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Original
 
[AZA]
I 100/99 Md
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Meyer und nebenamtlicher Richter
Zollikofer; Gerichtsschreiber Lauper
Urteil vom 2. März 2000
in Sachen
J.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
K.________,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, Luzern, Beschwer-
degegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
A.- Der 1938 geborene J.________ bewirtschaftet unter
teilweiser Mitarbeit seiner Familie einen mittleren Land-
wirtschaftsbetrieb in X.________. Unter Hinweis auf eine
Rückenoperation meldete er sich am 8. Mai 1990 bei der
Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die Verwaltung
holte Berichte des Dr. med. E.________ (vom 28. Juni 1990
und 8. November 1991), sowie Auskünfte des Versicherten
(unter anderem vom 7. Juni 1990) ein und klärte die be-
trieblichen Verhältnisse an Ort und Stelle ab (Bericht
U.________, Ing. Agronom, vom 28. April 1992, mit ergän-
zender telefonischer Auskunft vom 29. Juli 1992). Gestützt
darauf sowie auf die Einkommenszahlen gemäss Beitragsverfü-
gungen für die Jahre 1987 bis 1990 gelangte sie zum
Schluss, dass der Ansprecher als Landwirt nur zu 20 %
eingeschränkt sei. Dementsprechend wies die IV-Stelle Lu-
zern das Leistungsbegehren ab (Verfügung vom 3. Februar
1994). Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwal-
tungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom
24. November 1994 in dem Sinne gut, dass es die Sache an
die Verwaltung zurückwies, damit diese weitere medizinische
Aktenergänzungen vornehme und abkläre, ob die diversen In-
vestitionen aus gesundheitlichen oder anderen Gründen er-
folgt seien.
Nach erfolgter Abklärung unter anderem gesundheit-
licher (Berichte Dr. E.________ vom 23. Juni 1995 und
5. Juli 1996) und betrieblicher (Bericht U.________ vom
15. November 1995) Art wies die IV-Stelle das Begehren
erneut ab mit der Begründung, die Reduktion des Viehbe-
standes sowie die baulichen Investitionen seien nicht
invaliditätsbedingt erfolgt und könnten daher nicht be-
rücksichtigt werden (Verfügung vom 19. Juni 1997).
B.- Mit Entscheid vom 16. Dezember 1998 wies das kan-
tonale Gericht die hiegegen erhobene Beschwerde ab.
C.- J.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen und beantragen, es sei ihm, in Aufhebung der vor-
instanzlich bestätigten Ablehnungsverfügung, eine Invali-
denrente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zur Akten-
ergänzung und neuer Entscheidung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen. Auf die Begründung wird, soweit erforder-
lich, in den Erwägungen eingegangen.
Die IV-Stelle trägt auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde an. Das Bundesamt für Sozialversicherung
hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprü-
fungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der
angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu
deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
2.- a) Das kantonale Gericht hat die vorliegend mass-
geblichen Bestimmungen und Grundsätze zutreffend dargelegt.
Es betrifft dies den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1
IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und
Abs. 1bis IVG), die Bemessung der Invalidität nach der all-
gemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2
IVG; BGE 116 V 249 Erw. 1b, 114 V 313 Erw. 3a, 104 V 136
Erw. 2a und b; ZAK 1987 S. 305 Erw. 1, 1986 S. 412 Erw. 1c;
RKUV 1989 Nr. U 69 S. 176 Erw. 1) und nach dem Betätigungs-
vergleich für Selbstständigerwerbende (ausserordentliches
Bemessungsverfahren; BGE 104 V 137 Erw. 2c; ZAK 1990 S. 519
Erw. 3b), die Ausscheidung der durch die Mitarbeit der
übrigen Familienglieder erwirtschafteten Einkommensbe-
standteile (Art. 25 Abs. 2 IVV) sowie die Bedeutung der
ärztlichen Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschätzung
(BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158
Erw. 1). Darauf kann verwiesen werden.
b) Bei Landwirten ist eine zuverlässige Ermittlung
oder Schätzung der beiden hypothetischen Erwerbseinkommen
oft nicht möglich, weshalb das ausserordentliche Bemes-
sungsverfahren namentlich in solchen Fällen die zutreffende
Bemessungsmethode darstellt (vgl. BGE 104 V 137 unten mit
Hinweisen; 105 V 151; siehe auch ZAK 1990 S. 518 f.
Erw. 3). Andererseits können im Einzelfall auch Verhält-
nisse vorliegen, die einen Einkommensvergleich selbst bei
Landwirten erlauben (unveröffentlichtes Urteil H. vom
5. März 1999, I 65/97).
3.- a) Gemäss Bericht des Dr. med. E.________ vom
5. Juli 1996 leidet der Beschwerdeführer an einem Restzu-
stand nach Interlaminektomie und Dekompression sowie an
einer Discushernienexstirpation (27. März 1990) bei engem
Spinalkanal L4/5, an einer Spondylarthrose, einer median
weichen Discushernie L4/5 sowie sowie an einem cranialen
Discushernienluxat. Das Arbeitsvermögen habe sich seit der
letzten Beurteilung vom 23. Juni 1995 nicht verändert und
betrage für die Tätigkeit als Landwirt weiterhin einen
Drittel. Damit ergeben sich für den Versicherten zweifellos
Einschränkungen in seinen betrieblichen Tätigkeiten. So
sind ihm denn auch laut Dr. E.________ Melken und Misten
trotz Mechanisierung des Betriebes zur Gänze unmöglich.
Aber auch das Traktorfahren - selbst mit Gesundheitssitz
- über unebenes Gelände erweist sich, wie im Übrigen schon
das blosse Autofahren, als problematisch. Von diesen ein-
zelnen Bereichen abgesehen äussern sich indes die verschie-
denen medizinischen Berichte nicht dazu, ob und wie sich
die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Arbeits-
fähigkeit bei den übrigen Tätigkeiten niederschlagen. Auf
den Betätigungsvergleich der Landwirtschaftlichen Buch-
haltungs- und Beratungsstelle L.________ vom 10./25. Juni
1997 kann nicht abgestellt werden, weil dessen Einschätzung
die nach der Rechtsprechung erforderlichen ärztlichen An-
gaben als Grundlagen für die Invaliditätsbemessung praxis-
gemäss nicht ersetzen kann (BGE 105 V 158 Erw. 1 in fine).
b) Auf Grund der zur Verfügung stehenden Unterlagen
ebenso wenig beurteilen lässt sich die Frage, ob die mit
Bezug auf die zur Rationalisierung des Gewerbes getroffenen
baulichen Massnahmen und anderen Investitionen, ein-
schliesslich Abbau des Grossviehbestands, aus gesundheit-
lichen oder betriebswirtschaftlichen Gründen erfolgt sind.
Die Verwaltung hat zwar hierzu einen ergänzenden Bericht
des Ing. Agronoms U.________ (vom 15. November 1995) ein-
geholt. Dieser beschränkt sich aber im Wesentlichen auf
eine reine Wiederholung der bisherigen Äusserungen und Ein-
schätzungen, die unverändert in Widerspruch zur Auffassung
des Hausarztes stehen, wonach das Leistungsvermögen lang-
fristig erheblich verbessert werden könnte, wenn der Be-
schwerdeführer die entsprechenden Arbeiten mechanisieren
würde. Damit bestehen gewichtige Indizien im Sinne der Be-
hauptungen des Versicherten, wonach es die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen gewesen seien, welche ihn veranlasst
hätten, den Landwirtschaftsbetrieb zu rationalisieren: So
habe er "invaliditätsbedingt" 1990 die Scheune saniert und
den Stall umgebaut, 1991 den Hühnerstall in Stand gestellt
sowie einen Melkstand, einen Abladekran und eine Heubelüf-
tungsanlage angeschafft. Der ergänzende Bericht des Exper-
ten ist daher nicht geeignet, die bestehenden Unklarheiten
auszuräumen oder sonst auf schlüssige Weise zur weiteren
Erhellung des Sachverhalts beizutragen. Im Rahmen der vor-
zunehmen Aktenergänzung wird die Verwaltung daher auch
diesem Punkt Beachtung zu schenken haben.
c) Verwaltung und Vorinstanz sind der Meinung, die als
Folge dieser Massnahmen eingesparten Lohnkosten (Minderlöh-
ne) seien bei der Invaliditätsbemessung zu berücksichtigen,
falls feststünde, dass die Rationalisierung allein wegen
der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Versicherten
erfolgt ist.
Mit dieser Betrachtungsweise werden die fraglichen
Aufwendungen des Versicherten offenbar als vom Erwerbsein-
kommen abzugsfähige Gestehungskosten behandelt. Ein solcher
Abzug kommt praxisgemäss aber nur in Betracht, wenn der-
artige Gestehungs- oder Gewinnungskosten, welche erforder-
lich oder geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit des Ver-
sicherten zu erhalten oder zu verbessern, dauernden Char-
akter haben, d.h. wenn der Versicherte sie dauernd oder
während längerer Zeit zu tragen hat (Meyer-Blaser, Recht-
sprechung des Bundesgerichts zum IVG, S. 210f. mit Hinwei-
sen). Dies trifft vorliegend jedoch nicht zu, da es sich
offenkundig um einmalige Auslagen des Beschwerdeführers
handelt. Es fragt sich folglich, ob sich der Anspruch des
Versicherten nicht auf eine Kapitalhilfe im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 IVG richtet, falls sich nach ergänzender
Prüfung herausstellt, dass die zu beurteilenden Massnahmen
vorwiegend auf gesundheitlich bedingten Einschränkungen des
Beschwerdeführers beruhen und die weiteren besonderen Vor-
aussetzungen für diesen Anspruch erfüllt sind (Meyer-
Blaser, a.a.O. S. 135 mit Hinweisen).
d) Nach dem Gesagten ist die Sache an die Verwaltung
zur umfassenden medizinischen Abklärung der Arbeitsfähig-
keit des Versicherten als Landwirt zurückzuweisen, worauf
die Verwaltung auf Grund dieses medizinischen Unter-
suchungsergebnisses die dem Beschwerdeführer noch zuzumu-
tenden Tätigkeiten in der Landwirtschaft neu festzusetzen
oder - wenn eine zuverlässige Ermittlung des Invaliden-
lohnes auf diesem Weg nicht möglich erscheint - im Sinne
des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens einen Betäti-
gungsvergleich durchzuführen und dessen Ergebnis erwerblich
zu gewichten hat (BGE 104 V 137 Erw. 2c). Im Weiteren ist
abzuklären, ob die Modernisierung des Landwirtschaftsbe-
triebes aus Gründen der wirtschaftlichen Rationalisierung
oder vorwiegend wegen der behinderungsbedingten Einschrän-
kungen des Beschwerdeführers erfolgt ist (ZAK 1976 S. 94,
1972 S. 730, 1971 S. 105).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Luzern vom 16. Dezember 1998 sowie
die Verfügung vom 19. Juni 1997 aufgehoben werden und
die Sache an die IV-Stelle Luzern zurückgewiesen wird,
damit diese, nach erfolgter Abklärungen im Sinne der
Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III.Die IV-Stelle Luzern hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (einschliess-
lich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV.Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wird über
eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrecht-
liche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 2. März 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: