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Original
 
[AZA]
I 232/99 Md
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; Ge-
richtsschreiberin Weber Peter
Urteil vom 27. März 2000
in Sachen
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechts-
dienst B.________,
gegen
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, Bern, Beschwerdegegne-
rin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- Der 1958 geborene A.________ leidet seit Jahren
unter massiven Schlafstörungen und nervlicher Belastung,
weswegen er sich im Mai 1994 bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug angemeldet hatte. Nach Durchführung von
beruflichen und medizinischen Abklärungen sprach ihm die
IV-Stelle Bern unter Annahme eines Invaliditätsgrades von
40 % ab 1. April 1993 mit Verfügung vom 3. Oktober 1995
wegen Härtefalls eine halbe Invalidenrente zu.
Im Rahmen einer von A.________ im Juli 1997 beantrag-
ten Revision zog die IV-Stelle einen Bericht von Dr. med.
M.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie (vom 2. Dezem-
ber 1997), ein von Dr. med. H.________, Spezialarzt FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, im Auftrag der Firma
V.________ AG erstattetes Gutachten (vom 30. Juni 1997) und
einen Bericht der Neurologisch-Neurochirurgischen Poli-
klinik des Spitals X.________ (vom 1. Mai 1998) bei. Ge-
stützt darauf setzte sie infolge Veränderung des Gesund-
heitszustandes Ende Juni 1997 den Invaliditätsgrad auf 52 %
fest und sprach mit Wirkung ab 1. September 1997 eine halbe
Rente zu (Verfügung vom 30. Juli 1998).
B.- Die gegen die Verfügung vom 30. Juli 1998 erhobene
Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
Entscheid vom 22. Februar 1999 ab.
C.- A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides sei die IV-Stelle zu verpflichten, die Arbeits-
fähigkeit in gesamtmedizinischer, eventuell in beruflicher
Hinsicht zu überprüfen und anschliessend über den Anspruch
auf eine ganze Invalidenrente neu zu verfügen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde schliesst, hat sich das Bundesamt für So-
zialversicherung nicht vernehmen lassen.
D.- Mit Schreiben vom 3. Februar 2000 ist vom Vater
des Versicherten ein zusätzlicher Bericht des Psychiaters
Dr. med. M.________ (vom 9. September 1999) eingereicht
worden.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprü-
fungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der
angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu
deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
2.- Das kantonale Gericht hat die massgebenden Bestim-
mungen und Grundsätze über den Umfang des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Bemessung des Inva-
liditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28
Abs. 2 IVG) bzw. dem ausserordentlichen Invaliditätsbemes-
sungsverfahren (BGE 104 V 136 ff.) zutreffend dargelegt.
Richtig sind auch die Ausführungen über die Revision der
Invalidenrente (Art. 41 IVG; BGE 117 V 198 mit Hinweisen)
und die dabei zu vergleichenden Sachverhalte (BGE 109 V 265
Erw. 4a; siehe ferner BGE 112 V 372 Erw. 2b und 390
Erw. 1b). Darauf kann verwiesen werden.
3.- a) Die Verwaltung stellte in der angefochtenen
Verfügung vom 30. Juli 1998 eine Veränderung des Gesund-
heitszustandes des Versicherten per Ende Juni 1997 fest.
Bei einem zumutbaren Arbeitspensum von 60 % sah sie eine
verminderte Leistungsfähigkeit darin, dass der Gesuchstel-
ler Tätigkeiten mit laufenden Motoren meiden und Gelegen-
heit zu längeren Pausen haben sollte. Diese Leistungsmin-
derung bewertete sie mit 20 % und legte den Invaliditäts-
grad neu auf 52 % fest. Sie stützte sich dabei in medizi-
nischer Hinsicht auf den Bericht des Psychiaters Dr. med.
M.________ (vom 2. Dezember 1997), das zuhanden der Firma
V.________ AG estellte Gutachten des Psychiaters Dr. med.
H.________ (vom 30. Juni 1997) und einen zusätzlich einge-
holten Bericht der Neurologischen Klinik des Spitals
X.________ (vom 1. Mai 1998).
b) Die Vorinstanz ist auf Grund der gleichen medizini-
schen Unterlagen zum Schluss gelangt, dass sich im Ver-
gleich zum Zustand beim Rentenzuspruch in psychischer Hin-
sicht die Annahme einer Verschlechterung des Gesundheits-
zustandes verbiete, insbesondere unter Berücksichtigung der
Ausführungen von Dr. med. H.________. In somatischer Hin-
sicht hat sie ebenfalls keine erhebliche Veränderung fest-
gestellt, zumindest nicht im Sinne einer dauernden Ver-
schlechterung mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit.
Das kantonale Gericht hat die Verfügung der IV-Stelle als
wohlwollend bestätigt und erwogen, dass es, da selbst bei
dieser Beurteilung die massgebende Grenze einer Invalidität
von zwei Dritteln bei weitem nicht erfüllt sei, bei der
bisherigen Rente bei 52 % Invalidität sein Bewenden haben
müsse.
4.- Wie die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers zu
Recht einwendet, erweisen sich die bestehenden ärztlichen
Beurteilungen der Arbeitsfähigkeit als widersprüchlich. So
setzten die behandelnden Aerzte Dr. med. O.________, Spe-
zialarzt FMH Innere Medizin, und in der Folge Dr. med.
M.________ die Arbeitsunfähigkeit ab 23. Juni 1997 auf 75 %
und ab 28. November 1997 auf 100 % fest. Dr. med.
M.________ stellte eine im Juni 1997 akut aufgetretene Ver-
schlechterung des Gesundheitszustandes fest. Er führte die
Verminderung der Arbeitsfähigkeit u.a. auf die befundene
Gangunsicherheit mit Falltendenz, einschiessenden Zuckungen
der Arme und Beine mit massiver Verletzungsgefahr an der
Drehbank und Panikattacken zurück. Der Versicherte könne
nicht mehr allein mit dem Zug fahren, was früher problemlos
möglich gewesen sei. Er sei auf die Begleitung von Dritt-
personen angewiesen. Dr. med. H.________ stellte im Juni
1997 keine wesentliche pschische Beeinträchtigung der Ar-
beitsfähigkeit fest und führte die bestehende Beeinträch-
tigung auf die physischen Beschwerden zurück. Demgegenüber
sah die Neurologische Klinik des Spitals X.________ die
Leistungseinschränkung als psychisch bedingt an. Körperlich
stellte sie keine Beeinträchtigung fest. Sie ging davon
aus, dass bezüglich der zeitlichen Anforderungen eine
60%ige Tätigkeit, gemessen am Stand November 1997, auch
weiterhin zumutbar sei. Allerdings könne derzeit nicht die
adäquate Produktivität eines leistungsfähigen Gleichalt-
rigen erwartet werden. Dies sei abhängig von medikamentöser
und psychologischer Betreuung.
Entgegen Verwaltung und Vorinstanz lässt sich auf
Grund der bestehenden Aktenlage nicht zuverlässig beurtei-
len, ob und inwieweit Aenderungen der gesundheitlichen
Situation eingetreten sind, die sich erwerblich auswirken.
Der Sachverhalt erweist sich vielmehr in medizinischer Hin-
sicht als ungenügend abgeklärt. Daher und in Anbetracht des
möglichen Zusammenhangs zwischen den komplexen psychischen
und physischen Beeinträchtigungen ist die Sache zur Durch-
führung einer polidisziplinären Begutachtung an die Verwa-
ltung zurückzuweisen. Ob allenfalls auch eine Abklärung der
konkreten beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten angezeigt
ist, wie eventualiter beantragt wird, hängt weitgehend
davon ab, ob die Beschäftigungsmöglichkeit des Versicherten
im elterlichen Betrieb weiterhin offensteht und geeignet
ist. Die Verwaltung wird nach Durchführung der
entsprechenden Abklärungen über den Rentenanspruch des
Beschwerdeführers revisionsweise neu zu verfügen haben.
5.- Auf die Eingabe von Dr. med. M.________ (vom
9. September 1999), in der auf eine erneute Verschlechte-
rung des Gesundheitszustandes infolge eines Sturzes auf den
Rücken hingewiesen wird, kann im vorliegenden Verfahren
nicht eingegangen werden, beurteilt doch der Sozialver-
sicherungsrichter die Rechtmässigkeit der Verwaltungsver-
fügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur Zeit
des Verfügungserlasses gegeben war (BGE 121 V 366 Erw. 1b
mit Hinweisen).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Bern vom 22. Februar 1999 und die
Verfügung vom 30. Juli 1998 aufgehoben werden und die
Sache an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen wird, damit
sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen,
über den Rentenanspruch neu verfüge.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III.Die IV-Stelle Bern hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliess-
lich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren ent-
sprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses
zu befinden haben.
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 27. März 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: