BGer 2A.268/1999 |
BGer 2A.268/1999 vom 17.03.2000 |
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2A.268/1999/bol
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II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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17. März 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hartmann, R. Müller und
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Gerichtsschreiberin Müller.
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In Sachen
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X.________AG, Klägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler, Untermüli 6, Postfach, Zug,
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gegen
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Kanton Z u g, Beklagter, vertreten durch die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug,
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betreffend
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Schadenersatzforderung, hat sich ergeben:
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A.- Am 3. November 1992 reichte die X.________AG, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler, Zug, gegen die Y.________AG, beim Kantonsgericht Zug Klage ein auf Bezahlung von Fr. 1.________ nebst Zins zu 9% seit dem 14. Juli 1990. Die Klägerin stützte die eingeklagte Forderung auf Art. 41 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 1 OR sowie auf Art. 679 ZGB. Mit der Duplik vom 29. März 1993 war der Schriftenwechsel abgeschlossen. Mit Schreiben vom 14. Juli 1993 erkundigte sich die Klägerin beim Kantonsgericht, wann die Weiterführung des Prozesses an die Hand genommen werde. Nachdem keine weiteren Verfahrensschritte unternommen worden waren, erhob die Klägerin am 22. Juli 1994 Rechtsverzögerungsbeschwerde. Daraufhin wurde die Parteibefragung auf den 31. August 1994 angesetzt; anlässlich dieser Befragung reduzierte die Klägerin ihre Forderung auf Fr. 2.________. Die Justizkommission des Obergerichts schrieb die Rechtsverzögerungsbeschwerde am 27. September 1994 als gegenstandslos geworden ab, gab dabei allerdings der Erwartung Ausdruck, das Verfahren werde nun zügig vorangetrieben. Am 28. September gab das Kantonsgericht ein am 15. April 1995 angeordnetes Gutachten in Auftrag; dieses lag dem Gericht am 14. April 1996 vor. Weitere Verfahrensschritte blieben wiederum aus. Am 22. September 1997 reichte die Klägerin erneut eine Rechtsverzögerungsbeschwerde ein. Mit Verfügung vom 30. September 1997 wurde auf den 22. Oktober 1997 eine Zeugeneinvernahme angesetzt. Mit Beschluss vom 13. November 1997 schrieb die Justizkommission die Beschwerde als inzwischen gegenstandslos geworden ab. Dabei hielt sie allerdings ausdrücklich fest, zwischen den einzelnen Verfahrensschritten sei ohne prozessuale Begründung wiederholt mehr als ein Jahr vergangen, weshalb im vorliegenden Verfahren mehrfache Rechtsverzögerungen gerügt werden müssten.
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Am 13. Oktober 1997 erhob die damalige Beklagte die Einrede der Verjährung. Mit Urteil vom 7. April 1998 wies das Kantonsgericht Zug die Klage ab. Es war zum Schluss gekommen, dass die Forderung der Klägerin im Zeitpunkt der Einreichung der ersten Rechtsverzögerungsbeschwerde, am 22. Juli 1994, bereits verjährt war.
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B.- Mit Eingabe vom 18. Mai 1998 an die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug machte die X.________AG gestützt auf die Bestimmungen des zugerischen Verantwortlichkeitsgesetzes vom 1. Februar 1979 (VG) einen Schadenersatzanspruch von insgesamt Fr. 3.________ geltend. Zur Begründung dieser Forderung führte sie im Wesentlichen aus, ihre Klage sei einzig aufgrund der Verjährung abgewiesen worden; diese Verjährung habe der zuständige Richter verursacht. Am 18. November 1998 erklärte die Justiz- und Polizeidirektion, sie bestreite diese Forderung im Sinne von § 20 Abs. 3 VG.
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C.- Am 14. Mai 1999 hat die X.________AG beim Bundesgericht gegen den Kanton Zug Klage eingereicht. Sie beantragt, den Kanton Zug zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 2.________ zuzüglich Verzugszins zu 5% seit dem 14. Juli 1990 (Ziff. 1) sowie für prozessuale Aufwendungen vor dem Kantonsgericht weitere Fr. 4.________ (Ziff. 2) zu bezahlen.
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In ihrer Klageantwort vom 12. August 1999 schliesst die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug (für den Kanton Zug) auf Abweisung der Klage. Mit Replik vom 13. Oktober 1999 hält die X.________AG grundsätzlich an ihren Anträgen fest, korrigiert jedoch Ziff. 2 ihres Rechtsbegehrens insoweit, als sie für prozessuale Aufwendungen vor dem Kantonsgericht nur noch Fr. 5.________ verlangt. Mit Duplik vom 15. November 1999 schliesst die Sicherheitsdirektion nach wie vor auf Abweisung der Klage.
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D.- Am 5. Januar 2000 teilte der Instruktionsrichter der II. öffentlichrechtlichen Abteilung den Parteien mit, er beschränke das Verfahren gestützt auf Art. 34 Abs. 2 BZP einstweilen auf die grundsätzliche Frage der Haftung des Beklagten (mit Einschluss der Auswirkungen eines allfälligen Selbstverschuldens der Klägerin). Mit Schreiben vom 6. Januar bzw. vom 13. Januar 2000 verzichteten sowohl die Klägerin als auch der Beklagte auf die Durchführung einer Vorbereitungs- bzw. Hauptverhandlung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Nach Art. 114bis Abs. 4 aBV (vgl. Art. 190 Abs. 2 der neuen Bundesverfassung, BV) sind die Kantone mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem eidgenössischen Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuzuweisen. Solche kantonale verwaltungsrechtliche Streitigkeiten sind in dem für das Bundesgericht als Beschwerde- oder einzige Instanz der Verwaltungsrechtspflege vorgesehenen Verfahren zu erledigen, soweit die Bundesversammlung nicht anders beschliesst (Art. 121 OG).
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b) § 18 Abs. 3 des zugerischen Verantwortlichkeitsgesetzes lautet:
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"Das Bundesgericht beurteilt Verantwortlichkeitsansprüche Geschädigter gegen den Staat, die aus Amtshandlungen des Kantonsrates, des Regierungsrates oder der Gerichte abgeleitet werden sowie Regressansprüche des Staates gegen Beamte des Verwaltungsgerichts. "
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Diese Bestimmung wurde von der Bundesversammlung am 9. Oktober 1980 genehmigt (BBl 1980 III 711; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates vom 23. April 1980 in BBl 1980 II 429; Jost Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Bern 1995, S. 84). Im vorliegenden Fall macht die Klägerin Verantwortlichkeitsansprüche geltend, die sie aus Amtshandlungen des Kantonsgerichts bzw. des Vorsitzenden der 2. Abteilung dieses Gerichts ableitet.
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c) Im Kanton Zug sind Schadenersatzansprüche gegen den Staat zuerst in einem Vorverfahren geltend zu machen (§ 20 VG). Die Haftung erlischt, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz oder Genugtuung nicht innert einem Jahr seit Kenntnis des Schadens und des ersatzpflichtigen Gemeinwesens bei der zuständigen Behörde einreicht; der Anspruch ist auf alle Fälle nach zehn Jahren verwirkt (§ 11 Abs. 1 VG). Bestreitet die zuständige Behörde den Anspruch, so ist dieser verwirkt, wenn der Geschädigte nicht innert sechs Monaten, von der Mitteilung an gerechnet, bei dem nach § 18 VG zuständigen Gericht Klage einreicht (§ 11 Abs. 2 VG).
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Die Klägerin machte ihre Schadenersatzforderung gegenüber dem Staat Zug am 18. Mai 1998 geltend, nachdem das Kantonsgericht Zug ihre Klage am 7. April 1998 auf Einrede der Beklagten im damaligen Prozess hin wegen Verjährung abgewiesen hatte. Die Klägerin hat daher rechtzeitig gehandelt. Nachdem die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug am 18. November 1998 den geltend gemachten Anspruch bestritten hatte, erhob die Klägerin am 14. Mai 1999, mithin innert sechs Monaten, Klage beim Bundesgericht. Diese erweist sich damit als zulässig.
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2.- Gemäss § 5 Abs. 1 VG haftet im Kanton Zug der Staat für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung amtlicher Verrichtungen durch Rechtsverletzung jemandem zugefügt hat.
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a) Nach § 1 Abs. 1 VG unterstehen den Bestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes der Staat und die Gemeinden sowie die Behördemitglieder, Beamten, Lehrer und Angestellten, seien sie vollamtlich, nebenamtlich, ständig oder vorübergehend im Dienste des Staates tätig. Der Ausdruck "Beamter" wird als Sammelbegriff für alle genannten natürlichen Personen verwendet, das Wort "Staat" steht unter anderem für den Kanton (§ 2 VG). Indem der Präsident der 2. Abteilung des Kantonsgerichts nach Schliessung des Schriftenwechsels bis zum Eintritt der Verjährung keine weiteren Verfahrensschritte unternommen hat, hat er eine amtliche Verrichtung im Sinne von § 5 VG unterlassen.
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b) § 8 VG sieht vor, dass der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden kann, wenn der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt hat oder wenn Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt haben. Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen Art. 44 Abs. 1 OR. Für die Beurteilung der Gründe, welche gemäss § 8 VG eine Ermässigung oder einen Ausschluss der Ersatzpflicht herbeiführen können, kann somit die Rechtsprechung zum Selbstverschulden gemäss Art. 44 Abs. 1 OR herangezogen werden. Ein Selbstverschulden im Sinne des Zivilrechts liegt vor, wenn es der Geschädigte unterlässt, zumutbare Massnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, der Entstehung oder Verschlimmerung eines Schadens entgegenzuwirken. Der Geschädigte hat mit anderen Worten diejenigen Massnahmen zu treffen, die ein vernünftiger Mensch in der gleichen Lage ergreifen würde, wenn er keinerlei Schadenersatz zu erwarten hätte (BGE 107 Ib 155 E. 2b S. 158, mit Hinweisen).
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Wenn zu befürchten ist, dass aus einer langen Prozessdauer ein Schaden entsteht, kann der betroffenen Partei zugemutet werden, das Gericht auf den drohenden Schaden aufmerksam zu machen und es um eine raschere Abwicklung des Verfahrens zu ersuchen. Es ist der betroffenen Partei zudem zuzumuten, nötigenfalls eine Rechtsverzögerungsbeschwerde zu ergreifen. Wenn eine Partei die Beschleunigung des Verfahrens nicht mit den genannten Massnahmen versucht hat, muss ihr in einem allfälligen späteren Staatshaftungsprozess ein Selbstverschulden im Sinne von § 8 VG entgegengehalten werden (vgl. BGE 107 Ib 155 E. 2b/bb S. 158 f.).
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Vorliegend hätte die Klägerin es in der Hand gehabt - und es wäre ihr zumutbar gewesen -, den Richter rechtzeitig auf die drohende Verjährung hinzuweisen und nötigenfalls eine Rechtsverzögerungsbeschwerde zu ergreifen. Statt dessen hat sie sich, nachdem am 29. März 1993 die Duplik erstattet worden war, damit begnügt, am 14. Juli 1993, als die Verjährungsfrage noch nicht aktuell war, das Gericht anzufragen, wann die Weiterführung des Prozesses an die Hand genommen werde. Dann hat sie mehr als ein Jahr lang nichts mehr unternommen, bis sie am 22. Juli 1994 Rechtsverzögerungsbeschwerde erhob. Inzwischen war aber der Anspruch bereits verjährt, selbst wenn angenommen werden sollte, dass die Eingabe vom 14. Juli 1993 als gerichtliche Handlung einer Partei im Sinne von Art. 138 Abs. 1 OR hätte qualifiziert werden müssen. Die nachträglich erhobenen Rechtsverzögerungsbeschwerden vermochten daran nichts zu ändern.
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c) Die Klägerin hat es somit unterlassen, rechtzeitig die zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um den geltend gemachten Schaden abzuwenden. Dieses Untätigsein muss ihr als Selbstverschulden angerechnet werden und hat zudem den Kausalzusammenhang zwischen der beanstandeten Prozessleitung und dem (behaupteten) Schaden unterbrochen (vgl. BGE 107 I b 155 E. 2c S. 159). Bei dieser Rechtslage ist eine Haftung des Kantons Zug gemäss § 8 VG ausgeschlossen.
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3.- Nachdem die Klage bereits aufgrund von § 8 VG abgewiesen werden muss, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob die beanstandete Untätigkeit des Richters bis zum Eintritt der Verjährung eine Rechtsverletzung im Sinne von § 5 Abs. 1 VG darstellt und ob oder in welcher Höhe der behauptete Schaden entstanden ist (vgl. BGE 107 Ib 155 E. 3 S. 159).
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4.- Die nach dem Gesagten unbegründete Klage ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der unterliegenden Klägerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen, da der Kanton Zug nicht durch einen ausserhalb der Verwaltung stehenden Anwalt vertreten war.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die Klage wird abgewiesen.
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2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000. -- wird der Klägerin auferlegt.
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3.- Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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4.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 17. März 2000
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Die Gerichtsschreiberin:
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