[AZA]
C 233/99 Vr
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Rüedi
und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiber Maillard
Urteil vom 3. April 2000
in Sachen
B.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt H.________,
gegen
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Rudolf Diesel-
Strasse 28, Winterthur, Beschwerdegegnerin,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- Der 1961 geborene B.________ arbeitete seit Mitte
Dezember 1995 als Gerant im Gastwirtschaftsbetrieb
X.________ des S.________. Nachdem das Arbeitsverhältnis
per 31. August 1996 aufgelöst worden war, entstand über die
ausstehenden Lohnzahlungen ab Juni 1996 ein Streit. Für die
Lohnforderung des Monats Juni 1996 (Fr. 6651.50) stellte
B.________ am 24. Januar 1997 ein Pfändungsbegehren. Dafür
wurde ihm am 2. Mai 1997 eine Pfändungsurkunde zugestellt,
worauf er am 10. Juni 1997 die Arbeitslosenkasse des Kan-
tons Zürich um Ausrichtung von Insolvenzentschädigung er-
suchte. Die Arbeitslosenkasse verneinte einen solchen An-
spruch mit Verfügung vom 1. Juli 1997, da der Antrag nicht
fristgerecht eingereicht worden sei.
Nachdem über S.________ am 14. Oktober 1997 der Kon-
kurs eröffnet worden war, beantragte B.________ am 19. No-
vember 1997 die Ausrichtung von Insolvenzentschädigung im
Gesamtbetrag von Fr. 13'855.75 für den ausstehenden Lohn
vom 1. bis 21. Juli 1996, zusätzlich Anteil 13. Monatslohn
und Ferien (für die Zeit vom 11. Dezember 1995 bis 21. Juli
1996, ausgenommen Juni 1996), Repräsentationsspesen sowie
Wirtepatentabgabe. Dieses Begehren lehnte die Arbeitslosen-
kasse mit Verfügung vom 16. Januar 1998 ab, weil der glei-
che Anspruch nicht ein zweites Mal geltend gemacht werden
könne.
B.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
hiess die gegen die Verfügung vom 1. Juli 1997 erhobene Be-
schwerde mit Entscheid vom 8. Juni 1999 gut und bejahte den
Anspruch auf Insolvenzentschädigung für die am 10. Juni
1997 angemeldete Forderung, sofern auch die übrigen
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Mit Entscheid vom
gleichen Tag hob das Sozialversicherungsgericht ferner die
Verfügung vom 16. Januar 1998 insofern auf, als sie den An-
spruch auf Insolvenzentschädigung für die offene Lohnforde-
rung für den Monat Juni 1996 betrifft, und wies im Übrigen
die Beschwerde ab.
C.- B.________ lässt gegen den Entscheid betreffend
die Verfügung vom 16. Januar 1998 Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde führen und beantragen, der vorinstanzliche Ent-
scheid sei aufzuheben und ihm die volle beantragte Insol-
venzentschädigung von Fr. 13'855.75 zuzüglich Zins seit
19. November 1997 zuzusprechen.
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnah-
me zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich das
Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) nicht vernehmen
lässt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet al-
lein die mit Gesuch vom 19. November 1997 beantragte Insol-
venzentschädigung, ist doch der die Anspruchsberechtigung
für den Monat Juni 1996 im Grundsatz bejahende vorinstanz-
liche Entscheid unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
2.- Das kantonale Gericht hat die massgeblichen ge-
setzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Insolvenzent-
schädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG), deren Deckungsumfang
(Art. 52 Abs. 1 AVIG), die bei deren Geltendmachung zu be-
achtenden Fristen ( Art. 53 Abs. 1 und 2 AVIG ) sowie die
Folgen verspäteter Antragstellung (Art. 53 Abs. 3 AVIG) zu-
treffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.
3.- a) Die Vorinstanz begründet die angenommene Ver-
wirkung der Anspruchsberechtigung damit, dass das zweite
Entschädigungsgesuch Lohnansprüche betreffe, die vor Stel-
lung des Pfändungsbegehrens bestanden hätten und dass sol-
che Ansprüche nicht nochmals nach der Konkurseröffnung er-
hoben werden könnten. Sie verweist dabei zu Recht auf BGE
123 V 107 f. Erw. 2b, wo das Eidgenössische Versicherungs-
gericht erkannt hat, dass im Gegensatz zur früheren Rege-
lung der Anspruch auf Insolvenzentschädigung bereits mit
der Bewilligung der Nachlassstundung entsteht. Wird später
über den Arbeitgeber der Konkurs eröffnet, so lebt ein im
Zeitpunkt der Nachlassstundung entstandener, aber nicht
oder nicht rechtzeitig geltend gemachter und damit verwirk-
ter Insolvenzentschädigungsanspruch nicht wieder auf. Im
genannten Urteil waren die nach der Nachlassstundung
verspätet geltend gemachten Lohnansprüche und die nach der
später erfolgten Konkurseröffnung (nochmals) erhobenen
identisch. Das Eidgenössische Versicherungsgericht erachte-
te es daher nicht als zulässig, den mit einer ersten Verfü-
gung bereits rechtskräftig verneinten Anspruch auf Insol-
venzentschädigung zum Gegenstand eines zweiten Gesuches zu
machen (siehe auch die in ARV 1998 Nr. 27 S. 151 f. veröf-
fentlichte Erw. 3 des genannten Urteils).
b) Im hier zu entscheidenden Fall liegen die Dinge mit
Ausnahme des den ersten Entschädigungsanspruch auslösenden
Tatbestandes gleich. Während in BGE 123 V 106 eine Nach-
lassstundung den Anspruch eröffnete (Art. 58 AVIG), gründet
dieser vorliegend auf der Stellung des Pfändungsbegehrens
für Lohnforderungen gegen den Arbeitgeber (Art. 51 Abs. 1
lit. c AVIG). Bei der durch die Nachlassstundung eröffneten
Anspruchsberechtigung waren sämtliche Lohnansprüche, welche
der Versicherte vor der Nachlassstundung gegenüber seinem
Arbeitgeber ausstehend hatte, zu berücksichtigen (BGE 123 V
108 Erw. 2b). Nach dem klaren Wortlaut von Art. 51 Abs. 1
AVIG ("in diesem Zeitpunkt") deckt die Insolvenzentschädi-
gung einzig vor der Konkurseröffnung oder vor der Einrei-
chung des Pfändungsbegehrens entstandene Lohnforderungen
(Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit,
Rz 522 mit weiteren Hinweisen). Massgebender Stichtag ist
vorliegend demnach das Datum der Einreichung des
Pfändungsbegehrens. Wie bei der Nachlassstundung, wo
Stichtag das Datum ihrer Bewilligung ist, bilden demzufolge
Gegenstand des durch die Stellung des Pfändungsbegehrens
ausgelösten Entschädigungsanspruchs sämtliche
Lohnansprüche, welche der Versicherte vor dem Stichtag
gegenüber seinem Arbeitgeber ausstehend hatte.
Würde der Überlegung des Beschwerdeführers gefolgt,
dass nur im Pfändungsbegehren enthaltene Forderungen durch
die Insolvenzentschädigung gedeckt sein könnten, würde ein
Versicherter, dessen Arbeitgeber keinen weiteren Versiche-
rungsfall auslöst, beispielsweise nicht in Konkurs fällt,
für die zwischen der in Betreibung gesetzten Forderung und
der Stellung des Pfändungsbegehrens entstandenen Lohnaus-
stände überhaupt nie Insolvenzentschädigung beanspruchen
können, was klar dem Sinn der gesetzlichen Regelung (Lohn-
ausfallversicherung bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitge-
bers; vgl. BGE 114 V 58 Erw. 3c mit Hinweisen) widerspre-
chen würde. Wenn der Arbeitgeber gegen die Betreibungsbe-
mühungen des Arbeitnehmers opponiert, das Arbeitsverhältnis
indessen noch nicht aufgelöst wird, wäre es im Übrigen so-
gar möglich, dass die Lohnforderung, für die ein Versicher-
ter das Pfändungsbegehren gestellt hat, mehr als sechs Mo-
nate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden
ist. Da die Insolvenzentschädigung Lohnforderungen für die
letzten sechs Monate vor Beendigung des
Arbeitsverhältnisses deckt (Art. 52 Abs. 1 AVIG in der bis
31. August 1999 gültig gewesenen Fassung), würde die
Lohnforderung, für die das erforderliche
zwangsvollstreckungsrechtliche Stadium erreicht wird, nicht
Gegenstand des Insolvenzentschädigungsanspruchs sein.
Dieser Fall kann wegen der seit 1. September 1999 in Kraft
stehenden Deckungsbeschränkung auf vier Monate sogar noch
vermehrt eintreten.
c) Es steht aktenmässig fest, dass die vom Beschwerde-
führer mit dem zweiten Gesuch geltend gemachte Insolvenz-
entschädigung sich ausschliesslich auf Forderungen bezieht,
die vor der Stellung des Pfändungsbegehrens (24. Januar
1997) liegen. Der Beschwerdeführer hatte zwar nur ein den
Lohn für Juni 1996 betreffendes Pfändungsbegehren gestellt.
Nach dem Pfändungsvollzug hätte er indessen nach dem in
Erw. 3b Gesagten und entgegen seinen Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht nur für diesen Lohn ein
Insolvenzentschädigungsgesuch stellen können (und müssen),
sondern für sämtliche ausstehenden Lohnforderungen für die
letzten sechs Monate des bis 31. August 1996 dauernden
Arbeitsverhältnisses (Art. 52 Abs. 1 AVIG in der bis
31. August 1999 gültig gewesenen Fassung).
d) Wohl wäre es grundsätzlich möglich, dass die späte-
re Konkurseröffnung einen neuen Versicherungsfall darstel-
len kann (vgl. BGE 123 V 108 Erw. 2b). Da indessen aus den
Akten klar hervorgeht, dass die am 19. November 1997 und
damit nach erfolgter Konkurseröffnung (14. Oktober 1997)
geltend gemachten Lohnansprüche aus der Zeit vor der Stel-
lung des Pfändungsbegehrens stammen, ist es rechtlich aus-
geschlossen, diese Lohnansprüche zum Gegenstand der nun
durch die Konkurseröffnung ausgelösten potenziellen An-
spruchsberechtigung zu machen.
e) Soweit der Beschwerdeführer einwendet, es wäre ihm
mangels gerichtlicher Abklärung über den Bestand der Lohn-
forderung nicht möglich gewesen, den vorliegend zu beurtei-
lenden Insolvenzentschädigungsanspruch rechtzeitig (nach
Pfändungsvollzug) zu stellen, übersieht er, dass nach
Art. 74 AVIV die Lohnforderung lediglich glaubhaft zu ma-
chen ist. Dafür reichen im Einzelfall beispielsweise Ver-
dienstangaben in schriftlichen Arbeitsverträgen, frühere
Lohnabrechnungen, die Schuldanerkennung des früheren Ar-
beitgebers oder die Bescheinigung des Konkurs- oder
Betreibungsamtes aus (Nussbaumer, a.a.O., Rz 520).
4.- Obwohl nach dem Dargelegten die Arbeitslosenkasse
auf das Gesuch vom 19. November 1997 nicht eintreten durfte
(ARV 1998 Nr. 27 S. 151 Erw. 3) und damit die Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde abzuweisen ist, steht noch nicht endgül-
tig fest, dass der Beschwerdeführer für die im genannten
Gesuch enthaltenen Forderungen nicht entschädigungsberech-
tigt ist. Er hat am 10. Juni 1997 ein nicht zum vorliegen-
den Verfahren (vgl. Erw. 1) gehörendes Entschädigungsgesuch
eingereicht, für welches die Vorinstanz den Anspruch auf
Insolvenzentschädigung für die angemeldete Forderung im
Grundsatz rechtskräftig bejahte, sofern auch die übrigen
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Im Antrag auf Insol-
venzentschädigung vom 10. Juni 1997 hat der Versicherte den
letzten geleisteten Arbeitstag mit 10. Juli 1996 angegeben
(Ziffer 7) sowie klar und unmissverständlich erklärt, dass
er Lohn bis 31. Mai 1996 erhalten habe (Ziffer 8). Dies
steht in offensichtlichem Widerspruch zu der in Ziffer 15
enthaltenen Auflistung der offenen Lohnforderungen, die
sich auf den Monat Juni 1996 beschränkte. Laut Art. 77
Abs. 2 AVIV ist die Arbeitslosenkasse gehalten, dem Versi-
cherten bei fehlenden Unterlagen - unter welchen Begriff
auch ein Widerspruch in Bezug auf die Höhe der offenen
Lohnforderungen auf dem Antragsformular fällt - eine ange-
messene Frist für die Vervollständigung anzusetzen und ihn
auf die Folgen einer Unterlassung aufmerksam zu machen
(vgl. dazu ARV 1995 Nr. 21 S. 125 Erw. 2b). Nachdem die Hö-
he der ausstehenden Lohnforderungen inzwischen feststeht,
erübrigt sich dieser Verfahrensschritt und die Arbeits-
losenkasse, an die die Sache zu überweisen ist, wird in die
ohnehin vorzunehmende Prüfung der übrigen Anspruchsvoraus-
setzungen und des Masslichen sämtliche vor Stellung des
Pfändungsbegehrens entstandenen offenen Lohnforderungen
miteinbeziehen.
5.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Im Ver-
waltungsgerichtsbeschwerdeverfahren obsiegt zwar formell
die Arbeitslosenkasse. Dem Beschwerdeführer steht deshalb
grundsätzlich keine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2
OG). Von dieser Regelung kann abgewichen werden, wenn sich
die unterliegende Partei in guten Treuen zur Prozessführung
veranlasst sehen durfte (Art. 159 Abs. 3 OG). Im Hinblick
darauf, dass mit dem vorliegenden Urteil die von der Ar-
beitslosenkasse zu treffende Prüfung auf sämtliche vor
Stellung des Pfändungsbegehrens entstandenen offenen Lohn-
forderungen ausgedehnt wird, erscheint es gerechtfertigt,
dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 159 Abs. 3 in Ver-
bindung mit Art. 135 OG eine reduzierte Parteientschädigung
zuzusprechen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II.Die Akten werden der Arbeitslosenkasse des Kantons
Zürich überwiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen
verfahre.
III.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
IV.Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich hat dem Be-
schwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössi-
schen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu be-
zahlen.
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
rungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirt-
schaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Zürich,
und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 3. April 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: