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Original
 
[AZA]
H 256/99 Tr
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Widmer und neben-
amtlicher Richter Maeschi; Gerichtsschreiber Grünvogel
Urteil vom 30. März 2000
in Sachen
S.________, 1949, Beschwerdeführer,
gegen
Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel, Schönmatt-
strasse 4, Reinach, Beschwerdegegnerin, vertreten durch
Fürsprecherin Z.________,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- Die Firma P.________ AG (nachfolgend Firma), war
der Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel angeschlos-
sen. Am 9. Mai 1995 wurde über die Firma der Konkurs er-
öffnet, in welchen die Ausgleichskasse eine Forderung für
nicht bezahlte paritätische Sozialversicherungsbeiträge aus
der Zeit von Januar 1995 bis zur Konkurseröffnung in Höhe
von Fr. 8045.70 eingab. Am 7. September 1995 teilte das
Konkursamt X.________ den Gläubigern mit, das Verfahren sei
mangels Aktiven eingestellt worden. Mit Verfügungen vom
23. November 1995 forderte die Ausgleichskasse von
S.________ ehemaliger Präsident des Verwaltungsrates, und
R.________, ehemaliges Verwaltungsratsmitglied der Firma,
Schadenersatz in der Höhe von Fr. 8045.70. S.________ erhob
hiegegen Einsprache.
B.- Am 5. Januar 1996 reichte die Ausgleichskasse beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage ein mit
dem Antrag, S.________ sei zur Zahlung von Schadenersatz in
der verfügten Höhe zu verpflichten.
In teilweiser Gutheissung der Klage verpflichtete das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Beklag-
ten, der Ausgleichskasse Schadenersatz im Betrag von
Fr. 3519.50 zu bezahlen (Entscheid vom 11. Juni 1999).
C.- S.________ erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei auf-
zuheben und es sei die Schadenersatzklage abzuweisen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt sich der als Mit-
interessierter beigeladene R.________ sinngemäss mit dem
Antrag auf Gutheissung der Beschwerde vernehmen. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen
lassen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur
so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung
kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren
ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem
Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schaden-
ersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale
Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 119 V 80 Erw. 1b,
118 V 69 Erw. 1b mit Hinweis).
b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistun-
gen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Miss-
brauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachver-
halt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und
b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.- Die Firma ist der Beitragszahlungspflicht bis Ende
1994 anscheinend ordnungsgemäss nachgekommen. Der Beitrag
für Januar 1995 in Höhe von Fr. 4653.- wurde nach erfolgter
Betreibung in Teilbeträgen am 5., 8. und 10. Mai 1995, der-
jenige für Februar 1995 am 10. und 18. Mai 1995 bezahlt.
Die Beiträge für die Zeit ab März 1995 bis zur Konkurser-
öffnung am 9. Mai 1995 blieben unbezahlt. Im Hinblick da-
rauf, dass die Beiträge für April 1995 erst am 10. Mai 1995
und damit nach der Konkurseröffnung zu zahlen waren (Art.
34 Abs. 1 lit. a und Abs. 4 AHVV), kann sich der Schadener-
satzanspruch lediglich auf die Beiträge für März 1995 be-
ziehen, wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat (vgl.
AHI 1994 S. 36 Erw. 6b).
3.- Streitig ist, ob der Beschwerdeführer den der Aus-
gleichskasse entstandenen Schaden in seiner Eigenschaft als
Präsident des Verwaltungsrates der konkursiten Firma durch
absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vor-
schriften im Sinne von Art. 52 AHVG und der zugehörigen
Rechtsprechung verursacht hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei
der Haftung nach Art. 52 AHVG nicht um eine Kausalhaftung,
sondern um eine Verschuldenshaftung, wobei die Schadener-
satzpflicht ein qualifiziertes Verschulden voraussetzt.
Dementsprechend ist die Nichtabrechnung oder Nichtbezahlung
der Beiträge für sich allein nicht haftungsbegründend;
vielmehr bedarf es zusätzlich zur Widerrechtlichkeit (Miss-
achtung von Art. 14 Abs. 1 AHVG) eines Verschuldens in Form
von Absicht oder grober Fahrlässigkeit. Verwaltung und So-
zialversicherungsgericht dürfen sich bei festgestellter
Verletzung der AHV-Vorschriften daher nicht auf die Prüfung
beschränken, ob Exkulpations- oder Rechtfertigungsgründe
vorliegen, sondern haben vorgängig festzustellen, ob ein
qualifiziertes Verschulden im Sinne von Art. 52 AHVG anzu-
nehmen ist (BGE 121 V 244 Erw. 5).
Die Annahme eines qualifizierten Verschuldens im Sinne
von Art. 52 AHVG setzt einen Normverstoss von einer gewis-
sen Schwere voraus. Hiegegen kann auch die relativ kurze
Dauer des Beitragsausstandes sprechen, wobei aber stets
eine Gesamtwürdigung sämtlicher konkreter Umstände des Ein-
zelfalles Platz zu greifen hat. Die Frage der Dauer des
Normverstosses ist somit ein Beurteilungskriterium, welches
im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist und im
Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen (BGE 108
V 186 f. Erw. 1b, 200 f. Erw. 1) zur Verneinung der Scha-
denersatzpflicht führen kann (BGE 121 V 244 Erw. 4b).
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei den ihm
nach Art. 716a Abs. 1 OR obliegenden Pflichten als Verwal-
tungsrat der konkursiten Firma dadurch nachgekommen, dass
er sich für die Einhaltung der Zahlungsfristen eingesetzt
und konkrete Bemühungen zur Zahlung der ausstehenden Bei-
träge unternommen habe. So sei der Buchhaltung aufgetragen
worden, bei kürzeren unumgänglichen Zahlungsverzügen mit
den zuständigen Sachbearbeitern der Ausgleichskasse Kontakt
aufzunehmen und sie darauf hinzuweisen, dass eine fristge-
rechte Zahlung nicht möglich sei. Dieses Vorgehen sei von
der Ausgleichskasse mit telefonisch gewährten Zahlungsauf-
schüben von in der Regel ca. drei Wochen akzeptiert worden.
Damit sei auch die Ausgleichskasse davon ausgegangen, dass
es sich bei den finanziellen Schwierigkeiten der Firma um
bloss vorübergehende Liquiditätsprobleme handle, hätte sie
die Beiträge andernfalls doch in Betreibung setzen müssen.
Diesen Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass jeden-
falls der Beitrag für Januar 1995 erst auf Betreibung hin
bezahlt worden war. Auch konnte spätestens 1994 nicht mehr
von bloss vorübergehenden Liquiditätsproblemen die Rede
sein. Wie der Beschwerdeführer in der Klageantwort vom
22. Februar 1998 selber ausgeführt hat, wurden bereits im
Herbst 1994 vom Verwaltungsrat Sanierungsmassnahmen gefor-
dert und zumindest eine Bilanzsanierung (u.a. mit Herab-
setzung des Aktienkapitals, Darlehensverzicht der Erbenge-
meinschaft S.________ und Aufhebung der gesetzlichen
Reserven) als dringend notwendig erachtet. Dabei war man
sich klar, dass die geplante Bilanzsanierung - welche in
der Folge nicht zustande kam - nichts an dem in den letzten
Jahren stark zurückgegangenen Umsatzvolumen und der äu-
sserst angespannten Liquidität änderte und damit auch den
Fortbestand des Unternehmens nicht nachhaltig sicherte.
Angesichts der massiven Überschuldung des Betriebes, wie er
in der Gewinn- und Verlustrechnung per 31. Dezember 1994
zum Ausdruck kam, durfte der Beschwerdeführer ungeachtet
der in die Wege geleiteten Sanierungsbemühungen nicht davon
ausgehen, dass es sich bei den finanziellen Schwierigkeiten
der Firma um bloss vorübergehende Liquiditätsprobleme
handelte. Vielmehr musste spätestens Ende 1994 ernsthaft
mit der Notwendigkeit einer Betriebsschliessung gerechnet
werden. Der Beschwerdeführer, welcher sich seinen eigenen
Angaben zufolge selber mit dem Zahlungswesen befasst hat,
wäre unter diesen Umständen verpflichtet gewesen, für eine
ordnungsgemässe Bezahlung der Beiträge für 1995 zu sorgen.
Im Hinblick auf den drohenden Konkurs hätte er keine Lohn-
zahlungen mehr veranlassen dürfen, ohne die jeweiligen So-
zialversicherungsbeiträge ordnungsgemäss abzuführen. Auf
einen angeblich gewährten Zahlungsaufschub vermag er sich
schon deshalb nicht zu berufen, weil ein solcher der
Schriftform bedarf (Art. 38bis Abs. 2 AHVV). Zudem stand
bei Fälligkeit des hier streitigen Beitrages für März 1995
am 10. April 1995 der Konkurs unmittelbar bevor, sodass die
Voraussetzungen für die Gewährung eines Zahlungsaufschubes
mangels begründeter Aussicht auf eine nachträgliche Zahlung
nicht gegeben waren (Art. 38bis Abs. 1 AHVV). Es muss daher
bei der Feststellung bleiben, dass der Beschwerdeführer den
der Ausgleichskasse entstandenen Schaden schuldhaft verur-
sacht hat. Der Normverstoss betrifft zwar lediglich eine
kurze Dauer der Beitragszahlungspflicht. Im Gegensatz zu
dem in BGE 121 V 243 ff. beurteilten Sachverhalt kann je-
doch nicht von einer unerwarteten, zum drohenden Konkurs
führenden Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ge-
sprochen werden. Vielmehr musste schon seit längerer Zeit
mit einem Konkurs gerechnet werden. Es verstösst daher
nicht gegen Bundesrecht, wenn die Vorinstanz das Verschul-
den als grobfahrlässig qualifiziert hat.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, so-
weit darauf einzutreten ist.
II. Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden dem Beschwer-
deführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvor-
schuss verrechnet.
III.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
rungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für
Sozialversicherung und R.________ zugestellt.
Luzern, 30. März 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: