[AZA]
I 667/99 Ge
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
Gerichtsschreiber Maillard
Urteil vom 8. Mai 2000
in Sachen
H.________, 1952,, Beschwerdeführer, vertreten durch
Fürsprecher S.________,
gegen
IV-Stelle Zug, Baarerstrasse 11, Zug, Beschwerdegegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug
A.- Der 1952 geborene H.________ meldete sich am 25.
Mai 1992 unter Hinweis auf einen im Frühling 1990 diagn-
ostizierten Schiefhals bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Nachdem ihm die IV-Stelle Luzern beruf-
liche Massnahmen (Arbeitsvermittlung) gewährt hatte, ver-
legte er seinen Wohnsitz ins Ausland, worauf die IV-Stelle
sein Leistungsgesuch mit Verfügung vom 1. Dezember 1994 als
erledigt abschrieb. Am 9. Oktober 1995 meldete er sich er-
neut zum Bezug von IV-Leistungen an. Nach Abklärungen in
medizinischer und beruflicher Hinsicht sprach ihm die nun-
mehr zuständige IV-Stelle Zug mit Verfügung vom 29. Juni
1998 rückwirkend ab 1. Oktober 1994 eine ganze Invaliden-
rente zu.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwal-
tungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 30. Septem-
ber 1999 insofern gut, als der Rentenbeginn auf den 1. Juni
1994 festgesetzt wurde.
C.- H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde fü-
hren mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid
sei aufzuheben und ihm vom 1. Juli 1991 bis 31. Dezember
1992 eine halbe und ab 1. Januar 1993 eine ganze Rente,
jeweils zuzüglich Verzugszins, zuzusprechen; eventuell sei
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde und Bestätigung der Verfügung vom
29. Juni 1998, während sich das Bundesamt für Sozialversi-
cherung nicht vernehmen lässt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Be-
stimmungen über den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29
Abs. 1 IVG), das Erlöschen des Anspruchs auf Nachzahlung
von Leistungen der Invalidenversicherung (Art. 48 Abs. 1
IVG) sowie die Nachzahlung im Falle verspäteter Anmeldung
des Versicherten (Art. 48 Abs. 2 IVG) zutreffend dargelegt.
Darauf kann verwiesen werden.
2.- Obwohl die Beschwerdegegnerin selbst keine Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde führt, beantragt sie in ihrer Ver-
nehmlassung die Bestätigung ihrer Verfügung vom 29. Juni
1998 und hält damit an ihrer Auffassung fest, dass für den
Nachzahlungsanspruch die zweite Anmeldung vom 9. Oktober
1995 massgebend sei. Zwar erstreckt sich die Überprüfungs-
befugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auch auf
diesen Punkt (vgl. BGE 125 V 415 ff. Erw. 2). Das kantonale
Gericht hat indessen mit in allen Teilen überzeugender Be-
gründung, mit der sich die Beschwerdegegnerin mit keinem
Wort auseinandersetzt, dargelegt, dass die Verwaltung ver-
pflichtet gewesen wäre, bereits im Rahmen der ersten Anmel-
dung vom 25. Mai 1992 die Rentenfrage zu prüfen.
3.- Es verbleibt zu prüfen, ob vor 1. Juni 1994 ein
Rentenanspruch entstanden ist und bejahendenfalls in wel-
chem Umfang.
a) Das kantonale Gericht stellte zunächst fest, dass
der Beschwerdeführer gemäss Gutachten der Neurologischen
Klinik und Poliklinik des Spitals X.________ vom 2. April
1993 in seinem bisherigen Beruf als Marketingleiter und
Aussendienstmitarbeiter in Anbetracht des damit verbundenen
intensiven Kundenkontaktes und der übrigen repräsentativen
Verpflichtungen rückwirkend ab 1. Januar 1990 als zu 100 %
arbeitsunfähig zu betrachten ist. Im Wesentlichen mit der
Begründung, nach der genannten Expertise könne er hingegen
eine Tätigkeit "hinter den Kulissen" als Betriebsökonom
oder Versicherungsfachmann uneingeschränkt ausüben, und Dr.
med. M.________, Spezialarzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, attestiere ihm erst ab 1. Juni 1993 eine
volle Arbeitsunfähigkeit, verneinte die Vorinstanz eine den
Rentenanspruch entstehen lassende ärztlich attestierte Ar-
beitsunfähigkeit von mindestens durchschnittlich 40 % wäh-
rend eines Jahres vor dem 1. Juni 1993. Diese Argumentation
vermag nicht zu überzeugen.
b) Die Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b
IVG ist nicht mit der Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen. Im
Gegensatz zur Entstehung des Rentenanspruchs ist beim Um-
fang des Rentenanspruchs (bei Erwerbstätigen) nicht auf die
Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf, sondern auf die Er-
werbsunfähigkeit auf dem gesamten in Betracht fallenden
ausgeglichenen Arbeitsmarkt abzustellen (BGE 121 V 274
Erw. 6b/cc). Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend
macht, ist für die Entstehung des Rentenanspruchs mit ande-
ren Worten im vorliegenden Fall die Arbeitsunfähigkeit in
seinem bisherigen Beruf als Marketingleiter und Aussen-
dienstmitarbeiter massgebend. Diese beträgt unbestrittener-
massen seit 1. Januar 1990 100 %, womit die Wartezeit be-
reits am 1. Januar 1991 - selbst für den Anspruch auf eine
ganze Rente - als erstanden zu betrachten ist.
4.- a) Eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % während eines
Jahres vermag noch keinen Rentenanspruch zu begründen, son-
dern nur, wenn sich daran eine Erwerbsunfähigkeit von min-
destens 40 % anschliesst. Die durchschnittliche Beeinträch-
tigung der Arbeitsfähigkeit während eines Jahres und die
nach Ablauf der Wartezeit bestehende Erwerbsunfähigkeit
müssen nämlich kumulativ und in der für die einzelnen Ren-
tenabstufungen erforderlichen Mindesthöhe gegeben sein, da-
mit eine Rente im entsprechenden Umfang zugesprochen werden
kann (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc). Zu prüfen bleiben daher
die erwerblichen Auswirkungen dieses Gesundheitsschadens.
b) Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat der Versicherte An-
spruch auf eine ganze Rente, wenn er mindestens zu
66 2/3 %, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zu 50 %
oder auf eine Viertelsrente, wenn er mindestens zu 40 % in-
valid ist; in Härtefällen hat der Versicherte nach Art. 28
Abs. 1bis IVG bereits bei einem Invaliditätsgrad von min-
destens 40 % Anspruch auf eine halbe Rente.
Bei erwerbstätigen Versicherten ist der Invaliditäts-
grad auf Grund eines Einkommensvergleichs zu bestimmen.
Dazu wird das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach
Eintritt der Invalidität und nach Durchführung allfälliger
Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit
bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in
Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen
könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Art. 28 Abs. 2
IVG). Der Einkommensvergleich hat in der Regel in der Weise
zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkom-
men ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander
gegenübergestellt werden, worauf sich aus der Einkommens-
differenz der Invaliditätsgrad bestimmen lässt (allgemeine
Methode des Einkommensvergleichs; BGE 104 V 136 Erw. 2a und
b).
c) Abgesehen davon, dass - hier nicht interessierende
Ausnahmen vorbehalten - nach Art. 48 Abs. 2 IVG Leistungen
lediglich für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate
ausgerichtet werden, macht der Beschwerdeführer nicht ein-
mal geltend, er sei bereits ein Jahr vor der ersten Anmel-
dung (25. Mai 1992), das heisst vor Mai 1991, in rentenbe-
gründendem Ausmass invalid gewesen. Vielmehr erachtet er
die Voraussetzungen für eine halbe Rente ab 1. Juli 1991
und für eine ganze ab 1. Januar 1993 als erfüllt.
d) Während der Beschwerdeführer für die bis Ende Feb-
ruar 1990 ausgeübte Tätigkeit als Ladenchef bei der Firma
Y.________ ein Einkommen von Fr. 7800.- im Monat erzielte,
was einem Jahresverdienst von Fr. 101'800.- (13 x Fr.
7800.-) entspricht, musste er sich in der zwischen 1. Juli
1991 und 31. Dezember 1992 innegehabten Stelle als
Vorsorgeberater bei der Firma Z.________ mit Fr. 3370.- mit
einem deutlich tieferen Monatssalär begnügen. Ob die
hinzukommende, vertraglich vereinbarte Entschädigung von
monatlich Fr. 1250.- in vollem Umfang als
nicht beitragspflichtiger Spesenersatz im Sinne von Art. 7
AHVV zu qualifizieren ist (vgl. dazu AHI 1996 S. 248 f.
Erw. 3a), kann offen bleiben. Selbst wenn die Hälfte davon
als Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 IVV
in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG betrachtet würde, er-
gäbe sich mit Fr. 47'940.- (12 x [Fr. 3370.- + Fr. 625.-])
ein Jahreseinkommen, das rund 53 % unter dem früher erziel-
ten läge. Nachdem nicht zweifelhaft ist, dass der Beschwer-
deführer diese Erwerbseinbusse aus gesundheitlichen Gründen
hinnehmen musste, hat er ab 1. Juli 1991 Anspruch auf eine
halbe Rente.
e) Auf Ende Dezember 1992 wurde dem Beschwerdeführer
die Stelle bei der W.________ gekündigt, weshalb ab diesem
Zeitpunkt beim Invalideneinkommen nicht mehr auf den
tatsächlich erzielten Verdienst (vgl. BGE 117 V 18
Erw. 2c/aa mit Hinweisen) abgestellt werden kann. Ab
1. Januar 1993 beträgt der Invaliditätsgrad - wie von der
Beschwerdegegnerin in der Verfügung vom 29. Juni 1998
aufgrund eines zutreffenden Einkommensvergleichs ermittelt
- 72 %, was zu einer ganzen Rente berechtigt. Bei der
gleichzeitigen rückwirkenden Zusprechung einer halben und
der diese ablösenden ganzen Rente richtet sich der Zei-
tpunkt des Wechsels von der halben zur ganzen Rente aus-
schliesslich nach Art. 88a Abs. 2 IVV (BGE 109 V 126 f.
Erw. 4a). Dem Beschwerdeführer ist daher ab 1. April 1993
eine ganze Rente zuzusprechen.
5.- In Bezug auf die Ablehnung des Begehrens auf Ver-
zugszins kann auf die rechtskonforme Begründung im ange-
fochtenen Entscheid verwiesen werden. Zu ergänzen ist, dass
es das Eidgenössische Versicherungsgericht wiederholt abge-
lehnt hat, seine konstante Rechtsprechung, wonach im So-
zialversicherungsrecht grundsätzlich keine Verzugszinsen
geschuldet werden, zu ändern (vgl. BGE 124 V 345 Erw. 3;
RKUV 2000 Nr. U 360 S. 34 Erw. 3 mit Hinweisen).
6.- Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungs-
leistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskos-
ten zu erheben. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat
die IV-Stelle dem Beschwerdeführer eine reduzierte Partei-
entschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 3 in Verbindung
mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts
des Kantons Zug vom 30. September 1999 und die Verfü-
gung der IV-Stelle Zug vom 29. Juni 1998 insoweit auf-
gehoben, als der Rentenbeginn auf den 1. Juni 1994
festgesetzt wurde, und es wird festgestellt, dass der
Beschwerdeführer mit Wirkung ab 1. Juli 1991 Anspruch
auf eine halbe und ab 1. April 1993 auf eine ganze
Rente der Invalidenversicherung hat. Im Übrigen wird
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III.Die IV-Stelle Zug hat dem Beschwerdeführer für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
eine Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliess-
lich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV.Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wird über eine
Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Ver-
fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungs-
gericht des Kantons Zug, der Ausgleichskasse des
Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 8. Mai 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: