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Original
 
[AZA 3]
1E.2/2000/sch
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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30. März 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Bundesrichter Catenazzi sowie Gerichtsschreiberin Camprubi.
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In Sachen
Werner Müller, Klostergut, Mollis, Weesen, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Werner Schmid, Strublen, Postfach 243, Reichenburg,
gegen
Schweizerische Bundesbahnen AG (SBB), Hochschulstrasse 6, Bern, Beschwerdegegnerin, vertreten durch das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ), Tramstrasse 35, Postfach, Zürich, Vizepräsident der Eidgenössischen Schätzungskommission,
9. Kreis,
betreffend
vorzeitige Besitzeinweisung 132 kV-Leitung Mels-Niederurnen
(Art. 53 ElG),
zieht das Bundesgericht in Erwägung:
1.- Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) plant und baut im Auftrag der Schweizerischen Bundesbahnen AG (SBB) einen Abschnitt der 132 kV-Leitung Ziegelbrücke-Sargans.
Das Projekt sieht vor, die bestehende 380 kV-Leitung des EWZ von Sils i.D.-Benken auf dem Abschnitt Mels-Niederurnen durch ein 132 kV Bahnstromsystem zu ergänzen. Zu diesem Zweck muss die bestehende EWZ-Leitung in Mollis im Bereich der Grundstücke Nrn. 1737 und 1744 des Beschwerdeführers angepasst werden. Es soll dabei eine sog. Gemeinschaftsleitung errichtet werden, also eine Leitungsanlage, die sowohl dem EWZ wie auch der SBB dient.
Das Eidgenössische Starkstrominspektorat genehmigte die Pläne am 15. Mai 1996 und der Bundesrat wies am 25. November 1998 alle gegen die Plangenehmigung gerichteten Beschwerden ab. Am 26. April 1999 stellte das EWZ im Namen der SBB bei der Eidgenössischen Schätzungskommission, 9. Kreis, gestützt auf Art. 3 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EBG; SR 742. 101) in Verbindung mit Art. 33 des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (EntG; SR 711) das Gesuch um Durchführung der Enteignung im abgekürzten Verfahren sowie um vorzeitige Besitzeinweisung.
Am 22. Dezember 1999 gab der Vizepräsident der Schätzungskommission, 9. Kreis, dem Gesuch um vorzeitige Besitzeinweisung statt. Das Gesuch um Durchführung der Enteignung im abgekürzten Verfahren ist beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation hängig, nachdem vor dem Vizepräsidenten der Schätzungskommission keine Einigung erzielt werden konnte. Werner Müller führt gegen die vorzeitige Besitzeinweisung Verwaltungsge- richtsbeschwerde mit dem Antrag, den betreffenden Entscheid aufzuheben. Das EWZ beantragt namens der SBB die Abweisung der Beschwerde.
2.- Am 1. Januar 2000 ist das Bundesgesetz über die Koordination und Vereinfachung von Entscheidverfahren vom 18. Juni 1999 (KoG; AS 1999 3071) in Kraft getreten. Es sieht u.a. Änderungen des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1902 betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen (ElG; SR 734. 0) im Bereich der Plangenehmigung und der Enteignung in Zusammenhang mit Starkstromanlagen vor. Diese Bestimmungen sind indessen auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar (siehe Art. 63 Abs. 2 ElG in der Fassung vom 18. Juni 1999, AS 1999 S. 3092). Massgebend für die vorzeitige Besitzeinweisung ist mithin Art. 53 ElG in der seit 1. Januar 1932 geltenden Fassung.
3.- Gestützt auf Art. 53 Abs. 1 ElG kann der Präsident der Schätzungskommission unter gewissen Voraussetzungen bewilligen, dass mit der Errichtung einer elektrischen Anlage begonnen wird, bevor das Einigungs- oder Schätzungsverfahren durchgeführt worden ist. In Verfahren, in denen die Übertragung des Enteignungsrechts erst im Rahmen der Behandlung der Einsprache erfolgt, ist eine vorzeitige Besitzeinweisung vor dem Verleihungsakt durch das zuständige Departement jedoch ausgeschlossen; anders verhält es sich nur dort, wo das Unternehmen bereits (gesetzlich) mit dem Enteignungsrecht ausgestattet ist (BGE 116 Ib 32 E. 3d S. 36 mit Hinweisen).
In Frage steht hier eine vorzeitige Besitzeinweisung zur Einrichtung einer Gemeinschaftsleitung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung müssen im Zeitpunkt der
vorzeitigen Besitzeinweisung alle Eigentümer einer Gemeinschaftsleitung mit dem Enteignungsrecht ausgestattet sein, oder es muss jedenfalls der entsprechende Entscheid des Departements gefällt worden sein (BGE 105 Ib 197 E. 1e S. 201 f.; 116 Ib 32 E. 3d S. 36). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Gemeinschaftsleitung wird von der SBB und vom EWZ errichtet. Daran ändert nichts, dass das Enteignungsverfahren im Namen der SBB eingeleitet wurde. Die SBB besitzt das Enteignungsrecht von Gesetzes wegen (Art. 3 EBG). Dem EWZ, das zwar Eigentümer der bereits bestehenden 380 kV-Leitung auf den Grundstücken des Beschwerdeführers ist, ist jedoch das Enteignungsrecht (noch) nicht erteilt worden. Die vorzeitige Inbesitznahme, die als schwerwiegender und zwingender Eingriff in die Eigentumsrechte nur Inhabern hoheitlicher Machtbefugnisse zustehen kann, durfte nicht bewilligt werden. Der angefochtene Entscheid ist daher ohne weiteres in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
4.- Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind der Regel von Art. 116 Abs. 1 EntG entsprechend der Enteignerin (SBB) aufzuerlegen. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Vizepräsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, 9. Kreis, vom 22. Dezember 1999 aufgehoben.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1000.-- wird der SBB auferlegt.
3.- Die SBB hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1500.-- zu entschädigen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien, dem Vizepräsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, 9. Kreis, und dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Generalsekretariat) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 30. März 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Die Gerichtsschreiberin: