BGer 1P.230/2000 |
BGer 1P.230/2000 vom 08.05.2000 |
[AZA 0]
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1P.230/2000/hzg
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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8. Mai 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
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I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
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Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiber Störi.
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In Sachen
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X.________, z.Zt. im vorzeitigen Strafvollzug, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Thomas Perler, Christoffelgasse 7, Postfach 6826, Bern,
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gegen
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Kantonales Untersuchungsrichteramt Bern, Abteilung Drogenkriminalität, Untersuchungsrichter 10,Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Kant. Prokurator César Lopez, Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer,
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betreffend
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Hafterstreckung, hat sich ergeben:
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A.- Die Berner Strafverfolgungsbehörden führen gegen X.________ eine Strafuntersuchung wegen banden- und gewerbsmässigen Handels mit einer unbestimmten, 2'600 g übersteigenden Menge Heroin und einer unbestimmten, 100 g übersteigenden Menge Kokain. X.________ wurde am 10. Dezember 1998 verhaftet und am 14. Dezember 1998 in Untersuchungshaft versetzt. Am 15. September 1999 hat X.________ den vorzeitigen Strafvollzug angetreten.
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Am 17. Januar 2000 stellte X.________ das Gesuch, ihn aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen, da die gesetzlich vorgesehene Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 des Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995 (StrV) abgelaufen sei. Art. 197 StrV steht unter dem Randtitel "Vorzeitiger Antritt von Strafen und Massnahmen"; Abs. 2 hat folgenden Wortlaut:
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"Wird das Verfahren nicht spätestens drei Monate
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nach dem vorzeitigen Antritt durch erstinstanzliches
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Urteil abgeschlossen, ist die angeschuldigte
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Person auf ihr Gesuch hin zu entlassen, es sei
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denn, die Verzögerung des Verfahrens sei durch
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sie schuldhaft veranlasst worden oder die Anklagekammer
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habe diese Frist, insbesondere wegen Fluchtgefahr,
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verlängert.. "
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Der Untersuchungsrichter 10 des Kantonalen Untersuchungsrichteramtes beantragte dem Haftgericht III Bern-Mittelland am 21. Januar 2000, das Haftentlassungsgesuch abzuweisen.
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Die Haftrichterin 6 des Haftgerichtes III Bern-Mittelland wies das Haftentlassungsgesuch mit Entscheid vom 31. Januar 2000 ab. Sie erwog, bei Gesuchen um Entlassung aus der Untersuchungshaft bzw. aus dem vorzeitigen Strafvollzug seien ungeachtet eines allfälligen Ablaufs der Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV immer die materiellen Haftgründe zu prüfen. Vorliegend sei der dringende Tatverdacht aufgrund des Geständnisses erstellt. Ebenso bestehe Fluchtgefahr, da X.________ eine erhebliche Freiheitsstrafe drohe und er keine Beziehungen zur Schweiz habe, die ihn von einer Flucht abhalten könnten.
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X.________ rekurrierte gegen diesen Entscheid der Haftrichterin an die Anklagekammer des Obergerichts.
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Nachdem die Anklagekammer am 18. Februar 2000 das Gesuch des Untersuchungsrichters um Verlängerung der Haft nach Art. 197 Abs. 2 StrV gutgeheissen hatte (der Entscheid ist in der Zwischenzeit vom Bundesgericht am 7. April 2000 im Verfahren 1P.158/2000 aufgehoben worden), wies sie den Rekurs mit Urteil vom 9. März 2000 ab. Sie verwies auf ihren Entscheid vom 18. Februar 2000 und hielt nochmals fest, dass die Auffassung von X.________, "dass eine Fristverlängerung vor Ablauf der Dreimonatsfrist stattfinden muss und eine allfällige Haftprüfung einer beschränkten Kognition unterliegt, völlig fehl geht". Vielmehr seien im vorliegenden Fall die materiellen Haftgründe zu prüfen. Diese seien gegeben, wie sich aus den zutreffenden Ausführungen des Haftgerichts im Entscheid vom 31. Januar 2000 sowie den Ausführungen des Untersuchungsrichters und der Staatsanwaltschaft ergebe.
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B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. April 2000 wegen Willkür (Art. 9 BV) und Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 5 Ziff. 1 EMRK) beantragt X.________, der Rekursentscheid der Anklagekammer vom 9. März 2000 sei aufzuheben und die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern anzuweisen, ihn umgehend freizulassen.
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Zur Begründung führt er im Wesentlichen an, dass die Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV abgelaufen sei, ohne dass sie die Anklagekammer zuvor verlängert hätte oder ihm vorgeworfen würde, das Verfahren verzögert zu haben.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Bei der Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV handle es sich um eine Ordnungsfrist, deren Missachtung nicht zwingend zur Freilassung des Häftlings führen müsse. Angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte überwögen die Aspekte der öffentlichen Sicherheit und Ordnung deutlich; da die materiellen Haftgründe gegeben seien, rechtfertige sich daher die Fortführung der Haft.
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Die Anklagekammer beantragt ebenfalls, die Beschwerde abzuweisen. Sie verweist auf die Begründung des angefochtenen Urteils und teilt mit, dass sie gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts vom 7. April 2000 und in Abänderung ihres Kreisschreibens Nr. 8 mit Beschluss vom 20. April 2000 eine Neubeurteilung des untersuchungsrichterlichen Verlängerungsgesuches vorgenommen und die Frist gemäss Art. 197 Abs. 2 StrV um drei Monate verlängert habe.
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In der Replik hält X.________ an seiner Beschwerde vollumfänglich fest.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- Auf die Beschwerde ist aus den gleichen Gründen einzutreten wie beim in dieser Angelegenheit am 7. April 2000 ergangenen Urteil.
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2.- a) Umstritten ist vorliegend einzig, ob die Anklagekammer die Verfassung verletzte, indem sie den Entscheid der Haftrichterin vom 31. Januar 2000 schützte. Diese lehnte das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers wegen Tatverdachts und Fluchtgefahr ab, obwohl die Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV abgelaufen war, ohne dass sie von der Anklagekammer verlängert worden wäre oder dem Beschwerdeführer irgendwelche Verfahrensverzögerungen hätten angelastet werden können.
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919, revidiert am 1. September 1991, die in § 65 Ziff. 1 eine ähnliche zeitliche Begrenzung der Haft vorsieht, ist es ausgeschlossen, eine abgelaufene Haftfrist nachträglich zu verlängern; hingegen ist eine neue Haftanordnung zulässig (unveröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts 1P.432/1998 vom 17. September 1998, E. 3; BGE 109 Ia 320 E. 3e). Es fragt sich daher, ob der Antrag des Untersuchungsrichters vom 21. Januar 2000 nicht als Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft und der Entscheid der Haftrichterin vom 31. Januar 2000 nicht als Haftanordnung aufgefasst werden können.
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c) Das kann hier bejaht werden, hat doch die Haftrichterin in einem kontradiktorischen Verfahren die materiellen Haftgründe geprüft und befunden, Tatverdacht und Fluchtgefahr seien gegeben. Zwar sind die Verfahrensgarantien von Art. 5 Ziff. 3 EMRK insofern nicht eingehalten worden, als die Haftrichterin den Beschwerdeführer nicht persönlich anhörte. Sie hatte ihm indessen bereits mit Verfügung vom 21. Januar 2000 eröffnet, dass sie das schriftliche Verfahren vorsehe, ohne dass er eine mündliche Anhörung verlangt hätte. Er hat in seiner Eingabe an die Haftrichterin denn auch nicht etwa die materiellen Haftgründe bestritten, sondern sich vielmehr darauf beschränkt, seine bedingungslose Freilassung wegen Ablaufs der Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV zu verlangen. Zu dieser reinen Rechtsfrage konnte der Beschwerdeführer ebenso gut schriftlich Stellung nehmen, eine mündliche Anhörung drängte sich von der Sache her nicht auf. Auch der Beschwerdeführer erachtete offensichtlich eine mündliche Anhörung zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte nicht für nötig. Das ergibt sich schon daraus, dass er nie eine solche verlangte und auch im Nachhinein in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht geltend macht, seine verfassungs- und konventionsrechtlichen Anhörungsrechte seien von der Haftrichterin verletzt worden. Unter diesen Umständen kann ihr Entscheid als rechtsgenügliche Haftanordnung aufgefasst werden. Da der Beschwerdeführer auch vor der Anklagekammer nicht geltend machte, die materiellen Haftgründe seien nicht erfüllt, konnte diese den Haftentscheid ohne Verletzung der Verfassung schützen. Die Beschwerde ist unbegründet.
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d) Dies rechtfertigt sich umso mehr, als sich die unbefriedigende prozessuale Lage, in welcher sich schliesslich die Anklagekammer in zwei Entscheiden mit dem Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers beschäftigte, in dieser Form nicht mehr wiederholen sollte. Jedenfalls hat die Anklagekammer ihre vom Bundesgericht im Entscheid vom 7. April 2000 beanstandete Praxis zu Art. 197 Abs. 2 StrV aufgegeben und ihr Kreisschreiben Nr. 8 dazu am 19. April 2000 neu gefasst. Die Verfahrensleitung ist nun in jedem Fall, in welchem die Dreimonatsfrist von Art. 197 Abs. 2 StrV abzulaufen droht, verpflichtet, so frühzeitig ein Gesuch um ihre Verlängerung zu stellen, dass die Anklagekammer vor ihrem Ablauf darüber befinden kann.
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3.- Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausreichend glaubhaft gemacht ist Art. 152 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
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2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
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a) Es werden keine Kosten erhoben.
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b) Fürsprecher Thomas Perler wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter eingesetzt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
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3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Kantonalen Untersuchungsrichteramt Bern, Abteilung Drogenkriminalität, Untersuchungsrichter 10, sowie der Staatsanwaltschaft, Kant. Prokurator César Lopez, und dem Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 8. Mai 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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