könne nicht von einer wesentlich neuen Situation gesprochen werden. Es sei festzuhalten, dass das erstinstanzliche Gericht den Beschwerdeführer vom Vorwurf des gewerbsmässigen Betruges zwar freigesprochen habe, zufolge der Appellation gegen dieses Urteil der entsprechende Tatverdacht aber nach wie vor bestehe.
aa) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird eingewendet, es widerspreche dem Grundrecht der persönlichen Freiheit, wenn allein aufgrund der (noch nicht begründeten) Appellation des Staatsanwalts der dringende Tatverdacht entgegen dem Urteil des Wirtschaftsstrafgerichts weiterhin angenommen werde. Dies verletze auch das rechtliche Gehör, da sich der Beschwerdeführer zwar mit den Argumenten des Urteils, nicht aber mit denjenigen des Staatsanwaltes habe auseinander setzen können. Das Haftgericht stelle sich unter Verletzung der Unschuldsvermutung auf den Standpunkt, die noch nicht vorliegende Begründung der Appellation des Staatsanwalts könne erfolgreich sein. Es gebe somit willkürlich einer nicht vorliegenden Appellationsbegründung mehr Chancen als derjenigen der Verteidigung, welche einen Freispruch verlange. Dadurch werde nicht nur das Recht auf Waffengleichheit gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK, sondern auch das Gleichheitsgebot nach Art. 8 BV verletzt.
bb) Die Begründung des angefochtenen Entscheids erweckt in keiner Weise den Eindruck, der Beschwerdeführer habe sich des gewerbsmässigen Betruges schuldig gemacht (vgl. BGE 116 Ia 162 E. 2f u. 2g S. 175 f.). Eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt daher nicht vor.
cc) Das Haftgericht hat mit Grund erklärt, allein deswegen, weil die vom Wirtschaftsstrafgericht an der mündlichen Urteilseröffnung vorgetragenen Gründe für den Freispruch von der Anschuldigung des gewerbsmässigen Betruges nun schriftlich vorlägen, könne nicht von einer wesentlich neuen Situation gesprochen werden. Wie oben (E. 3a) ausgeführt, hielt das Bundesgericht in seinem Urteil vom 17. Dezember 1999 fest, es sei vertretbar, wenn das Haftgericht in seinem Entscheid vom 9. November 1999 zum Schluss gelangt sei, die Appellation der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch vom Anklagepunkt des gewerbsmässigen Betruges sei nicht von vornherein aussichtslos. An dieser Feststellung ändert der Umstand nichts, dass in der schriftlichen Begründung des erstinstanzlichen Strafurteils im Zusammenhang mit der Kostenverlegung gesagt wird, nach dem Ergebnis der Untersuchung habe kein hinreichender Anlass bestanden, Anklage wegen Betruges zu erheben. Allein der Umstand, dass das Wirtschaftsstrafgericht diese Meinung vertritt, bedeutet nicht, dass damit der dringende Tatverdacht in Bezug auf den gewerbsmässigen Betrug als ausgeräumt zu betrachten wäre.
Der Beschwerdeführer führt keine konkreten tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Gründe des Wirtschaftsstrafgerichts an, die - auch ohne Kenntnis der Begründung der Appellation der Staatsanwaltschaft - gegen die bisherige Bejahung des dringenden Tatverdachts des gewerbsmässigen Betruges durch das Haftgericht und das Bundesgericht sprechen würden; das ist im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren daher auch nicht näher zu prüfen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), zumal die Frage, ob die Haft auch verhältnismässig sei, wenn das zweitinstanzliche Urteil nicht vor Ablauf der erstinstanzlich ausgesprochenen Strafdauer vorliege, im angefochtenen Entscheid nicht geprüft wurde und der Beschwerdeführer dies nicht anficht.
Sodann trifft es entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nicht zu, dass das Haftgericht der Appellation der Staatsanwaltschaft mehr Chancen gibt als derjenigen der Verteidigung. Es hielt lediglich fest, die Sicht der Staatsanwaltschaft sei nicht von vornherein verfehlt. Diese Feststellung ist weder willkürlich noch verletzt sie das Gleichheitsgebot oder das Recht auf Waffengleichheit. Auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs geht fehl.
Der Beschwerdeführer konnte sich im früheren Verfahren vor dem Haftgericht zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft vom 25. Oktober 1999, in welcher diese ihren Standpunkt betreffend Gewerbsmässigkeit der Tatbegehung dargelegt hatte, äussern, womit seinem Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen des Haftprüfungsverfahrens in hinreichender Weise entsprochen wurde. Im Weiteren macht der Beschwerdeführer zu Unrecht geltend, es sei willkürlich und verletze das Grundrecht der persönlichen Freiheit, wenn das Haftgericht im angefochtenen Entscheid erkläre, es sei eine Frage der rechtlichen Würdigung, ob die Tatbestandselemente des Vermögensschadens bzw. der Vermögensgefährdung und des Kausalzusammenhanges zu bejahen oder zu verneinen seien, und es könne sich diesbezüglich kein abschliessendes Urteil erlauben. Die betreffenden Ausführungen sind nicht zu beanstanden.
Das Haftgericht hat demnach die Verfassung und die EMRK nicht verletzt, wenn es zum Schluss gelangte, auch nach dem Vorliegen der schriftlichen Begründung des erstinstanzlichen Strafurteils sei der dringende Tatverdacht in Bezug auf den gewerbsmässigen Betrug, der im Urteil des Bundesgerichts vom 15. Januar 1999 bejaht und in dessen Urteilen vom 16. August und 17. Dezember 1999 als nicht ausgeräumt betrachtet wurde, weiterhin gegeben.
c) Es hielt sodann fest, aus der schriftlichen Urteilsbegründung des Wirtschaftsstrafgerichts könnten keine neuen Gesichtspunkte bezüglich der Verhältnismässigkeit der Haftdauer gewonnen werden. Insofern hätten die Ausführungen in den bundesgerichtlichen Urteilen vom 17. Dezember 1999 (E. 3c) bzw. 16. August 1999 (E. 3c/cc) nach wie vor Gültigkeit.
Die Fortdauer der Haft sei nicht als unverhältnismässig zu beurteilen.
Diese Erwägungen sind nicht verfassungs- oder konventionswidrig.
In der staatsrechtlichen Beschwerde werden unter dem Titel "Verhältnismässigkeit" Rügen erhoben, welche bei der Frage des dringenden Tatverdachts bereits behandelt und als unbegründet erachtet wurden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt kann nicht gesagt werden, die Fortdauer der Haft sei unverhältnismässig, wobei auf die entsprechenden Erwägungen in den Urteilen des Bundesgerichts vom 16. August und
17. Dezember 1999 zu verweisen ist.
4.- Nach dem Gesagten verletzte das Haftgericht weder die Verfassung noch die EMRK, wenn es das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 16. Dezember 1999 abwies.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen.
Entsprechend dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons Bern und dem Haftgericht III Bern-Mittelland, Haftrichter 3, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. Januar 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Die Gerichtsschreiberin: