«AZA 0»
U 326/99 Vr
IV. Kammer
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Schäuble
Urteil vom 24. Mai 2000
in Sachen
K.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt S.________,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin,
und
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
A.- Der 1948 geborene, bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versicherte K.________ verstarb am 12. Dezember 1996 an den Folgen einer Berufskrankheit. Mit Verfügung vom 15. Juli 1997 lehnte die SUVA den Anspruch der überlebenden Ehegattin U.________ auf eine Rente oder Abfindung ab, weil die nach Ausbruch der Berufskrankheit geschlossene Ehe nicht vorher verkündet worden war und beim Tode des Versicherten nicht mindestens zwei Jahre gedauert hatte. Diese Verfügung bestätigte die SUVA mit Einspracheentscheid vom 23. September 1997.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher U.________ die Ausrichtung einer Witwenrente ab 1. Januar 1997 beantragen liess, wurde mit Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 10. August 1999 abgewiesen.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt U.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Sie macht eine unrichtige Auslegung der massgebenden gesetzlichen Bestimmung über den Anspruch des überlebenden Ehegatten auf Hinterlassenenrente geltend.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im vorinstanzlichen Entscheid wird zutreffend dargelegt, dass nach Art. 29 Abs. 1 UVG der überlebende Ehegatte Anspruch auf eine Rente oder Abfindung hat. Wurde die Ehe nach dem Unfall - bzw. nach Ausbruch der ihm gleichgestellten Berufskrankheit (Art. 9 Abs. 3 UVG) - geschlossen, besteht gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung der Anspruch nur, wenn sie vorher verkündet worden war oder beim Tode mindestens zwei Jahre gedauert hatte. Nach Art. 29 Abs. 3 UVG hat der überlebende Ehegatte Anspruch auf eine Rente, wenn er bei der Verwitwung eigene rentenberechtigte Kinder hat oder mit andern durch den Tod des Ehegatten rentenberechtigt gewordenen Kindern in gemeinsamem Haushalt lebt oder wenn er mindestens zu zwei Dritteln invalid ist oder es binnen zwei Jahren seit dem Tode des Ehegatten wird. Die Witwe hat zudem Anspruch auf eine Rente, wenn sie bei der Verwitwung Kinder hat, die nicht mehr rentenberechtigt sind, oder wenn sie das 45. Altersjahr zurückgelegt hat; sie hat Anspruch auf eine einmalige Abfindung, wenn sie die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente nicht erfüllt.
2.- Die Beschwerdeführerin stützt ihren Rentenanspruch auf Art. 29 Abs. 3 UVG, dessen Voraussetzungen sie im Gegensatz zu jenen nach Art. 29 Abs. 2 erfüllt, weil sie mit ihrer Tochter M.________, welche im Oktober 1996 vom verstorbenen Versicherten adoptiert worden war, bei der Verwitwung ein eigenes rentenberechtigtes Kind hatte. Streitig und zu prüfen ist deshalb, ob Absatz 3 der genannten Bestimmung ungeachtet der Voraussetzungen von Absatz 2 einen gesonderten Anspruch des überlebenden Ehegatten mit eigenen rentenberechtigten Kindern begründet.
3.- a) Diese Auslegungsfrage ist vom Eidgenössischen Versicherungsgericht bisher nicht entschieden worden. Den Materialien, welche nach ständiger Rechtsprechung ein wichtiges Erkenntnismittel darstellen, von dem im Rahmen der Auslegung stets Gebrauch zu machen ist (BGE 125 V 130 Erw. 5 in fine mit Hinweisen), lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen (vgl. Botschaft des Bundesrates zum UVG vom 18. August 1976, BBl 1976 III 169 f. und 194; Amtl. Bull. 1979 N 184, 1980 S 477 ff.). Ebensowenig finden sich in der Literatur direkte Stellungnahmen (vgl. Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 427 ff.; Ghélew/Ramelet/Ritter, Commentaire de la loi sur l'assuranceaccidents, S. 128 f.; Rumo-Jungo, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 149; Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 255 f.). Indirekt könnte allenfalls aus den Ausführungen von Frésard (L'assurance-accidents obligatoire, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], S. 52 Rz 128 f.) abgeleitet werden, dass Absatz 2 von Art. 29 UVG als Grundvoraussetzung für den Leistungsanspruch des überlebenden Ehegatten zu betrachten ist.
b) Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid erwogen, dass die Voraussetzungen gemäss Art. 29 Abs. 2 UVG auch für den nachfolgenden Absatz 3 massgebend seien. Letzterer umschreibe bloss die Anforderungen, unter denen der Anspruch auf eine Rente im Gegensatz zur Abfindung gegeben ist. Ein Sondertatbestand, welcher die in Absatz 2 aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen ausser Betracht liesse, werde damit nicht geschaffen. Auch die Ehe des überlebenden Ehegatten mit eigenen rentenberechtigten Kindern müsse demnach vor dem Unfall bzw. vor Ausbruch der Berufskrankheit verkündet worden sein oder beim Tode zumindest zwei Jahre gedauert haben, um Anspruch auf Hinterlassenenrente begründen zu können. Aufgrund der Systematik von Art. 29 UVG bestehe kein Anlass, an dieser Folgerung zu zweifeln.
c) Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass der Gesetzgeber mit den Absätzen 1 und 3 in Art. 29 UVG bewusst zwei Kategorien von "überlebenden Ehegatten" definieren wollte, nämlich überlebende Ehegatten ohne rentenberechtigte Kinder (Abs. 1) und überlebende Ehegatten, die mit eigenen rentenberechtigten Kindern oder mit fremden rentenberechtigt gewordenen Kindern im gemeinsamen Haushalt zusammenleben (Abs. 3). Diese gesetzgeberische Unterscheidung ergebe sich nicht nur aus den gleichlautenden, einleitenden Begriffsbestimmungen in den Absätzen 1 und 3. Vielmehr mache sie durchaus auch insoweit Sinn, als überlebende Ehefrauen mit rentenberechtigten Kindern zum ausschliesslichen Wohle eben dieser Kinder immer und ungeachtet der einschränkenden Bestimmung von Art. 29 Abs. 2 UVG als rentenanspruchsberechtigt erklärt werden sollten. Letztgenannte Vorschrift beziehe sich demnach einzig auf die Kategorie der überlebenden Ehegatten ohne rentenberechtigte Kinder, weshalb sie vorliegend nicht zur Anwendung gelange.
d) Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. In Bestätigung der vorinstanzlichen Betrachtungsweise ist vielmehr davon auszugehen, dass die Bestimmung von Art. 29 Abs. 3 UVG aufgrund der Gesetzessystematik nur dann zum Tragen kommt, wenn die im vorangehenden Absatz 2 geregelten Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei spielt es angesichts des klaren Wortlauts von Art. 29 Abs. 2 UVG keine Rolle, ob die Witwe mit einem rentenberechtigten Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Dieser Umstand wird erst dort bedeutsam, wo ein Anspruch an sich gegeben und die Frage zu entscheiden ist, ob dieser in Form einer Rente oder bloss einer Abfindung besteht. Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, dient Absatz 2 von Art. 29 dazu, allfällige Missbräuche zu verhindern, indem einem überlebenden Ehegatten ein Anspruch auf Rente oder Abfindung nur zusteht, wenn er die in der fraglichen Norm umschriebenen Voraussetzungen erfüllt (vgl. zur Missbrauchsthematik das Urteil in EVGE 1931 S. 10 ff., welches den Vorgänger von Art. 29 UVG, Art. 84 KUVG, betraf).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
richt des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozial-
versicherung zugestellt.
Luzern, 24. Mai 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: