BGer 1A.75/2000
 
BGer 1A.75/2000 vom 27.04.2000
[AZA 0]
1A.75/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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27. April 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud,
Bundesrichter Jacot-Guillarmod und Gerichtsschreiberin Gerber.
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In Sachen
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen Korth, Kreuzplatz 20, Postfach, Zürich,
gegen
Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Büro 6,Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
betreffend
internationale Rechtshilfe in Strafsachen
für die Niederlande - B 101343 Jas
(Akteneinsicht, Rechtsverweigerung), hat sich ergeben:
A.- Der Untersuchungsrichter am Arrondissementsgericht Amsterdam, Niederlande, ermittelt gegen S.________, P.________ und weitere Personen wegen Urkundenfälschung, Betrugs, Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen und weiterer Delikte. S.________ hat die niederländische und die schweizerische Staatsangehörigkeit. Auch im Kanton Zürich wurde ein Untersuchungsverfahren gegen ihn und weitere Personen u.a. wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung eröffnet.
B.-Mit Schlussverfügung des Untersuchungsrichteramts Chur vom 31. Oktober 1997 wurde ein erstes Rechtshilfeverfahren gegen S.________ abgeschlossen. Dieser ergriff hiergegen keine Rechtsmittel.
C.- Am 8. Dezember 1998 richteten die niederländischen Behörden ein neues Rechtshilfeersuchen an die Schweiz ("Schweiz II"). Darin wurde u.a. die Vernehmung von S.________ als Beschuldigter beantragt. Am 9. April 1999 erliess die Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich die Eintretensverfügung Nr. 1, in der die Einvernahme von S.________ als Angeschuldigter und die Edition diverser Bankunterlagen der Bank C.________ in Zürich angeordnet wurden. Die Bank C.________ wurde ferner aufgefordert, ein Dossier einzureichen, das bei einer internen Untersuchung im Jahre 1988 über mögliche Veruntreuungen im Zusammenhang mit Effektentransaktionen zwischen S.________ und dem damaligen Bankangestellten N.________ erstellt worden war. Dieses Dossier enthält auch Tonbandaufnahmen von Gesprächen zwischen S.________ und N.________.
D.- Am 5. Februar 1999 gelangte ein weiteres Rechtshilfeersuchen der Niederlande an die schweizerischen Behörden ("Schweiz III"), in dem um Ermittlungen bei der Bank A.________ in Genf und der Bank B.________ in Zürich gebeten wurde. Die Bezirksanwaltschaft IV erliess daraufhin am 9. April 1999 die Eintretensverfügung Nr. 4, die S.________ nicht mitgeteilt wurde.
E.-Am 3. Juni 1999 wurde S.________ polizeilich einvernommen.
Auf die ursprünglich beabsichtigte untersuchungsrichterliche Einvernahme in Anwesenheit von niederländischen Beamten wurde verzichtet, nachdem der Rechtsvertreter S.________s angekündigt hatte, er werde Rekurs erheben und vorderhand keine Aussagen machen.
F.-Am 13. Juli 1999 stellte S.________ ein erstes Akteneinsichtsgesuch bei der Bezirksanwaltschaft IV, das am 14. Juli teilweise gutgeheissen und teilweise abgewiesen wurde: S.________ wurde Einsicht in das Rechtshilfeersuchen vom 8. Dezember 1998 und dessen Beilagen, die Eintretensverfügung Nr. 1 sowie die Dokumente betreffend seine Einvernahme gewährt. Eine weitergehende Akteneinsicht wurde abgelehnt, weil S.________ hinsichtlich der Aktenedition durch die Bank C.________ nicht direkt betroffen sei und ihm diesbezüglich auch die Beschwerdelegitimation fehle.
G.-Nachdem die Bezirksanwaltschaft Schlussverfügungen gegenüber dem Mitbeschuldigten P.________ und weiteren betroffenen Personen, nicht jedoch gegenüber S.________ erlassen hatte, ersuchte dieser am 22. September 1999 erneut um Einsicht in die gesamten Akten des Rechtshilfeverfahrens.
Die Bezirksanwaltschaft IV lehnte am 23. September 1999 eine weitergehende Akteneinsicht ab und verwies S.________ darauf, seine Mitwirkungsrechte in den Strafverfahren vor der Bezirksanwaltschaft III und in den Niederlanden geltend zu machen.
H.-Hiergegen erhob S.________ Rekurs ans Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies den Rekurs am 10. Februar 2000 ab, soweit es darauf eintrat. Das Obergericht nahm an, S.________ sei vom Rechtshilfeverfahren nur insoweit persönlich und direkt betroffen, als er rechtshilfeweise als Angeschuldigter einvernommen worden sei; in alle Akten, die mit dieser Massnahme in Zusammenhang stehen, sei ihm bereits Akteneinsicht gewährt worden.
I.- Gegen den Entscheid des Obergerichts erhob S.________ am 2. März 2000 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Er beantragt:
1. Der Beschluss der III. Strafkammer des Obergerichtes
des Kantons Zürich vom 10. Februar 2000 sei
aufzuheben.
2. Dem Beschwerdeführer sei vollumfängliche Akteneinsicht
in die Akten des Rechtshilfeverfahrens
REC 99/R0104 zu gewähren.
3. Eventualiter sei dem Beschwerdeführer Akteneinsicht
in ein vollständiges Aktenverzeichnis des Rechtshilfeverfahrens
REC 99/R0104 und in sämtliche Akten
zu gewähren, die einerseits die Zulässigkeit der
Rechtshilfe gegen den Beschwerdeführer begründen
sollen und in solche Akten, die ihn persönlich in
seinen Rechten betreffen und/oder die in dem gegen
ihn gerichteten Rechtshilfeverfahren an die holländischen
Untersuchungsbehörden übergeben werden sollen
oder bereits übergeben worden sind, zusammen
mit allen diesbezüglichen Aktennotizen über Gespräche,
Anordnungen und Massnahmen, die auch den
Beschwerdeführer betreffen.
4. Die Untersuchungsbehörde sei anzuweisen, nach Beendigung
der Rechtshilfemassnahmen gegen den Beschwerdeführer
eine Schlussverfügung mit Rechtsmittelbelehrung
gemäss Art. 80d IRSG zu erlassen.
5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten
der Beschwerdegegner.. "
J.-Die Bezirksanwaltschaft und das BAP beantragen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Bezirksanwaltschaft bestätigt in ihrer Vernehmlassung, dass keine Schlussverfügung hinsichtlich des Beschwerdeführers erlassen worden sei, weil sich dieser keiner Rechtshilfemassnahme mit Zwangscharakter habe unterwerfen müssen: Er sei lediglich polizeilich einvernommen worden und es seien polizeiliche Ermittlungen über seinen Aufenthalts- und Wohnort getätigt worden. Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.-a) Der angefochtene Entscheid des Obergerichts bestätigt die Verfügung der Bezirksanwaltschaft IV, dem Beschwerdeführer keine weitergehende Einsicht in die Akten des Rechtshilfeverfahrens zu gewähren. Die (partielle) Verweigerung der Akteneinsicht ist regelmässig eine Zwischenverfügung, die nicht isoliert, sondern nur zusammen mit der Schlussverfügung der letztinstanzlichen kantonalen Behörde der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt (Art. 80f Abs. 1 IRSG). Selbständig anfechtbar sind gemäss Art. 80f Abs. 2 IRSG nur Zwischenverfügungen, die einen unmittelbaren und nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 80e Buchstabe b IRSG bewirken, d.h. durch die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen (Art. 80e lit. b Ziff. 1) oder durch die Anwesenheit von Personen, die am ausländischen Prozess beteiligt sind (Art. 80e lit. b Ziff. 2). Im vorliegenden Fall liegt keine dieser Voraussetzungen vor.
b) Die angefochtene Verfügung könnte allenfalls dann als Endverfügung qualifiziert werden, wenn bereits feststünde, dass keine Schlussverfügung gegenüber dem Beschwerdeführer erlassen wird, weil dieser von den Rechtshilfemassnahmen nicht persönlich und direkt betroffen ist. Der Beschwerdeführer behauptet jedoch, er sei unmittelbar betroffen und habe Anspruch auf Erlass einer Schlussverfügung.
Ursprünglich scheint auch die Bezirksanwaltschaft die Betroffenheit des Beschwerdeführers bejaht zu haben, hat sie ihm doch die Eintretensverfügung Nr. 1 eröffnet und ihm zumindest partiell Akteneinsicht gewährt. Das Obergericht hat sich mit dieser Frage nicht befasst, weil der Rekurs nur die Verweigerung der Akteneinsicht betraf. Es ging aber in seinen Erwägungen von einer partiellen Betroffenheit des Beschwerdeführers aus; auch die Rechtsmittelbelehrung (10-tägige Beschwerdefrist) lässt erkennen, dass das Obergericht die Verweigerung der Akteneinsicht als Zwischenverfügung betrachtete.
c) Der Beschwerdeführer hat in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, das Bundesgericht solle die Bezirksanwaltschaft anweisen, eine Schlussverfügung i.S.v.
Art. 80d IRSG gegen ihn zu erlassen. Gemäss Art. 97 Abs. 2 OG gilt auch das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung als Verfügung. Gegen eine rechtswidrige Verweigerung oder Verzögerung der Schlussverfügung kann daher gemäss Art. 25 Abs. 1 und 80e ff. IRSG letztinstanzlich Rechtsverweigerungs- oder -verzögerungsbeschwerde ans Bundesgericht erhoben werden (vgl. unveröffentlichten Entscheid i.S. F. gegen BA vom 23. November 1999 E. 3).
Voraussetzung ist allerdings, dass zuvor der kantonale Instanzenweg erschöpft worden ist. Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer, es stehe kein kantonales Rechtsmittel gegen das Unterlassen einer Schlussverfügung offen, weil § 402 Ziff. 2 StPO/ZH den Rekurs nur gegen Verfügungen der Bezirksanwaltschaft zulasse. Diese Auffassung ist unrichtig:
Gemäss Art. 23 IRSG räumen die Kantone ein Rechtsmittel gegen die Verfügungen der ausführenden Behörden ein.
Diese Bestimmung ist mit Blick auf Art. 98a Abs. 1 OG auszulegen, wonach die Kantone verpflichtet sind, richterliche Behörden als letzte kantonale Instanz zu bestellen, soweit gegen deren Entscheide unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig ist (Abs. 1); dabei sind Beschwerdelegitimation und Beschwerdegründe mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zu gewährleisten (Abs. 3). Da mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht geltend gemacht werden kann, die ausführende Behörde weigere sich zu Unrecht, eine Schlussverfügung zu erlassen, muss diese Beschwerde auch vor einer richterlichen Instanz des Kantons erhoben werden können. § 402 Ziff. 2 StPO/ZH ist deshalb wie Art. 97 OG auszulegen, wonach als Verfügung auch das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung gilt - und zwar nicht nur, wenn die ausführende Behörde eine formelle "Negativverfügung" erlässt, sondern auch, wenn sie dem Betroffenen ihre Absicht, keine Schlussverfügung zu erlassen, nur mündlich mitteilt oder einfach untätig bleibt.
d) Nach dem Gesagten kann auf die Beschwerde mangels Letztinstanzlichkeit nicht eingetreten werden, soweit der Beschwerdeführer den Erlass einer Schlussverfügung verlangt. Hiergegen muss er zunächst den kantonalen Rechtsweg beschreiten. Derzeit steht somit noch nicht fest, dass die Bezirksanwaltschaft keine Schlussverfügung gegenüber dem Beschwerdeführer erlassen wird. Es bleibt deshalb bei der Qualifikation der partiellen Verweigerung der Akteneinsicht als Zwischenverfügung, die nicht isoliert vor Bundesgericht angefochten werden kann. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher insgesamt nicht einzutreten.
e) Hierdurch entsteht dem Beschwerdeführer kein Nachteil: Wird die Bezirksanwaltschaft im kantonalen Rechtsmittelverfahren zum Erlass einer Schlussverfügung verpflichtet, kann der Beschwerdeführer die Akteneinsichtsverweigerung zusammen mit der (letztinstanzlichen) Schlussverfügung anfechten. Die Verweigerung der Akteneinsicht kann aber auch dann noch angefochten werden, wenn das Obergericht den Anspruch auf Erlass einer Schlussverfügung verneinen sollte:
In diesem Fall könnte der Beschwerdeführer Rechtsverweigerungsbeschwerde an das Bundesgericht erheben; der kantonal letztinstanzliche Entscheid, keine Schlussverfügung gegenüber dem Beschwerdeführer zu erlassen, würde diesem gegenüber das Rechtshilfeverfahren abschliessen und wäre somit als Endverfügung zu qualifizieren, mit der zusammen auch die vorangegangene Zwischenverfügung (partielle Versagung der Akteneinsicht) angefochten werden könnte.
Über die für die Durchführung des kantonalen Rechtsverweigerungsverfahrens nötigen Akten verfügt der Beschwerdeführer bereits: Die Bezirksanwaltschaft hat ihm diejenigen Unterlagen zugänglich gemacht, die seine Einvernahme betreffen; aus diesen Unterlagen ergibt sich auch die Edition von Tonbandaufnahmen mit Gesprächen des Beschwerdeführers, aus denen dieser ebenfalls eine persönliche Betroffenheit ableitet. Ausweislich der Beschwerdebeilagen verfügt der Beschwerdeführer überdies über Kopien von zahlreichen weiteren Dokumenten des Rechtshilfeverfahrens, wie z.B. das Rechtshilfegesuch vom 5. Februar 1999, die Eintretensverfügung Nr. 4 und Abschriften der Tonbandaufnahmen.
2.-Nach dem Gesagten ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.-Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Büro 6, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, sowie dem Bundesamt für Polizei, Abteilung internationale Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. April 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Die Gerichtsschreiberin: