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6P.142/1999/bue
KASSATIONSHOF
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2. März 2000
Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger und Gerichtsschreiber Näf.
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In Sachen
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Daniel Kiefer, Bielstrasse 8, Postfach, Solothurn,
gegen
StaatsanwaltschaftdesKantons S o l o t h u r n,
ObergerichtdesKantons S o l o t h u r n,
betreffend
Art. 4 aBV und Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK(Strafverfahren; Beweiswürdigung, Anklagegrundsatz;
Kosten und Entschädigung), hat sich ergeben:
A.- Das Obergericht des Kantons Solothurn sprach X.________ am 4. Dezember 1998 schuldig der mehrfachen ungetreuen Geschäftsführung (im Sinne von Art. 159 aStGB), der Gehilfenschaft zu betrügerischem Konkurs (im Sinne von Art. 163 aStGB i.V.m. Art. 25 StGB) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (im Sinne von Art. 46 Abs. 1 lit. c BankG) und verurteilte ihn deswegen zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. In zahlreichen Fällen wurde er unter anderem vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung freigesprochen.
B.- X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde. Mit der Letzteren beantragt er, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Solothurn beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Obergericht hat den Beschwerdeführer im Punkt Ziff. 2.1.15 der Schlussverfügung (Konsortialhypothek Claragraben) der ungetreuen Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 aStGB schuldig gesprochen (angefochtenes Urteil S. 178 ff.). Es hat unter anderem festgestellt, der Beschwerdeführer habe um den Inhalt des Geschäfts gewusst (angefochtenes Urteil S. 179).
Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Feststellung beruhe auf willkürlicher Beweiswürdigung und verstosse daher gegen Art. 4 aBV. Was er dazu vorbringt, ist appellatorische Kritik, die zur Begründung einer Willkürrüge nicht ausreicht. Das Obergericht durfte aus den im angefochtenen Urteil (S. 178 f.) genannten Gründen, insbesondere auch gestützt auf die Aussagen des Mitbeschuldigten Y.________, ohne Willkür den Schluss ziehen, der Beschwerdeführer habe, wenigstens in den Grundzügen, den Inhalt dieses Geschäfts gekannt.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
2.- Das Obergericht hat den Beschwerdeführer auch im Punkt Ziff. 2.1.14 lit. i der Schlussverfügung (Geschäftskonto Nr. 31160. 50 des E.________) der ungetreuen Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 aStGB schuldig gesprochen, begangen in der Zeit vom 22. April bis zum 26. Juni 1991 dadurch, dass er insgesamt sieben Vergütungsaufträge im Gesamtbetrag von Fr. 902'694. 25 visiert habe, obschon der Schuldsaldo des Geschäftskontos den Wert der haftenden Schuldbriefe überstiegen habe (angefochtenes Urteil S. 172 ff.).
Der Beschwerdeführer rügt in diesem Punkt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK. Die Schlussverfügung vom 30. August 1995 enthalte in Ziff. 2.1.14 lit. i die Auflistung der entsprechenden Vergütungsaufträge nicht. Auch der Sachverhalt, der nun zu einer gerichtlichen Verurteilung geführt habe, sei in der Schlussverfügung nicht umschrieben.
a) Gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK hat jede angeklagte Person das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden. Dadurch soll der Angeklagte vor Überraschung und Überrumpelung geschützt und ihm eine effektive Verteidigung ermöglicht werden (BGE 120 IV 348 E. 3g S. 357, mit Hinweisen). Die Anklage hat gemäss dem Anklagegrundsatz zum einen eine Informationsfunktion und zum andern eine Umgrenzungsfunktion. Aus dem Anklagegrundsatz ergibt sich das Immutabilitätsprinzip, wonach die Anklage das Prozessthema für alle Instanzen festlegt und somit nur der in der Anklage umschriebene Sachverhalt beurteilt werden darf. Daher muss die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten in ihrem Sachverhalt so präzis umschreiben, dass die Vorwürfe im objektiven und subjektiven Bereich genügend konkretisiert sind (BGE 120 IV 348 E. 2b S. 353 f., mit Hinweisen).
b) In der Schlussverfügung des Untersuchungsrichters vom 30. August 1995 i.S. des Beschwerdeführers (kant. Akten Ordner 1.5, act. 1) werden in Ziff. 2.1.14 lit. i (Schlussverfügung S. 136 ff.) unter der Überschrift "Darlehen 36854. 80 an E.________ von Fr. 2 Mio/Überschreitungen auf dem Geschäftskonto der E.________ & Co." zwei verschiedene Komplexe dargestellt. Diese beiden Komplexe werden im angefochtenen Urteil getrennt behandelt, nämlich auf S. 170 f. einerseits und auf S. 172 ff. andererseits. Der im angefochtenen Entscheid auf S. 172 ff. umschriebene und beurteilte Vorwurf, der Beschwerdeführer habe in der Zeit vom 22. April bis zum 26. Juni 1991 sieben Vergütungsaufträge im Gesamtbetrag von Fr. 902'694. 25 visiert, obschon der Schuldsaldo auf dem Geschäftskonto Nr. 31160. 50 den Wert der damals als Sicherheit dienenden Schuldbriefe überschritten habe, wird in der Schlussverfügung (S. 136 ff.) weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht erhoben, und der Sachverhalt findet sich entgegen einer Bemerkung in der Vernehmlassung des Obergerichts auch nicht auf S. 139 ff. der Schlussverfügung.
Ein solcher Sachverhalt - Visierung von sieben Vergütungsaufträgen über insgesamt Fr. 902'694. 25 in der Zeit vom 22. April bis zum 26. Juni 1991 - wird denn auch im Urteil des Amtsgerichts von Olten-Gösgen vom 3. Juni/ 5. November 1996 nicht beurteilt (siehe erstinstanzliches Urteil S. 247 ff.), auch nicht im Abschnitt unter der Überschrift "6. Überschreitungen Kontokorrentkredit Nr. 31160. 50 nach dem 18.12.1990" (erstinstanzliches
Urteil S. 250 ff.).
Das Obergericht hat demnach im angefochtenen Entscheid (S. 172 ff.) einen Sachverhalt beurteilt, der dem Beschwerdeführer in der Schlussverfügung des Untersuchungsrichters vom 30. August 1995 weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht ausdrücklich oder zumindest sinngemäss zur Last gelegt wurde und welcher auch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils war.
c) Das Obergericht selbst legt weder im angefochtenen Entscheid noch in seiner Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde dar, dass dieser Sachverhalt dem Beschwerdeführer zu einem späteren Zeitpunkt in gehöriger Form unter Wahrung der Verteidigungsrechte vorgehalten worden sei. Es hält in der Vernehmlassung lediglich fest, der Sachverhalt finde sich in der Schlussverfügung auf S. 139 ff.. Dies trifft indessen nicht zu.
Damit hat das Obergericht den sich unter anderem aus Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK ergebenden Anklagegrundsatz verletzt.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher in diesem Punkt gutzuheissen.
3.- Das Obergericht hat den Beschwerdeführer verpflichtet, die Hälfte der Kosten der amtlichen Verteidigung im erstinstanzlichen und im zweitinstanzlichen Verfahren von insgesamt Fr. 73'800. 25, d.h. Fr. 36'900. 10, zu übernehmen (angefochtenes Urteil S. 276, 279 f.).
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, damit habe das Obergericht Art. 4 aBV verletzt. Zum einen sei es angesichts der umfangreichen Freisprüche unverständlich, dass er die Hälfte seiner Verteidigungskosten zu bezahlen habe; der von der Vorinstanz angenommene Kostenverteiler entspreche keineswegs dem Verhältnis von Freisprüchen und Schuldsprüchen. Zum andern sei er in Anbetracht seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der
Lage, den ihm verbleibenden Teil der Verteidigungskosten zu bezahlen, weshalb er Anspruch auf Verzicht der Rückforderung dieser Kosten habe.
b) Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde wird in Bezug auf den Schuldspruch wegen ungetreuer Geschäftsführung betreffend das Geschäftskonto Nr. 31160. 50 (Visierung von Vergütungsaufträgen im Gesamtbetrag von Fr. 902'694. 25; angefochtenes Urteil S. 172 ff.) wegen Verletzung des Anklagegrundsatzes gutgeheissen. Die vom Beschwerdeführer ebenfalls erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird in Bezug auf den Schuldspruch wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Bankengesetz im Sinne von Art. 46 Abs. 1 lit. c BankG sowie hinsichtlich des Schuldspruchs wegen ungetreuer Geschäftsführung im Punkt Ziff. 2.1.15 der Schlussverfügung (Konsortialhypothek Claragraben; angefochtenes Urteil S. 178 ff.) gutgeheissen. Somit fallen weitere Schuldsprüche dahin. Damit wird das Obergericht auch über die Verteilung der Kosten der amtlichen Verteidigung neu befinden müssen.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher in diesem Punkt nicht einzutreten.
4.- Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Gesuch ist, soweit nicht gegenstandslos geworden, abzuweisen, da die staatsrechtliche Beschwerde, soweit diese abgewiesen wird, von vornherein aussichtslos war.
Demnach hat der Beschwerdeführer eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 400. -- zu zahlen und wird der Kanton Solothurn verpflichtet, ihm eine reduzierte Entschädigung von Fr. 1'500. -- zu leisten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn vom 4. Dezember 1998 aufgehoben.
2.- Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird, soweit nicht gegenstandslos geworden, abgewiesen.
3.- Der Beschwerdeführer hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 400. -- zu zahlen.
4.- Der Kanton Solothurn hat dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von Fr. 1'500. -- auszurichten.
5.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. März 2000
Im Namen des Kassationshofes
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: